Eine Orgie des Reisens auf kleinem Fleck

Bildcollage mit 6 mal 9 in einem Raster gesetzten Fotos von Waldwegen, stets in Richtung Wegeverlauf. Die Bilder haben eine leichte Sepiatönung und zeigen frühlinghaften Wald mit noch lichtem Blattwerk

Morgens knöpfe ich mir das Videomaterial vor, das ich die letzten zwei Tage beigeschafft habe. Der Videorechner surrt. Kdenlive at its best. Ich fühle mich nach einem halben Jahr Üben endlich wohl mit der Software und die Rechnerhardware tut ihr Übriges. Gedankt sei es Journalist F., der mir den Rechner vererbte!

Vier Stunden hatte die ganze Orgie des „Reisens auf kleinem Fleck“ gedauert, stelle ich fest, als ich das ungeschnittene Filmmaterial auf eine Videospur lege.

Die Machart war schlicht: Radele vom Anfangspunkt des Blieslabs, so nenne ich mein Labyrinth abgekürzt, zum Endpunkt und filme die Strecke. Dazwischen gab es noch etwa zehn fünfzehn Stopps, live vor Ort, an denen ich ein paar Dinge erzählte, denn wer schaut sich schon 42 Kilometer Zickzackkurs in der Saarpfalz kommentarlos an.

Verteilt auf zwei Tage, den 30. April und den 1. Mai 2024 ist nun das Blieslab24 als Remake des Blieslabs 2006 im Kasten. Geplant ist ein Schnitt mit viel Rapidfire, Zeitraffer, für die Streckenfilme, aufgelockert durch die Künstlerkommentare. Ich rechne mit etwa 30 bis 60 Minuten Film, wenn ich die Strecke mit sechsfacher Geschwindigkeit rendere. Natürlich gibt es auch den Künstlerschnitt, also das volle, fast ungeschnittene Programm, aber das mute ich niemandem zu. Ich halte es vor. Geplant ist ein Deaddrop in der Außenmauer der Galerie Beck, welche Ziel des Labyrinthwegs 2006 war und 2024 ist.

Nachmittags ruft der Cousin an. Ich bin zu zwei Dritteln durch mit dem Labyrinthschnitt. Etwas stimmt mit seiner Kettensäge nicht und ob ich helfen könne. Er ist drunten im Wald, ganz in der Nähe, eine umgestürzte Eiche vom Weg zu räumen, also sag ich klar, komm vorbei und so gibts ein Schwarzehändeintermezzo mit Kettensägenreinigung, irgendeine Schraube lösen und wieder befestigen, den Ölfluss in Ordnung bringen, ein bisschen plaudern, dann weiter bis zur Erschöpfung Video schnitten, was mich ziemlich verspannt. Gegen Dunkelheit denke ich, solltest noch was mit Körper. Spazieren alleine ist allerdings öde, aber dem Rasenmäher hinterher laufen und im Gleichtakt des eigenen Atemrhythmus existieren, könnte schön sein. Gesagt, getan, so stapfe ich eine Akkuladung durch den Obstgarten der Frau Mama, stets die Blüten im Blick, denn Bruder Insekt, Schwester Vöglein will ja auch leben.

Der Abend vergeht mit Sekundärarbeiten, die durchaus Aufgabe für eine KI wäre. Ich knöpfe mir, erstmals seit 2006, die Blieslab-Originalbilder vor, sichte sie auf Tauglichkeit für meinen Remake im Film, skaliere die Meter mal Meter großen Originale auf 16 zu 9 Formate für den Film. Wird schon noch ein kleiner Spaß, bis alles fertig ist und die Galerie ahnt ja auch noch nichts von meinem Remake-Vorhaben, aber egal, wir Künstler laufen ja ohnehin mit ökonomischen Scheuklappen durch die Gegend.

Titelbild Blatt vier der zehnteiligen Blieslab-Bilderserie aus dem Jahr 2006. Mein Liebling.

Gedankenfetzen und Fundzettel

Gedankenfetzen, gerettet ins mobile, elektronische Notizbuch auf dem Telefon.

