Die Vision von der senkrechten Karriereleiter mit den vielen Sprossen, die von Unten nach Oben immer klebriger werden, so dass man ab einer gewissen Stufe gar nicht mehr davon loskommt, weil man einfach festklebt, ist sicher an den Haaren herbei gezogen.
Dennoch verbeißt sich der Mensch in sein Metier, seine Taten, seinen Job oder das Amt, das er bekleidet, fester, fester, fester mit jedem weiteren Arbeitstag. Als freischaffender Hungerleider betrat ich die Lohnsteuerklasse1-Hölle, nichtsahnend, dass mit jedem Schritt voran der Weg zurück unmöglicher würde.
Ab welchem Punkt wirst du nicht mehr zurück können, junger Hungerleider? Ab dem allerersten, denn der Weg der Karriere ist eine Einbahnstraße. Job um Job und Arbeitsstelle um Arbeitsstelle kletterst du weiter und verfängst dich mehr und mehr im Netz dieser leistungsorientierten Gesellschaft – einzig das Scheitern kann dich noch retten. Doch das willst du nicht, nicht wahr? Denn Scheitern ist etwas Böses, etwas Erdniedrigendes; es ist unerträglich; es steht dir nicht an. „Jawoll, es steht mir nicht an, zu scheitern!“ Wirst du sagen und dich gleichzeitig zurück sehnen in die Leichtigkeit des Leichtfußlebens, das du einst pflegtest.
Nienienie sollte das Leichtfußleben enden, tanzend zu psychedelischer Musik auf einer Blümchenwiese mit all ihren psychedelischen Auswirkungen und dem leichten locker lecker Leben – nienienie sollte es enden.
Das letzte Jahr Lohntackerei, dieser wunderbare feste Job war ein echter Glücksfall, habe ich mir immer vorgegaukelt. Es war die nötige Ruhe für meinen strapazierten Künstlerkopf und all die Sorgen, die den Selbstständigen quälen. Abends radelte ich nach Hause von der rein körperlichen Arbeit und es herrschte unglaubliche Stille im Kopf. Keine Geldsorgen, keine Termine, kein organisatorisches Zeug, wann man welche Ausstellung macht und an welcher Stelle man die nächsten öffentlichen Gelder anzapft.
Ruhe dich aus auf diesem Job, kannst ja jederzeit wieder aufhören, habe ich mir derweil immer gesagt. Dass es kein Zurück gibt auf dem schlüpfrigen Weg in die abhängige Beschäftigung, habe ich erst jetzt begriffen. Anstatt die derzeitige Flaute zu nutzen, und einfach ein paar Wochen durch die Gegend zu radeln, verharre ich wie paralysiert und hoffe darauf, dass endlich ein Anruf vom Owner kommt, der nächste Großauftrag ist da, ihr dürft weiter tackern. Ohyeah, Ringo reitet wieder.
Ein Anruf kam auch. Letzten Freitag. Nicht vom Owner, sondern von meinem heiß geliebten Zweit-Arbeitgeber, der mich in Künstlerzeiten immer mit einwöchigen Honorarverträgen gerettet hatte. Amtsleiter R. am Apparat: „Kannst du Montag Halbzehn? Musst zum OB“. Das trieb meinen Puls in exorbitante Höhe, denn ich begriff: Oberbürgermeister geben sich nicht mit irgendwelchen Honorarläusen ab, es sei denn, die Bude brennt.
Nur deshalb also dieser Klamottenkaufmarathon, Bewerbungsfotos, Lebenslauf, Zeugnisse, PiPaPo, all die Edelschicki-Dinge, die ich am Wochenende aus dem Nichts stampfte. Sonntag sogar noch einen Fotografen aufgetrieben für Bewerbungsfotos. Gegen 22 Uhr verließ die Bewerbung den heimischen Drucker. Ich legte mich ins Bett und wälzte mich bis morgens um Acht, so aufgeregt war ich.
Vor dem Rathaus im Städtchen S. herrscht ein heiden Tohuwabohu. Gehweg, von Baggern aufgerissen. Überall lehnen Bauarbeiter mit Zigaretten im Mund an Absperrzäunen. Die Eingangstür zu finden ist nicht gerade leicht dieser Tage und den OB hörte ich schon von Weitem, wie er im ersten Stock durch die angelehnte Tür seines Amtssitzes nörgelte: „Ein Saustall ist das da draußen, da muss man sich ja schämen.“ Angetan, geradezu beruhigt ob meiner perfekt sitzenden Garderobe, den fein geschniegelten Haaren, dem extravaganten Kontrapunkt, den ich gegen die verkommene Baustelle vor der Haustür setzte, bat er mich ins Sitzungszimmer. „Dieser Mann wird uns retten“, muss er gedacht haben, „ganz sicher, mit seinem Sakko und den akkurat gelegten Haaren ist er wie die schneeweiße Alpina-Katze“. (Ihr kennt die Werbung?) „Jeder Raum, den er durchquert, wird auf wundersame Weise sauber“.
Ich phantasiere.
Egal. Vielleicht lag es gar nicht an den Äußerlichkeiten. Letztenendes ergab sich aus der Vorstellung ein waschechter Vollzeitvertrag.
Erst später, als man mir gratulierte und das Zauberwort „Öffentlicher Dienst“ aussprach, wurde mir klar, welches Glück ich habe. Bzw. wie klebrig die Sprosse ist, an der ich mich z. Zt. festklammere.
Hier gibt es kein Entrinnen. Ich muss heiraten, ein Haus in S. kaufen und der Partei vom OB beitreten. (Oder drei Klappen mit einer Fliege: Frau in der Partei vom OB mit Haus in S. heiraten … jawoll. Das ist mein perfider Plan).
Jetzt wird es spannend. Als jemand, den es nicht mehr erwischen kann, setze ich mich in meinen Ohrensessel und beobachte Irgendlink beim Klettern auf klebrigen Stufen. Das ist wie beim Fußballspiel im Fernsehen. Man sitzt gut und richtig, beobachtet, wie sich andere rackern, aufreiben, aggressiv streiten um Ehre, Punkte, Sieg, drückt die Daumen und möchte keine Sekunde verpassen. – Von nun an ist tägliche Irgendlink-Lesung Pflicht, Daumen halten und keine Sekunde verpassen. Glückwunsch Irgendwie.
Oh ja, ich bin auch schon sehr gespannt, wie es mit der schneeweissen Alpina-Katze (ich kenne die Werbung nicht) weitergeht. Fest steht schon mal, dass sie bei einem allfälligen Sturz auf die Füsse fallen wird. Und von ihren neun Leben hat sie auch noch mindestens sieben in petto.
Man kann sie also ruhig um die Häuser ziehen lassen.
an stufen kleben und auf den füssen landen und lohntackern und vollzeitverträge sind eins. das andere ist, hier, genau hier – wo wir grad mal ein bisschen klettern und tackern und fliegen und landen – hier, genau hier, uns selber treu zu sein …
das schaffst du … deinen leserInnen zuliebe!!! :-)
oh ja, jetzt wird es spannend!!
Da ich ein wenig Einblick in die „Öffentliche Dienst Arbeit“ habe ;-) (und mich schon des öfteren wundern musste), freue ich mich auf deine Berichte.
Und wenn du dann so richtig fest an den (Karierre)Leitersprossen klebst, pass auf, daß dir diejenigen die dich überholen wollen, nicht auf die Finger treten … !! Oder auch umgekehrt.
Grüßlis Karin