Wie langsam müssen die Dinge wohl sein?

Unversehens finde ich mich auf dem Jakobsweg wieder. Der Jakobsweg ist das laszive Luder unter den Fernwanderwegen. Es gibt ihn praktisch überall, obschon er ursprünglich als ein Geflecht von Wegen galt, das sich in einem Punkt vereint, nämlich im nordspanischen Santiago de Compostella. Man vergleicht den Jakobsweg gerne mit den Fingern, die in der Handwurzel sich vereinen. Nicht zuletzt ist die Herzmuschel mit ihren vielen Rillen, die alle in einem Punkt zusammenlaufen das Symbol des Jakobswegs. In unserer Gegend gibt es zwei sogenannte Pfälzer Jakobswege, die auf einer Nord- und einer Südroute, jeweils etwa 130 km lang die Bistumsstadt Speyer mit dem Kloster Hornbach verbinden. Auch einige andere Jakobswege, die das Kloster links liegen lassen sind ausgeschildert und führen ins französische Metz. Es herrscht ein Heidenchaos (hehe, Heidenchaos). Die Nordroute Speyer Hornbach führt am einsamen Gehöft vorbei. Hier hatte ich die letzten drei Wochen meine ersten Gehversuche (der kleine Kreis, welcher mich stets auf und ab führte auf einem ein km langen Stück direkt vor der Haustür), bis ich kürzlich die 10-Km-Marke knacken konnte und einer Fernwanderung nichts mehr im Weg stand.

Gottloser Irgendlink, pilgernd.

Auf dem Friedhof Mauschbach (Südroute, unweit von Hornbach) sprach mich ein verschwitzter Typ an, was ich denn für eine Kamera benutze und warum ich wie was mache – ich erklärte Jakobsweg, er verstand nicht, gottlos sei er, behauptete er. Aber er gab mir einige interessante Tipps, zum Beispiel den alten Mennonitenfriedhof von Dorst (Frankreich) und die Hügelgräber von Rolbing. Man müsse das gesehen haben, sagte er und wies mit dem Kinn zum  Turm der Friedhofskapelle: „Schonmal sowas gesehen?“ fragte er.  Der Turm war bis unter die Spitze aus Steinen gemauert. Sogar die Ziegel waren aus Stein.

Ich war baff.

„Wie musst du werden?“, fragte ich mich,  „langsam musst du werden, Mensch, um dem Gehalt der Dinge auf den Grund zu gehen.“ Wie oft bin ich diesen Weg geradelt direkt an diesem Friedhof vorbei, ohne Notiz von der Kapelle zu nehmen. „Wie oft durchquertest du das Land und gestattetest Orten, namenlos zu werden im wilden Flug – warum? – alles ging so schnell.“ murmelte ich.

Die Sonne war ein paar Strich nach West gerückt und gab einen prachtvollen Blick auf den Grüncontainer frei, in welchem frische Kränze lagen, ein paar Kerzen und Grünschnitt. Grießgrämige Frauen krochen den Hügel herauf, würdigten mich keines Blickes, so tief war ihre Trauer, und vom Flughafen setzte ein knallgelber Ferienflieger zum Sprung in den Süden an.

„Das Leben ist gut“, murmelte ich und setzte Fuß vor Fuß, ein bisschen verängstigt, das geht vielleicht zu schnell.

„Wie langsam müssen die Dinge wohl sein?“ fügte ich hinzu und ließ die Frage offen.

Ein Punkt, der Mitte am Fernsten – nee, besser: die Gegenwart ist eine Hülse.

Wie ich so im Wald umher spaziere, auf dem dritten Kreis.

Der dritte Kreis ist größer, als der zweite und der zweite Kreis ist größer, als der erste (mein Teerweg direkt vor der Haustür). Wie ich so im Wald umher spaziere und auf meine Füße starre und mich wundere, wie die Bäume von Tag zu Tag grüner werden, das Land trockener, die Bienen summender und überhaupt, da kommt mir die Idee von der Gravitation und dass wir Menschen insgeheim ihr gehorchen. Ein Zentrum bannt einen jeden von uns, hält ihn fest, hält ihn auf seiner Bahn, bestimmt sein Denken und Handeln. Unsere einzige Chance, dem zu entrinnen, ist, die Kreise weiter zu stecken, uns vom Zentrum zu entfernen, die Geschwindigkeit zu erhöhen – der Physiker weiß bescheid – ich gelange ins Tal an den Punkt, der am weitesten vom Mittelpunkt meines derzeitigen Kreises entfernt ist und konstatiere im tiefsten Wald: „Baum, du bist grün! Hab ich dich je gesehen? Bestimmt. Aber hab ich dich je wahrgenommen? Wohl kaum.“ Eine verrückte Situation. Mitten im Wald dutze ich einen wildfremden Baum. An seinem Fuße führe ich ein abstruses Selbstgespräch und wundere mich, dass die Pseudoakazie mir offenbar zuhört. „Gut so, Baum“, konstatiere ich, „wusstest du, dass die Gegenwart nichts ist als eine Hülse? Jaja, du hast recht gehört, die Gegenwart ist eine simple Hülse, in die man das Pulver der Vergangenheit stopft und das Projektil der Zukunft darauf steckt.“

Kontinent Mittelleben

„Nachdem ich die kleine Insel Touch verlassen hatte, schwamm ich wie paralysiert durch die wilde See. Ziellos überlebend, bis ich mich an das Leben im Meer gewöhnt hatte. Algen, Tang und kleine Meerestiere waren mein täglich Brot. Sie nährten, labten, kränkten mich. Manche versuchten mich zu töten und ich schaute tagein tagaus zum Horizont, in der Hoffnung, etwas kommt, etwas ersetzt die kleine Insel Touch, die ich irgendwo im Osten wähnte. Bei jedem Sonnenaufgang schaute ich zurück und sah, wie die Horizontlinie kleiner, verschwommener, unschärfer wurde und schließlich verschwand. Ich verbrachte Jahre auf See.

