North Sea Cycle Route alle 10 km ein Foto

701 Fotos rund um die Nordsee. Aufgenommen in Abständen von je zehn Kilometern. In Originalgröße hätte das Konzeptkunst Bild eine Pixelbreite von etwa 55.000 Pixeln, genügend für ein ca. neun Meter breites und hohes Wandbild.

Da die Rechnerkapazität (4 GB Arbeitsspeicher, Rechner aus dem Jahr 2008) nicht reichte, um das Bild in Originalgröße zusammenzusetzen, wurden die Einzelbilder auf ein Achtel der Originalgröße verkleinert. Mit den Linux-Programmen ‚Montage‘ und ‚Convert‘ wurden sie auf die Bildtafel gesetzt.

North Sea Cycle Route Kunststraße

Boulogne-Zweibrücken

Kunststraße. 670 km lang, alle 10 km ein Bild in beide Richtungen. Die geraden Spalten (2-4-6 …) zeigen die Vorblicke mit Zufallsfilter aufgenommen, die ungeraden schauen mit konstanter Filtereinstellung zurück. Das Original ist über 30.000 Pixel breit, was die Ausbelichtung auf etliche Meter Größe ermöglicht. Ich musste die gute alte Linuxkonsole bemühen, um es ausrechnen zu lassen (Montage und Convert kamen zum Einsatz). The Gimp hat die finale Kleinrechnung auf 2048 Quadratpixel erledigt. Die letzten sieben Fotos der 12×12 Bildtafel sind die Abdrücke einer längst verstorbenen Katze im Beton vorm Irgendlink’schen Atelier in Zweibrücken.

Die Gesamtstrecke Ums Meer wird aus 28×28 Bildern bestehen.

Angenehmer Zufall: das kurze Stück der Radelstrecke, das ich auf der N2 verbrachte, und auf dem ich partout nicht von der Straßenmitte fotografieren konnte, liegt genau in der Mitte von Zeile fünf.

Nur das allererste Bild hat keinen Rückblick. Am Beginn schaut man nicht zurück, gibt es keine Vergangenheit.

Aufnahmen in zehn km Abständen

Ums Meer – der Film. Animierte Slideshow der North Sea Cycle Route bei Youtube

Nach fast 12-stündigem Upload geht der Film „Ums Meer“ am 17. August 2012 online. In erträglicher Qualität. Die geheimen Originaldateien sind um einiges ruckelfreier. Ich bin mit der 14:42 minütigen Youtube Version höchst zufrieden. Die Originale sind (hoffentlich) nun in Hollywood (oder Santa Monica) auf einem iPad eingespielt und werden auf dem bis dato größten Festival für mobile Kunst in Los Angeles gezeigt.

Laut Puuuuuuh. Schweiß-von-der-Stirn-wisch. Der Filmbau war gewiss nervenaufreibender, als die vier Monate Radeln um die Nordsee.

Nun realisiere ich, dass ich in der Lebensmitte angelangt bin. Aber das ist eine andere Geschichte. Zu bloggen. Demnächst in diesem Theater :-)

Gute Nacht Johnboy.

Der Mensch

Die Zukunft liegt im Mensch. Ich hab ihn vernachlässigt. Ich musste ihn vernachlässigen. Ich hatte keine Zeit.

Die Radtour um die Nordsee hatte ab Itzehoe eine unerfreuliche Geschwindigkeit erreicht. Ab Emden musste ich meine Tagesetappen per Radel auf etwa hundert Kilometer steigern, um die Runde halbwegs logisch zu Ende zu bringen. Eine pure Kopfentscheidung. Teile die Distanz, die dich von zu Hause trennt durch die Anzahl der Tage, die dir zur Verfügung stehen. Fummele irgendwas mit Distanzen. Da bleibt keine Zeit mehr für Mensch.

