Wir haben wieder ein Gesicht

(und merken nicht, dass wir es nicht brauchen)

Lange, bevor ich darauf aufmerksam wurde, haben die Chinesen Sie gesehen. Arme Frauen, Kinder, verhärmte Männer in muffigen Hinterhoffabriken saßen gebückt über ihrer Singer Nähmaschine. Mindestens 12 Stunden am Tag müssen sie geschuftet haben, um sich ihre Schüssel Reis für den Tag zu verdienen. Vermutlich sind das Menschen wie Du und Ich, die von einem besseren Leben träumen und sich irgendwas kaufen wollen, um sich daran zu erfreuen oder bei Freunden damit anzugeben.

Ist schon ein paar Wochen her, dass Sie mir erstmals aufgefallen ist, wie Sie bei Aldi in der Temporärartikelablage bleckte, hundertstückweise, und obendrüber das Preisschild, X-Euro-Neunundneunzig. Zum Mitnehmen billig.

Natürlich habe ich Sie nicht gekauft, weil ich kein Auto habe. Ich hätte sie auch nicht gekauft, wenn ich eins hätte. Vielmehr dachte ich: „Mist, Wir haben eine einmalige Chance verpasst“. Mit „Wir“ meinte ich die Deutschen.

Dann habe ich mit Künstlerin B. telefoniert, die so ganz anderer Meinung war. Ich mag Künstlerin B. Aber ihre Ansicht teile ich nicht. „Ich finde das gut“, sagte Künstlerin B., „endlich haben Wir das Trauma überwunden. Wir müssen uns nicht mehr schämen. Endlich sind Wir wieder wie Alle.“

„Deine Meinung“, dachte ich, und weil ich Diskussionsfaul bin und es sowieso zu nichts führt, habe ich nichts erwidert, sondern nur gelächelt.

Lächelnd lässt sich die Welt ertragen.

Seit ich Sie erstmals gesehen habe, ist eine Weile ins Land gegangen und Sie ist mir immer wieder begegnet. Am Besten hat Sie mir gefallen, als Sie im Schmutz lag, zertreten auf der Straße, ein ausfransender Fetzen in der Gosse. „Da gehörst Du hin“, dachte ich, aber als ich den Blick hob, fuhr ein silbergrauer Combi vorbei, auf dem gleich vier von Ihnen lustig im Wind flatterten. Ich blieb eine Weile an der Straße stehen und zählte die Autos: roter Renault, nichts; Audi A6, nichts; winziger Corsa, ziemlich verschrammt, zwei von Ihnen; Mercedes, eine große, unscheinbar in der Hutablage; BMW, Eine links und Eine rechts.

Verdrossen wendete ich mich ab: „Du kommst nicht drumherum, Du musst dich damit abfinden, Sie ist wieder da, Sie ist allgemein anerkannt, Wir haben wieder ein Gesicht. Die Menschen lieben Sie und ahnen nicht im Leisesten, dass sie die Chance verpasst haben, ihren kindlichen Nationalismus (an dem ja eigentlich nichts Schlimmes ist) abzulegen. Sie werden einfach nicht reif“.

Gefunden bei 500Beine

Die Machthaber

[…] Die Machthaber in ihm hatten den rohstoffreichen Körper heruntergewirtschaftet. Und sie gaben keine Ruhe. Der Abbau ging weiter.
Sie arbeiteten im Akkord. […]

Harte körperliche Arbeit and the 17 Jungfrauen

Wie schrecklich das Leben im sozialen Netzwerk doch ist: da stellt man sich auf einen ruhigen rekonvaleszenten Sommer ein mit viel Gymnastik, Muskeltraining, Quigong, Ärobik, Nordic Walking …

… aber alles kommt anders.

Pfingstmontag rüber geradelt zu Freund T., um ein paar Lammsteaks zu verspeisen. Man spielte Boule. Cool! Trank und scherzte. Zugegen war auch W., der gerade eine coole Event-Agentur klargemacht hatte, man könne dort arbeiten, es sei traumhaft, 17 Jungfrauen würden mit einem zusammenarbeiten und die Familie müsse nie wieder hungern, sagte W. und spitzte T. an, mal vorbeizuschaun und reinzuschnuppern in den coolen Job. Und nun kommt das soziale Netzwerk: T. fragte, „Hey, und was ist mit Irgend?“

W. musterte mich intensiv: „Hmm, sind ja noch 34 andere Jungfrauen da und auch deine Familie soll nicht hungern.“

So kam ich wie die 17 Jungfrauen zum Kind. Schufte tagein tagaus in dem coolen Laden – Freitag ließ es sich besonders gut an, denn der Chef lud uns ein zum Grillfest. Es gab Rosmarinsteak. Zwischen Bäumen lugte Kunst. Freie Zeiteinteilung bei anständiger Bezahlung.

Ich glaube, ich bin im Paradies.

PS: nein, ich habe mich nicht als Selbstmordattentäter verdingt ;-)

Glaube

Der Ungläubige wäre nicht ungläubig, wenn die Gläubigen nicht auf ihrem Glauben beharren würden (und somit glaubten, der Ungläubige sei ungläubig, weil er nicht das richtige glaubt).

Prozentual gesehen ist der Gläubige ungläubig, weil er viele andere Glauben ausschließt (er glaubt nur Bruchteile dessen, was glaubbar wäre).

Glauben ist ein Ausschlussverfahren, das einem das Leben erleichtert.

Es muss erst noch bewiesen werden, ob ein Beweis ein Beweis ist, oder nur ein gefestigter verfestigter Glaube.