Nach Hamburg muss unbedingt Itzehoe folgen. Wir lieben die Wenzel-Hablik-Stadt. Eine gute Stunde dauert es mit dem Auto von unserem Basislager bis dahin … wäre da nicht der Elbtunnel, samstagsvolle Straßen, ein übervolles Hamburg, gesperrte Autobahnauffahrten. Gegen 14 Uhr sind wir endlich da, um einer eigenartigen Kunstveranstaltung beizuwohnen. In einem Zelt in der Fußgängerzone steht die Botschaft der Republik Secessionistan Rede und Antwort zu allen Fragen rund um das mysteriöse Land, dessen Grenzen auf niemands Karte verzeichnet sind.
Auf www.secession.cc erfährt man
Kriege und Gewalt, Diskriminierungen, Flüchtlingswellen: Die Welt, so wie sie real und teils grausam ist, bedarf mehr Menschlichkeit und Verständnis füreinander. Die Interkulturelle Woche (IKW) in Itzehoe wirbt dafür. Künstler mit ihren Mitteln sensibilisieren außerdem. Das Ausstellungsprojekt „Secession!“ – aktuell betrieben durch die Itzehoer KünstlerInnen Saskia de Kleijn, Robert Hirse, Wiebke Logemann und Manuel Zint – begibt sich bereits seit 2011 an kunstferne Orte, zeigt Möglichkeiten und Strategien für einen alternativen Umgang mit Kunst auf und betritt immer wieder Neuland.
Die Löcher im Botschaftszelt sind herzförmig mit Isolierband zugklebt. Alle halbe Stunde hisst das Botschaftsteam die Nationalflagge – pinkfarbene Palme auf weißer Insel und man singt die Nationalhymne, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von den Tniz-Brüdern komponiert wurde. Über die beiden Musiker ist nur bekannt, dass sie in Barmen, dem heutigen Wuppertal geboren wurden, steht im Cover der CD, die man käuflich im Botschaftsgebäude erwerben kann. In einem eigens eingerichteten Einbürgerungsbüro kann man Bürger von Secessionistan werden. Man muss nur seinen Namen, die Lieblingsfarbe, das Geburtsdatum und den Geburtsort angeben und schon erhält man ein Ausweisdokument mit Stempel und Unterschrift. Passbild muss der Einbürgerungswillige mit Bleistift selbst zeichnen und ausschneiden.
Das ist die Chance, um mein künstlerisches Alterego Heiko Moorlander endlich zu legalisieren. Dass ich mit Manuel Zint, der den Pass ausstellt meinen Meister in Sachen Fakeartistentum finde, hätte ich zunächst nicht gedacht. Ohne mit der Wimper zu zucken, nimmt der Passbeamte meine Angaben auf, geboren 4.10. 1976 in Klagenfurt, Lieblingsfarbe Schlammbraun (das hätte beinahe nicht in das vorgesehene Feld gepasst).
Nun ist der bekannteste MudArtist der Welt also Bürger von Secessionistan. Nach dem Vier-Uhr-Fahnenappell folgt eine Rede von Manuel Zint, die sich … najaaa, wie soll ich sagen, auf äußerst glaubhafte Weise mit dem Leben eines japanischen Forschungsreisenden beschäftigt, dessen Vermächtnis einst Platz fand in einem eigens eingerichteten Museum in seiner Heimatstadt Nagasaki und somit beim Atombombenabwurf 1945 ausgelöscht wurde. Erst, als Zint über ein diplomatisches Missverständnis berichtet, dämmert mir, dass an der Geschichte ungefähr so viel wahr ist, wie an der Biografie von Heiko Moorlander und an den Tniz-Brüdern. Köstlich! Ganz nach meinem Geschmack. Auf dem Heimweg sinniere ich, wie gefährlich wir Künstler eigentlich sind, indem wir Wahrheiten schaffen, schwer überprüfbares Zeug … achwas, wie gefährlich der Mensch ansich ist, in seiner täglichen Erzeugung von Wahrheiten religiöser, wissenschaftlicher, politischer Natur. Im Gegensatz zu Politikern, Lobbyisten und religiösen Fanatikern richten wir Künstler mit unseren Fakeartisten keinen Schaden an.
Bild by SoSo – die Einbürgerung des Heiko Moorlander nach Secessionistan.