Flussabwärts – ein kollaboratives Schreibprojekt

Buchcover mit der Aufschrift Flussnoten und einem Klappentext. Hautmotiv ist eine anlandende Rheinfähre, im Vordergrund Wasservögel.

Was passiert eigentlich, wenn jemand einen Twitter-Nachrichtenstrom zu einem ganz bestimmten Thema mitschneidet und die Satzschnipsel mit eigenen Gedanken und den Kommentaren anderer Twitterer und Twitterinnen garniert?

Dagmar, mit echtem Twitternamen @traumspruch hat es für Euch ausprobiert. Im Sommer 2016 folgte sie unter dem Hashtag der Wanderung von Frau @_auchICH und mir, Monsieur @irgendlink. Hierbei badete sie ausgiebig im Twitter-Nachrichtenstrom, mischte unsere Flussnoten mit eigenen Tweets und den Kommentaren anderer Twitterinnen und Twitterer, die virtuell mitwanderten. Es entstand ein Text jenseits jeglicher Urheberschaftsfeststellungsmöglichkeit. William S. Burroughs hätte an diesem CutUp 2.0 womöglich seine helle Freude gehabt?

Während wir rheinabwärts wanderten hatten wir, Schweizer Mobilfunknetz sei Dank, fast immer und überall Handyempfang und taten unserer Befindlichkeit und unsere Reiseerlebnisse, garniert mit Fakten, in hundertvierzig Zeichen kund. Abends gab es meist noch Blogberichte im eigens für das Projekt angelegten Blog flussnoten.de. Stets begleiteten uns eine Handvoll Followerinnen und Follower, kommentierten, stimmten ein in den gemeinsamen Zwitschergesang rund um die #flussnoten.

Als die Reise beendet war, hatte ich eines Tages den folgenden Text im Mailpostfach. „Flussabwärts – ein kollaboratives Schreibprojekt“ weiterlesen

Der Spülmaschinenkommunist, seine geschirrtechnische Identitätslosigkeit

2012 gastierte der Mainzer Kunstverein in meinem Atelier. Sie organisierten ein Festival für Performance und ziemlich schräge Musik. Die Veranstaltung war so eine Art Barcamp mit Teilnehmern weltweit, sogar aus den USA und Taiwan waren Künstlerinnen und Künstler angereist. Die Unterbringung war spartanisch in Zelten im Garten oder auf der Bühne im Atelier. Alltagsleben und Kunstschaffen und ‚irgendwas mit Musik‘ machen fanden in mehreren vielschichtig miteinander verwobenen Parallelwelten statt, man könnte es Leben im Allgemeinen nennen.

Die Versorgung war selbstorganisiert und wegen der hohen Teilnehmerzahl brachte der Kunstverein sein eigenes Geschirr mit. Ich erinnere mich gut an den Moment, als jemand eine Kiste voller Besteck in meine eigene Besteckkiste kippte. Gabeln, Messer und Löffel aus zig Haushaltsauflösungen ergossen sich in mein eigenes Bestecksortiment, das aber ebensowenig lupenrein war, die das Sortiment des Vereins. Nie wieder würde ich die eigenen Bestecke aus den fremden Bestecken heraussortieren können. Ich bin ein verdammter Geschirrkommunist, der überhaupt keinen Plan hat, was von dem, das in seinem Schrank steht ihm selbst gehört und was jemand anderem gehört.

Hin und wieder kommt es vor, dass jemand mit einem schön geordneten Haushalt mir etwas zu Essen mit nach Hause gibt, vielleicht ein Stück Kuchen. Er oder sie packen es auf einen Teller oder in eine Tupperschüssel. Normale Menschen sagen im Fall danke, nehmen das Essen mit, essen es, spülen das Geschirr und geben es irgendwann zurück.

Nicht so wir Haushaltskommunisten. Durch die Unzahl durchmischten Geschirrs, das mittlerweile bei weitem nicht mehr nur aus Haushaltsauflösungen stammt oder von Landeshauptstadtskunstvereinen, habe ich geschirrtechnisch keine Identität. Ich bin sozusagen eine Sowchose des Kaffeekränzchens oder eine Kolchose  weltweiter Suppenkellen. Sobald ein fremder Gegenstand in meinen Haushalt gerät, verliert er seine kapitalistische Identität und wird in eine Kommune bunter, vielfältiger Tassen, Teller und Töpfe integriert.

Seit jenem Tag im Jahr 2012 warne ich diejenigen, die mit mir ‚irgendwas mit Geschirr‘ machen, dass es höchstwahrscheinlich niemals zurückkehrt. Wie sollte ich, ein Mensch ohne geschirrtechnische Identität, jemals erkennen können, was mir gehört und was nicht? Oder besser gesagt, ich erkenne ganz klar, was mir gehört, nämlich nichts und alles andere in meinem Geschirrbestand gehört entweder niemandem mehr, oder jemandem, der es arglos hat liegen lassen. Erst kürzlich fand ich ein Messer in meinem Besteckkasten, auf dem der verwaschene Name eines Freundes geschrieben stand; vier Jahre her, dass er zum Grillen da war und nichtsahnend eine Nudelsalatschüssel und ein paar Satz Bestecke einbüßte.

