Tage 121-124 – Bilder

Hier eine Collage aus Bildern der letzten vier Tage. Deutlich heben sich die Zufallstraßenfotos hervor – eine aufregende neue Fotografie für die serielle Kunststraßenarbeit. Sowohl schreiberisch, als auch radeltechnisch, als auch fotografisch probiere ich in der Endphase der „Ums Meer“-Reise ein paar neue Dinge aus: Mehr Zufall, mehr Hingabe, mehr Speed könnte das Motto lauten.

Bis jetzt geht die Rechnung auf, obschon ich nicht glaube, dass ich das, insbesondere die hohe Geschwindigkeit von etwa hundert Tageskilometern, lange durchhalte (groß durch Draufklick).

Hobbyclown August zu K. und sein düsterer Freund Fríëđølîñ. Ein Bild aus glücklichen Tagen in einem Ferienpark in Nordfrankreich.

Tag 124 – die Strecke

Richtig glücklich klang Irgendlink soeben am Telefon. Die heutige Etappe sei sehr ruhig und schön zu fahren gewesen. Vielleicht weil es Sonntag ist.

Und schon morgen könnte er, wenn alles gut läuft, die deutsche Grenze überrollen …

>>> Wildzeltplatz bei Terron sur Ainse – Wildzeltplatz zwischen Billy und Vaudoncourt: zum Kartenausschnitt mit der heutigen Strecke: bitte hier klicken!

Das Jetzt und die Ewigkeit

Warum ist es nur so verflixt schwer, in der Ewigkeit des Moments zu leben? Wenn Du eine Strecke von siebentausend Kilometer, zurückzulegen per Rad oder zu Fuß, in kleine Einzelstücke zerlegst, kommt dir das nicht sehr weit vor. Vor Beginn der Reise habe ich allen Lieben daheim erzählt, dass ich nur drei Wochen wegfahre. Eine normale Zeitstrecke von der Länge eines Sommerurlaubs. Das versteht jeder. Nach den drei Wochen radele ich weitere drei Wochen und so weiter Das habe ich mir selbst auch gesagt. Gleichzeitig hat dieser Trick Platz geschaffen für ein völlig neues Reise- und Zeitempfinden. Denn die Länge an Zeit, die vor mir lag, war dennoch da. So konnte ich das Experiment „Lebe im Moment“ über Wochen gut durchhalten. Es gab ja keinen Endtermin für die Reise. Anfang Juli hatte ich dennoch grob skizziert. Das Kind braucht einen Namen. Die Ewigkeit erreichst du, wenn du die Zeit vergisst. Aufhörst zu rechnen. Durchschnittswerte zu ermitteln. Zu zählen. Das Ende nicht siehst. Das Ende kommt nur dem in Endlichkeit denkenden endlich vor. Wenn Du aber keinen Begriff mehr hast, keinen Maßstab, mit dem du eine Zeitspanne bewerten kannst, hast du die selbstgebastelte Unendlichkeit inmitten der begrenzten Zeit.

In der Nähe von Rethel stoße ich auf einen Bahntrassenradweg. Nicht befestigt und auch nicht in meine Richtung führend. Aber das Ding klingt verlockend, nach all den Kreuzbergen. Es führt nach Westen ins nächster Bachtal, etwa zehn Kilometer, von da aus könnte ich über die Straße bis ins Aisnetal gelangen, welches wiederum östlich weiter führt. Würde zwei Kreuzberge sparen. Wäre fünfzehn Kilometer weiter? Hmmm. Ich entscheide mich für fünf Kilometer Quälerei, komme schließlich an die Bach- und Flusstraßen in meine Richtung. Einkaufen in Rethel. Achtzehn Uhr. Drückend schwül.

