Das Scheitern-Paradoxon

„Wer früh scheitert, erspart sich einige Mühe“, habe ich einmal gesagt.

„Wer nicht scheitert, ist am Scheitern gescheitert“, muss ich hinzufügen.

Die Mühen, die entstehen, wenn man nicht rechtzeitig scheitert sind exorbitant.

Gestern beim großen Toben des Kunstclubfestes lief alles glatt. Mr. Irgendlink war Everybodys Darling. Man versuchte ihn zu verkuppeln. Mal mit Anwältinnen, ein Andermal mit den Enkeln alt gewordener Doktoren.

Vernünftiger Weise sagte ich nein und kümmerte mich um die Inponderabilien eines Straßenfestes.

Der Maler Kuhn gastierte in der Stadt und war in seiner 40-jährigen Künstlerlaufbahn bass erstaunt, wie groß der Zuspruch für seine Kunst war.

QQlka kommentierte Kuhns Col-Art spitzfindig: „Eine neue Kunstrichtung, die vor 40 Jahren erfunden wurde.“

Zurück zum Scheitern: ich saß vorhin auf dem Freiland-Sofa unter dem Vordach und betrachtet die isländischenn Wolken, wie sie tief hängend und regenschwanger über den kleinen Bergrücken Weiße Triesch schwappten. „Ein gutes Leben“, dachte ich, „alles stimmt, die Zukunftsaussichten sind rosig wie die Stadt.“ – „Vielleicht sind sie gaulig wie die Stadt“, fügte ich rein gedanklich hinzu. Ich bin ein Kind des Aufschwungs, eine gierige Natter am Busen der Konjunktur und das einzige Problem an der Sache, das kann jeder Radfahrer bestätigen: wo es aufwärts geht, geht es auch irgendwann wieder hinunter.

Alp d’Huez des gelebten Lebens. Man sollte den Moment genießen, in dem man sich den Schweiß abgetrocknet hat und hinunter schaut in die Schlucht.

Schreibe diese Dinge. Die Wahrheit ist frappierend, vielleicht sogar unterhaltsam. So dass ich überlege eine uralte, geheime Domain zum Blog umzufunktionieren und fürderhin anonym die Schrecken eines Kulturschaffendenlebens zu schildern. Von Intrigen würde die Rede sein und davon wie gestandene Männer von Bierbänken fallen, ohne sich dabei zu verletzen, von den unerfüllbaren Forderungen kleiner Frauen, vom Protektionismus und wie er die Zwischenmenschlichkeit unterwandert.

Zurück aufs einsame Gehöft. Wir sitzen natürlich draußen unter dem Vordach auf der Couch und im Hintergrund bleckt die ewige Baustelle. Kalte Luft bläst südwärts. „Ein Islandsommer“, sage ich zu QQlka, und erinnere mich still an die Zeit auf der Insel. Die Schutzhütte auf dem 600 Meter hohen Öxi-Pass im Westen der Insel fällt mir ein, und wie ich sie vollkommen erschöpft, mehr schiebend als radelnd erreichte. Eine windige Nacht habe ich in den schmalen Kojen verbracht und als ich morgens zum Pinkeln vor die Hütte trat, stolperte ich über eine der vier Schiffsketten, mit denen die gesamte Hütte am Boden verankert war. „Mann, muss hier der Sturm manchmal pfeifen“, dachte ich. In den Hängen ringsum schimmerten Schneefelder. Ich war mutterseelen allein und starrte nach Süden zum Meer. Dicke Wolken drängten den Berg hinauf. Minuten später stand ich im Dunst, ging zurück in die Hütte, kochte Tee, dachte über das Leben nach: es ist gut, das Leben, immer spannend, es schmeckt nach Meerluft, nach Ferne, nach Wind und Eis, lang ist es, das Leben; und nun, da ich dies schreibe, weiß ich, dass es damals lang war, heute immer noch lang, aber 15 Jahre kürzer.

So wälzt sich die arktische Luft über das einsame Gehöft und macht mich erinnern. Und ist gleichzeitig ein bohrender Zeigefinger in der Leistengegend, wie wir das als Kinder manchmal getan haben, um uns zu necken oder auf etwas aufmerksam zu machen: Mach weiter, Mann, Scheitern hin, Scheitern her, ums Scheitern wirst du wohl nicht rumkommen, aber mach weiter, denn Weitermachen füllt den Raum mit Farbe, lässt alle Facetten schimmern, bringt dich in ungeahnte Sphären, hin zum großen Unbekannten, welches immer immer immer größer ist, als das Bekannte.