Facts about Kunststraßen 3

Wenn ich den Kunststraßenbau geschichtlich ordnen müsste, würde ich drei Phasen nennen:
1994-2001 die wilde Anfangszeit.

Arbeit als enthusiastischer Jungkünstler mit der geradezu kunstbübchenhaft naiven Hoffnung, mit der schwer vermittelbaren Konzeptkunst berühmt zu werden und davon zu leben. Diese Phase gipfelte in einer Ausstellung, die von der Stadt Zweibrücken und vom Kultursommer Rheinland-Pfalz unterstützt wurde: Die ‚Kelf‘, Kunststraße Nummer 11, zeigte im Mai 2001 in einem für die Ausstellung reservierten Parkhaus ein etwa zehn Kilometer langes Wegstück quer durch Zweibrücken.

2001-2010 die Realisierung.

Die Realisierung, dass es schwer möglich ist, als Künstler in der Provinz mit einem schwer verständlichen Konzept in den Kunstmarkt zu kommen. Dennoch entstanden zahlreiche Kunststraßenprojekte, die allerdings nicht als Rauminstallation realisiert wurden.

2010-2017 Digitalisierung und Virtualisierung – Appspressionismus.

  • Faszinierend, wie sich zwischen 1995 und 2010 die Technik entwickelt hat. Fotos sind digital. Bilder enthalten Geokoordinaten. Blogsoftware ermöglicht das spartenübergreifende Darstellen von Kunst.
  • Alle Arbeitsschritte der Literatur und der Kunst lassen sich auf einem Smartphone erledigen, weshalb ich enthusiastisch den Begriff Appspressionismus prägte.
  • Auf dem Jakobsweg schrieb ich im November/Dezember 2010 mein erstes Buch live auf dem Touchscreen eines iPhones 3 GS. Erstmals war der Kunstprozess in Echtzeit verfolgbar. Täglich folgte eine kleine, eingeschworene Gemeinde den Blogberichten, die nachts in zugig kalten Pilgerherbergen entstanden. Der Artist in Motion, der Künstler in Bewegung war geboren.
  • Ab 2012 entstanden systematisch Blogbücher, Bloggeratur, Kunstwerke, die sich nur schwer in Ausstellungen darstellen lassen, Bücher, die dank multipler Inhaltstypen nicht druckbar wären. Die genreübergreifende Art des künstlerischen und literarischen Ausdrucks, macht es schwer, es in die klassischen, bisher bekannten Formate (Buch oder Kunstwerk oder Film oder Ton) einzuordnen. Der große Vorteil eines Blogs ist die Chance, Sujets nach Belieben zu mischen und etwas Neues daraus zu kredenzen.

 

Eigentlich kann man ja immer nur hinterher wissen, was war, wie es sich auswirkte, was es veränderte, zerstörte, verbesserte, heilte und selbst das ist trügerisch, so dass es einen geradezu irre machen kann, wenn man sich vorstellt, dass überhaupt nichts so ist wie es ist, dass es weder Fakten, noch Postfakten gibt, stattdessen jede Menge Alternativen, die sich, je nachdem wie man es sehen will oder muss, zu einer Art Wahrheit formuliert, die neben vielen anderen Wahrheiten durch Zeit und Raum mäandriert, ohne jede Chance (zumindest für einen ganz normalen kleinen Menschen) diesen gebündelten, zum Kabel verdrillten Strang aus Wahrheiten einmal aus allwissender, göttlicher Perspektive zu sehen.

Facts about Kunststraßen 2

  • Die zweite Kunststraße führte 1995 von Mainz Richtung Nordkap.
  • Freund QQlka hatte in Mainz die Galerie Walpodenstraße gegründet.
  • Gemeinsam planten wir eine Ausstellung als Rauminstallation in dem 160 qm großen Kellergewölbe in der Mainzer Innenstadt.
  • Die Fotoinstallation bestand aus den Kunststraßenbildern, die ich Richtung Nordkap in Abständen von zehn Kilometern fotografierte.
  • Wir erreichten unser Ziel nicht.
  • In Alta, knapp 250 Kilometer vom Nordkap entfernt gaben wir auf und flogen zurück.
  • Die Reise im Juli und August 1995 dauerte sechs Wochen. Im Dezember 1995 wurde die Fotoinstallation eröffnet.
  • Auf einer carrerabahnähnlichen Konstruktion konnten die Besucherinnen und Besucher die 3600 Kilometer lange Strecke abschreiten.
  • Die Kunststraßenkonstruktion mündete in einem Plan ihrerselbst, auf dem die Ausstellungskonstruktion als Bauzeichnung skizziert war.
  • Schon 1995 zeichnete sich das Reisekunstkonzept, die Mischung von dokumentarischen, nüchternen Streckenfotos mit per Dia-Sandwichtechnik veränderten Kunstfotos und Texten ab. Ich ahnte nicht, dass es wenige Jahre später möglich wäre, das Konzept der multimedialen, die Kunstsparten übergreifenden Inhalte in einem Blog darzustellen.
  • Erst 2015 erreichte ich im vierten Versuch (und als live im Blog verfolgbare Reise) das Nordkap per Fahrrad (Ans Kap)