Hinterm Chasseral #UmsLand

Eine sehr grüne Hochebene einer kurz gewachsenen Wiese. Eine Feldwegspur führt zum Horizont unter wolkenlosem Himmel. Winzig und sehr spärlich sind die Bäume am Horizont

Ob ich einen Umzug mache, fragt mich der Radler auf französisch. Er ist nicht viel schneller als ich, kurbelt im ersten Gang, Wind umzaust uns und in den windstillen Momenten brennt die Sonne. Comment, frage ich, denn ich verstehe es nicht, wenn mich jemand auf französisch fragt, ob ich einen Umzug mache. Deutsch? Ja. Also wiederholt er die Frage auf deutsch. Schon ein bisschen despektierlich. Dass ich das Zelt dabei habe und überhaupt, rund um die Schweiz radele und so kommen wir ins Gespräch.

Eigentlich hatte ich vorgehabt nach zwei gut zueinander stehenden Bäumen Ausschau zu halten, um die Hängematte aufzuhängen, ein bisschen zu ruhen. Es dürfte Mittagszeit sein. Kurz zuvor hatte ich am Ortsrand von La Sagne (ja ja, den Ort gibts tatsächlich im Kanton Neuenburg) etwas gegessen, denn unerwartet stellte sich mir der Neunprozenter in den Weg, den wir gerade hinauf ächzen, naja, eher gemütlich plaudern. Mein Mitfahrer hat ein schnittiges leichtes Gravelbike mit fein genoppten, breiten Reifen. Ich wundere mich, dass er sich mit mir aufhält. Scheint neugierig geworden. Er entpuppt sich als Deutscher aus Berlin, der über München nach Dortmund nach Tübingen nach Annecy nach Neuchatel kam. Ich frage, ob das beruflich bedingt ist, dass er so oft in andere Orte wechselt, er sagt nein. Ist halt rastlos. Mikroelektronik-Ingenieur. Kein Wunder also, dass er mir die Steigungsrate beim Radeln auf Basis der angewendeten Energie ausrechnet und als Faustformel ausspuckt, 20 cm pro Sekunde bei einer Leistung von 200 Watt, was die Leistung eines recht fitten Hobbyradlers sei, der mitsamt Radel und Gepäck hundert Kilo wiegt.

Wir reden über dies und das, eine Röhrkarre überholt uns, wie ich sie hasse, die Sinnlosbrutalröhrer – fast immer Männer natürlich. Wozu, wozu, wozu und Christian, so heißt mein Berliner Elektroingenieur, erklärt, dass das eben in der Schweiz das Mittel ist für den Schlechtverdiener, der bei 4000 Franken einen Hilfsjob macht, um seinen Status zu zeigen. Andere tun das mit betonburgenähnlichen Eigentumswohnungen, aber die kann man sich mit 4000 CHF ja nicht leisten. Obs stimmt? Was bleibt ist der Lärm, wie er um die Kurve verhallt und um die nächste Kurve und die übernächste Kurve noch leiser wird. Manchmal verschluckt sich das Autochen und dann gluckert es so schön aus dem Auspuff. Nicht schön finde ich das. Der Bub am Steuer siehts wohl anders. Es ist Teil seiner Persönlichkeit.

Christian warnt mich vor Zecken, die seien ganz arg hier in der Gegend und in der Tat hatte ich schon vier Stück, die ich mit der Pinzette ziehen musste im Laufe der Reise. Ich hatte Engadiner Zecken, Vogesenzecken, bisher noch keine Jurazecken. Toi toi toi.

Vor uns hin plaudernd vergesse ich meine Müdigkeit und schwupp sind wir oben auf der Wasserscheide zwischen Rhein und Rhone, so sagt es ein Schild. Mein Mitradler will Richtung Le Locle, ich bleibe auf der Juraroute Nummer 7, die so gut wie keine größeren Städte durchquert. Dass dem so ist, ist ein bisschen problematisch wegen des Einkaufens.