Dabei hätte alles so spannend werden können. Schon im April, als ich gerade mal durch England ackerte, hatte Engelbert von Seelenfarben in seinem Blog aufgerufen, Übernachtungsgelegenheiten und geheime BloggerInnentreffen zu arrangieren, falls ich es tatsächlich schaffen könnte, mit dem Fahrrad die Nordsee zu umrunden. Eine schöne Überraschung sollte das sein mit echtem rotem Teppich entlang der gesamten deutschprachigen Nordseebloggosphäre. Viele seiner Leserinnen und Leser hatten sich auf diesen Aufruf gemeldet, dass ich doch bei ihnen vorbei schauen könnte. In Sarpstorp (Norwegen) sogar, und in Husum, in Sankt Michaelisdonn, in Cux- und Wilhelmshaven und wo-weiß-ich noch. Ein roter Teppich aus lieben Menschen an der gesamten deutschen Nordseeküste und ich habe mich durch ganz Dänemark riesig gefreut auf die Reise durchs Seelenfarbenland (Seelenfarben ist Engelberts Kernpräsenz im Internet, hat etliche tausende Fans).

In Deutschland holt mich dummerweise die Realität ein. Als langsamer Radler hat man gegen die schnelle Realität keine Chance. Schon habe ich einige Treffen vereinbart. Gabi in Sarpstorp schaffe ich schon nicht. Mit Karen und Carsten in Sankt Michelisdonn kann ich mich gerade so noch treffen und alle anderen „Termine“ sage ich klammheimlich ab, weil ich ab Deutschland wegen der Zeitknappheit hundert Kilometer am Tag radele. Freiwillig. Es tut ein bisschen weh, keine Zeit zu haben. Ich realisiere, dass das ganz normale Alltagsleben, das in den vielen Wochen, die ich um die Nordsee geradelt bin, klammheimlich immer noch vor sich hin getickt hat. Klare Kopfentscheidung: wenn ich die Nordseerunde radelnd zu Ende bringen will, sprich, der Küste rund ums Meer bis Boulogne folgen will und zu guter Letzt die knapp siebenhundert Kilometer bis Zweibrücken schaffen will, muss ich sputen. Da bleibt keine Zeit mehr für persönliche Begegnungen. Da kann ich nicht einfach mal so einen halben Tag hier Kaffee trinken und Schwätzchen halten, eine Nacht dort verbringen und tiefgründende Gespräche führen. Klare Kopfentscheidung: Meide den Menschen. Meide das Persönliche. Eine faire Entscheidung, wie ich finde. Ich will nicht einfach so bei den fremden Leutchen aufschlagen und übernachten und ein Frühstück einnehmen und weiterradeln. Das wäre einfach nicht gerecht. Das wäre sogar unverschämt. Also ist die einzig richtige Wahl die Einsamkeit. Bringe die Nordseerunde schnell, präzise und alleine zu Ende. Ohne gehetzt bei Fremden lieben Menschen zu Besuch zu sein.

Immerhin gab es dennoch menschelnde Kontakte zwischendurch, die sozusagen on-the-fly einfach so passierten. In Holland etwa verbringe ich einen ganzen Morgen mit Henriette und Michelle auf einem Minicamping. Kurz vor der belgischen Grenze. Auch die Zeit mit Monsieur Quehen im ehrwürdigen Saal des Standesamts in Boulogne sur Mer ist mir in bester Erinnerung. In den Stakatophasen des Speedlifes ist stets auch eine Nische für Ruhigeres. Aber geplant irgendwo sich zu verabreden, meine Lieben, das wäre in der Tat eine kleine Schandtat gewesen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei all denen entschuldigen, die ich nicht treffen konnte auf der Reise, bei Dir lieber Engelbert, der Du die Sache angeleiert hast, und bei all jenen, die sich gemeldet haben, um mich zu „begasten“.

Aufgeschoben ist nicht … ihr wisst schon. Die Zukunft lebt bekanntlich durch ihre Gegenwärtigkeit und die Gegenwärtigkeit lebt durch ihre verschwenderische Hingabe an die Zeit. Kurzum. Du, Mensch, bist es wert, dass man dir ein gebührendes Maß an Zeit widmet.

Daran arbeite ich. Ich bin gespannt auf Dich.