Das obere Aisnetal ist wunderschön. Die Lagerplatzsuche erweist sich jedoch als schwierig. Ein Mann im Vorgarten schenkt mir zwei Flaschen Wasser, sagt, dass es Gewitter geben könnte. Das macht das Lagersuchen besonders schwer. Ich brauche einen Platz mit Notunterkunft in der Nähe, falls es zu arg wird. Am besten etwas mit Blitzableiter. Wie hanebüchen das doch ist. Ich habe als Kind zu viele Bücher gelesen, in denen steht, wie gefährlich Gewitter sind und wie man sich verhalten sollte: Nix metallisches am Körper, in der Hocke in einer Mulde kauern. Nicht am Waldrand, nicht unter einzelnstehenden Bäumen. Nachts habe ich genug Zeit, mir Gedanken um die Unwägbarkeiten der Spannungsausgleichs zwischen Himmel und Erde zu machen. Verdichtetes Halbwissen bringt mich irgendwann auf den Trichter, dass ich über Blitz und Donner eigentlich gar nichts weiß und die anderen, die die Bücher geschrieben haben, wissen auch nichts darüber, weshalb es am besten ist, sich gar keine Gedanken zu machen, denn der Blitz schlägt sowieso ein, wo er will und das muss kein Metall sein und auch kein höchster Punkt von irgendwas.

In Voncq wird die Landschaft geradezu malerisch. Fettes, farbenfrohes Abendlicht. Hinter einem Maisacker sehe ich einen Lagerplatz, fahre in den Feldweg daneben, versinke nach zwei Metern im Schlamm. Nur zwei Meter(!) und das Rad ist über und über verdreckt. Die Räder stecken unter den Schutzblechen fest. Ich muss es zurück zur Straße tragen. Mit den Fingern den Dreck entfernen. Mir deucht, hier hat es letzte Nacht viel geregnet. Weiter auf der D 14 mit schleifenden Rädern. Fluchend, gegen die Dämmerung ankämpfend.

Terron sur Aisne. Richtung Stade. Der Sportplatz ist oft eine gute Wildzeltgelegenheit. Schöne ebene Zeltfläche, frisch gemäht und für den Notfall gibt’s oft auch noch eine Tribüne oder ein Trainerhäuschen, in dem man sich unterstellen kann. Dieses Mal nicht. Mitten im Dorf. Ein paar Meter weiter eine frisch gemähte Wiese. Mein Lagerplatz! Die Sonne kommt nochmal unter den Wolken hervor. Gegenüber der Wiese sitzen Leute auf der Terrasse, die ich prophylaktisch frage. Niederländer. Sie sind zwar nicht die Wiesenbesitzer, aber ich hab mich immerhin angemeldet. Später bringen die beiden Männer mir einen Sack mit Broten und Eiern.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Tag 123 – die Strecke

Ich bin soeben auf einem schönen wilden Nachtplatz bei Terron sur Ainse gelandet, gegenüber von einem Sportplatz, schreibt Irgendlink kurz nach neun Uhr. Am Telefon erzählt er von den Holländern, die ihm das Zelten dort erlaubt haben. Sie bringen ihm Eier und Brot. Das Wetter hat gehalten, doch die Wiese ist noch klitschnass vom Regen der letzten Nacht. Und das Radel sieht nach seinem heutigen Schlammbad aus wie … aber halt, das erzählt euch Irgendlink besser selbst.

>>> Wildzeltplatz zwischen Harcigny und Plomion – Wildzeltplatz bei Terron sur Ainse: zum Kartenausschnitt von heute: bitte hier klicken!

Liveschreiben # 2 – wie man einen Eintrag, den man nicht geschrieben hat, nachträglich in das live geschriebene Buch integriert.

Das geht leider nicht.

Ich habe es versucht mit einem Beitrag über das Crask Inn in Schottland. Über die Orkneyinseln, Shetlands, Norwegen, Schweden, Dänemark, Niederlande, Deutschland und Belgien schleppe ich eine Idee mit, wie ich das Ding doch noch elegant in das Buch integrieren könnte. Mache ich‘s am Wetter fest? In den Niederlanden hatte ich bei Sturm ähnliche Bedingungen wie im Crask Inn. Das wäre vielleicht ein Anknüpfpunkt? Mache ich es an der Geographie fest? Bei der Rücküberquerung des Breitengrads, auf dem das Crask Inn liegt, hätte ich eine gerade, von Menschen gemachte Linie, die als hanebüchener Rettungsanker dienen könnte, über die Ereignisse dort zu berichten.

In den Tiefen des elektronischen Notizbuches schlummern einige Ansätze, eine Geschichte nachträglich zu integrieren. Keiner war mir gut genug. Und am Ende, nun in der Champagne, am fünftletzten Tourtag, komme ich zu der Erkenntnis: lass es einfach sein.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)