Den lieben langen Tag denke ich darüber nach, wie ich mir abends den Webserver vorknöpfe und ein paar administrative Tätigkeiten erledige. Wohlgemerkt: ich bin Handwerker. Hunderte von Loungemöbeln habe ich unter der Fuchtel, schöne, weiße, kunstlederne Dinger, die Palettenweise weltweit verschifft werden. Völlig perplex lese ich neulich auf einem großen Paket, das jemand in der Tackerbude abgibt, die eigene Firmenadresse: „Werk Homburg“ steht groß darauf. Wieder wird mir klar, in welch mickrigen Dimensionen ich denke. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich geglaubt, ich arbeite in einer einfachen Werkstatt, aber auf dem Paket steht die nackte Wahrheit: Ich arbeite in einem Werk, und das klingt doch gleich nach Fließband und Effizienz, nach Personalbüro, Lohnabteilung, Weihnachtsgeld, Pensionskasse.
Träum weiter.
Aber das mit dem Werk, das war echt.
„Wer mit den Händen arbeitet, hat meist das Hirn frei und wer mit dem Hirn arbeitet, hat machnmal auch die Hände frei. Insbesondere der Hirnarbeiter könnte verlockt sein, mit seinen freien Patschehänden nach einer Waffe zu greifen und sich zu erschießen“, fabuliere ich irgendwann nachmittags. Ein Lächeln entwischt. Gegen 15:32 stelle ich fest, dass ich ein glücklicher Mensch bin, dem es an fast nichts fehlt, einzig ein bisschen Zeit, um das, was man tagsüber denkt und sich einbildet, abends noch tun zu können, wäre wünschenswert. Mein umtriebiges Hirn hat in den vielen Stunden, in denen die Hände Möbel bauen in dem großen weiten Werk, einen perfiden Plan geschmiedet, der mich nächstes Jahr vermutlich wieder in einen freieren Zustand versetzen wird. Angefangen hat alles so harmlos vor einigen Monaten. Durch Zufall bin ich auf eine Homepage gestoßen, die den 6000 km langen Radweg rund um die Nordsee beschreibt, den NSCR, die North Sea Cycle Route. Da ich gerne weite Radtouren mache, war ich sofort hellhörig. Die Sache geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Schon dieses Jahr habe ich geliebäugelt, einfach loszufahren. Normalen Menschen ist ein Abenteuer wie das leider nicht vergönnt. Für 6000 km Radeln braucht man etwa 90 Tage, wenn man sich nicht zu Tode quälen will. 90 Tage Urlaub stehen in keinem Arbeitsvertrag.
Im Mai streiche ich das Ding erst einmal aus meinem Hirn und verbringe etliche friedliche Arbeitnehmermonate am nahrhaften Busen der Lohnsteuerklasse 1.
(Was red ich hier für einen Schwachsinn?)
(Tse. Busen der Lohnsteuerklasse eins?)
„Aber so ist es doch!“, sagt eine besonnenere, weniger schamhafte Stimme,“Nenn die Dinge nur beim Namen. Du hängst am Tropf. Dein Wille zum Konsumgut bestimmt dein Leben.“
Wie auch immer. Wenn man das eigene Hirn zu lange alleine lässt, kommt es auf dumme Gedanken.
„Was soll’n das jetzt, wieder so ein pseudocooler Spruch, Herr Irgendlink? Du musst ja total aus der Übung sein, so rein schreiberisch, dass du solches Zeug schreibst.“
Samstag, der 5. November 2011 ist historisch. Drei vier Pakete von drei vier Bestellungen treffen gleichzeitig ein. Komponenten für das Fahrrad, mit dem ich die Nordsee umrunden werde. Ein kleines Kraftwerk muss her, denn die Reise soll ein neuer Meilenstein auf dem Livereisesektor werden.
Seit Samstag fühle ich mich als Nordseeumrunder. Samstag hat es begonnen. Schon die ersten vier Kilometer zum Kreuzberg und zurück über die herbstblasse Landstraße fühlten sich gut an. Ich wünschte mir Wind, Gegenwind. Und Regen, salzigen Seeregen wie er im Frühling nicht besser schmecken kann. Und am Abend das Gespür für den perfekten Lagerplatz oder einfach nur das bisschen Glück, das nötig ist, einen gütigen Menschen zu finden da draußen in der Welt, der bereit ist, einen aufzunehmen für eine Nacht und ein warmes Essen. Es muss nicht exquisit sein, nur sättigen und das Herz wärmen.
Ja, doch, Mann, die Schreibe wird besser. Du bist aus der Übung. Du bist untrainiert. Es ist noch da, einfach nicht tot zu kriegen. Knie dich rein, Mann, schreib weiter.
ja, schreibe unbedingt weiter, auch die krausen gedanken… die lassen schmunzeln ;o)
nordseefahren… klingt richtig gut und ich hoffe ich kann dann viele seiten von diesem weg lesen!