Die Zukunft liegt in der Gegenwärtigkeit

Das Künstlerleben hat wieder begonnen. Oder setzt sich fort. Aus dem Nichts puffen Ausstellungsangebote und vergehen wieder. Fast wie Denkblasen in Comics. Der Film für LA ist fertig. Gut geworden. Journalist F. diagnostizierte, man könne ihn sogar an Arte schicken. Ich bin skeptisch. Aber das Kompliment tut gut. Zwei Versionen habe ich auf den Server gepackt. Jeweils über 500 MB groß, damit man es in den USA downloaden kann. Liebend gerne würde ich die Links verraten. Aber ich habe Sorge, dass bei einem Download von vielleicht dreißig-vierzig Mal, die Amerikaner nicht zum Zug kommen. Das gute alte Ressourcen Problem. Zu wenig Bandbreite. Zu wenig Energie. Zu wenig Lust. Zu viel, was gleichzeitig geschehen könnte. Auch gibt es Verlagsanfragen für das Nordseerundenbuch. Skepsis auch hier. Längst legt mein Gedankenschiff schon wieder ab und ich formuliere den Spruch: Die Zukunft liegt in der Gegenwärtigkeit. Ich räume auf. Lösche die hunderte MB großen Filmdateien der Versionen Eins bisVier (die fünfte ist endlich gut genug) vom Computer und schicke noch etliche tausend Fotos hinterher. Überblick? Gibt es nicht. Es gibt nur noch die Straße. Mit der komme ich zurecht. Ein seltsames Horroszenario des eigenen Daseins zeigte mich als Mensch, der alles verloren hat: SoSo hat mich verlassen (nur so eine Wahnvorstellung, zum Glück), die armen Eltern sind tot (auch eine Wahnvorstellung, glücklicherweise), aber wenn das Szenario eingetreten wäre am Ende der Ums Meer Reise, was wäre geschehen? Eine Rückkehr in ein verwüstetes Leben. Ich wäre weiter geradelt bis anś bittere Ende des Mobilfunkvertrags, hätte den Privatbankrott irgendwo mitten in Frankreich gefeiert und wäre ohne jegliche Verbindung ins weltweite Netz weiter geradelt. Ein Mann, der alles verloren hat und trauernd aber lebend durch die Lande zieht. Ohne Ziel.

Ein Kunstwochenende, letztens mit der Künstlergruppe Prisma, die mich während meiner Abwesendheit aus Zweibrücken adoptiert hatte, bringt mich unter die Leute und ich blättere im Fotobuch von Künstlerkollege N. Es zeigt unter anderem eine Serie von sehr intimen Nahportraits gescheiterter Männer, die er auf der Straße fotografiert hat. Großartige Fotos von gezeichneten, bärtigen Gesichtern. Immer, als die Frage kam, wie es so weit kommen konnte, wie sie auf der Straße gelandet sind, hat Künstlerkollege N. den Auslöser betätigt. Knallhart. Ganz starker Tobak. Und wie ich so die Seiten blättere, wird mir klar, dass das Allerweltssschicksale sind. Jeder könnte betroffen sein. Im Lauf meiner fluffig leichten Europenner-Karriere habe ich etliche solche Typen getroffen auf den Straßen dieser Welt. Abgründe menschlichen Scheiterns. Herrlicher wie-hieß-er-noch-gleich, ich habs aufgeschrieben am Rigole in der Nähe von Toulouse, er lehte an einem Baum an dem kleinen Kanal und aß ein Stück Brot und fütterte seinen kleinen Hund mit Soucison sec. Geld verdiente er mit Singen auf dem Markt in Castelnaudary. Und die drei Kerle vorm Dom in Speyer – wann wars? 1991? – die mich ermahnt hatten, pass auf deine Schuhe auf! Schuhe sind wichtig! Putze sie! Sie sind das, was dir Halt gibt. Und ich lachte und radelte durch den Winter bis fast nach Alicante.

Wie wenig es braucht, in den Abgrund zu stürzen! Eben noch tanze ich auf den Bühnen und lasse mich – zu Recht – feiern für die wunderbare Ums Meer Reise, und schon bin ich ganz unten. Nein nein nein. Es ist noch nicht so weit. Vielleicht bin ich auch nicht der Typ für das langsame stille Ende auf der Straße. Ich hab einfach immer zu viel Glück. Ich werde immer gerettet?