Am Morgen hatte ich wohlweislich noch in Travers eingekauft mit Blick auf zwei Tage, den Sonntag noch eingeplant, Obst, Milch, Brot, Ölsardinen. Die schmecken zwar nicht, aber sie sind gut, um den Hunger zu stillen und die Fette der Fische seien ja auch fürs Cholesterin gesund, hört man.

Ab Travers führte die Route auf einer kaum befahrenen Bergstraße strikt berghoch. Gleich hinter dem Ort steht ein Schild, das die Kennwerte der Route anzeigt. Steigung 9,4 Prozent. Sieben Kilometer berghoch bis zu einem Berg, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Jeden Kilometer steht ein solches rotes Hinweisschild für Radler, das – es ist auf französisch, erst nach einer Weile lerne ich, was die Werte bedeuten – den jeweiligen Steigungswert des nächsten Kilometers anzeigt. Mal sind es nur 8,9 Prozent, Mal exakt 9, weiter oben sind es plötzlich nur noch 5 und irgendwann sogar -0,1 Prozent.

Schließlich findet man sich in einer Art Hochebene und dann kommt der Wind. Heftiger Gegenwind. Was wäre es schön zu radeln durch die weiten Wiesen vorbei an einzelnen Gehöften, fern die Ränder der Wälder auf den umgebenden Bergen. Der Wind ist wie Bergfahren ohne aufwärts zu radeln. Die Gegend macht mir Angst. Ich kann mit zu viel Weite nicht gut umgehen. Kämpfe mich trotzdem weiter. Bis La Chaux de Fonds führt das Hochtal.

Ein Abstecher nach le Locle lohnt insofern, als sich dort eine unterirdische Mühle befindet an einem Fluss, der vollständig im Berg verschwindet. Frau SoSo und ich hatten die Sehenswürdigkeit einmal besucht, wirklich beeindruckend. Ich empfehle es meinem Radelbegleiter Christian.

Später La Chaux de Fonds. Stadt der Uhren. Großes Zentrum. Hochhäuser auf 1000 Metern, das Bogota Europas, scherze ich mit mir selbst. Wie nicht von dieser Welt. Eigentlich führt der Radweg in zwei Kilometern Entfernung daran vorbei. Ich radele trotzdem runter in die Stadt, noch etwas einkaufen. Feierabendbier und Bananen. Zwei goldene Regeln des Fernradelns sind: Wenn du einkaufen kannst, tu es. Und wichtiger: Wenn Du deine Trinkflaschen füllen kannst, tu es. Auch in der Schweiz! Obschon es da ja überall Brunnen gibt. Nicht so im Jura. Auf der Strecke ab La Chaux sind Brunnen Mangelware. Ich bewege mich kilometerweit durch hügeliges Hochland. Ein kumuliertes Auf und Ab. Wunderbare Gegend. Stille. Enge, kaum befahrene Sträßchen. Ab und zu Restaurants, Hofläden. Manchmal gibt es nur Eier zu kaufen, andere haben feste Öffnungszeiten und man kann ein reichliches Lebensmittelangebot kaufen, sogar Brot gab es in einem Laden, doch der schloss samstags um 12 Uhr.

Der Chasseral taucht auf. Höchster Berg des Juras. Man kennt ihn fast nur von der „Vorderseite“, der dem Seeland zugewandten Seite. da kann man ihn in der Umgebung von Biel/Bienne gut sehen, meine ich. Die Hinterseite ist auch ganz hübsch. Wander und Radeltourismus. beschaulich und ruhig.

Am Abend verzeichne ich knapp 70 Kilometer auf dem Tacho. Bin hundskaputt vom Auf und Ab und vom Gegenwind. Auf einer frisch abgeräumten Wiese finde ich ein Plätzchen für mein Zelt in einer Mulde ganz am Rand. Stille. Zunächst.

Doch gegen Dämmerung kommt die Kuhherde der Nachbarweide zu mir herüber, beäugt mich neugierig, grast, widerkäut und die Kuhglocken bimmeln verdammt laut. Zum Glück nicht die ganze Nacht.

