Die Überdüngung der Gesellschaft

Heute fuhr ein Auto rückwärts über die Landstraße. Es war halb neun. Ich war vom einsamen Gehöft hinauf geradelt zur höchsten Stelle meines Arbeitswegs. Der Pendlerverkehr pulste. Die Sonne kroch über den Horizont und verstrickte sich sofort in seichte Wolken, Nebel und Dunst, so dass die Szene eine fahle, pastellfarbene Aura umgab. Alles war von Raureif überzogen.

Zunächst dachte ich, der Fahrer habe sich verfahren; er stoße rückwärts bis zum nächsten Feldweg, um dort zu wenden. Aber das Auto passierte die Wendemöglichkeit, fuhr weiter, weiter, weiter, bis es nach hunderten von Metern hinter einer Kurve verschwand. Als sei es ganz natürlich, rückwärts zu fahren.

Warum fahren wir eigentlich immer vorwärts? Warum muss es schneller, besser, komfortabler zugehen in der Welt? In allem, was der Mensch anpackt, liegt eine Steigerung. Wenn es, wie momentan in der Weltwirtschaft, rückwärts geht, so verlieren wir den Mut, verzweifeln, werden hysterisch und laufen schreiend im Kreis; das darf nicht sein. Wenn du eine Reise beginnst, so denkst du in erster Linie ans Ankommen, nie ans Zurückkehren. Dabei ist Wachstum im Wechsel mit Absterben ganz natürlich.

„Hast du das gesehen“, redete ich mit mir selbst, „wie Herbst ist der mysteriöse Autofahrer hinter der Kurve verschwunden“.

Diese Gesellschaft ist überdüngt. Wir haben viel zu viel. Wir zucken zusammen, weil wir Sorge haben, nicht genug zu haben. Angststarre. Als gäbe es nur den einen Weg, aufwärts, aufwärts, aufwärts. Koste es was es wolle.

Warum nicht andere Wege gehen: erstens weg mit der Angst, nieder mit der sich anbahnenden Massenhysterie. Habe den Mut weniger zu verdienen, weniger zu kaufen, weniger zu besitzen, und jawohl, habe auch den Mut weniger zu produzieren.

Es sei Herbst!

Im Straßengraben lag ein alter Lederschuh. Nur der Linke.

„Wenn ich Schuhfabrikant wäre“, murmelte ich im kalten Fahrtwind, „würde ich ab heute nur noch linke Schuhe produzieren. –  ahahahahaha …“, schallte es in die pastellblasse Winterwelt. „Weniger Schuhe, weniger Farben, weniger Alles“, jubilierte ich.

Mein Hirn war überdüngt.

blogbibliothek.ch

Das Jahr fing ja gut an. Eine Mail im Postkasten aus der Schweiz, in der ich erstmals seit meinem Dasein im Netz gefragt wurde, ob ein Artikel, der mal in diesem Blog veröffentlicht wurde, woanders veröffentlicht werden darf. So müsste das immer sein im Zeitalter der Contentaggregation.

Ein (fast) fremder Mensch hat etwas, was ich geschrieben habe, einem anderen fremden Menschen vorgestellt, welcher es lesenswert fand – kurzum ein Beweis, dass das Irgendlink-Blog keine Mitleidsleser hat :-)

Hinter der Maileinladung steckt Blogkollege Thinkabout, der zur Zeit zusammen mit zwei weiteren Blogophilen ein Portal aufsetzt, in dem lesenswerte Blogbeiträge gesammelt werden. Die Blogbibliothek erscheint mit nur vier Rubriken (Meinung, Erzählung, Humor und Reflexion) als übersichtliche Website mit allen wichtigen Elementen, die das Web 2.0 fordert (Kommentarfunktion für den User und automatische Referenzierung für den Admin). Kurz und knapp, mehr muss nicht. Das Raffinierte an der Kommentarfunktion ist, dass die Kommentare nicht unnötig am „falschen“ Platz in der Blogbibliothek gepostet werden, sondern direkt im Ursprungsweblog, also dort, wo sie hingehören.

