Ein erster Artwalk in der holsteinischen Metropole. Zu sehen Straßenszenen, sowie der Radweg (Baumbild), den ich vor knapp einer Woche Richtung Glückstadt eingeschlagen hatte. Damals noch mit meinem schottischen Freund Ray unterwegs. Nun ist die Nordseerunde bis 15. Juli unterbrochen. In Oldenburg bei Bremen habe ich das Radel in einen Mietwagen gepackt und bin zurück nach Hamburg, Homebase SoSo am Flughafen abgeholt, zwei Tage in Rendsburg, nun eingemietet auf Hof Basten, für eine gute Woche abhängen, Sightsehen, Artwalken. Die heutige Wanderung in die Stadt endete in einem massiven Gewitter, das uns völlig durchnässte. Auf den Hügeln, die von der letzten Eiszeit übrig geblieben sind, hatte ich jenseits aller Blitzableiter tatsächlich Angst, dass uns ein verirrter Blitz holt. Wäre sicher ein fulminantes Tourende gewesen :-)
Es gibt vier Möglichkeiten, die Reise fortzusetzen:
Am 15. Juli weiter nach Boulogne. (wenn die geplante Kunstwanderung, die wir vor dem Kunstzwergfestival machen wollten, nicht stattfindet – danach sieht es aus)
Den Rhein runter per Rad. (Zeitnot mit Kunstwanderung)
Mit dem Mietauto heim am 15. Juli (da hängt noch ein Damokles Schwert der Privatquerelen in der Luft, hoffe, das Rosshaar hält).
Zurück (die Utopie stirbt zuletzt, warum nicht umkehren und schauen, wie die Nordseerunde in umgekehrter Richtung aussieht).
Vorhin SMSt Ray, dass er nähe Harlem in einem Tipi übernachtet. Sleep well my friend and a save journey.
Rendsburg
Tag 101 (6.Juli) „stationär“ in Rendsburg. SoSo und ich sitzen Leckeis leckend am Hafen am Nordostseekanal. Die Leute im Hintergrund: Er schickt sie Eisholen. Der Leckeisstand sieht aus wie ein Bienenstock. Drei vier Bedienungen gleichzeitig schöpfen aus den Töpfen. Eine Menschentraube auf der anderen Seite. Alle wollen alles gleichzeitig immer irgendwie :-)

Bild mit der Hipstamatic App, die ich in den Zufallsmodus versetzt habe. Das heißt: wenn ich das iPhone schüttele, wechseln die Effekte. Ich weiß somit nicht, wie das Endergebins der einzelnen Bilder aussieht. Auf Pixartix gibt es weitere Bilder und Collagen vom gestrigen Artwalk in Rendsburg. Sowohl SoSos Sicht, als auch meine.
Tag wieviel?
Frühmorgens in Rendsburg. Die Reise „Ums Meer“ ist 4000 Meilen weit entfernt. Offenes Fenster, Sommermorgen, Pizzapension. Stadterwachen. Erste Vöglein zwitschern. Krähen krächzen.
Gedankenmühle malt.