Hey, und das ist es doch wert, allemal.

Es gibt keine Glühwürmchen, ich schwörs!

Vorhin auf der Freilandcouch, nicht wirklich müde. QQlka presst Johannisbeeren, will sie zu Wein machen. Katzter ruht auf dem Sofa. Der Mond funkelt. Niemand wagt es, über Glühwürmchen zu sprechen (aus Angst in die Klapse eingewiesen zu werden (siehe Eintrag vor ein paar tagen)). Plötzlich gleisendes grünes Licht. Eine Taschenlampe wackelt auf uns zu. Zuvor hatte man im Wald einen Schuss gehört. QQlka bricht das Schweigen und flüstert: „ein Glühwürmchen.“ Mitleidig lächele ich: „Jajaaa, und es trägt eine Flinte auf der Schulter.“

Da taucht schon mein Schwager auf mit dem riesigen Fernglas um den Hals und einem toten Fuchs im Schlepptau.

Die Glühwürmchenmärchen ist also immer noch ein Mythos. Es gibt keine Glühwürmchen hier auf dem einsamen Gehöft, nur Jäger, die so aussehen wie Glühwürmchen.

style=”baugeschichte:embedded; tagebuch:einfachso; pipapo:#c0c0c0;”

Wie es hier aussieht. Das einsame Gehöft liegt unter trägen Wolken. Jemand hat Regen gemeldet. Darauf warte ich jetzt. Die Pappeln im Westen zittern. Mein Schwager, der Jäger wird sich nachher in den Hochsitz bequemen um einen Fuchs zu erschießen. QQlka, der mal kurzfristig unterwegs war, ist wieder eingetrudelt. Er näht an der ewigen Hose. Eine uralte Jogginghose mit ausgebeulten Knien und unzähligen Löchern. Sie ist ihm lieb und teuer. Vielleicht ist er Hosenfetischist?

Die Knie verstärkt er mit Leinen. Das sieht schick aus, wenn es weiß durch den ansonsten schwarzen Stoff schimmert. Ein geradezu mantrisches Dasein, wie er unter dem Vordach auf der Freilandcouch sitzt. Katzter liegt in der Ecke. Journalist F. hat wieder einmal die Wahrheit geschrieben über das unsäglich gefräßige Vieh. Ein echter Sonntag ist das heute. Wenn mein Leben ein Fluss wäre, dann wäre es sicher der Rhein zwischen Mannheim und Worms. Ungebremst, langsam, gemütlich, ruhig. Wären da nicht die Lastkähne, die auf mir rumschipperten und für Unruhe sorgten. Ich fordere ein Sonntagsfahrverbot auf dem Rhein des gelebten Lebens!

Vorhin im Wald spaziert und das Totholz betrachtet. Seit mein Vater die kroatische Winde ersteigert hat, ist er ununterbrochen in der Schlucht und zerrt viertonnenschwere Eichen und Douglasien auf den Weg. Das passt mir insofern nicht, als ich eigentlich vor hatte, den Raupenfahrer M. zu engagieren, den schmalen Waldweg zu verbreitern.

Ich kann einfach nicht mehr mit ansehen, wie mein Vater den 50er-Jahre Porsche Traktor auf zwei Rädern durch die Schlucht steuert. Er lenkt das Ding, Vorderräder in der Luft, indem er die Hinterräder einzeln bremst. Irgendwann geht das schief.

Zustände herrschen hier. Das Gehöft ist eine 50-jährige Baustelle. Nie ist etwas fertig geworden. Die Stallwände zum Beispiel, immer noch unverputzt. Alles was ich anpacke perlt blasengleich wie in einer Sprudelflasche. Blasen der Ordnung im Chaos. Aber vielleicht ist das Leben generell so: man leiert Projekte an und beginnt und stellt irgendwann fest, das Ding ist zu groß und es gibt so viel Neues, was man auch noch tun könnte und so häufen sich die Baustellen. Davon träume ich: eines schönen Tages alle Projekte zusammen zu bringen – im Prinzip gibt es ein Masterziel, das erreicht werden kann und wohl auch wird. Der Weg ist lang und von krähenfußähnlich grinsenden Irrwegen begleitet.