Die Philosophie der Blogbibliothek ist strikt. Das Portal  „soll nicht zuletzt jene Blogs unterstützen, in denen die BetreiberInnen ihre Energie in nichts Anderes so sehr stecken wie in den einzelnen Text, mit Sorgfalt zum jeweiligen Thema, aber auch zur Sprache.“

Wie bei allen Portalen lebt es von den Nutzern und für die Nutzer. Blogleser können über ein Formular Vorschläge einreichen von Artikeln, die sie für lesenswert halten. Die Blogbiblipothek schreibt nach einer Überpüfung die Urheber an und holt eine Veröffentlichungsgenehmigung ein.

Kriterien für die Aufnahme in die Blogbibliothek sind Qualität, sowie die vorgeschlagenen Blogger sollten aktiv sein (regelmäßig bloggen). Die vorgeschlagenen Artikel dürfen jedoch gerne älteren Datums sein.

Drei Lämmer

Obwohl die Stadt Z. über 30.000 Einwohner hat, ist sie doch eher ländlich, wie folgendes Fundstück eindrucksvoll untermauert.

3laemmer

Nebelfotos und grundlegende Provokationen zum Thema Werktätigkeit

„Der Werktätige ist werktätig, weil er hofft, mit der Werktätigkeit so viel Geld zu verdienen, dass er nie mehr werktätig sein muss“. Diesen provokanten Satz murmelte ich heute morgen vor mich hin in meiner Not keinen Zettel zu haben und kein Diktiergerät. Es war in der Nähe einer Shelltankstelle, das Benzin kostete 1.189, ich auf dem Fahrrad.

Ob mein Satz auch Gehalt hat und eine wirkliche Bedeutung, oder ob es sich mit der Behauptung um Unfug handelt, war mir heute Morgen nicht klar. „Unbedingt den selben Satz mit Künstler bilden und irgendwie abwandeln und dann die beiden Sätze nebeneinander stellen, um die Unterschiede zwischen den Denkweisen eines Werktätigen und eines Künstlers aufzuzeigen“, murmelte ich weiters.

Ich weiß nicht, ob es Unterschiede in den Denkweisen von Künstlern und Werktätigen gibt, ob es überhaupt allzu große Unterschiede in den Denkweisen der Menschen gibt. Insgeheim hoffen wir doch alle auf Erlösung aus dem Schlamassel unseres Alltags. Auf endgültiges Glück. Aber irgendwas quält jeden. Geld scheint für viele der Ausweg.

Diese exorbitante Sonne kurz nach acht! Ich radelte, wie üblich ohne Kamera – aber heute musste ich umdrehen, das Ding holen, heute mussten die untigen Aufnahmen gemacht werden. Arbeit hin, Arbeit her, ich werde zu spät kommen müssen.

nebel09-1Blick hinunter ins Dörfchen K. In den Tälern liegt zäher Nebel, während die Sonne ums einsame Gehöft bizarre Lichtlöcher frisst. Drunten im Dörfchen leuchtete rosa Luft, als läge die Sonne im Dunst verteilt. Schlote, kerzengerade in den Himmel und dunkle kahle Wälder steil hinter den Häusern im Zentrum.

nebel09-2Sonnenaufgang am 15. Januar 2009 – es ist schwer, hierzulande ein Landschaftsmotiv ohne Stomleitungen oder Windkraftanlagen zu finden. Deshalb baut man die postnatürlichen Elemente am Besten mit ein ins Bild.

hom-kirrImmer wieder stoppe ich und lehne mein Fahrrad an Schilder, denn gute Motive finden sich bei diesen Lichtverhältnissen zu Hauf. Auf dem Gepäckträger die Pearl Izumi-Handschuhe, angeblich bis Minus 30 Grad tauglich. Von mir kürzlich eine Stunde lang bei Minus zehn Grad getestet, welches mir auch die Komfort-Temperaturgrenze zu sein scheint.