Ich habe einen Fehler begangen: ich habe die Reise unterbrochen. Das live geschriebene Buch ist zu Ende, wird mir klar. War die Reise nicht von Beginn an eine Analogie für das Leben? Vom spritzigen Frühling Frankreichs und Britaniens hinüber in den Sommer Norwegens, die schlimmsten Passagen im Herbst der miesen Radwege irgendwo im Niemandsland zwischen Fredrikstad und Göteborg, nahtloser Übergang in den Winter der Reise, welche dem Winter des Lebens ähnelt – ein Wettlauf mit der Zeit und letztlich die Gewissheit, dass höhere Kräfte das Ende bestimmen. Im Leben wie auch auf der Reise, die nur so tut, als sei sie eine Analogie aufs Leben. Die letzten Reisetage so voller Erlebnisse und Ideen – seit dem Nachtlager hinter dem Sandhaufen am Deich sind sie ungeschrieben. Ich bin ein dementer, inkontinenter, ungepflegter, bettlägriger Kerl geworden – wie surreal im Wind wehende Vorghänge zieht sein „Leben“ an ihm vorbei. Das Sterbebett der feinen Künste. Immer wieder unternehme ich Anläufe, das Tagesgeschehen weiterhin zu dokumentieren. Aber im Würgegriff des Speedlifes habe ich keine ruhige Minute. Über Norddeich und Norden rasen Ray und ich gen Emden. Übernachtung im Garten einer Farm – alleine Friedrichs herzliche Gastfreundschaft und die Details unseres Aufenthalts in Upgant-Schott zu beschreiben … ich habe nicht mehr die Kraft dazu und nicht mehr die Zeit. Nicht dass die letzten Tage besonders hektisch gewesen wären. Sie waren diktiert vom größten aller Machthaber, der Zeit. Tickitick, Tickitick, Tickitick Tack Tack. Der schiefste Kirchturm der Welt – wie hieß noch das Dorf nördlich von Emden? Ray und ich stolpern mitten in eine Führung, die ein Mann macht, der kokett sagt, dass er so glaubhaft über die Sturmfluten des 17ten Jahrhunderts erzählt, dass ihm die Leute, denen er die Geschichte der Kirche und der Gegend erzählt, auch glauben würden, dass er persönlich die Fluten erlebt hat. Der Kirchturm ist im Buch der Rekorde als das schiefste Bauwerk der Erde verbrieft. Der Turm von Pisa ist geradezu senkrecht im Vergleich. „If I run“, sagt der Mann zu Ray, „you must duck and follow“. Wie ein Uhrwerk spult er die Geschichte seiner Kirche. Guter Takt. Im Innern des Turms hat man einen guten Blick in das von drei 75 Kilo Gewichten getriebene Uhrwerk des Glockenturms. Patinierte Zahnräder hinter Plexiglas. Kleinwagengroße Zeitmaschine. Unaufhaltsam. Tickitick.
Ray will weiter. Will an diesem Tag noch nach Holland. Tickitick. Ich habe die Zeittafel vom Emdener Bahnhof im Kopf tickitick, stündlich, immer um 18 nach fahren die Züge nach Oldenburg. Dass ich nachmittags bei Freund Schlager bin, habe ich versprochen, tickitick, betont vage. Nachmittag könnte alles heißen. Dreizehn Uhr? Achtzehn Uhr?
Dennoch drückt die Uhr. Schon sage ich Tschüss zu Ray an einem Radwegschild, das nach links auf die Nordseeroute zeigt, nach rechts einen Kilometer zum Hauptbahnhof Emden, kurz vor, tickitick, genug Zeit dahin zu radeln, dennoch das Gefühl im Gepäck, zu spät zu kommen. Umarmung, tickitick, save journey, tickitick. Ich vergesse, Ray die Brötchen und die Eier mitzugeben, die ich morgens bei Friedrich in der Küche eingepackt habe. Ich werde sie nicht mehr brauchen, da ich bei Freund Schlager in Oldenburg logiere.
Schlager kommt mir entgegen. Ich hatte mich verirrt. Oldenburg ist die Stadt der Scheinparallelen. Die Straßen führen unmerklich schräg voneinander weg, sternförmig, erklärt mir Schlager. Wenn man falsch abbiegt, glaubt man noch lange, man befinde sich auf einer Parallele zum Ziel, aber mit jedem Schritt entfernt man sich. Wie im Leben. Schnellstadtführung per Auto und zu Fuß. Schlager päppelt mich auf, spendiert Kebab, schenkt mir Hosen. Fährt mich am nächsten Tag zur Autovermietung, wo ich den Leihwagen hole für den Urlaub mit SoSo. Und rein ins deutsche Autobahngemetzel. Ich habe Glück. Wenig Verkehr. 200 km bis Hamburg oder gar mehr. Ich achte nicht auf den Kilometerstand. Flughafen Fuhsbüttel. Eine Stewardess, an der ich vorbei laufe, schaut auf ihre Armbanduhr. Plötzlich ist mein Blick geschärft für solche Details. Menschen starren auf die Tafel, die die Landungen anzeigt. Zürich ist pünktlich. New York seit sechs Stunden überfällig. Berlin 10 Minuten zu spät. Herr Tohlsen wird ausgerufen für den Flug nach Rom. Ich belausche Handygespräche, die das Lied von der Verspätung singen, im Refrain stets die verklärte Hoffnung auf Pünktlichkeit. Eine der großen Balladen unserer Zeit. Wenn alle Menschen gleichzeitig auf ihre Armband schauen würden in einer kollektiven, ruckartigen Bewegung, würde die Erde ins Trudeln geraten.