Jurassic Ride #UmsLand

Ein Herz aus Holzscheiten, gefasst in rostigem Eisen weist auf eine Pension hin. Quellwolken stehen am Himmel über der Bergszenerie.

Diese Vielfalt im Einerlei der Tage. Es gibt nur noch die Landkarte. Wie ein Esel, gebunden an einen Pfosten mit sehr langem Seil, umrunde ich das Land. Die Schweiz ist in ihrer Kleinheit unheimlich vielfältig. Ich bin nun etwa zu drei Vierteln oder gar mehr rund geradelt, erlebte Berge, Flüsse, Seen, große Städte, Dörfchen, Verlassenes, Bevölkertes, Düfte, Temperaturen aller Art über 15 Grad …

Mit der Juraroute, der ich seit Nyon am Genfersee folge, hat der letzte Abschnitt meiner „Expedition“ Schweiz begonnen. Die Juraroute ist in der Liste der nationalen Fernstrecken als Nummer 7 gelistet. Sie sei die schönste und gleichzeitig auch die anstrengendste Route, sagen viele. Über 5000 Höhenmeter prophezeiht die Streckenbeschreibung. Dabei ist die Route nur 280 Kilometer lang. Sie führt zunächst hinauf in die Berge, hält sich eine Weile auf über tausend Höhenmetern mehr oder weniger flach, stürzt bei Vallorbe wieder auf 650 Höhenmeter, um sodann wieder zu klettern und so weiter und so fort.

Am vorgestrigen Tag dem, soweit ich richtig rechne, vierzehnten Reisetag, spielt einmal mehr die all-Reise-Magie mir zum Glück in die Hände. Ein bisschen traurig war ich schon, als ich nach Vallorbe wieder gefühlt fast auf das Niveau des Genfersees abrauschte. Es hat etwas von Vergeudung, finde ich, wenn man einmal eine gewisse Höhe erreicht hat und weiß, das Gebirge, in dem man sich befindet ist 280 Kilometer lang (in Wirklichkeit ist das Juragebirge noch viel länger als nur das Stück an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz); wenn man also auf der Höhe ist und dann führt einen die Strecke wieder bis fast nach unten. Ganz unten ist in diesem Fall der Ort Baulmes. Auf der Karte sehe ich an den Höhenlinien, das wird schmutzig, die nächsten Kilometer, denn die Linien sind dicht an dicht, die Straße führt von 650 Metern in Baulmes auf etwa 1300 Meter am Col de l’Aiguillon.

Ich berichtete im letzten Artikel, den ich in der steinernen, gut zwanzig Quadratmeter großen Pforte des Tempels Baulmes schrieb. Tempel, so werden die Kirchen in der Gegend offenbar bezeichnet.

Nun, das Unwetter entpuppte sich zumindest für meine Umgebung als ganz normales Sommergewitter. Nach anderthalb Stunden war der Spuk vorbei, ließ der Regen nach. Halb acht etwa. Noch zwei Stunden Tageslicht. Hier schlafen? Nicht ungemütlich aber auch nicht unbedingt berauschend. Die Wetterprognose sagte eine zweistündige Regenlücke voraus, also packte ich stieg auf, so steil kann es ja nicht sein, vielleicht mal zwölf Prozent hie und da und oben sind die Höhenlinien weit auseinander. Denkste. Konsequent fünf sechs Kilometer im ersten Gang, gerade so noch tretbar. Unterwegs zwei Schutzhütten. Davon hatte die Frau berichtet, jaja, da gibts Hütten, aber da müssen Sie schon noch ein bisschen strampeln.

Ich fahre. Ich schiebe. Ich fahre wieder, winde mich die Serpentinen hoch. Schiebend zwischen drei und fünf, fahrend zwischen fünf und sechs Kilometern pro Stunde. Nach zwei Stunden bin ich oben. Nieselregen. Noch ein zwei Kilometer und ich stehe vor der Refuge de la Joux. Ein Blockhaus. Mit Ofen. Tischen. Bänken. Sauber. Winddicht, regendicht, sogar das Radel passt hinein. Überhaupt könnten in dem großen Blockhaus gut zehn fünfzehn Menschen schlafen. Tür ist offen. Ein Schild an der Tür sagt, wir sind 1235 Meter hoch. Drinnen ist es warm. Trotzdem schüre ich den Ofen ein. Kerzen und Streichhölzer liegen bereit. Holz sammele ich im Fichtenwald.