Wenn man zurück blickt, kommt einem alles, was man getan hat logisch und konform vor. Aber man befindet sich ja dummerweise in der Gegenwart und in der Gegenwart sind die Bausteine wirr verstreut, man muss suchen, fummeln, fügen, so entsteht Ganzes im Angesicht ungewisser Zukunft.

Die Stadtlinks besuchten mich gegen Fünf. Man debattierte über den örtlichen Kunstclub, schmunzelnd ob der Rivalitäten.

Ich weiß, dieser Eintrag ist krasse Tagebuchtechnik, sprunghaft – am Besten, die geneigte Leserschaft stellt sich ein Haus vor, das noch nicht gebaut ist. Häuser, die noch nicht gebaut sind, durchleben diverse Stadien: Zuerst existieren sie als vager Entschluss in den Köpfen der Bauleute. Kann ein paar Monate dauern, bis das Geld zusammen gekratzt ist, Baugrund gefunden, und die Bauleute – in der Regel Ehepaare um die 30 – schon ein gewisses Bild vom Häuschen haben. In Stadium Zwei geben sie ihre Träume dem Architekten. Der rechnet, zeichnet, printet und kommt zu Beginn von Phase Drei in die Mietswohnung der Bauleute, rollt die Pläne auf dem Tisch aus und erklärt ihnen den Grundriss, dramaturgisch sinnvoll, denn mit dem zweiten Plan entrollt er die schön gemalten Seitenansichten von Norden, Süden, Osten und Westen mit einem Bepflanzungsplan des Gartens, pi, pa und po.

In Phase Drei karren Laster Steine und Zementsäcke auf das Grundstück, eine leere Grube gähnt, ein Kran wird gestellt. Diese Phase ist nicht sehr ansehnlich – und somit für die Bauleute ziemlich aufregend.

Ich überspringe die dynamischen Zwischenphasen 4A, B und C, sowie Fünd, die aber durchaus ihren Reiz haben, weil sich auf Baustellen täglich etwas tut – von der Grundsteinlegung bis zum Richtfest. Und komme direkt zu Phase Sechs: das Haus ist fertig, die Mietswohnung ist gekündigt, Die Möbellaster rollen an und die Hütte wird eingerichtet.

Ein paar Jahre geht das gut bis zur Phase Sieben: Scheidung. Die Schulden sind erdrückend. Der Bauherr trinkt, die Baufrau amüsiert sich in Swingerclubs, Die Baukinder stehen unter Ritalin oder pöbeln.

Das Haus wird verkauft.

Das Schicksal der Bauleute verliert sich im Dunkel gesplitteter Familienzukunft.

Wie jetzt die Geschichte weitergehen soll, fällt mir gerade nicht ein, deshalb zurück aufs einsame Gehöft. (Ich hatte ursprünglich überlegt, die Baugeschichte zu extrahieren und als standalone Blogeintrag zu posten, aber das ist mir zu kompliziert.)

Das Einsame Gehöft ist seit drei Generationen in Linkscher Hand. Die Links haben es gebaut, sie haben es bewirtschaftet, sie leben nun in Harmonie zwischen Vöglen, Katzen, Bilchen und unheimlichem Gezücht, welches nächtens über den Hof streicht, keiner hat dieses Gezücht je gesehen. Ja.

Und das könnte immer so weiter gehen, denn die Scheidung vor Phase Sieben kann mir ja z. Zt. nicht passieren.

PS: Der Titel hat mir einige Schwierigkeiten bereitet, deshalb hab ich ein erfundenes style-Attribut benutzt, wie man es in HTML-tags benutzt.

Bauesoterik reloaded

Ist ja schon zehn Jahre her, dass ich zusammen mit QQlka auf mainzer Baustellen die Bauesoterik erfunden habe. Zum Spaß und um uns die Arbeit zu versüßen haben wir versponnene Ideen zum Thema Bauen entwickelt, saßen in den Pausen, in denen unser Gips, Zement oder Kleber „gehen“ musste auf dem Boden in einer Ecke und fabulierten: „Bodenleger sind horizontale Wesen. Wenn sie die Fußleisten anbringen müssen, welche sich aus der Horizontalen um zehn Zentimeter erheben, sind sie zum Scheitern verurteilt.“

Heute ein Comeback. Wir saßen nach getaner Arbeit bei Jaab in der Küche und schmierten Brote.

