Radlantic.de – Echtzeitblog auf dem Atlantikradweg

Seit Weihnachten gestalte ich ein neues Reisekunstprojekt. Unter dem Hashtag #radlantic und auf der Webseite radlantic.de werde ich ein neues Buch schreiben. Wie gewohnt live und zum virtuellen Mitradeln.

Zum Konzept, darüber auch auf Twitter zu berichten gesellt sich neu auch eine Facebook-Seite: https://www.facebook.com/radlantic/

Noch ist nicht klar, ob ich es 2017 verwirklichen kann.

Ich liebäugele mit dem 18. April als Starttag.

Kleiner grüner Traktor

Die gefährlichste Kreuzung der Stadt liegt in einer Haarnadelkurve, unübersichtlich, steil, mit allerlei Ablenkung garniert, so dass man als Autofahrer mit einem Unaufmerksamkeitsmalus in den stets fließenden Verkehr einfädelt. Es ist nicht immer einfach. Eine befreundete Autofahrerin hatte vor einigen Jahren an der Kreuzung einen Blechschaden und auch ich musste kürzlich hart bremsen, weil mir jemand aus der Seitenstraße die Vorfahrt nahm. Ich schimpfte nicht, sondern lächelte dem schuldbewussten Jungen, der am Steuer eines schwarzen Transporters saß milde zu.

Dieses Glück hatte meine Freundin nicht. Sie hatte in den Wirren der Kreuzung einen sturen, rechthaberischen Kerl übersehen, der kaum Anstalten machte, zu bremsen oder auszuweichen und sie, so vermutet meine Freundin, eigentlich absichtlich gerammt hatte. Das Gezeter war groß, die Polizei nahm den Schaden auf, meine Freundin erhielt die volle Schuld, da dem Unfallpartner keine Absicht nachzuweisen war.

Ich denke, auch mir wäre keine Absicht nachzuweisen gewesen. Wenn mein testosteronschwangeres Jungdeutschemannautofahrerego richtig funktioniert hätte, hätte ich dem Schwein im schwarzen Van, das mir die Vorfahrt genommen hat, voll in die Seite fahren können. Vielleicht hätte ich ihn sogar schwer verletzt, ein Totalschaden und eine massive Gehirnerschütterung wären ihm jedenfalls sicher gewesen.

Stattdessen bremste ich bis zum Stillstand und lächelte meinem potentiellen Unfallgegner auch noch zu, was er mit einem entschuldigenden Lächeln quittierte und wir fuhren beide in unsere Richtungen weiter.

Warum hatte überhaupt ich Vorfahrt und nicht er? Warum war es nicht umgekehrt? Warum steht an seinem Teil der Kreuzung ein Vorfahrtbeachtenschild und an meinem eines für Vorfahrtsstraße? Was wäre, wenn keine Schilder da stehen würden? Dann gälte rechts vor links. Dann hätte er Vorfahrt gehabt und nicht ich.

Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber in England gibt es noch nicht einmal rechts vor links. Ich hatte mich 2012, als ich auf der North Sea Cycle Route das Land durchquerte hunderte Meilen weit gefragt, wie die Engländer das denn handhaben mit rechts vor links, wenn sie doch auf der falschen Straßenseite fahren. Müsste es dann nicht links vor rechts heißen? Ich fuhr vorsichtig und wartete im Zweifelsfall immer ab, bzw. verständigte mich durch Blickkontakt und Zunicken mit vielen hundert potentiellen englischen Unfallgegnern. Nichts passierte und eines Tages konnte ich einen Freund fragen, der schon lange in dem merkwürdigen Land lebt und der mir erzählte, dass es tatsächlich kein generelles rechts vor links oder links vor rechts gibt. Ich erlebte die englischen Autofahrerinnen und Autofahrer als äußerst rücksichtsvoll, zurückhaltend zuvorkommend, eben genauso wie man sich den typischen englischen Gentleman oder die typische englische Lady vorstellt. Verschroben, das auch.

Dieser Tage hatte ich den kleinen grünen Hoftraktor gestartet, um meiner Tante ein bisschen bei Holztransportarbeiten unten in der Stadt zu helfen. Der kleine grüne Traktor hat vier Gänge und schafft es im größten auf gerade Mal 25 Kilometer pro Stunde. Mit dem Fahrrad könnte ich ihn auf ebener Strecke ohne aus der Puste zu kommen überholen. Eigentlich ist der uralte, kleine grüne Traktor ein fahrbares Verkehrshindernis, weshalb ich stets ganz rechts am Straßenrand fahre, damit allfällige Überholwillige es leichter haben, an unübersichtlichen Stellen vorbeizuhuschen.

