Katze wartet im Park

Und wieder keimen Zweifel. Freizeit schrumpft zu einem unschätzbaren Gut. Nicht dass ich mich überarbeiten würde auf der neuen Stelle. Seltsam angenehm fühlt sich alles an, so als würde man von leisem, schmerzlosem Gift eingelullt. Aber ich bin von 6 bis 18 Uhr außer Gefecht. Nun merke ich erst, wieviel Mühe in der Ausformulierung guter Texte steckt. Fürs Ausformulieren guter Texte braucht man 100 Prozent Kopfkapazität. Früher, zu Zeiten der Lohntackerei war es kein Problem, bis drei Uhr nachts wach zu bleiben und Texte zu hacken. Das ist der Vorteil des handwerklichen Jobs: du kannst dein Hirn die liebe lange Zeit in den Ruhemodus schalten, kannst spielerisch mit Gedanken jonglieren, kannst todsterbensmüde arbeiten. Der gute Kollege T. wird dich am nächsten Tag mit bizarren Ideen und Witzen aus dem Wachkoma befreien. Nicht auszudenken, wenn ich auf der neuen Arbeit übermüdet wäre. Sie ist sedierend genug, dass ich einfach einschlafen würde. Das will ich nicht riskieren. Zumal eben auch noch nebenbei gedacht werden muss, sonst leidet die Qualität.

Ein Dilemma. Frau Kokolores hatte schon angeregt, ich solle doch während der Arbeit schonmal vorbloggen … denke gar nicht erst daran! Nicht jetzt. Nicht schon am ersten Tag. Es gibt auch nichts Besonderes zu berichten. Man sitzt am Computer. Man wälzt Aktenordner. Man schaut DVDs. Eine Reise durch die Komödiantenszene der Republik. Das Computersystem fühlt sich gut an. Alles ist herrlich aufgeräumt. Journalist F. wunderte sich, dass man mir, trotz Zeitvertrag schon den gesamten Jahresurlaub gutgeschrieben hat. „Was haben die mit dir vor?“ rätselte er.

„Ich werde den Urlaub nächste Woche nehmen und zusammen mit Kollege T., pardon, Ex-Kollege T., nach Santiago pilgern“, scherzte ich.

Morgens erwachte ich aus einem merkwürdigen Traum: Ich lebte in der Großstadt, hatte gerade die Katze zum Tierarzt gebracht und transportierte sie auf meinen Armen per U-Bahn, Bus, zu Fuß, in einem Spießrutenlauf durch den bedrohlichen Stadtdjungel. Immer wieder floh die Katze, was mir beinahe das Herz stehen machte, und ich musste sie verzweifelt suchen. Bäuchlings in einer verrotzten U-Bahn unter den schmutzigen Schuhen verlodderter Junkies spähte ich nach dem Tier, kroch durch Staub, Schleim und Undefinierbares, bis ich das Tier wieder hatte. Umsteigen. Die Katze krallte sich in meinen Arm, wimmerte, dann floh sie erneut. So ging das kreuz und quer durch die ganze Stadt, ich benutzte Busse, lief durch düstere Gegenden, verlor die Katze, fand sie wieder. Bemerkenswert war die Passage, durch die uns ein zweifelhafter Kerl mit grauen Haaren führte, uns die subkulturellen Sehenswürdigkeiten, verkommene Punk-Schuppen zeigte, hinauf auf die Dächer. Dort traute ich mich nicht weiter, wegen Absturzgefahr, aber die Katze balancierte hinter dem Kerl, der uns führte auf schmalem Grat und auf der anderen Seite warteten beide fordernd, mutmachend, so dass auch ich es riskierte, überlebte.

Katze und ich gelangten schließlich in einen riesigen, blühenden Park. Im Zentrum eine Alte Villa. Ein kulturell hochwertiges Konzert war im Gange. Der grauhaarige Saxophonist outete sich als Hausherr, er habe Villa und Park gekauft, nun da er in Rente ist und mit diesem Konzert übe er, denn er wolle gerne den 3. Preis bei einem Jazzfestival in Luxemburg gewinnen. Sein Lebtag habe er geschuftet und nun widme er sich voll und ganz dem Saxophonspiel.

Die Katze war verschwunden. In dem schönen Park wird sie gut leben, dachte ich, „darf ich sie hierlassen?“ fragte ich den Sax-Man und erwachte.

Essen für Wolfgang

Es gaukeln zu viele Geschichten. Ich komme mit dem Ausformulieren gar nicht nach. Morgens surfte ich müde im Netz und blätterte literarische Begriffe: Hyperbel und Ellipse, was mich zu der Vermutung veranlasste, irgend etwas verwechselt zu haben. Mathe und so. Dabei lehrt Wikipedia, dass gerade der Satz „Mathe und so“, als Beispiel für die Ellipse stehen könnte – wenn man dem Internet glauben darf. Irgendwas kurzes halt, abgehackt, spröde dahin gespuckt, unvollständig. Eine Technik, um Vieles auf engstem Raum zu sortieren und dem Text ein bisschen Speed zu geben.