„Wenn du die Spachtelmasse so aufgetragen hast, wie die Butter auf dem Brot, dann sehe ich schwarz für unsere Arbeit,“ sagte ich.

QQlka schmunzelte, nahm ein Stück Wurst und ein Stück Schinken, schnitt gleichgroße quadratische Stücke und legte sie Fuge an Fuge aufs Brot: „So sind wir Fließenleger,“ sagte er, „alles was wir anfassen wird verfugt.“

Der Randschnitt an der runden Brotkante entlang ist ihm wirklich gelungen.

Die Bauesoterik ist eine Baustelle. Ich habe mal diese Domain registriert, mit der ich gerne was anfangen würde, skurrile Geschichten, aber das wird erstmal nix. Ich sollte wieder auf dem Bau arbeiten, das erhellt das Gemüt und füllt die Kassen.

Ein gut gefließter Boden ist auch viel schöner anzusehen, als W3C konformer Quelltext – last but not least könnte es sein, dass Bauarbeiten besser ist für den Rücken als Webdesign. Ich werde das testen, gibt ja genug zu bauen hier aufem Gehöft.

Rückenschule erste Klasse.

Gestern konferierte man wieder am Lagerfeuer. Das einsame Gehöft kommt mir manchmal vor wie der berüchtigte Bunker in der Bowery. William S. Burroughs Bunker. Man weiß nie, welcher Hungerleider neben einem sitzt, der später vielleicht weltberühmt ist. Mit uns Künstlern ist das seltsam. Wir sind so lange Dreck, bis wir vom Kommerz entdeckt werden.

Nun ist es natürlich illusorisch, hier draußen auf dem Land jemals berühmt zu werden. Man müsste in der Gemeinheit New Yorks leben und mit den schrillen Gestalten zusammen kommen, die sich im richtigen Moment als Konzernchef oder sonstjemand, der etwas zu sagen hat, enttarnen und rufen: „Hey Du, da machen wir was. Ein Buch, ’nen Film, eine Session, ich bring dich groß raus“, pi, pa und po.

Wir grillten Fleisch. Der Katzter strich um die Beine, Wir redeten Schwachsinn: „Schau mal, ein Glühwürmchen.“

„Hier gibt’s keine Glühwürmchen, du gehörst in die Klapse.“

„Nein wirklich, ein Glühwürmchen, sieh doch.“

„Pass auf, sonst bind ich dir die Jacke vorne zu und lass dich abholen.“

In der Tat gab es Glühwürmchen zur Nöche, aber wir redeten so lange von Irrrenhaus und Illusion, bis keiner mehr sich traute, zu sagen „Schau mal ein Glühwürmchen.“

Das ist wie mit dem Großen Wagen. Freund Leb musste von seiner Freundin so lange hören: „Sieh mal, der Große Wagen, ist das nicht romantisch,“ bis er sich von ihr trennte.

Zerredete Romantik ist wie Stille unterbrochen von unpassenden Tönen. Der stille Genuss ist außer Mode gekommen, dafür sorgt alleine schon der fingernagelgroße MP3-Player, den man sich allerorts in die Ohren stopft.

Noch früh. Die Stille unterm regenberieselten Dach in der Künstlerbude ist exorbitant. Heute steht dies und das an. Fließenlegen bei einem Freund, beigefarbene Fließen. Das sollte dem maroden Kreuz – ich nenne es nur noch den Vorfall – nicht schaden. Es tut nicht mehr weh. Die Rückenmuskeln warten darauf, gestärkt zu werden.

Noch so ein Schwachsinn, an dem man sich gestern Abend erfreute:

„Du musst in die Rückenschule,“ sagte jemand.

„Und ihr bringt mich dann am ersten Schultag dahin, nicht wahr?“

„‚türlich! Mit Schultüte“

„Und in der Schultüte ist Helium, wegen des Rückens?“

„‚türlich.“

Wir lachten.

„Im ersten Jahr Rückenschule lernt man wie man richtig etwas hochhebt.“

„Im zweiten Jahr erklären Sie dir die Hebelgesetze und im dritten Jahr kriegst du gezeigt, wie du andere dazu bringst, etwas für dich hochzuheben.“

Wir lachten erneut und die Stimmen mischten sich unauffällig mit dem Rauschen der Pappeln an der Westgrenze des einsamen Gehöfts.

Ein Gewitter lag in der Luft.