  • In einer liegenden Zeitung kann eigentlich nichts stehen (Bauesoterik)
  • Zwergmalschändung vs. Denkmalschändung
  • Generation Mud – Ausdruck des Lebensgefühls einer ganzen Generation (feat. Heiko Moorlander, dessen Biografie Life is Roaaaaar hoffentlich bald geschrieben wird)
  • Wir sind ein gutes Team (QQlka und ich). Wozu der eine zu faul ist, treibt ihn der andere an.

Von der Bibliotheque im eigenen Hirn in die Asphaltbibliotheque

Buchcover Brandstifter Asphaltbibliotheque 2013
Brandstifter Asphaltbibliotheque 2013 (Ventil Verlag)

Das Kunstzwergfestival geht in den dritten Tag. Sehr familiär mit guten KünstlerInnengesprächen – eigentlich ist es ein Netzwerkfestival. Eine Kontaktbörse für KünstlerInnen, Künste, Kunstinteressierte. Da liegt, neben selten Gehörtem und kaum gesehenem wohl das große Potential. Jedes Jahr zum Kunstzwergfestival drücke ich Kollege Brandstifter einen Stapel Fundzettel in die Hand für seine Asphaltbibliotheque, die er seit Mitte der 1990er Jahre betreibt. Eine akribische Sammlung skurriler Fundzettel weltweit. Neben der eigentlichen – tatsächlich wissenschaftlich – bibliothekarischen Arbeit, in der das wohl wertvollste Nonsense- Archiv der Erde entsteht, nutzt Brandstifter die Zettelbotschaften, um etwa Lieder daraus zu machen (siehe zwei Beiträge zuvor), Poster und natürlich Bücher.

Mit den diesjährigen Zetteln zog er sich an eine der Bierbänke im Garten zurück und fing an, mit Kleber herumzuhantieren. Nach kurzer Zeit hatte er ein kleines Büchlein zusammengeklebt, das kopiert wird und geheftet, gefaltet auf Format A5 et voila, fertig ist die Kunst. Rasant. Ich mag solche Vollstreckermentalität. Von der Idee zum fertigen Kunstprodukt sollte nicht allzuviel Zeit verstreichen, sonst werden die Rohstoffe sauer.

Wie es heißen soll, das Büchlein, fragte er.

Was meint die werte Webgemeinde, wie soll ein Produkt heißen, das aus Fundzetteln besteht, die in Deutschland, Frankreich, der Schweiz über ein Jahr lang gesammelt wurden und auf einem einsamen Gehöft vorarchiviert wurden?

 

Bilder für die Ewigkeit – Strecke der Kunststraße ins MOM Archiv Hallstatt

Die Reise ins Archiv des Memory Of Mankind Projekts in Hallstatt kriegt ein Gesicht. Wie gehabt, setze ich das Kunststraßenkonzept ein, das ich seit 1994 auf fast allen Radelreisen anwende, um dem live gebloggten virtuellen Kunstprojekt eine Struktur zu geben. Alle zehn Kilometer schieße ich ein Foto der bereisten Strecke, berichte über den Reiseverlauf, kreiere während der Reise die Kunstwerke, die, getreu dem iDogma, vom Smartphone direkt zum „Endverbraucher“ kommen. Ein Einblick in die Arbeitsweise des Kunststraßenbaus findet Ihr auf der Portfolioseite für die letztjährige Kunststraße „UmsMeer„, bei der ich vier Monate unterwegs war. Die Geschichte des Kunststraßenbaus von den analogen Anfängen bis zur mobil-virtuellen Gegenwart wird auf der Kunststraßenseite erzählt.

Noch ist das kommende Projekt mit dem Arbeitstitel „Bilder für die Ewigkeit“ im Planungsstadium. Der Zeitrahmen und die unten abgebildete Strecke sind noch nicht zu hundert Prozent „festgeklopft“ (im Grunde arbeiten wir Konzeptkünstler ähnlich wie Bildhauer, nähern uns in verschlungenen Denkschleifen dem Endprodukt).