Es regnet die halbe Nacht und ich denke wieder über die Reisemagie nach und dass ich mich langsam darauf verlassen kann, immer im rechten Moment gerettet zu werden. Kann ich das?

Nahe der Refuge steht übrigens der höchste Baum der Schweiz. Le Sapin President. Ein Fußweg führt hinunter und als ich morgens weiter radele, sehe ich den Baum unweit der Straße, folge einem kleinen Pfad. Wirklich ein Riese mit über vier Metern Umfang. Neben dem Baum steht seine Wachstumshistorie mit den Angaben zu Umfang, Durchmesser, Höhe und Volumen (beim Volumen ist wohl der Forstwirt mit dem Satistiker durchgegangen).

Ich radele mehr oder weniger auf Höhe bis kurz vor Buttes. Im Ort L’Auberson kaufe ich einen Weichkäse, Wurst im einzigen Laden, einer Fromagerie. In der Bäckerei gibts Brot und einen Kaffee. Unheimliche Stille, wenig Autos. In la Côte de Fees zwei Hundegassigängerinnen, die mir ihre Ferienwohnung schmackhaft machen. Vor dem Weg, der zum Haus führt, steht eine Skulptur aus Holzscheiten die in einem Stahlrahmen zu einem Herz gefügt werden, das ich fotografiere. So kommen wir ins Gespräch über die riesigen Bauernhäuser hier in der Gegend, die Stille und den noch beherrschbaren Touristenstrom im Gegensatz zur anderen Seite des Juras nahe des Genfersees.

Nach Buttes stürzt sich die Straße ins Traverstal, das bekannt ist für Absinth, Rousseau, der hier in einer Höhle lebte, und die Asphaltminen nahe Travers.

Hinterm Haus von Freund Marc stelle ich das Radel ab, mache einen Abstecher per Zug hinunter nach Biel zu seiner Stadtwohnung, wo wir plaudernd den Nachmittag verbringen. Spätabends zurück mit dem Haustürschlüssel in der Hand, erstmals seit Tourbeginn eine echte Wohnung, eine Matratze und viel Kunst an den Wänden.

Ein Vordach von Glückes Hand #UmsLand

Ich hatte mich auf einen gemütlichen Schreibmorgen im Zelt eingestellt. Nieselregen auf die Zeltplane, welch beruhigendes Geräusch. Ebenso wie auch beunruhigend. Auf fast 1200 Metern Höhe ist es nicht mehr so prottig warm wie unten am Genfersee, die Luft klebt nicht mehr, sie ist gut atembar, klar, frisch, schmeckt gut. Nach absoluter Stille in der Nacht – nicht einmal Vögel zwitscherten, die Kuhglocken auf fernen Weiden waren zur Ruhe gekommen und überm Flughafen Genf schien auch Pause zu sein, zieht nun um acht Uhr früh die Alltagsgeräuschkulisse wieder auf.

Die Straße, die ich gestern hier herauf fuhr, war zunächst recht stark befahren. Kurz nach 17 Uhr verließ ich Nyon, hatte zum Glück noch einmal eingekauft – der Nächste Laden liegt auf 1000 Metern Höhe, kann dauern, schaffste nicht vor 19 Uhr und wer weiß, vielleicht schließen die auf dem Dorf ja schon um 17 Uhr. Ich kaufte Fertigsalat, Bananen zwei Dosen Bier und einen Liter Milch.

In Nyon zweigt die Juraroute, die Nummer 7 des nationalen Schweizer Radwegenetzes von der Rhôneroute ab. Man sagt, sie sei die schönste aller Radrouten, aber auch gesegnet mit sehr vielen Höhenmetern.

