Was könnt ihr mir geben!?

Ein zu großes Spektrum im Kopf. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass es schwierig ist, die Dinge aufzuschreiben. Schließlich besudelt das Konglomerat unserer Erinnerungen doch stets auch die kristallklare und einzigartige Gegenwart, so dass es sein kann, dass ein erlebter Moment sich mit Gefühlen und Ideen mischt, die Jahrzehnte zurück liegen. Dem Kopf ist das scheißegal. Er denkt und denkt und denkt und der Körper unter ihm durchlebt und durchlebt und durchlebt.

Ist über zehn Jahre her, dass ich am Kaffeetisch saß mit meiner uralten Oma, die obendrein Schwierigkeiten hatte mit dem Denken, wie das bei alten Leuten so üblich ist und sie herausplatzte:“Was könnt ihr mir geben, was könnt ihr mir geben, was könnt ihr mir geben …?“ und alle am Tisch sie anstarrten und nicht wussten, was sie damit sagen wollte; nach einer Weile hörte sie ganz von selbst auf, zu quengeln, aber ich merkte mir den Spruch, oder soll ich besser sagen, mein Hirn speicherte den Spruch bis vorgestern in einem Monstermedienmarkt, wo es allmögliches Zeug zu kaufen gab und ich nach getaner Arbeit zwischen den Regalen schwadronierte und Ausschau hielt nach dem ultimativen Produkt. Ein DVBT-Empfänger wäre nicht schlecht oder die dritte Staffel Prison-Break oder ein Drucker oder ein digitaler Bilderrahmen, siehmal, die stehen ganz vorne bei der Kasse und sind echt billig. Als ich noch im Amt ohne Wiederkehr gearbeitet habe, habe ich erfahren, wie natürlich es ist, aus Frust einkaufen zu gehen und sich dadurch, dass man ein schönes Ding für sein sauer verdientes Geld kauft, ein bisschen entschädigt für die schreckliche Qual, die man in der Lohnsteuerklasse-Eins-Hölle erdulden muss. Meine Schwester hat mir das Problem schon vor 15 Jahren erklärt, wie sie teure Handtaschen, gemacht aus dem Leder junger Schlangen kaufte, um sich besser zu fühlen um 17Uhr30 nach einem elend verwirkten Achtstundentag.

Wir Lohntacker sind grundlegend glückliche Wesen. Auch wenn es manchmal hart rangeht und wir in kürzester Zeit Unmengen Möbel bauen, haben wir dennoch wunderbare Tage, in denen wir derb bis philosophisch scherzen und dadurch unser Leben versüßen. (Nicht zuletzt verdanke ich das dem glücklichen Umstand mit dem besten Kollegen der Welt, T., zusammenarbeiten zu dürfen.) Wir Tacker müssen abends nicht zwanghaft in Kaufmannsläden nach Taschen aus Schlangenleder Ausschau halten. Aus purer Gewohnheit in der Zeit im Amt ohne Wiederkehr, schaute ich in dem Medienladen vorbei, Phantomschmerz könnte man das nennen, stellte aber fest, es ist nicht nötig, einen Gegenstand zu kaufen, um, glücklich zu sein, denn der Tag in der Möbelwerkstatt war erfüllt genug, schon verlasse ich den Laden mit dem klasse Spruch meiner Oma, nach all den Jahren noch immer im Hirn, was könnt ihr mir geben, was könnt ihr mir geben, was könnt ihr mir geben und zeige nicht das geringste Erbarmen, als ich auf den Schnäppchenregalen neben der Kasse voller willenloser Gegenstände lese “ Nimm mich mit“ oder „billig wie nie zuvor“.

Was könnt ihr mir geben?

Wenn es nur Tacker gäbe auf der Welt, dann wäre sie auch noch in Ordnung. Es gäbe keine Kriege, keinen Neid, keinen Hass, keinen Frust und es würde auch nichts Ungetackteres produziert, konsumiert, verkauft, verurteilt, freigesprochen, gekauft, verwaltet, gegessen, getrunken, oder benutzt, um sich den Hintern abzuwischen. Jaja, die Welt wäre eine Glücklichere, wenn es nur Tacker gäbe. Große Bücher würden geschrieben und an langen lauen Sommerabenden säße man auf frisch getackerten Loungemöbeln beisammen, um in großen Stadien, die mehrere 100.000 Menschen fassen den neuesten Tackergedichten zu lauschen:

Tack!

Tack auch, wie gehts?

Solala, hab doch tacksächlich im Lotto gewonnen!

