Ein winziger Kerl mit Zipfelmütze vor einer pechschwarzen Wasserwand, die im allerletzten Moment zum Stillstand gekommen ist. Wie Halbmond schwebt die Tsunamiwelle über dem Kerlchen. Ein Wachtraum. Seltsame Bilder zucken hinter den Augenlidern. Manchmal denke ich, ich müsste sie einfach nur abzeichnen, auf Papier bannen und fertig ist die Kunst.
Seit anderthalb Wochen permanent auf den Beinen. Unterwegs in Sachen Kunst. Zwei Urlaubstage verbringe ich auf der Autobahn, helfe Freund Sch. beim Umzug, gemeinsam mit Kollege T. im Siebeneinhalbtonner quer durch die Republik und zurück. Seit Kollege T. Tapasbar-Besitzer geworden ist und wir nicht mehr gemeinsam in der Möbelwerkstatt schuften, treffen wir uns nur noch selten. Wenn, dann zwischen Tür und Angel. Manchmal besuche ich ihn in der Bar, aber dann ist er im Dienst und ich bin Gast. Ein ungleiches Verhältnis. Somit sind wir auf dem LKW endlich mal wieder auf Augenhöhe und sogleich setzt sich die sarkastisch, liebevolle Humormühle wieder in Gang, die wir in den Jahren 2008 bis 2011 während langer, mantrischer Tackerstunden in der Möbelwerkstatt zubrachten. Der Umzug bei Sch. war eine Katastrophe: Nach sieben Stunden erreichen wir die Wohnung. Die letzten zweihundert Meter lotse ich T. durch ein Spalier aus Kleinwagen, durch das eigentlich kein LKW passt – ich auf der Straße, langsam rückwärts laufend, winkend, peilend, schauend, T. stets hoffend, dass eine handbreit Luft zwischen Laster und den Spiegeln der PKW ist. Eigentlich war geplant, nur den Laster zu fahren und das fünfköpfige Wohnungsschleppteam lädt, aber wie es so ist, der Umzug gerät zum reinen Chaos. Vieles liegt ungepackt in der Bude. Zudem ist kaum auszumachen, was Müll ist und was noch gebraucht wird. Sch. hat sich eine Taktik zurechtgelegt, die den LKW zum Platzen bringt: Alles muss mit, soll in der Zielbude, siebenhundert Kilometer südlich aussortiert und ggf. weggeworfen werden. Im Treppenhaus immer wieder Begegnung mit den anderen Schleppsklaven. Man scherzt – zu Anfang. Sch. hatte versprochen, dass jeder nur dreißig Mal hoch und runter laufen muss. So zählen wir mit und T. und ich entwickeln ein computerspielähnliches System, in dem wir Credits vergeben für das Schleppen besonders sperriger Gegenstände. Fürs Sofa etwa gibt es fünf Credits, wohingegen das arglose Runtertragen eines leeren, hundert Gramm leichten Pappkartons zu einer Herabstufung auf Level Fünf des „Spiels“ führt. Die filigran-fatalistische Art Humor, wie wir sie einst in der Tackerwerkstatt pflegten. Damals radelten wir gemeinsam jeden Morgen fünfzehn Kilometer in die Möbelwerkstatt, die behelfsmäßig in einem Zelt des Veranstaltungstechnikers untergebracht war. Abends radelten wir zurück und da wir östlich der Arbeitsstätte wohnten, hatten wir stets die Sonne im Rücken. So kam es zu der Erkenntnis, dass Helden, die östlich ihrer Arbeitsstätte wohnen, nie und nimmer Clint-Eastwoodesque in den Sonnenuntergang reiten können. Ein Kratzen am Mythos Westernheld quasi.
Nach fünf Stunden ist der LKW proppenvoll und die Bude immer noch nicht ganz leer. Der Packmeister schätzt das Gewicht auf neun Tonnen. Über den Reifen ist noch eine Handbreit Luft bis zum Schmutzfänger. Ich kalkuliere: wenn wir morgens beim Runterfahren vom Bordstein keinen Achsbruch erleiden, könnten wir es eventuell schaffen. Die Bullen dürfen uns nicht erwischen. Zum Abendessen gibt es eine Kiste lauwarmes Bier und zwei Dosen Erdnüsse. Zum Frühstück kratze ich den restlichen Kaffee aus der Dose, ein Spritzer Milch ist auch noch da.
Dienstags gelingt uns das Wunder von Oldenburg. Unbehelligt durchqueren wir die Republik mit dem kritisch beladenen LKW – obschon Kollege T. sich mit hemmungslosem Handytelefonieren und – ähem, das uralte Ding ist ungedrosselt und läuft über hundert – rigorosem Gaspedaldurchtreten auffällig benimmt.