Schon gleich geht es zur Sache, folge ich einem Weg abseits mit kaum Autoverkehr entlang eines Baches, lande auf der Straße mit Feierabendleuten, Lärm und Gestank, gefolgt von wieder etwas Ruhigem, schon kann ich die Schönwohnanlagenzweckbauten der Gegend sehen, betonene Terrassengebäude mit Parkgaragen darunter, die wie Kletterpflanzen die Hügel hinauf wandern und sich zwischen Weinbergen und Getreidefeldern, Wiesen und Wald verteilen. Erst wenn der letzte Angestellte aus Genf seinen wohlverdienten Feierabend angetreten hat und mit dem Auto nach Hause gefunden hat, wird die Straße dir gehören, sage ich mir. Ich darf nicht klagen, es geht sehr gemächlich zu. Die Überholmanöver sind langsam, vorsichtig, mit genügend Abstand. Nichts im Vergleich zum Höllenritt nach Lugano. Fast vermisse ich den Hauch Gefahr, den ein zwanzig Zentimeter-Rückspiegel-Naherlebnis mit sich bringt. Nicht!

Ab dem Dorf Le Muids wird ruhig auf der Straße. Kurz zuvor ein riesiger Betonneubau, sieht nicht aus wie Wohnanlage für Betuchte und ja, stimmt, scheint zu dem Sanatorium zu gehören, das sich zauberbergesk in die Landschaft schmiegt. Ab Bassins gehört die Forstroute praktisch mir alleine. Nur ein Bub von vielleicht acht Jahren kurvt mit dem E-Roller seine Runden, die Mama am Wegrand beäugt ihn besorgt und warnt hie und da. Auf der durchweg geteerten Strecke ist Autofahren verboten. Erster Gang, gut radelbar, nicht so anstrengend. Ich könnte ewig so weiter machen. Muss ich auch im Prinzip, denn es geht auf 1300 Meter hinauf, wenn ich die Höhenlinien richtig lese.

Drei Campingplätze sind in der Openstreetmap verzeichnet, allesamt Naturcampings ohne alles, vielleicht gibts Kompotois, Biokomposttoiletten. Vielleicht. Es sind jedenfalls keine Gebäuder verzeichnet. Der erste liegt auf 1000 Metern, der zweite bei 1160 und der dritte, größte auf 1260 Metern. Ich kurbele. Ab und zu doch ein Auto. Vermutlich Anwohner, Jäger*innen, Naturparkrangerinnen.

Ich bin sehr zufrieden. Der Abend klingt ruhig. Ich schaffe etwa 300 Höhenmeter pro Stunde. Früher waren es einmal 400, meine ich.

Kurz hinter dem Ort Bassins weisen Schilder auf die Besonderheit des Gebiets hin und dass man nicht überall zelten darf. In der Schweiz gilt im Prinzip das Jedermannsrecht und man darf wildzelten, es sei denn, es ist verboten und das ist es in vielen Gemeinden. Hier gilt es nur in den ausgewiesenen Zonen.

Die erste Zone stelle ich mir als frisch gemähte Wiese vor, vielleicht gibt es einen Wasserhahn und zwei Komposttoiletten. Ich finde ein von Kühen beweidetes Gelände, daneben ein Schild, dass man hier nach den Regeln der Gemeinde Bassins zelten darf. Hmm. Die Kühe wirken friedlich. Glocken bimmelnd grasen sie. Unter einer Tanne könnte ich zelten. Ich entscheide mich, weiter zu kurbeln. Das ist auch im Hinblick auf den nächsten Morgen gut. Kein Irgendlink mag Höhenmeter am Morgen. Die bringen nur Verdruss und Aua und schlechte Laune. Mein Hinaufklettern nach Klosters fällt mir ein, wie lang ists her? Bald eine Woche. 25 Prozent Schotterschieben, dass selbst ausgewachsenen E-Bikenden das Herz in die Hosentasche fällt.

