Ein gutes Zeichen. Als heute Morgen die Lionscluberin fragte, ob es mir besser ginge, sagte ich ja. Das ist eine positive Lebenseinstellung. Die Vernunft gebietet jedoch, zu jammern. „Lerne zu klagen, ohne zu leiden“ ist ein durchaus akzeptabler Spruch, der einem so manchen Ärger vom Hals halten kann. Wenn die Leute dich für halbtot halten, hast du einen Freibrief. Du schläfst länger, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Du drückst dich vor seltsamen Veranstaltungen, bei denen sich die Lachmenschen an Achtziger-Jahre-Musik erfreuen, tanzen und sich betrinken. Stattdessen sitzst du gepflegt auf deinem einsamen Gehöft und belauschst den Wind, wie er mit den Pappeln spielt, starrst in den Mond, während drunten in der Stadt ein Feuerwerk abgebrannt wird.
In den stillen letzten Wochen habe ich erkannt, dass ich mir Männer, die mit mir trinken wollen vom Hals halten muss, sowie Arbeitgeber, die nichts bezahlen. Und Frauen, die etwas von mir wollen mindestens so lange bis die Richtige kommt.
Ich bin ein moderner Mönch, ungläubig; meine Tonsur ist die Langhaarigkeit, meine Bibel sind die Wanderschuhe, mein Weg ist nur so lange der Jakobsweg wie er mir gefällt. Sobald ein Funke Unstimmigkeit am Weg erglimmt, verlasse ich ihn. Schließlich gibt es ebenso viele Kreuzungen in der Welt wie es zweifelhafte Produkte gibt, die man kaufen sollte.
Du musst dich grundsätzlich verweigern. Darin stimme ich mit dem witzigen Flann O’Brien überein: Fragen, die man mit Ja oder Nein beantworten kann, sollte man sicherheitshalber mit Nein beantworten. Außerdem ist es besser, links abzubiegen als rechts. Nicht zuletzt aus politischen Gründen.
So führe ich ein äußerst verschrobenes Leben und wundere mich immer mehr, dass es trotz all der Verschrobenheit noch Menschen gibt, die noch verschrobener sind als ich. Freund T. zum Beispiel und der unbezahlbar göttliche QQlka, Journalist F., ein moderner Mystiker im Gewand des schillernden Kulturorganisators, die schrille Hofbewohnerin P., die kürzlich einem Schafsbock das Leben gerettet hat und der nun stinkend in ihrem Garten seinen Lebensabend fristet. Ich liebe diese Menschen.
Mein Leben ist bunt wie nie zuvor. Zum Spaß stelle ich mir vor, ich würde 2009 sterben. Kann ja passieren. Was würde ich tun? Jammern und verzweifeln? Nein nein, Jammern muss unbedingt ein schauspielerischer Akt sein, mit dem man sich unliebsame Plagegeister auf Distanz hält. Ich glaube, das Beste, was man im Angesicht des Todes tun kann, ist, keine Zeit mehr zu empfinden.
Neulich sagte Journalist F. am Lagerfeuer: „Die Zeit ist eine Erfindung“. Die Funken stiepten in die Luft, der Mond war viertel voll.
Eine Erfindung wie Cola oder Bigmac, wie Versace-Anzüge oder Parfüm von Chanel. Ein unwichtiges Produkt, mit dem Handel getrieben wird. Die Zeit ist im Gegensatz zu Gold zwar unbegrenzt verfügbar, sieht man jedoch genauer hin, so ist sie in Form von Lebenszeit für einen jeden von uns ein unschätzbares Gut. Die Zeit ist aber auch eine Frage der Wahrnehmung und der Gewöhnung für diese Wahrnehmung. Wenn man an etwas gewöhnt ist, fällt es einem schwer, es irgendwann nicht mehr zu besitzen. Wenn das Gewöhnte obendrein frei erfunden ist, ist es Aufgabe des Geistes, für Klarheit zu sorgen und sich dieser Erfindung zu entledigen.
Aus dieser schwer verständlichen Passage leiten sich nun drei Fragen ab:
Erstens: wie schaffe ich Zeit, wie maximiere ich sie, wie fülle ich mein Konto damit?
Zweitens, gilt für Neugeborene: wie verhindere ich Zeit?
Drittens, gilt für Betroffene: wie werde ich die Zeit, das Zeitgefühl wieder los?
Ehrlichgesagt, meine Lieben, weiß ich nicht, worüber ich gerade geschrieben habe, verstehe es auch nicht, lasse es trotzdem mal stehen – es ging alles so schnell.
Lerne Jammern, ohne zu sprechen.
Über Zeit denke ich nach wenn sie träge wie ein erkaltender Lavastrom fließt oder mir zwischen den Fingern zerrinnt und sie steht still, wenn ich glücklich bin. Dazwischen lebe ich und ich denke nicht über sie nach, denn dann bin ich im Jetzt und Hier und habe weder vergangene noch zukünftige Zeit.