Die Dinge müssen benannt werden (damit man dafür werben kann)

Unterwegs zwischen Stadt und einsamem Gehöft, den neuen Router im Gepäck, traf ich auf dem höchsten Punkt der weißen Driesch den Konzeptkünstler R. Er hockte auf einem Grenzstein unweit eines Funkmastes und starrte gen Süden.

„Naa? wieder Steine stapeln?“ grüßte ich.

„Hier gibt es keine Steine“ antwortete er, „kennst du Walther von der Vogelweide?“

„Den Dichter?“

Der Konzeptkünstler legte ein Bein über das andere: “ Ja, genau den, ich saz ûf eime steine
dô dahte ich Bein mit Beine
.“

„Ahahaha,“ lachte ich, „ich saß auf einem Stein und dachte: Bein mit Bein.“, aber für diesen verhonepipelnden Scherz hatte der philosophierende R. in diesem Augenblick keinen Sinn.
„Ja schon recht, aber gut,“ befand der Konzeptkünstler, „ich meine, die Dinge müssen benannt werden. Die Welt ist voller benannter Objekte. Erst dadurch, dass man Begriffe prägt, entsteht die Welt. Unbenanntes ist fad, es hat keine Würze, keinen Biss, keine Eigenschaften.“

Der Konzeptkünstler war so tief versunken in seine Gedanken, dass er sie laut aussprach und ich, der hier nur zufällig vorbeikam, allenfalls die Rolle eines Beichtvaters spielen konnte.

„Die Wiese zum Beispiel“, versonnen blickte er aufs frische Grün, „was war eigentlich, bevor es den Begriff Wiese gab?“ – „Für das erlebende Wesen existierte sie nicht,“ antwortete er, „und genauso ist es mit Waschmittel.“

„Waschmittel?“

„Ja, Waschmittel. Es braucht einen Namen, Persil zum Beispiel. Erst dann kann man es mit Eigenschaften ausstatten. Und erst wenn es Eigenschaften hat, kann man sie hervorheben und dafür werben. Oder der Himmel …“ so sprach der Konzeptkünstler und ich nutzte die versonnene Minute, in der er ins dichte Dunstwerk starrte, um leise zu entkommen.

Später brachte ich seine Gedankenspiele mit seiner Kunst, dem Steinestapeln, im Zusammenhang und ich vermute nun, er macht das, weil er auf der Suche ist nach dem einzig unbenannten Ding in der Welt. Dem Ding ohne Eigenschaften.

Das Problem scheint allerdings: Die Benennung der Dinge und ihre Ausstattung mit Eigenschaften geht Hand in Hand mit dem Wissens- und Erlebnisbereich des (benennenden) Menschen. Will sagen: auf der Suche nach dem Nichtvorhandenen wird der Konzeptkünstler das Nichtvorhandene benennen (wenn er es nicht tut, tut es ein anderer) und es ist fürderhin vorhanden – eine echte Syssiphos-Arbeit.

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