Tja Liebling, so wäre meine Woche eigentlich schon ausgefüllt genug. Wäre da nicht die Kunst! Col-Art belegt ein ganzes Wochenende und so ganz nebenbei muss auch noch die BurkinArt Ausstellung organisiert werden, die ich meinem Freund Steph versprochen habe. Zwischendurch schreibe ich hauptberuflich Bewerbungen für diverse IT-Jobs oder Webdesign … insgeheim hoffe ich, dem elenden Kunstrummel durch ein Hintertürchen in die Lohnsteuerklasse Eins zu entkommen.
Heute ist der erste Tag mit „Luft“ seit langem.
Arena der Alphalastafahra
So begibt es sich dieser(heißerUrlaubs)tage, dass Herr Irgendlink der einzige ist im Loungemöbelimperium, der einen Laster mit V. I. P. Lounge nach Bayern steuern kann. Alle anderen sind in den Ferien und Kollege Sch. heiratet an diesem Wochenende. Mein Einwand, man könne ihm die Tour nach Freising doch als Hochzeitsreise schenken, fiel nicht auf fruchtbaren Boden.
Donnerstag. Mit 90 Sachen auf der A8. Mäßiger Verkehr. Alle Staus, vor denen das Navi blinkend warnt, lösen sich wie durch ein Wunder auf; einzig einer Nähe Legoland Günzburg hält sich hartnäckig, weshalb ich die vorgeschriebene Ruhepause eine viertel Stunde vorverlege.
Nur um danach ein grandioses Unterhaltungsprogramm in der Arena der Lasterfahrer zu genießen. Mit 90 und automatischem Geschwindigkeitsbremser fahre ich eigentlich auf den Kilometer so schnell wie alle anderen LKW. Die Tachos der LKW sind verdammt genau. Wo 90 steht ist 90 drin. Deshalb könnten eigentlich alle Lastafari glücklich sein, Peace, Mann. Abgesehen von einem Wormser Wohnmobilopi, der es sich in schulmeisterlicher
Manier erlaubt exakt 89 zu fahren, nervt mich niemand. Hinter dem Aichlberg kann ich ihn endlich überholen.
Das Land östlich der fast 800 m hohen Europäischen Wasserscheide, die die Wässer von Rhein und Donau trennt, ist hügelig. Schwere Laster verlangsamen sich dort mitunter auf unter 80 km/h. Im Gegenzug werden sie auf den Gefällstrecken gut 100 km und schneller, wenn sie sich trauen. Irgendwo schießt ein 40-tonner Pole an mir vorbei, Maschinenteile für Italien vermutlich. Am nächsten Anstieg überhole ich ihn mit meinen fluffig leichten schneeweißen Loungemöbeln mühelos. So geht das eine Weile und wir haben einen guten Takt, fast wie Tanz. Die Autobahn ist dreispurig. Auf den Fallstrecken hat der Pole keine Hemmung, auszukuppeln und mit 120 Sachen an mir vorbei zu fahren, der ich eigentlich konstant 90 halte. So geht das etwa 10 km, bis die wahren Gladiatoren die Bühne Betreten: ein Laster der Lila Logistik, so steht es hintendrauf und ein 7,5 Tonnen schwarzes Leichtgewicht einer Gärtnerei. Das Tragische an der Sache ist, dass wir uns nun zu viert mit nahezu gleichbleibender Geschwindigkeit die Autobahn teilen. Die nächsten hundert Kilometer müssen wir auf einem dreispurigen Stück Land von etwa 100 m Länge miteinander auskommen. Da wir es nicht schaffen, alle immer gleichschnell zu fahren, müssen wir uns im kleingeistigen Überholkrieg gegenseitig niedermetzeln. Wie damals in Rom. Ich mit Netz und Dreizack, der Pole mit Kurzschwert und Schild. Die Lila Logistik an den Kugeln, der scharze Gärtner nackt ringend. Der Pole verschätzt sich beim Überholen, wird in einer Mulde zu langsam, drängt die Lila Logistik auf den Seitenstreifen. Die Kacke dampft jetzt. Ich stelle meinen Tempomat auf 87 und kann den Wormser Oberschullehrer im Rückspiegel sehen. Wollen hoffen, dass der wenigstens vernünftig ist. Die Lila Logistik gibt dem Polen im nächsten Anstieg die Retourkutsche, schibt ihn gnadenlos auf den Seitenstreifen und der scharze Gärtner hat in diesem Wettkampf auch noch mitzureden. Vernünftiger Weise lasse ich mich 200 m zurück fallen, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen, falls die drei Mist bauen. Insgeheim bin ich froh für diese Unterhaltung. Die Kilometer bis München vergehen im Nu und an der Abzweigung zur Deggendorfer Autobahn sag ich zum Abschied leise Tschau.
Hoffe, dass nicht über einen schlimmen LKW Unfall berichtet wurde dieser Tage.