LA hat angefragt. Sags laut: Äl-Äi. Das klingt wie Verschwörung, dunkle Macht. Ich könnte die Kunststraße „Ums Meer“ auf der wichtigsten internationalen Schau für mobile Kunst zeigen. Speedlife hat mich gänzlich wieder. Mails jagen über den Atlantik, zu Sponsor Sarcom, zur Presse.
In all dem Trubel habe ich glatt verbummelt, in Boulogne-sur-Mer Bescheid zu sagen, dass ich vermutlich schon Dienstag dort sein werde. Puuh. Die Zeit rennt. Ich komme mir vor, wie der namenlose Hund, der mir im Mai 2000 nördlich des Flughafens von Montpellier einige Kilometer hinterher gerannt ist. Ich mit vollbepacktem Radel, er ein junges, ausgesetztes Tier auf der Suche nach einem Herrchen. Die Oberschenkel hatte er mir zerkratzt, als er an mir hochsprang, so dass ich ihn zurück schickte in den Straßengraben. Hunde und Radler passen leider nicht zusammen.
Die Gier nach Liebe, Nähe, Rudel, Nahrung, Anerkennung, Ruhm und Ehre ist eine schreckliche Kraft, die uns Menschen dazu veranlasst, Großes zu vollbringen, aber auch, uns zu verausgaben bis zum Gehtnichtmehr. Das Hundchen von Montpellier kommt mir immer dann in den Sinn, wenn ich anfange zu rennen, dem ersten besten hinterher, weil ich mir etwas davon verspreche. Zugegeben: das International Mobile Art Festival ist eine Sache, die es wert ist. Eine Art Adelung als offizieller Mobilkünstler von allerhöchster Ebene. Aber das Zeitfenster ist denkbar eng: Am ersten August habe ich drei Tage Zeit, etwa 800 Bilder und Textfragmente und Kartenstücke in eine iPad-Schau zu verpacken, die Daten samt iPad nach LA zu schicken. Spätestens am zehnten August muss es dort sein. Run run run.
Das Hundchen aus Montpellier war ziemlich ausdauernd. Ich radelte mit zwanzig Sachen auf ebener Strecke, völlig außer Puste und immer wieder springt mich das Tier an, winselt ein unverstehbares „nimm mich mit, sei mein Rudel“, so dass ich minutenlang immer wieder überlege, kannste dir das leisten, einen Hund auf der Radeltour mitzunehmen. Schäferhundgröße. Nicht so leicht auf dem Gepäckträger unterzubringen. Mein armes, weiches Herz bricht, als ich einen Hügel hinauf keuche, das Tier immer wieder wegschicke, es eine Weile stehen bleibt, mir nachschaut, wieder losläuft, aufholt, ich den Gipfel des Hügels erreiche und auf der anderen Seite mit 40 km/h hinabkeuche, Kilometerweit um zwei drei Kurven. Das Tier ist weg. Und ich um die Fleisch gewordene Erfahrung reicher, dass, egal, ob Tier oder Mensch, immer wieder Situationen kommen im Leben, in denen man bereit ist, alles zu geben, sich bis in Todesnähe zu verausgaben. Wir Menschen vielleicht sinnloser, blinder, Geld, Macht und anderen fiktiven Werten hinterher hechelnd, als etwa ein Hund, der von all dem menschgestrickten Schein gar keine Ahnung hat und der nur eins kennt, fressend durchkommen in irgendeinem Rudel dieser Welt.