Planet der Tacker

„Über kurz oder lang musst du den Tackerjob aufgeben“, schockiert mich Konzeptkünstler R. Er ist Unternehmensberater, er muss es eigentlich wissen. Gerade hatte ich ihm die Geschichte von der täglichen Firmenpotenzierung erzählt:  „Verlässt man abends die Tackerwerkstatt und kehrt morgens verschlafen zurück, ist sie doppelt so groß, es arbeiten dort doppelt so viele Leute, so geht das seit Jahresbeginn und ich fürchte, bei der 64ten Firmenverdopplung wird es auf der Welt nur noch Tackerwerkstätten und nur noch Tacker geben. Ist eigentlich wie mit dem berühmten Schachbrett, auf dessen erstes Feld, A1, man arglos ein Reiskorn legt. Die VonFeldZuFelde Verdoppelung führt dazu, dass man beim 64ten Feld, H8, die Erde in einen Planet der Reiskörner verwandelt hat und alle müssen ersticken“.

Genug der Mathematik.

Ich erzähle weiter: „Wie ich so morgens in die verdoppelte Firma komme mit den verdoppelten Mitarbeitern, hat es sich ein Nähmaschinenverkäufer bequem gemacht auf meinem Arbeitsplatz. Ungerührt nehme ich den Tacker und beginne mein Tackwerk. Aber den Mann, um den sich die gesamte Firma geschart hat, interessiert das gar nicht. Ungeniert redet er einfach weiter: „Dieses Modell hat den Vorteil, dass sie selbst im besoffenen Zustand noch nähen können, die Nähte werden trotzdem gerade“, erhebt er die Stimme. Nicht dass die Kollegen und Kolleginnen an seinen Lippen hängen würden, sie gähnen, sie bewundern mich, dass ich so ignorant tackere. Erst jetzt stelle ich fest, dass der Nähmaschinenvertreter sich mit Handschellen an der Heizung festgekettet hat.“Er ist seit Stunden hier, er macht keine Anstalten, jemals zu gehen, er hat den Schlüssel verschluckt!“, gibt mir Kollege T. einen Wink und raunt mir ins Ohr, „Herr, erlöse uns von den Nähern, denn sie nähen nicht, sie schneidern nicht und Gott ernährt sie doch.“ Was genau er damit sagen will, begreife ich nicht. Der Nähmaschinenvertreter wirft uns einen bösen Blick zu, wie etwa ein Lehrer, dessen Unterricht man gestört hat.“

„Du spinnst“, sagt Unternehmensberater und Konzeptkünstler R., „das ist typisch. Weil du deine Kunst nicht verwirklichen kannst, oder besser gesagt, dich nicht traust, zu faul bist, wasweißich, und weil du drauf und dran bist, dein Schicksal als Werktätiger anzunehmen, erfindest du solche Storys, malst dir eine wunder-wander-Blümchenwelt. Was ist mit den schönen Dingen, mit deinem Inneren, mit dem Wahren, mit dem, was nie ein Mensch zu sehen bekommt? Wenn nicht du-du-du, du allein es nach außen bringst, es sichtbar machst, wer soll es dann tun? Weißt du überhaupt was du da machst?“, schimpft Konzeptkünstler R. Ich zucke die Schultern, versuche unschuldig zu wirken. „Du vernichtest gerade  dein gesamtes Potential. Du bist ein Verbrecher, ein Mörder im bizarren Guerilliakrieg zwischen Werktätigkeit und Kunst, du bist im Begriff, dich für die falsche Seite zu entscheiden, ein Heulen mit dem Bösen ist dir wohl lieber, als ein stilles Gebet mit den Guten, ha! Was ist bloß aus dir geworden?“

Last Exit Q

Morgens denke ich darüber nach, ich sollte endlich mal einen finalen Artikel schreiben, mit dem ich das Blog beende. Irgendwas Markantes, ein Meilenstein, ein leuchtender Stern am Bloggerhimmel, eine Supernova. Ich stehe unter der Dusche und wasche mir die Achselhöhle mit einem Lavasand, den es nur auf den Kapverden gibt. Geschmack Lavendel. Jawoll, Mann, Mann, Mann, hast seit letzten November oder noch länger nix mehr Relevantes geschrieben, nur eine Serie von Notfallartikeln, wie sie einem Kreuzfahrtschiffkapitän gut anstünden, der nach nächtlicher Havarie ein Schott ums andere schließt, um sein‘ Kutter zu retten. Aber hee, Mann, das hier iss ja kein Kreuzfahrtschiff und du bis‘ kein Kapitän. Wie also sollte der letzte Blogeintrag lauten? Ich stelle das Thermostat der Dusche kurzfristig auf 15 Grad, um meinem Hirn den nötigen Schock zu versetzen, die letzten Worte zu finden, reibe mit einem Naturschwamm die Schulterblätter und kümmere mich anschließend um die Ellenbogen. Die Ellenbogen und die Schulterblätter werden beim Duschen nämlich allzu gerne vernachlässigt, weshalb so viele Menschen Schulterblatt- und Ellenbogenprobleme haben.