Also rolle ich weiter, mache es, wie es gut ist beim Reisen, teile mir das Große, unbewältigbar Scheinende in kleine Häppchen. Next Exit Wiese auf 1160 Höhenmetern. Zwanzig Minuten Kurbeln. das geht, überlege gleichzeitig, in die Nacht hinein zu kurbeln und bis Vallorbe durchzurauschen, nur so eine Phantasie aus gemütliche Dotwatching-Stundem (am PC sich tracken lassende Langstreckenradlerinnen und -radler beobachten, wie sie von Gerhardsbergen in Belgien nach Meteora in Griechenland radeln (Transcontinental Race)).

Der gestrige Tag war vermutlich neben all den vielen schönen Reisetagen dieser Tour Schweiz der allerschönste. Wenn ich von der für mich gefühlt spektakulären Antrittsfahrt ins Juragebirge zuerst rede, so ist dies gewiss meiner Euphorie geschuldet. Das Stück zuvor, von der einen Seite des Genfersees, frühmorgens noch in Frankreich via Genf nach Nyon radelte sich auch wunderschön. Und hatte auch seine Anstiege und Gefälle. Eine Begegnung mit, na ja, einem Gemüsestand möchte ich noch erwähnen. Man rief mich von der Straße weg auf französisch an, ob ich Gemüse kaufen wolle, eigentlich nicht, was soll ich mit Kohlköpfen, trotzdem drehte ich um und schaute mir den Mann und die Frau mal an und wir kamen ins Plaudern. Sie hatten Salat, Gurken, Honig und es gab Tee und Kaffee sogar gratis. Stellte sich heraus, dass es sich wohl um einen einmal die Woche immer Mittwochs stattfindenden Verkauf von Gemüse und Produkten aus einer Art Schule handelt, in der junge Menschen an das Gärtnern heran geführt werden. Unglaublich guter kühler Tee, ich meine, sie sagten, etwas mit basil. Basilikumtee? Schmeckt man doch eigentlich. Vermutlich war es eine Mischung. Schwüler Tag, der sich noch entscheiden musste, ob ein Gewitter losbricht oder nicht. Bis Genf müsste ich mit allem rechnen. ich kaufte einen Knoblauch und eine Gurke. Der Verkaufsmann war ganz begeistert vom Radfahren und berichtete von seiner Tour in der Ostschweiz, die er zusammen mit seinem gehbehinderten Sohn gemacht hatte.

Genf durchradelt sich sicher, hektisch, voller Menschen, voller Kultur und Kunst, und auf der Nordwestseite des Sees gleich gegenüber der berühmten Fontaine gibt es einen wunderbaren Park voller uralter Bäume, Zedern und andere Bäume mit weit ausragenden dicken Ästen.

Schließlich doch noch Gewitter und zwar ausgerechnet, als ich auf eine Kirche mit großem, offenem Vorbau zuradele, als würde sie mir von Glückes Hand geschickt. Ich verbringe dort eine Stunde, bis das Wetter besser ist. Der Ort liegt direkt in der Einflugschneise zum Genfer Flughafen. Im Fünfminutentakt landen die Jets. Ich mache ein paar Filme mit der Gopro, wie sie direkt über der Kirche und dem Dorf dahin röhren. Nicht schön, aber faszinierend.

Der heutige Tag? Ich werde wohl das Zelt nass abbauen müssen. Immer wieder regnet es ein bisschen, so wie es sich anhört nicht sehr stark und wohl gut radelbar. Für den Nachmittag sind Gewitter vorausgesagt. Will mal hoffen, dass mir vom Radreisendenschicksal dann wieder ein Vordach von Glückes Hand bereit gestellt wird.

Rohtext, enttippfehlert von der Homebase

Verharren – #UmsLand

Kleiner weißer Hund angeleint an einem Gitter hinter einem Geranienblumentopf steht wartend und schaut in die Kamera

Der Reisende kennt tausend Möglichkeiten des Verharrens. Verharren, um ein Bad im Genfersee zu nehmen, zum Einkaufen kühler Getränke, zum Verweilen an einem schönen schattigen Plätzchen, verharren, um eine Reifenpanne zu beheben, zum Hängematte aufspannen in einem Park direkt neben einem Barfußpfad, verharren, um in der Einflugschneisse des Flughafens Genf alle fünf Minuten einen Flieger zu beobachten, einen Regenschauer aussitzend unterm Vordach einer Kirche, zum Verweilen in der Sonne. Und und und.

