Gegenwärtiger Verlust der Zukunft

Heut‘ ist besser als gestern. Gestern gab es keine Zukunft. Ich saß im Atelier und betrachtete die Wand. Miese Stimmung. Keiner da. Plötzlich war der Satz in mir: „Wenn die Zukunft unvorstellbar wird, dann endet das Leben.“

Die Zukunft war unvorstellbar. Die Wand war weiß. Alles, was getan werden musste, hatte ich getan. „Nach weißen Wänden kann nichts mehr kommen,“ dachte ich und ignorierte blauäugig alles andere, was das Leben ausmacht, Liebe, Sehnsucht, der Wille und noch ein paar Kleinigkeiten. Keine Menschen: Zukunft unvorstellbar. Liebe gaukelte wie gehenkt im Raum – ich will nicht sagen, dass Liebe nutzlos ist, zumal sie immer da ist, aber im Zustand des Zukunftsverlusts nimmt sie eine Nebenrolle an.

Längst vergessene Menschen kamen mir in den Sinn. „Was sie wohl treiben, gerade im Moment?“ – manche sind tot – „andere werden schlafen und am nächsten Morgen aufwachen. Wieder andere amüsieren sich oder haben Sorgen. Manche schlafen mit wem auch immer.“

Die unvorstellbare Zukunft war Dunkel, ein Nichts, also überlegte ich, ich könnte mich aufhängen an einem der neuen Balken im Atelier. Spielerisch drehte ich, rein gedanklich den Strick, warf ihn hinauf, legte ihn um den Hals, stieg auf einen Stuhl, stieß ihn weg.
Dann kamen Zweifel: „Kannst dich doch nicht an den guten Balken aufhängen, die dir dein Erbonkel geschenkt hat, die waren teuer genug, wie sieht das denn aus?“ Also verlegte ich die gedankliche Erhängung in die Moschellandsburg, wo kürzlich die Hochzeitsparty meiner Freundin A. statt fand. Ein guter einsamer Ort mit einem riesigen Gebälk über dem Burgverließ. Dort gibt es keine Balken vom Erbonkel. Dort müsste man das Seil winden.

Wieder kamen Skrupel: „Am nächsten Tag kommen Spaziergänger, womöglich sogar Kinder.“ Ich stellte sie mir vor, wie sie spielend einem Ball hinterherjagen, so glücklich wie nie wieder im Leben. Wie sie plötzlich vor baumelnden Füßen stehen, hinaufblicken. Ein Schock fürs Leben. „Das kannst du ihnen nicht antun.“

Wurde also nix mit dem Erhängen. Ich legte mich ins Bett, schlief friedlich ein und am Morgen war die Zukunft wieder vorstellbar. Ich beschloss weitere weiße Wände zu bauen. Das Atelier ist groß genug.

Was bleibt (jenseits dieses ironischen Beitrags) ist der Gedanke: was ist, wenn die Zukunft wirklich einmal unvorstellbar wird und es nichts, nichts, nichts, rein gar nichts mehr gibt, was einen antreibt, zieht, schiebt, bewegt? Kann man dauerhaft mit dieser Leere leben? Ohne Ziele. Ohne Wünsche. Ohne Sehnsucht.

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