Im Fall werden ca. hundertzwanzig Keramikfließen erstellt, die im Salzstock in Hallstatt über tausende Jahre sicher lagern. Die einzigen Duplikate gehen in einer Ausstellung auf Wanderschaft und können käuflich erworben werden. Martin Kunze vom MOM unterstützt das Projekt mit seiner Keramikwerkstatt.

Eigentlich ist das Memory Of Mankind Archiv nur sechshundertfünfzig Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Die geplante Strecke versucht, den Flüssen zu folgen – ein Stück die Saar hinauf, bei Saareunion am Rhein-Marne Kanal entlang in die Europametropole Straßbourg. Hinauf zur Brigachquelle im Schwarzwald, runter zur Donau – man wird es aus dem Erdkundeunterricht noch kennen: Brigach und Breg bringen die Donau zu Weg – In Donaueschingen durchs Lechtal – irgendwie rüber nach München. Salzburg, Salzachradweg, und dann am Tennengebirge entlang nach Hallstatt.

Da es sich bei Memory Of Mankind um ein für die Archäologen der Zukunft höchst interessantes Archiv handeln dürfte, möchte ich der avangardistisch künstlerischen Bilder- und Textserie auch einen wissenschaftlich wertvollen Touch geben, indem ich die Kulturwege (z.B. die französischen Kanäle) und Verkehrsverbindungen unserer Zeit fokussiere.


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Auf ins Birrfeld

Das Wasserschloss, so heißt die Gegend im Aargau, in der drei Flüsse zusammenfließen. Innerhalb weniger Kilometer münden Reuss und Limmat in die Aare. Die Landschaft ist hügelig, bergig, würde man zu Hause in der Pfalz sagen, durchzogen von den Flusstälern, die oft weitläufig sind, sich manchmal auch eng schnüren und es kaum Platz gibt im Tal für Siedlungen und Landwirtschaft. In Brugg hat die Aare eine Engstelle, rauscht zwischen kaum fünfzig Meter voneinander entfernten Felswänden hindurch. Die Gegend ist dicht besiedelt. Feine Wohnsiedlungen, durchdrungen von alten Bauernhöfen, garniert mit ein bisschen Militär. Flusspioniere üben den Pontonbrückenbau. Auf jedem Felsen thront eine Burg. Wildegg, Lenzburg, Habsburg. Und es gibt auch flache, weite Gegenden, wie etwa das Birrfeld, das sich nach Süden erstreckt. Die Fotos sind während einer Fahrradtour entstanden, die wir nach dem Zufallsprinzip organisiert hatten. Soso blätterte so lange in einem 360 Seiten dicken Buch, bis ich Stopp sagte, Seite 191, das war die Gradzahl unseres gestrigen Tagesziels. Dann steckte ich blind den Finger ins Buch und landete auf zwei Worten mit sieben Buchstaben. Unsere Entfernung. Im Navi projizierten wir den Punkt von den Heimkoordinaten aus: sieben Kilometer in Richtung Süden. Das Zufallsspiel machen wir immer dann, wenn wir keine Idee haben, wohin unser Ausflug führt. Wobei Spiel ein bisschen wenig ist. Da wir die Touren dokumentieren, sind sie auch stets konzeptuelle Kunstaktionen. Am jetzigen Morgen erwache ich grübelnd, dass man als Künstler nie Feierabend hat. Das können sich normale Menschen gar nicht vorstellen, glaube ich. Als Künstler gaukelt einem permanent eine Idee im Kopf, sammelt man Bausteine für Großes, das sich anderen Augen verbirgt. Tag und Nacht, samstags und sonntags, das Künstlerhirn steht niemals still. Man arbeitet ununterbrochen auf dem Hochseil der Sinnfindung – ohne jegliche Sicherheiten. Aber vielleicht ist es auch nur ein ganz banales Prinzip, man treibt eine Maschine, die einen treibt, die man treibt, die einen … und so weiter und so fort.
Auch Soso berichtet von Tagestour 13-06-08

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