„Hm“, denk ich, „ideal, um die letzten Ereignisse zu notieren“. Jene Radeltour mit Kollege T. und der tollen T. Wir besuchten vier Hütten in der Gegend, in der die schrägsten Typen, die das Land zu bieten hat, hausten, bedienten, vorbeischauten, ihr letztes Geld verzechten:

Hütte 1 wohl am Normalsten, außer dass dort ein Storch manchmal bis zu den Tischen stolziert. Am liebsten mag er weiße Bratwurst.

Hütte 2 mitten im Wald bei einer Klosterruine. Hagerer Kerl in gelbem Auto fährt vor. Autoradio spielt Countrymusik. Man kommt ins Gespräch und der Kerl entpuppt sich als Kanadier, als Holzfäller, als Rocker: „Entspann‘ dich, wir sind Rocker“, sagt er immer wieder, will uns Wildschweine aufschwätzen, „200 Euro“, serviert Bier, dreht seltsame Zigaretten.

Hütte 3 zeichnet sich durch eine Lautsprecheranlage aus, durch die den Gästen-Selbstabholer gesagt wird, wann ihr Essen fertig ist. „341“ tönt es. Jemand steht auf, holt das Essen. „342“, das bin ich, „der Typ mit den Pommes“, fügt die Stimme hinzu. „Find ich gar nicht gut“, sag ich zu den beiden T.s, „die brandmarken mich als Billigpommeskäufer. Ich kann doch jetzt nicht nach vorne laufen“. „Stimmt“, sagt die tolle T., „dann sehen nämlich alle, dass du gar keine Radlerhose trägst, sondern eine lange Unterhose.“

Mist, dass die das bemerkt.

Später bizarrisiert sich der Lautsprecherruf: „Chicken für Wolfgang“. Wir lachen. Lachen eine Minute später herzhafter, als es heißt „Schnitzel für Wolfgang“ und wieder später, „Essen für Wolfgang“.

Muss ja ein hungriger Mensch sein, dieser Wolfgang.

Hütte 4 liegt deshalb am Ende der Tour, weil es da das Bier fast geschenkt gibt und die verrücktesten Leute, meist über 60, rumhängen. Eigens haben sie einen Verein gegründet mit dem Namen S.er Landleben, in dem der Mitgliedsbeitrag nichts kostet und der entsprechend 700 Mitglieder hat. Kollege T. und ich überlegten, dem Verein beizutreten und ehrenamtlich die Hütte zu bewirtschaften. Für immer für Freibier. Zunächst aber verzechten wir unser letztes Geld.

Paar Jahre her, dass ich für die Post arbeitete. Man setzte mich für die besonders schwierigen Fälle ein. Größere Firmen, bei denen es kracht im Firmengetriebe und deren Laderampen daher ein Graus sind für jeden Zulieferer. Wenn ein Betrieb innerlich krank ist, so zeigt sich das an immensen Reibereien zwischen den Mitarbeitern, Überreaktionen, Gereiztheit bis hin zu offnener Gewalt, Mobbing, Beleidigung. Damit geht Alkoholismus und Lethargie und Tablettenkonsum der Betroffenen einher. Kasse und Laderampe sind die Schnittstellen eines Verkaufsbetriebes nach Außen. Insbesondere an der Laderampe wird der arglose Zulieferer gerne in betriebsinterne Konflikte hineingezogen, denn die Laderampe ist oft das letzte Ventil, das dem frustrierten Mitarbeiter bleibt.

Mit dem Chef des Lagers des betreffenden Betriebs kam ich immer bestens zurecht. Seit ich ihm einmal ein Fläschchen Schnaps zugesteckt hatte, behandelte er mich zwar mürrisch, aber bevorzugt. Ich habe Widerständler erlebt an der Laderampe – große Speditionen mit geschultem Personal, die doch eine Laderampenkonfliktausbildung genossen haben dürften – die stundenlang warten mussten, ehe sie abgefertigt wurden. Warum? Weil sie kein diplomatisches Geschick hatten oder zu viel Stolz, der sie zur Widerrede veranlasste.

Meine devote Art hat mir etliche Lebensstunden, die ich sonst in der vergifteten Atmosphäre dieser Laderampe verbracht hätte, erspart.

Ich schweife ab. Der Artikel sollte eigentlich davon handeln, dass ich aus alter Tradition, wenn eine Arbeit endet, von der Arbeitsstelle zu Fuß nach Hause laufe.

So geschehen damals bei dem o. g. Post-Job. Über den Fußweg nach Hause aus der Loungewerkstatt letzten Donnerstag, wird im nächsten Artikel zu berichten sein.

Irgendlink gelobt erneut: ich werde meine lieben Leserinnen und Leser nie wieder erschrecken mit Sätzen, in denen die Worte Bloggen, Schreiben, nein, nicht, nie wieder, adieu, machts gut, in Zusammenhang gebracht werden.

