Ich und mein Gewissen. Wie Mensch und Schatten laufen wir nebeneinander her. In jeder Fliege schlummert ein Elefant. So mahlt die Gedankenmühle nachts – eigentlich hab ich ganz gut geschlafen – aber Thomas gibt mir abends im Restaurant hier in Sarria noch eine Denkaufgabe: er bezahlt die Rechnung für unser Abendessen, sieben Leute, eingeladen von Hund Sardi, sagt er, weil wir, die Happy Family uns so rührend kümmern, dass der Hund unterkommt. Eigentlich sind das aber vor allem Rodrigo, Rosa und Chaeuk, die sich fürs Pilgerhundchen stark machen. Unbezahlbar die Überredungskunst in perfektem Spanisch, mit der sie so manchen Hospitalero rumkriegen. Als ich Thomas fragend anblicke wegen der Rechnung, sagt er: „Ja, du bist da so reingerutscht“, was irgendwie so klingt, wie du hasts zwar nicht verdient, aber mitgefangen mitgehangen. In der Tat hätte es ein bisschen komisch ausgesehen, die Rechnung nur für sechs Leute zu zahlen. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um Tiroler Scherzhaftigkeit handelt, oder um den Vorwurf, du tust zu wenig.
Für mein schattenhaftes Gewissen buche ich die, mir zu unrecht erteilte Summe auf das Konto ‚an Bedürftige zu verteilender Gelder‘, werde den Kreis des Gebens und Nehmens größer machen , bin nur Durchgangsstation für das Dankesgeld – Gewissen, ach jeh. Im Halbschlaf dämmert mir, dass wahre Dank arkeit nur funktioniert, wenn man sie in größeren, für das Individuum nicht vorstellbaren Kreisen frei umlaufen lässt – Hilfbereitschaft dort wo es nötig ist. Soll ich mich als Spanisch Radebrecher einmischen, wo doch hilfsbereite Fachleute vor Ort sind.
Nun Aufbruch. Wir sind in der Alberhue schräg gegenüber der Kirche in einer tiefen Gasse, durch die nun Massen von PilgerInnen aufbrechen. Viele beginnen erst hier für eine knappe Woche. Um die begehrte Compostela zu erhalten, muss man nämlich nur die letzten 100 km zu Fuß zurücklegen. Es ist Año Santo, heiliges Jahr. Der Jakobstag fällt auf einen Sonntag. Selbst die schwersten Sünden kann man durch einfaches Laufen von hier bis Santiago loswerden. Hoffentlich auch den klebrigen Schatten des Gewissens.
vielleicht funktioniert ja empathie nur, weil wir ständig ein latent schlechtes gewissen haben? ;-)
anders rum gedacht: du redest zwar wegensardi nicht direkt mit den hospitaleros und hospitaleras, aber du bist dabei und fühlst mit. das ist schon mehr als die halbe miete …
mitgefühl – was für ein überlebenswichtiges und unerklärliches phänomen.