Materie und Antimaterie und wie sie sich morgens 10 vor Acht voneinander scheiden

Die Bluetooth-Tastatur, auf der ich diese Worte schreibe, ist gerade mal 25×12 cm groß, schätze ich. Schwarzes, stylisches Ding. Davor liegt das iPhone. Kaffee auf dem Herd. Abends finde ich eine Mail vom Owner im Postkasten: „Kannst du morgen kommen? Danke. Dein Owner“ Wunderbar knapp. Dummerweise ist es schon 3 Uhr nachts, als ich die Mail lese. Der Künstler-Alltags-Lebensrhythmus ist scherenhaft verzahnt oder entzahnt mit dem Werktätigen-Lebensrhythmus. Wie kann ich nachts um Drei so phantastisch sein, in Erwägung zu ziehen, morgens um Acht auf der Arbeit zu sein? Ich stelle den Wecker auf 7:29, lasse ihn vorsorglich im Wohnzimmer liegen und spekuliere auf natürliches Erwachen. Das natürliche Erwachen ist etwas, was die wenigsten Menschen wirklich zu schätzen wissen. Es ist der Garant für einen ruhigen Lebensfluss.
7:49 erwache ich „natürlich“, nur 20 Minuten, nachdem der Wecker, den ich ja vorsorglich im Wohnzimmer habe liegen lassen, geklingelt hat. Obschon es schwierig ist, sich mit nur 5 Stunden Schlaf aus dem Bett zu quälen, ist es doch um einiges harmonischer, zwanzig Minuten „zu spät“, aber natürlich und sanft geweckt zu werden, als aprupt von einer Maschine. Guter Kauf. Sofort ist der Kopf hellwach und lotet die Möglichkeiten aus, wie es zu schaffen ist, um 11 vor Acht aufzustehen und um Acht schon auf der Arbeit zu sein: garnicht. Vernunft ist ein scharfes Schwert. Ich koche Kaffee, schüre den Ofen an, rufe mir die Gleitzeit-Passage aus dem ohnehin brüchigen Arbeitsvertrag in den Sinn, kombiniere es mit der kurzen Formulierung aus der gestrigen 10 vor 20 Uhr Mail: Kannst du morgen kommen? Messerscharf stelle ich fest, dass es sich doch nur um eine Frage handelt, die ich mit Nein beantworten könnte. Aber der gute Wille siegt. Ich lege den potentiellen Arbeitsbeginn auf Neun, trödele bis10 vor, setze einen zweiten Kaffee auf. Zuerst muss ich noch bloggen. Bin eh schon zu spät, wird mir beim Broteschmieren bewusst. Und die kleine Reisetastatur und das iPhone würden sich doch prima auf dem Küchentisch machen. Arbeitsbeginn auf 10 Uhr verschoben. Der zweite Kaffee. Endlich. Puls ist auch wieder messbar. Boa. Mit nur fünf Stunden Schlaf. Freiwillig würde ich doch nie aufstehen, um nach so kurzer Nachtruhe einen Blogartikel zu schreiben. Und worüber sollte ich dann auch schreiben? Erst jetzt wird mir klar, wie eng der Zusammenhang zwischen Lebenszwängen und den Themen der Alltäglichkeit ist. Ähm.

Irgendlinks schwerster Fall

Wenn es ans Ausbaldowern von Kunstreiseprojekten geht, bin ich wie ein Kampfhund, beiße mich fest, kann nicht mehr loslassen. Jo Nesbø hat in seinem Roman „Der Erlöser“ eine eindrucksvolle Szene geschrieben, in der sein Held, Harry Hole einen Drogensüchtigen in einem Containerhafen sucht. Dabei muss der Kommisar in ein, von Hunden bewachtes Gelände eindringen, wird erwischt von einem unheimlichen Vieh, einem „Schwarzen Irgendwas“, der dafür bekannt sei, dass er sich so fest in seine Beute verbeißt, dass er noch nicht einmal loslässt, wenn man ihm den Kopf abschlägt. „Irgendwas“ steht für den Namen der Hunderasse. Ich hab ihn vergessen. Aber „Schwarzer“ kam darin vor, und in meiner Phantasie hat das Vieh einen schlanken Körper und einen Kopf, der nur aus Maul besteht.

Bin ich wirklich so verbissen, wenn es um die Kunst geht? Projektversessen war ich schon immer. Diesertage geht es heiß her im Hintergrund der Irgendlink-Webseite. Designumstrukturierung, Statistik, potentielle Werbeplätze habe ich eingebaut. Die Größe des Projekts verlangt das.