Die Landtsraße in die Stadt ist aber nicht unübersichtlich. Sie ist zudem dreispurig ausgebaut, wobei die beiden Spuren aufwärts von der Abwärtsspur mit einem durchgezogenen weißen Streifen abgetrennt sind. Zudem stehen an einem gut einen halben Kilometer langen, schnurgeraden, übersichtlichen Stück warnende Überholverbotsschilder. Das heißt, wer auf der Strecke hinter einem kleinen grünen Traktor mit 25 Kilometer pro Stunde her fährt, kommt auf legale Weise nicht daran vorbei. Die Regel ist, wenn ich mich nicht irre, so drakonisch, dass einem sogar Punkte drohen und eine hohe Geldbuße, wenn man die Linie überfährt.

Schnell hatte sich ein Rattenschwanz an Autos, LKWs und Bussen hinter mir gebildet, von denen der ein oder andere aus der Schlange ausscherte und gegen die Regel, aber für sein eigenes Verständins wohl legitim, einfach überholte.

Immer wieder schaute ich in den Rückspiegel und es brach mir fast das Herz für all die armen Teufel, die nun ausgebremst, vom Verkehrsleben verachtet ein Jammerdasein in einer zu recht aufstauenden Verkehrsschlange fristeten. Ein Mülllasterfahrer auf Position fünf oder sechs hielt es irgendwann nicht mehr aus und zog rüber auf die mittlere Spur, ebenso ein Linienbus und von ganz hinten schoss mit über hundert Sachen noch ein Späteinsteiger vorbei. Im Prinzip, wenn die Regeln nicht wären, lagen die Überholmanöver an der Stelle alle im sicheren Bereich. Auch ich habe an der Stelle schon überholt, weil meilenweit freie Fahrt war und sich niemand um Recht oder Unrecht scherte.

Die Fahrt mit dem kleinen grünen Traktor geriet zu einer Art Lehrstück über Gesetze und Regeln, die mich in einem indifferenten, ratlosen Zustand hinterließ. Was müssen das für arme Teufel sein, zwanzig dreißig Autos immerhin in der Schlange, die sich gegen das Sicherheitsempfinden an die Regeln halten. Dass es schwerer wird, je weiter hinten man in der Schlange steht, wurde mir bewusst, erinnerte ich mich aus eigener Erfahrung. Wenn du der Erste bist hinter dem Hindernis, fährst du viel leichter daran vorbei, als wenn sich vor dir schon ein braver, gesetzestreuer Mensch an die Regeln hält. Ist es nicht so, als würdest du dem dann eine schallende Ohrfeige verpassen, wenn du dich einfach darüber hinwegsetzt, was er als Recht akzeptiert?

Die Straße wurde unübersichtlich. Niemand überholte mehr. Kurz vor der Stadtgrenze hatte ich mich gedanklich in ein eigenartiges Vakuum begeben, in dem ich fabulierte, dass in vollkommener Anarchie allein auf Grund der einfachen ungeschriebenen Regeln gegenseitiger Rücksichtsnahme und Respekts, überhaupt keine Gesetze nötig wären. So eine kindlich naive Basis, die da lautet, was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu. Nur viel rationaler, ehrlicher, solider und profunder, so wie es erwachsenen Menschen im Umgang miteinander gut anstehen würde.

Meine Freundin fiel mir ein, der man absichtlich und einzig fußend auf von Menschen für Menschen gemachten Regeln einen schlimmen Schaden verursachte, dieses elende Gewichse, dem sich der ein oder andere ordnungshörige Kleingeist hingibt, und ich hatte ein mulmiges Gefühl, was erst passieren würde, wenn man solchen Kleingeistern in meiner soeben erdachten, selbstgebastelten, perfekten Anarchie begegnen würde. Diese Unreife, das bigott herzlose Gebaren … so fabulierend erreichte ich den ersten Kreisverkehr der Stadt, wo sich die ellenlange Schlange hinter meinem kleinen grünen Traktor in die vier Winde zerstreute.

 

Last Exit San José del Valle. Nein, jeden Tag ein Lebenswerk.

96 Verbotsschilder als Postercollage

Kaum zu glauben, dass ich innerhalb eines Jahres von Zweibrücken ans Nordkap und nach Gibraltar geradelt bin. Auf der angeblich genauesten Landkarte der Welt, für deren Gestaltung kürzlich ein Japaner einen Designpreis erhalten hat, wird das Ausmaß der Langstreckenradreise deutlich. In der Landkarte ist Europa oben links abgebildet. Man sagt, die Ländergrößen seien in der Karte besonders gut wiedergegeben. Grönland wird so groß dargestellt wie die arabische Halbinsel. In ’normalen‘ Karten wirkt Grönland viel größer.

In der Karte des Designers Hajime Narukawa (Nachtrag 2023-05-25: Hier kann man die Karte online bestellen; sie kostet knapp 70 Euro) erscheint die Strecke Nordkap-Zweibrücken-Gibraltar als die längste Seite Europas. Die beiden Langstreckenradtouren waren zusammen fast neuntausend Kilometer lang.

