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Carrion, Herberge Spirit y Santos (ungefährer Name – das Licht im Schlafraum ist schon aus und ich will nicht raschelnd den Pilgerpass rauskramen, um auf dem Stempel zu recherchieren, wie man das richtig schreibt).
Ein von Ordensschwestern geführtes riesiges Haus. Die Räume tragen die Namen Europa, Asia, Africa und America. Wir sind zu neunt im Asia (11 Betten): die Frómista-Gedemütigten ohne Aki und Nora, die beiden Spanierinnen, die schon in Castrojeriz bei uns waren und die seit Roncesvalles laufen, ein weiterer Spanier und gegen Dämmerung kommt noch Töng-Chaeuk hereinspaziert reichlich erschöpft, da er die 40 km an der Lamdstraße nach Burgos auch gelaufen ist, die ich im warmen Bus absolviert habe. Heute hat er 35 km in den Beimen. In Burgos hat er Laura getroffen, die nun aber schon per Bus in Leon sein dürfte. Thomas meldet sich ab und zu per SMS, sagt aber nicht, wo er ist. Der singende Draht auf dem Camino. Es wäre mal ineressant, zu beobachten, wer wann wo und mit wem und warum … Wir sind einander näher, als wir glauben. Am Besten wäre, wenn alle Pilger bloggen würden (danke, Alice). Oder ein elektronischer Pilgerstempel.
Mit im Zimmer ist noch ein Berberpärchen. Sie haben das einzige Doppelbett zwischen den beiden Fenstern direkt unterm Jesuskreuz. Im Raum America befindet sich ein uralter Internetcomputer und eine Microwelle, Spüle und Wäschespinne. Bibel auf dem Tisch. Die beiden Berber haben sich dort häuslich eingerichtet und als sie glückselig vor dem Computer sitzen und einen ruckelnden Disneyfilm schauen, der in einem mondänen Märchenschloss spielt, bringt mich das fast aus der Fassung. Diese filmreife Gegensätzlichkeit. Mit meinen Gefühlen ringend lese ich in der aufgeschlagenen Bibel: Mateo 20 ‚Trabajaderos del Viñes‘ oder so ähnlich und Mateo 21 irgendas mit Jerusalem. Von allen wahren Begebenheiten dieser Erde sind es die Nöte der Anderen, die ich am allerwenigsten wahr haben möchte. Trotzdem scheinen die beiden alten Leutchen glücklich wenigstens für diesen einen Abend. Ich hoffe, sie müssen nicht nach Frómista.
Unterwegs vertiefte ich mich heute genau wie gestern in eines der Nordpfalztäler, in denen ich meine Kindheit verbracht habe. Mütze in die Augen, Reduktion der grausamen weißen Weite auf einen Quadratmeter Sichtfeld, Alsenztal installieren umd los gehts bei der Quelle in Alsenborn. Enkenbach, Langmeil, dann besagte Brauereistadt Winnweiler, Mütze hochschieben, Rucksack runter und mit dem halben Liter Rotwein von Gestern ordentlich Brauereibesichtigung spielen. Man sollte trotz aller Träumerei nicht den Bezug zur Realität verlieren. Mütze zuziehen, Schweißweiler, Imsweiler, Rockenhausen. Dort in Form einer Kirche (in der hießigen kahlen Einöde) einen Abstecher ins Kahnweilermuseum,(Traumwelt) weiter weiter weiter. Irgendwo kommt mir ein Mann mit schwerem Rucksack entgegen, Michel aus Belgien, angeblich auf Rückpilgerschaft nach Hause. In Santiago habe man ihn beraubt, behauptet er und er habe nur noch 14 Cent. Der Mann friert, ist nass, muss draußen schlafen. Sein Handgelenk ist tätowiert, am Daumen trägt er einen Silberring, die Zähne sind gelbe, krumme Etwase. Ich glaube ihm kein Wort. Spätestens seit ich 1992 den Berberdjango in Nierstein am Rhein kennengelernt habe, weiß ich aber wie wichtig die ‚Lügengeschichten‘ für die Berber sind. Es sind ihre Schutzpanzer, ihre Einfamilienhäuser, ihre goldglänzenden Disneyschlösser. Sie haben nichts, als Worte, um sich den multiplen Gefahren einer gemeinen Welt zu stellen. Ich suche im Geldbeutel nach ein paar Münzen, finde keine, greife den kleinsten Schein, den ich habe, einen Zehner. Ist zwar auch für mich viel Geld, aber wenn ich bedenke, wieviel ich täglich verblogge oder wieviel Sofasophia allabendlich mit mir vertelefoniert, dann ist das nichts.
Nun schlafen alle hier im Raum. Schnaufkonzert. Ich wage mich kaum hinuulegen, weil ich dann husten muss und alle wecken könnte. Auch Japanerin Masaki (so ist der Name glaub ich richtig) ist erkältet. Zusammen mit Töng (Chaeuk) entern wir eine Farmacia, eine Apotheke, und radebrechen Englisch, Brachialspanisch unsere Gebrechen. Masaki hat kurzerhand das Medikament, das sie braucht, aufs Handy fotografiert. Ich simuliere einen Hustenanfall, um mein Gebrechen zu erklären und Chaeuk redet mit Händen und Füßen. Ach was sind wir doch für herrliche kleine Hobbyspanier.

Wie ich die Profile der nächsten vier Tage deute, erwartet mich weiterhon flaches, das Gemüt eines Nordpfälzer Talkindes zermürbendes Flachland. Morgen gedenke ich, das Moschelbachtal zu simulieren. Langsam gehen mir die Nordpfalztäler aus.

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