Heute stapfen  wir durch die Kälte, die SoSo und ich, wobei mich manchmal wie ein Blitz die Idee überkommt, ich könnte an der Runde „Ums Meer“ scheitern. Dann wird mir ganz flau. In der Nähe von Charleroi etwa – kaum 300 km westlich von Zweibrücken – könnte ich mich einsam und verlassen fühlen, das Wetter könnte mies sein, die Gegend  wäre hässlich und die Menschen gemein und alle Widrigkeiten, die das Reiseleben zu bieten hat, könnten wie ein Kübel Mist über mir ausgeschüttet sich anfühlen und ich könnte die Lust verspüren, direkt umzukehren und mich daheim hinter den Ofen zu setzen und ein gutes Buch zu lesen. Wollen. Verdammt! So wird es auch kommen. Es wird diese absoluten Hänger-Tage geben auf der Reise, an denen ich sofort-zu-Hause-sein-will. Und es wird die Tage geben, an denen ich an dem großen Projekt jämmerlich zweifeln werde.

Hatte ich je von meiner kürzesten Langstrecken Radtour erzählt? Sie führte im November 1990 nach Gibraltar. In dem kleinen Dorf in der Nordpfalz, in dem ich bei Minusgraden und dichtem Nebel startete, verhöhnte mich eine alte Frau auf dem Weg zum Metzger, Spinner, zischte sie quer über die Hauptstraße und packte ihren Enkel fest bei der Hand. Ich schaffte es bis nach Johanniskreuz im Pfälzer Wald. Wo sich, dank der Höhe, der Nebel lichtete. Im Queichtal bei Annweiler wieder dichte, nervenzermürbende Suppe, so dass ich kurzer Hand in einer Telefonzelle zu Hause anrief und mich abholen ließ. Die kürzeste Langstrecken Radtour meines Lebens. Abends freute ich mich vor der Glotze an einer Folge von „The Unknown Stuntman“. Zwei Monate später radelte ich während des ersten Golfkriegs bis nach Valencia.

Es beunruhigt mich, das kommende Projekt derart an die große Glocke zu hängen. Ich suche nach einem Weg, mir meine unbedarfte Freiheit (die ja immer da ist, so wie Luft) und die arglose Unbeschwertheit zu verinnerlichen. Schon merkwürdig, dass man ständig am Wegesuchen ist im Leben. Und dass im Nachhinein alles so einfach war und die Lösung so offensichtlich gewesen sein wird.

Ich erinnere mich, dass es eiskalt war im „Erlöser“. Dass ich mir vorgestellt habe, wie schlimm es sein muss bei der Kälte mit einem Hund am Bein (sprichwörtlich) draußen zu sein. Eine winterliches Oslo hat Nesbø gezeichnet, und zudem ein knallhartes Drogenmillieu, so dass mir ehrlich gesagt die Lust vergangen ist, noch einmal mit dem Fahrrad durch Oslo zu radeln – es liegt auch nicht explizit am Nordseeradweg. Dennoch, wenn es das Oslo aus meiner Erinnerung wäre und Jo Nesbø in seiner Krimireihe die guten Erinnerungen nicht „überschrieben“ hätte, es wäre einen Abstecher wert. Hole löst den Fall. Er ist nämlich auch einer, der sich festbeißt. Alle Fälle hat er gelöst, von Mal zu Mal ein bisschen malträtierter.

Montagsdilemma (feat. Denkensunwillig Privatblog)

Gesundheitschecks. Montags nie gut. Wie alle Menschen machen auch ÄrztInnen und RöntgenassistentInnen montags besonders viele Fehler. Die Anzahl der Loungemöbel, Die montags quasimodo-esk in Umlauf kommen ist erschreckend hoch. Wenn es irgend möglich ist, vermeide ich die Montagsarbeit. Und gehe stattdessen zum Arzt. Das leere Wartezimmer hätte mich stutzig machen müssen. Aber es ist zu spät. Die Röntgenassistentin presst meinen Körper an die eiskalte Brustauflage, kurbelt das Ding hoch und höher, bis mein Körper unnatürlich gestreckt da steht. Hinter einer Glaswand gibt sie Anweisungen, einatmen, Luft anhalten … das Gerät rattert und ich fühle mich irgendwie vergiftet … weiteratmen. Als sie die Filmplatte aus der Maschine nimmt, sehe ich’s an ihrem Gesicht, dass etwas nicht stimmt. Hinter der Glaswand streicht sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Atmet schwer, wie ich das manchmal mache, wenn ich beim Loungemöbelbau daneben getackert und den Bezug zerstört habe. Sie legt einen neuen Film ein, kurbelt die Platte, an die man die Brust presst, fünf cm herunter. Nochmal, sagt sie zerknirscht. Krieg ich also die doppelte Dosis, aber das sei nicht gefährlicher, als dauernd Flieger fliegen. Als Stewardess würde ich viel mehr Strahlen abkriegen, sagt sie. Und als Pilot, denke ich, würde ich montags bestimmt den Flieger abstürzen.