Zu Ende des live geschriebenen Blogbuches unter dem Titel ‚Europenner‚ schrieb ich einen euphorischen Artikel, dass ich nun, da ich Europa abgeradelt und seine Extreme ausgelotet habe, fast ein kleines Lebenswerk vollbracht habe.

Jetzt wird mir klar, dass das gar nicht mal eine so untreffende Behauptung war. Ich bin müde geworden und ich bin zufrieden mit meinen vielen Fahrradreisen. Der Durst ist gelöscht.

Ein ähnliches Zulaufen des Lebens auf eine selbsterdachte Spitze hin, stelle ich in meiner Kunstarbeit fest. Innerhalb der letzten Jahre habe ich mich ins Internet zurückgezogen, mache keine Ausstellungen mehr, löse nach und nach mein Bilderlager auf. Meist wandern die noch vorhandenen echten Bilder an Freunde und Bekannte, SammlerInnen und UnterstützerInnen.

Diese Attitüde der vollkommenen Digitalisierung wuchs langsam und wurde immer mächtiger. Ausschlaggebend sind die vielen Tode, mit denen ich in der letzten Zeit konfrontiert werde. Ich sehe knallhart vor Augen, was ich schon lange ahne. Von uns bleibt nichts übrig. Fast alles, was wir an privatem Krempel besitzen, ist nur für uns selbst wertvoll. Nach dem Tod ist es eine Last für die Hinterbliebenen. Ein Fall für den Müllcontainer.

Auch das künstlerische Werk, wenn man nicht gerade zur Geldanlageikone geworden ist. Deshalb muss jetzt alles raus. Ich werde dafür sorgen, dass nichts übrig bleibt außer ein paar Datenträgern, ein paar Servern irgendwo da draußen und einer Passwortdatei. Okay, da wäre noch das Memory of Mankind zu nennen. Ein paar Kunstwerke wurden vor zwei Jahren in den Tiefen der Salzwelten in Hallstatt, gebrannt auf unverwüstliche Keramik, archiviert. Das Liveblogprojekt aus dem Jahr 2014 hieß Bilder für die Ewigkeit. Auf 32 Tonfließen wurden Texte und Bilder aus dem Blog verewigt.

Ich schweife ab. Egal. Selbstauflösung, jeden Tag ein bisschen und nebenbei die vielen Kunstluftschlösser bauen. Schön digital.

Alles, was man anfassen kann, kann weg. Alles muss raus. Ein paar Jahre Zeit habe ich dafür noch.

Mit den digitalen Bildern arbeite ich momentan intensiv. Endlich finde ich die Ruhe, die vielen Serien in fertige – wiederum digitale – Elemente zu verwandeln. Das alltägliche kleine Lebenswerk. In einem guten Jahr sollte der künstlerische Prozess abgeschlossen sein.

Heute habe ich mir gleich zwei meiner langjährigen Bilderserien vorgenommen und daraus Bildcollagen gestaltet. Im vorigen Blogbeitrag gibt es die ‚Dukommsthiernichtrein‘-Serie zu sehen.

96 Verbotsschilder als Postercollage
96 Verbotsschilder als Postercollage

Hier in diesem Artikel stelle ich das ‚Verboten‘ Uniquiple vor. Was Uniquiples sind, habe ich zwei Blogeinträge zuvor am Beispiel der Hochsitzesammlung erklärt. Verboten wird in Kürze auch in meiner Poster-Sektion zu erwerben sein.

Die Poster halten sich übrigens ein Sammlerleben lang, gut 70 Jahre.

Das A-Wort nicht sagen

Du kommst hier nicht rein. Bildcollage mit 40 zugemauerten oder verbarrikadierten Türen.

Manche reagieren auf die Adventszeit ein bisschen allergisch, da sie aus Glaubens- oder emotionalen Gründen nicht viel mit Weihnachten anfangen können.

Ihnen sei mit einem ironischen Augenzwinkern dieser 40-türige Adventskalender gewidmet.

Du kommst hier nicht rein. Bildcollage mit 40 zugemauerten oder verbarrikadierten Türen.
Du kommst hier nicht rein. Bildcollage mit 40 zugemauerten oder verbarrikadierten Türen.

Im Laufe der letzten Jahre entstand die Serie vermauerter und geschlossener Türen als lose Bildersammlung. Vom Nordkap bis Gibraltar sind Motive vorhanden. Besonders viele Objekte entdeckte ich in diesem Frühjahr in Spanien. Angefangen hat die Sammlung vor einigen Jahren bei einem künstlerischen Stadtspaziergang in Homburg (Saar). Auf der Rückseite eines Gebäudes hatte jemand auf eine zugemauerte Tür die Worte ‚Du kommst hier nicht rein‘ geschrieben. Die kragelige Kreideinschrift machte einen das prollig-rollende Sprech eines Türstehers bildhaft.