So trieb ich im unberechenbaren Ozean und just, als ich die Hoffnung aufgegeben hatte, jemals wieder Land zu betreten, erspähte ich die schroffen Klippen des Kontinents Mittelleben.“

Autor unbekannt.

Hum? Kontinent Mittelleben.

Im Westen gibts nichts Neues – außer vielleicht, dass ich gestern zusammen mit Journalist F. 150 km nach Osten gefahren bin, um einen Tag im Paradies für Männer zu verbringen. Dem Technikmuseum Sinsheim. Die Tupolev ist auf jeden Fall schöner als die Concorde – nicht zuletzt wegen der marmorierten Gepäckablagen.

Die Tour war auch gleichzeitig ein Slipped Disc Belastungstest. Ich will mal sagen, auf Biegen und Brechen habe ich die Tortur – über zum Teil original vom Phürerrr (dem Arsch) gebaute Autobahnen (Huckelstrecke Hockenheim) – überlebt.

Heute dann einen Spaziergang auf dem Jakobsweg, welcher just hier am einsamen Gehöft vorbei führt, angehängt. Auch wieder auf Biegen und Brechen.

NoRisc NoFun, oder, um es mit den Worten des Gymnastik-Gotts zu sagen: Arbeite mit dem Schmerz, nicht gegen ihn.

Aber ich will hier nicht langweilen.

Larmoyanzblog-Ende.

Erkenntnisse wären zu vermitteln aus dem Kontinent Mittelleben. Aber der Kopf ist müde. Alles, was in den letzten Wochen gedacht wurde, setzt sich sedimentös zu Boden, mischt sich in chaotischer Form mit Belanglosem, so dass am Ende nur eine breiige undefinierte Masse übrig bleibt, vor der man kinnreibend steht und sich wundert: „Was denn, das soll erkenntnisreich und lehrsam sein, dieses lehmig-knetbare Etwas soll die Essenz allen Wissens sein?“ Hum?

Eine Erkenntins ist die, dass man geneigt ist, der Zukunft hinterher zu rennen wie ein Hund dem Rudelführer und dafür Lunge, Herz und alles aufs Spiel setzt. Wenn man Glück hat, erkennt man rechtzeitig, dass man bei all dem Zukunft-hinterher-rennen verpasst, eine Gegenwart zu leben.

Eine weitere Erkenntnis ist die, dass man recht schnell das Maß verliert und sich überschätzt und dann dazu neigt, die Schritte zu groß zu machen, die Zeiteinheiten zu intensiv werden zu lassen, sich von simplen Äußerlichkeiten, die einen überhaupt nichts angehen, beeinflussen, antreiben zu lassen – Glück dem, der zurück geführt wird und die Chance erhält, die Schritte genau so weit ausladen zu lassen, wie es ihm entspricht.

Bauesoterisches – Zettelkästiges – back zu den Rootzeln

„Wie kann man hier drin überleben?“, fragte er.

Francis wusste die Antwort nicht. „Ich weiß nicht, ob das überhaupt vorgesehen ist“, flüsterte er.

John Katzenbach – Die Anstalt, Seite 275, Knaur Taschenbuch, 2006.

Erstaunlich, wie das, was man liest, manchmal auf das, was man schreibt abfärbt. Der Roman spielt in einer Irrenanstalt. Vielleicht sollte ich mir nach dem 750 Seiten-Krimi, noch einmal Marlen Haushofers „Die Wand“ vorknöpfen?

Wie auch immer. Beide Bücher sind Spitzen-Lektüre, finde ich. Wie man ein Buch wie „Die Wand“ schreiben kann, ist mir allerdings ein Rätsel. Wenn man es kann, kann man vermutlich alles schreiben – wenn man ein Buch wie „Die Anstalt“ schreiben kann, kann man obendrein spannend schreiben. Wenn man beides mischt und auf 250 Seiten kürzt? Was da wohl bei rauskommt?

Hum. Ich lese zu viel. Der Computer rippt. Ich würde gerne acht Stunden am Tag am Computer verbringen, einfach nur ein bisschen Quelltext kritzeln, weil mir hin und wieder gute Ideen für Webseiten kommen – so beschränke ich mich auf 10 Minuten Computer (die restlichen Stunden verbringt die Maschine mit dem Ripper, hehe). Manchmal kritzele ich HTML-Passagen auf Papier – pervers, aber ohne Problem machbar (ich empfehle Menschen, die mich nach Homepages fragen auch gerne, dass sie die Homepage einfach auf Papier malen sollen – ein guter Webdesigner kann das dann 1 zu 1 umsetzen).

Back to the  Rootzeln (auch gut Zettelkastenwort, oder? Kam mir gerade in den Sinn. Wir müssen unsere eigene Pidginsprache vorantreiben!)

Ich merke mir gerne seltsame Worte. Was hab ich neulich noch gefunden? Ah ja: „nicht aktualisierte Haustüren“ bei sara.schreibe

Weiß auch nicht, warum ich mich an solchen Sachen erfreuen kann. Die nicht aktualisierten Haustüren sind ebenso ein Fall für die Bauesoterik wie das Hochbett-Syndrom: dass nämlich Dinge, die ins Hochbett hinauf wandern, nie wieder herunter kommen. Auf diesen Gedanken hat mich Jolly Swaggirl gebracht – hey, Danke für den Puzzlestein.

Okay, die 10 Minuten sind um.