SoSo pünktlich aus der Abfertigungshalle. Wir fahren nach Rendsburg, wo wir uns in der Pizzapension eingemietet haben für zwei Nächte, in der wir schon letztes Jahr logierten. Übernachtung und Freipizza für nicht allzu teuer. Gestern bummeln durch Tag und Stadt. Ein Artwalk. Leckeis. Throwing Time Away, säuselt der Refrain eines Lieds in meinem Hinterkopf, ich glaube von einer Band namens Pere Ubu. Tot.
Per Telefon schlagen Sorgen ein. Meteore aus der Kälte, die mir nun den Nachtschlaf rauben. Schatz, ich bin zu Hause. Der Liveblogbericht „Ums Meer“ ist zu Ende. Vielleicht ist auch die Reise „Ums Meer“ zu Ende? Kann ich noch einmal einsteigen und im Schnellleben wie es die letzten Tage stattgefunden hat, wenigstens die Kunststraße zu Ende fotografieren?
Never skip an open end.
Der wievielte Reisetag? Ich muss im Blog nachschlagen. Tag 102. Die Stadt erwacht.
Tag 99 – die Strecke
Heute hieß es für Ray und Irgendlink definitiv Abschied zu nehmen. Danach ist Irgendlink von Emden mit dem Zug nach Oldenburg gefahren und genießt da zurzeit die Gesellschaft seines guten alten Freundes S., der – wie Friedrich gestern – unbedingt auf die Liste der SponsorInnen des Herzens müsse. Sagte er vorhin. Nuschelte er vorhin, meine ich natürlich. Mit Erdbeeren im Mund lässt es sich leider nicht so gut deutlich reden. Hier steht es einfach als Notiz, damit es nicht vergessen geht, sozusagen …
Die Herz-SponsorInnenliste ist schon richtig lang geworden.Grund zur Dankbarkeit! Auch dass bis jetzt alles so gut gegangen ist. Trotz all der Widrigkeiten des Wetters. Und der Verkehrsministerien natürlich …
Ob noch ein letzter Vor-dem-Urlaub-Artikel folgt, entscheidet die Tageslaune des Europenners. Oder eher die Nachtlaune? :-)
>>> bei Marienhafe – Emden (Rad) – Oldenburg (Zug): bitte hier klicken!
Neunundneunzig Tage sind genug!
Fertig, finito, aus und Schluss. Öhm? Nein-nein-nein, keine Angst, es geht bald weiter. Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage! Doch jetzt lasst erst mal den Pausenclown rein! August zieht den Vorhang zu (nur ein bisschen) und verkauft Eis aus seinem „Bauchkiosk“. Er kann nämlich auch anders, der August …
Irgendlink hat sich eine Pause nämlich wirklich verdient. Ich auch. Und ihr sowieso. Drum gibt es ab heute Abend Radel-, Schreib-, Foto- und Lesepause für zehn Tage (nun ja, ob ein Künstler wirklich Pause machen kann, wird sich zeigen).
Am 16. Juli geht jedenfalls die Reise weiter, das Finale… Same time, same place. Frisch gestärkt.
Eben habe ich aus der Homebase, die ich morgen für zehn Tage verlassen werde, den vorletzten Newsletter verschickt. Er ist, wie immer, auch übers Blog einsehbar.
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