Dies erst mal als beruhigende Zwischenmeldung.

Vor einer halben Stunde traf ich Geocachefreund O.-H. Hatten uns eine Weile nicht gesehen und tauschten auf der Straße im Dörfchen K. das Neueste aus. Noch immer klingt mir das Lachen im Ohr, als ich ihm von der neuen Arbeit erzählte und dabei das Ö-Wort benutzte. Er schlug sich auf die Schenkel und hüpfte im Kreis und lachte und lachte. Ein freundliches Lachen, natürlich. Es kennzeichnet die Abstrusität meiner Situation. Noch vor einem Jahr schloss man Wetten ab, unter welcher Brücke ich enden würde.

Irgendlink gelobt …

… ich werde nie wieder bloggen.

Neben mir der Arbeitsvertrag und was mich völlig verdutzte am Morgen, das Gelöbnis mit Wappen der Stadt in bunt – „die bunten Kopien sind für Sie, die schwarz-weißen für uns“, sagte Herr M., der als Zeuge bei der Feierlichkeit zugegen war.

Dabei ging es doch nur mal wieder darum, einen Knebelvertrag über ewige Knechtschaft zu unterzeichnen. Dennoch war ich völlig überrascht, als mich der Dienstherr in das Besprechungszimmer bat und mir den bunten Bogen Gelöbnis überreichte, welches ich ihm nachsprach.

Es gibt doch immer wieder Situationen im Leben, die man noch nie erlebt hat. Im Knebelvertrag verpflichtete ich mich, alle Überstunden der nächsten Zehntausend Jahre zu übernehmen, sowie nachts und, was noch viel perverser ist, frühmorgens zu arbeiten. An multiplen Stellen. Für einen Hungerlohngehalt.

Da lobe ich mir doch den guten alten Owner, dessen Arbeitsvertrag aus einer einzigen Zeile bestand, die noch nichtmal einen vollständigen Satz ergibt:

Für immer für nichts.

Mehr muss nicht. Aber diese Verwaltungsleute sind da ja super korrekt und wissen, Einfaches in Kompliziertes zu verwandeln, was nicht immer schlecht sein muss. Ich liebe Lyrik, gebe ich offen zu.

Nun gestehe ich, dass mir das Gelöbnis schon ein bisschen auf den Magen geschlagen ist, weil da Zeilen enthalten sind, die irgendwie, wenn man sie richtig verdreht, dem Bloggen widerstreben. „Ich gelobe, keine schmutzigen Tätigkeiten zu tun, die dem Ansehen der Stadt S. schaden könnten“. Ursprünglich formuliert, um den Konsum von Erotikseiten aus dem Internet zu unterbinden und einen christlichen Lebenswandel der Mitarbeiter zu erzwingen, kann diese Zeile sicher auch anders interpretiert werden: „Ich gelobe, nie wieder zu bloggen; wohlgefällig will ich Schweigen über die Dinge, die mir täglich auf dem Präsentierteller geliefert werden, und die das Leben so wunderbar bunt machen“.

„Freiheit der Kunst“, sagte Journalist F., „mach dir da mal keine Gedanken, Artikel 5 glaube ich“.

„Mich wundert schon lange, dass dein Kopf nicht rollt“, antwortete ich.

Später, zu Hause, beging ich den Fehler, nach meinem richtigen Namen im Netz zu suchen und ihn mit gewissen Schlagworten zu garnieren, die ich hier nicht nennen mag. Erstaunlicher Weise landete ich bei einigen sehr neuralgischen Dingen in diesem Weblog. Wieso ist das mit meinem Namen verknüpft? Er steht hier nie geschrieben. Ich bins doch, Irgendlink und nicht etwa dieser Knildegri Schneider, Hut Knamsun oder Ganther Grüss oder Manning Henkel oder Fätz Schranking.

Junger Mensch, wenn du dich je ins Netz begibst, hüte dich – auch nur irgend ;-) – deinen echten Namen ins Spiel zu bringen.

Kurzfristig überlegte ich, eine Reinigungsaktion zu starten. Aber dann wurde mir klar, dass die Sache gar nicht so dramatisch ist. Ich kann höchstens die neue Arbeit verlieren. Und das ist es ja, was ich seit Anbeginn will. Seit ich tackere, will ich nicht tackern, seit ich kulturorganisiere, will ich keine Kultur organisieren. Manchmal komme ich mir mit dem Scheitern vor, wie Stieflriemen-Bill, der nicht sterben kann.

Okay, ich gebe zu, das Amt gibt weitaus bizarrere Geschichten her, als die Lohntackerei. Es ist wert, darüber zu schreiben. Es fängt alleine schon damit an, dass es im Amt einen Schrank geben muss, in dem sich ein schwarzes Loch gebildet hat, in dem sämtliche Schokolade, die in seine Anziehung gerät, für immer verschwindet.