Wie sieht es hier aus? Ich sitze im Künstleratelier, das einmal ein Kuhstall war. Zwei PCs rechnen Daten. Die knapp bemessene Internetverbindung kracht an allen Ecken und Enden. Das iPhone rechnet auch und bringt sich auf den neuesten Stand, damit ich neue Reiseprojekte darauf speichern kann. Das Bankkonto dümpelt haarscharf im Plus. Eben erreicht mich die Nachricht eines Ausstellungskurators in Brüssel, dass die Ausstellung gecancelt wurde. Da wird mir klar, wie zerbrechlich und angreifbar die neue Kunstrichtung ist. Die Mobile Art Bewegung, ha! Sie lebt von Luft, von Leichtigkeit und von großen Worten, die mal eben schnell auf Facebook dahin geschnoddert werden. Genauso schnell, wie du ein Projekt hinaus posaunst, stampfst du es auch wieder ein. Es würde mich nicht wundern, wenn das Festival in LA, auf dem der Film „Ums Meer“ gezeigt wird, auch noch in die Knie geht. Nur zwei Tage vor der Eröffnung (ganz ehrlich: an mir soll es nicht liegen. Der Film ist fertig. Und gut. Ich hab meine Arbeit getan).

Fazit ist, dass doch nur wahr ist, was sich in unmittelbarer Umgebung befindet: du selbst, dein Computer, der dir diese Zeilen anzeigt, die Gefühle, die dir das Gelesene vermittelt.

Habe Katze! Katze frisst. Und in der Nacht kriechen die Igel aus dem Gehölz und bemächtigen sich des übrig gebliebenen Katzenfutters. Igel von Katzes Gnaden sozusagen. Meine Lieben. Das ist wahr! Es gibt nur mich hier. Der ich diese Zeilen hacke, schnell und ohne groß nachzudenken. Ein Abgetippsel aus dem eigenen Hirn. Kümmere dich nicht, ob es interessiert. Tu es! Durch die Glasfront, die nach Süden zeigt, starre ich ins Schwarz der Nacht. PC zwo dudelt Musik. Ein bisschen CPU-Kapazität gebe ich für die Unterhaltung frei.

Was auch immer geschieht mit den Kunstprodukten, die ich in der letzten Woche wahr gemacht habe, sie bringen mich auf neue Ideen. Das Bild, das ich für die Ausstellung in Brüssel, die abgesagt ist, gemacht habe lade ich in diesen Artikel (es war schon im April online, nun in hoher Auflösung remixed). Den Film schicke ich nachher zu Youtube und verrate Euch den Link, wenn er hochgeladen ist.

Neue Schandtaten stehen in der Warteschleife. Und der gute alte Owner hat mich auch angemailt. In seiner kruden Betreffszeilen-Knappheit: „Hey! Meldest du dich mal! Wollte mit dir sprechen! Grüße!“, steht in der Betreffszeile. Sonst ist die Mail leer. Das mag ich. Ich verspreche ihm, mich morgen früh zu melden. „Liebgrüß“ schreib ich auch noch.

Das Leben ist nicht besonders rosig nach der langen Reise um die Nordsee. Manchmal hätte ich Lust, mir einen Bart wachsen zu lassen, das iPhone wegzuwerfen, eine Gitarre zu kaufen und in Fußgängerzonen um Geld zu jaddeln. Oder weiße Farbe ins Gesicht und als lebende Statue etwas dazu zu verdienen.

Die längst hier gezeigte Datei, die auf der gecancelten Ausstellung in Brüssel gezeigt werden sollte, lade ich nun nicht nochmal hoch. Beigefügt der Aufkleber, der hoffentlich übermorgen neben dem iPad mit dem Film über die Nordseerunde prangt in Santa Monica.

Aufkleber zur Demonstration des Filmclips
Aufkleber zur Demonstration des Filmclips über die North Sea Cycle Route