Mit einem Q, schreie ich, jawoll, mit einem Q soll der letzte Blogbeitrag enden. Es gibt keinen besseren Buchstaben, als das Q, um ein Blog zu beenden.

Ha.

Nun – spätabends, nochimmer riecht mein Bizeps nach Lavendel und die Schulterblätter ducken sich dankbar unter dem achten Halswirbel – wird mir klar, dass das verdammt schwer wird, ein Blog zu beenden, wenn der letzte Artikel mit einem Q enden soll. Verflixt aber auch.

(Dann schreib‘ ich hier mal son wunderbarn Stuss, der mir grad nach langem harten Arbeitstag durchs Hirn geht)

Reni du bis tran

reni-du-bis-tran

Lange bevor es Weblogs gab, wussten die Menschen schon, wie sie ihre Gefühle öffentlich ausdrücken – ca. 2000 Pasteurstraße Ecke Ehrlichstraße, Zweibrücken.

Gegenüber auf dem Kreuzberg hatte man die letzten Stühle aus den Militärbaracken geräumt. Wenig später sollten sämtliche Gebäude aus der Nachkriegszeit abgerissen werden.

stuehle-xberg

Zehn Jahre danach

Ist eigentlich nicht meine Art, in die Vergangenheit zu schauen. Aber aus künstlerischen Gründen scanne ich derzeit das Fotoarchiv aus analogen Zeiten. Meine konsequente, beinahe sture, autistische Art kommt mir zu Gute und ich habe nicht nur Ansichten von äußerst interessanten Orten gespeichert, die heute ganz anders aussehen; ich habe diese Orte auch über mehrere Jahre beobachtet. Zum Beispiel den Birnbaum vorm einsamen Künstlergehöft, den eingefleischte (bzw. eingepflanzte, falls VegetarierInnen) BloglerserInnen nur zu gut kennen. Unten: das erste Bild des  Jahrtausends, welches ich am 1. Januar 2000 mit starken Kopschmerzen bei einem kalten Spaziergang runter in die Stadt gemacht habe:

birnbaum-01012000

Bemerkenswert: ich habe extra auf dem Film notiert, dass es das 1. Bild des Jahrtausends ist. Kann man mal sehen, zu welch Spinnereien einen der Zeitwahn und Datumsfetsichismus erzieht. Unten der gleiche Baum im Jahr 1997, aufgenommen während einer Fahrradtour von Mainz nach Dijon mit Zwischenhalt in Zweibrücken. Es ist nicht das erste Birnbaumbild, aber vermutlich das zweite.

birnbaum1997

Schön, der kleine Busch zur Linken, nichtwahr? Ich weinte, als man ihn schredderte.

Brisanter dürfte meine Kreuzbergbeobachtung seit ca. 1999 sein. Damals war das Gelände der heutigen Fachhochschule im regen Konversionswahn begriffen. Beinahe täglich wurden Bäume gefällt, Rohre verlegt, Gebäude abgerissen und die Straße verlegt, sowie Kreiverkehre, ohjeh.

Unten: Amerikastraße von Norden Richtung Fachhochschule blickend, links eine abrissreife Militärbaracke, ganz rechts das neue Gründerzentrum, vorab rechts das Lauterbach-Gebäude. Alle Bäume im Bild wurden gefällt, dafür Rosen und weiter im Hintergrund neue Bäumchen. Insbesondere um den schönen schwarzen Baum im Vordergrund tuts mir leid (ich weinte, natürlich).

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Travers – Zweibrücken 2001

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Altes Archiv scannen. Hier eine re-Montage von gescannten Einzelbildern mit dem wunderbaren Gimp-Filter „Filmstreifen“. Bilder aus August 2001, während eines stundenlangen Gewitters auf dem San Bernardino Pass. Die Reise führte von Travers via Lausanne, Simplon, Centovalli, San Bernardino, Chur, Heidiland, Liechtenstein, Rheinroute, Straßbourg nach Zweibrücken.

Neben Zweibrücken – Andorra zweite, wichtige, unveröffentlichte Kunststraße.