Näh. ächt, Tackelnocheins, du hass aber n Glück.

Joa, geht so, Hauptewinn war ne Eintrittskarte zur Tackerlyriklesung.

TickitackTickitack, Det is dein Glückstack.

Wills mittkommn?

Yep …

Uns so weiter und so fort. Die Tackerlyrik ist eine einfache, bahnbrechend nobelpreisverdächtige.

Zweischneidigkeit

Über die Zweischneidigkeit der Entscheidungen wollte ich schwadronieren, ist schon paar Tage her. Ich vermutete ein Irgendlinksches Problem, das sonst niemanden betrifft, aber vielleicht ist es doch allgemeingültig und auch andere Menschen hadern mit Entscheidungen?

In der Regel sind Entscheidungen leicht zu fällen. Ja und Nein sind klar getrennt. Auf einer Skala hat man sich die Vor- und Nachteile der jeweiligen Entscheidung notiert und es dominiert normalerweise eine Seite. Was aber, wenn Ja und Nein, bzw. die Argumente für Ja oder Nein derart eng zusammen liegen, dass es fast egal ist, ob man Ja oder Nein sagt? Beide Werte sind gleich-gültig. Dann hat man ein Problem. Messers Klinge beidseitig verletztend scharf. Egal was du tust, die andere Seite wird Dir eine Verletzung zufügen.

Diesertage im Univerum Irgendlink so viele dieser Entscheidungen, sei es nur, der armen Redakteurin D. zu verkünden, dass ich, Monsieur, Kaiser und Gott, nicht mehr für sie schreibe – mit dem Nein kommen die Gewissensbisse und die Reue, ich hätte können auch Ja sagen. Doch nun ist es zu spät. Der Job ist weg. Gehe nicht über Los, gehe vor allem nicht zu dem brechreizerweckenden Chöretreffen irgendwo da draußen auf dem Land, um darüber einen Artikel zu schreiben. Ohja, so zweischneidig war die Sache vielleicht gar nicht. Nicht dem Chörewettsingen beizuwohnen ist eine Großtat, Monsieur Irgendlink.

Oder die Karre, die Monsieur kaufte: schon gleich nachdem ich den Kaufvertrag unterzeichnet hatte kochte Reue, wie kannst Du nur, das ist unglaublich, soviel Geld kannst du in zwei Jahren nicht ausgeben und bist du dir darüber bewusst, dass du gerade zwei Jahre Leben geopfert hast, nur um ein Auto zu besitzen? Zwei Jahre Leben allerdings, in denen du mit dem Auto ans Nordkap fahren kannst, oder nach Griechenland oder nach Bern ;-). Okay. Das Auto ist eine Fehlinvestition, verleitet zu Faulheit und Dekadenz, aber triff mich die Schuld? Naahhein, schuld sind die Erbauer … welch eigenwillige Kunstbübchenmentalität.

Wassen noch auf meiner Liste der Zweischneidigkeit? Ein Wichtiges war noch, bei dem Ja und Nein derart dicht, geradezu untrennbar beieinander lagen, dass es unweigerlich wehtut, eine Entscheidung zu treffen? Ach ja: ich arbeite wieder als Tacker. Die positiven Seiten des Tackerns: während man schöne Möbel baut, kann man mit Kollege T. prima Quatsch machen. Negativ: jede Menge Lebenszeit an windige Lebenszeitspekulanten verkauft.

Bilanz: Über dem Ja steht knapp jene Phase der Großworte, in welcher ich mit Kollege T. diskutierte, wie unsere Biografien, die unbedingt geschrieben werden müssen, heißen sollen. „Ich T., Tacker und Gott“, sag ich ihm, „das wär doch ein guter Titel für deine Biografie?“ „Mhm, nicht schlecht. Und die Biografie vom Owner?“ fragt T. „Ich bin dann mal Chef“, schieße ich heraus. Wir lachen. „Meine Biografie?“, schaue ich herausfordend zu T. der gerade ein neues Möbelstück fertig gestellt hat. „Tritt näher, er ist kürzer als du denkst“, frotzelt er. Mistkerl.

Aber hey, ich kann doch meiner Biografie keinen Titel geben, der über fast allen Urinalen zwischen Rostock und Saarbrücken prangt, oder?

Kurzum: mein Ja zum Job als Tacker ist alleine durch den obigen Dialog mit Kollege T. gerechtfertigt (der wäre nie dialogisiert worden, wenn ich nicht wieder als Tacker arebiten würde). Ihr seht, die Entscheidung ist verdammt knapp.