Das da Draußen ist eine ganz rohe, abgespeckte Welt – man verbringt seine Zeit mit Insekten und Vögeln, alleine, garniert von flüchtigen Begegnungen, mit Dieselrußgestank, Kuhglockenlärm, wachsendem Gras und Wind, viel Wind. Zermalmt im feinen Getriebe des Weltenlaufs. (Konzeptkünstler R. nach seinem Kunstprojekt „Steine am Rheine“, bei dessen Verwirklichung er mehrere Monate am Rhein unter freiem Himmel gelebt hat).
Stapel Briefe, 250 E-Mails, triste Künstlerbude, kaum komfortabler als das Leben im Zelt. Mit untrüglichem Instinkt greife ich die Mahnungen aus dem Briefberg, haarscharf ein Inkasso-Verfahren umschifft. Zwei Drittel der Mails gelöscht. Niedergeschlagen starre ich auf die erste Sonderziel-Datei, die ich vom GPS lade. Sie zeigt nur einen einzigen Punkt in Saint Sernin sur Rance. Das ist ziemlich im Süden Frankreichs. Ich erinnere mich an den Tag. Wie üblich notierte ich zu jedem Foto, das ich unterwegs machte, wo es aufgenommen wurde und was sich so zum Zeitpunkt des Fotografierens ereignete, schließlich nahm ich noch den Punkt mit dem GPS auf. Eine große Datei voller Bildpunkte, die ich nach der Reise hochladen könnte und auf einer Karte anzeigen lassen könnte. Jeder einzelne Punkt, an dem ich gewesen bin, würde sichtbar. An jenem Tag in Saint Sernin speicherte das Gerät einen Punkt Nummer Eins – die Punkte werden automatisch durchnummeriert – ich wunderte mich, warum nach 428 die Nummer Eins kommt. Erinnerte mich, dass es eine gewisse Maximalzahl von Punkten gibt, die das Gerät – es war nicht so teuer – zu speichern vermag. Okay. Die Datei ist wohl voll, schlussfolgerte ich, habe wohl gerade den ersten Bildpunkt irgendwo in Lothringen, vielleicht noch in Deutschland überschrieben, macht nix, ich lege einfach eine neue Datei an.
Nun stelle ich fest, dass mit dem einen-Punkt-zu-viel, die gesamte Datei neu geschrieben wurde. Eine Niederlage. Beinahe muss ich weinen. Erinnere mich jedoch an den großen Tipp Jack kerouacs, den er in einer Liste von etwa 25 Tipps am Ende seines Romans „Unterwegs“ gibt, die Liste trägt den Titel „Wie schreibe ich moderne Prosa“. Ein Tipp lautet „Finde dich mit Verlusten ab, und zwar für immer.“
Habe oft darüber nachgedacht, was ihn zu diesem Tipp wohl verleitet haben mag und kam irgendwann zu dem Schluss, dass er mal einen Roman unterwegs gekritzelt haben musste, dessen Skript er dann verloren hat. Diese Sorge hatte ich öfters während der Reise: dass mir die Speicherkarten abhanden kommen, ich irgendwas verliere, beraubt werde oder das iPhone in den Tarn fällt. Zum Glück hat es nur diese eine Sonderzieldatei erwischt, Points of Interest werden ruckzuck zu Points of no Interest, aus den Aufzeichnungen im Tagebuch kann ich die Fotostandorte recht gut rekonstruieren. Dauert leider eine Weile. 32 Stunden Arbeit. Tse.
(daten)verlust – was für ein aktuelles thema, auch eben vorhin bei uns im büro.kollegin g. schrie um hilfe: alle mails sind weg. was nun?
zum glück waren die dinger nur temporär „unsichtbar“ geworden und nach restart wieder da, aber die frage, „was wäre, wenn …“, war sofort im raum.
weiser Kerouac! sich mit verlusten abfinden ist immer wieder DIE herausforderung …thx für deinen input.
vielleicht hilft dir ja das eiföun, die koords zu rekonstruieren? good luck!
Also nicht bloß Unterhose verlustigt *fg
Dennoch bleibt dieses leise Gefühl der Leere, wenn man wieder daheim ist und eigentlich noch „da draussen“ sein möchte, oder?
Mhm, da hast Du ja soo recht.