Blog-Pioniere auf dem Acker der Technikkonzerne

Sechs Uhr Sechs. Gute Zeit. Verschlafen runter in die Freilicht-Küche. Ungebrannter Umbra-Mond hinter Pappeln an der Westgrenze des einsamen Gehöfts. „Für die Jahreszeit zu mild,“ imitiere ich einen Wettermoderator. Ich fühle mich Anzug tragend, frisch geschminkt. Imaginäres Scheinwerferlicht. Ein Vieh krächzt im Nussbaum.

Gestern so eine Art Endspurt in der Möbeltackerei begonnen. Nur noch 220 Arbeitsstunden, kalkuliere ich kühn. Ich bin ein bisschen der Firmenstreber geworden. Wäre die Sache Mitte Oktober erledigt, welch Utopie. Mir läuft die Zeit davon. Gerne würde ich noch diesen Oktober den Pfälzer Jakobsweg in Echtzeit per iPhone in diesem Weblog begehen – also täglich von der Reise Bilder schicken und kleine Berichte schreiben. Dieses Mal als Test für das ersehnte Transspanien-Projekt im Frühling, für das ich eine Projektförderung beantragen möchte. Da die Projektförderfuzzies das Geld nicht an irgendwen verteilen, dachte ich, eine saubere Referenz muss her. Die beiden Blogreisen vom Frühling und Sommer taugen vermutlich nicht als Werbung. Dieses Blog ist zu dreckig, zu undiszipliniert, zu roh und zu ehrlich. Was mir vorschwebt für meine künftigen Echtzeitreisen, ist eine pfiffige, journalistische Echtzeitschreibe, so etwas, was man auch in der Zeitung drucken könnte. Ich brauche einfach mehr Disziplin. Die Letzte Echtzeitreise vom Sommer kam ja in der Bloggemeinde ganz gut an. Insbesondere das Duettschreiben mit Sofasophia hatte seine Reize. Beim Rückweg auf der A-namenlos irgendwo bei Bielefeld oder Gütersloh waren wir feurig und besessen darauf, unsere eigenen Blogs mal so wie ganz normale Benutzer am Computer zu lesen. „Hey, wir drucken die Dinger aus und machen ein Buch daraus und damit bewerben wir uns bei Projektförderungen oder bei Zeitungen und dann leben wir auf der Straße und erleben Abenteuer und schreiben Geschichten für die daheim gebliebenen“. Wir fabulierten zukünftige Ideen, von denen ich hier nicht offen reden will, die wir aber sicher einmal wahr machen. Essenz unserer fiebrigen Rede war, dass das Medium Weblog, welches von Anbeginn als Medium der Dilettanten, der Jammerer und Selbstzweifler verschrien war und allenfalls an Anruch verliert, weil iranische oder chinesische Dissidenten mit ihren regimekritischen Politweblogs dem Medium eine Art Berechtigung gaben, dass dieses Medium irgendwann auch durch seine kreativen Möglichkeiten zu Ruhm und Ehre geraten wird. Dass die Künstlerinnen und Künstler es sich zu Eigen machen. Und wir sind mit dabei. Vielleicht sind Zweibrücken-Andorra 2010 und unsere Skandinavienreise im Juli 2010 Pioniertaten? Sicher gibt es nicht viele Blogger, die drei vier Wochen unterwegs schreiben und frisch gepresste Texte und Bilder ins Netz hochladen, so dass man ihre Reisen beinahe live verfolgen kann.

Noch nicht. Aber sie kommen. In zehn Jahren wird es hunderte von uns geben.

Manchmal kommt mir die Technik-Welt vor wie ein Acker: diese Saison säen wir Smartphones und schnelle Handy-Netze und wir werden zur Erntezeit über reichlich gefüllte Körbe voller Echtzeitreiseberichte verfügen.

So riskiere ich einen Blick in die Zukunft.

Doch zurück aufs einsame Gehöft. Hahn kräht, von Süden wummert die Autobahn. Ich bin hellwach und könnte den ganzen Tag schreiben. Möbel tackern ist aber auch okay.

Sehet die Blogger auf dem Felde. Sie säen nicht, sie ernten nicht … guten Tack da Draußen.

Schwiegersohn 2010

Gestern früh erste Radeltour seit Langem. Nur sonntags vor 10 Uhr ist es möglich, die schöne, aber viel benutzte L 465 auf der Sickinger Höhe mit dem Fahrrad zu fahren. Ein Gottlosmacher. Wie ich später so mit Stadtrat N. im Atelier stehe und wir über Kunst, das Leben und all den Rest schwadronieren, sind unsere Augen ganz feucht, weil wir schon seit Jahren davon träumen, dass ein Wiesenradweg über das wilde Land gebaut wird.

Egal. Uns bleibt ja der Sonntag zwischen 8 und 10 Uhr.

Ich habe die kleine Runde bei Everytrail skizziert.

Hier noch ein kleines Rätsel:

Ich und mein weniges, komisches, nasses Blogpulver, das aber trotzdem brennt, irgendwie

Gut so.

Später Abend in der Künstlerbude. Zum ersten Mal seit über einem Monat nehme ich mir wieder Zeit fürs Leben. Schreibe ich das wirklich: „nehme ich mir wieder Zeit fürs Leben?“ Und meine ich das am Ende auch so? Ich, der Direkte, der Eigentliche, der Irgendwie-e. Ha.

Tatsächlich war ich lange Zeit unterwegs in der sinnlosen und unbefriedigenden Welt des Lohnerwerbs. Nur halbherzig konnte ich die Kunst und all die wunderbare Spinnerei – auf einer farblosen, aber intensiven Spur – mal so nebenbei speichern. Ich habe das Blog hier vernachlässigt. Groooooße Sünde. Eben, als ich bei Kollegin Freihaendig, die ich schon tot glaubte, weil sie über Jahre nichts geschrieben hatte, gelesen habe – neues, gutes, schnell gehacktes Zeug, Tränen in  den Augen ob des Glücks, dass sie wieder schreibt – wurde mir klar, dass es vielleicht auch anderen so geht mit dem Irgendlink-Blog. Frohsein, dass da mal wieder was geschrieben steht. Wenige Andere, an den Fingern einer großen, schrecklich mutierten Hand abzuzählende Leute, aber sie sind da. Du und du und du. „Musst mal wieder was machen“, sag ich mir, „damit kannste echt Leute wie dich selber glücklich machen, so komische Spinner, die komisches Zeug lesen“. Oke, mein Blogpulver hab ich für den Abend verschossen. Das neu Geschriebene muss wohl bei diesem kurzen Artikel bleiben. Auf die „schrecklich mutierte Hand“ mit wasweißich wie vielen Fingern, bin ich echt stolz.

Und dass es mal wieder ein paar Zeilen zu lesen gibt von diesem verqueren Irgendlink, der irgendwie eingekeilt zwischen Lohnerwerb und Kunst hängt. Hum. Das ist ’ne Landmarke, ’ne kleine, die zu Hoffen gibt. Ein Leuchtturm, der einen wie, sicher, in die offene See führt.