Die gestrige Etappe brachte noch ein paar Abwärtskilometer mit sich auf dem Rhonedeich nahe Martigny, wo der Fluss einen Knick macht, als wolle er das Montblanc-Massiv verschonen, im Laufe der Jahrzehntasende ausgewaschen zu werden. Mein Lagerplatz zwischen Bahntrasse und Autobahn war nicht so übel. Sauber und gemütlich, nur eben der Lärm, der auch nachts kaum nachlässt. Weshalb ich früh im Sattel sitze, die Gegend an mir vorbei fliegen lasse. Die Rhone hat an dieser Stelle dreißig Kilometer vor dem Genfersee immer noch Gebirgsflusscharakter, ist wild, zwar kanalisiert, aber in sich selbst ungebändigt voller Wirbel, Wellen und Stromschnellen. Trübes Wasser, dem man ansieht, dass es viel Sand mit sich bringt. Insbesondere dort wo andere Flüsse zufließen sieht man wie stark getrübt die Rhone ist im Gegensatz zu den Zuflüssen, die meist sehr klares Wasser in die Mischung beitragen. Faszinierend ist die blasenartig mal kühle, mal schwülwarme Luft. Zunächst wunderte mich das, bis mir klar wurde, dass direkt über der Wasserfläche eiskalte Luft mitströmt, die durch den starken Wind mit der normalen Luft über Land verwirbelt und sich ein inkonsistentes Gemisch aus Luftmassen im Tal bewegnt.

In Saint Maurice bewundere ich das Kloster, das eine Station der Via Francigena ist, die nach Rom führt. Auf einer Tafel ist eine Liste aller Orte der Umgebung von Ornans im französischen Jura bis zum Ende der Schweiz eingezeichnet. Ich befinde mich auf einem uralten Pilgerweg.

Es ist heiß. Es ist sehr sehr heiß und schwül. In jedem Brunnen, der sich mir bietet, nässe ich mein T-Shirt, streife es fröstelnd und schreiend über, denn angenehm ist dieser Moment der Transition in einen fahrbaren Kühlschrank nicht. Der Effekt hält je nach Schattenlage etwa eine halbe Stunde. Dann ist das Shirt wieder trocken.

Am Genfersee angelangt, schlage ich die südliche Küste ein, weiche ab vom Rhoneradweg, der durch die Schweiz führt, befinde mich schon bald in Frankreich. Bis Evian-les-Bains führt teils ein eigener Radweg, der einer ehemaligeen Bahntrasse folgt, jedoch nicht im Gleisbett, sondern ein bisschen abseits und entsprechend mit Aufs und Abs gesegnet. Trotzdem bin ich froh. Die Straße lärmt, stinkt, nervt, ist teils gefährlich und sollte mir an dem Tag mehr als nicht erspart bleiben.

Trotzdem ist ein Fernradweg ausgeschildert: Tour du Léman. Léman ist der französische Name des Genfersees. Die Infrastruktur der Tour du Léman ist fragwürdig. Immer wieder stößt man auf Radwegefetzen, manche nur hunderte Meter lang, um wieder auf der Straße zu landen. An einer Stelle besteht die wunderbare Radlerinfrastruktur aus einem Schild an der Hauptstraße, das auf schnellen und viel Verkehr hinweist und einen zig Kilometer weit alleine lässt im Dieselrußgesstank und Lärm, gepeinigt von den Druckblasen der LKWs.
Ab und ane Baustellen zeigen aber, das wird, man baut Radwege immerhin, kleine Brücken, eigens geführte Trassen für die Radtouristen und -touristinnen.

Unweit von Evian nehme ich ein Bad im See, verharre, packe die Solarzelle aus, lade das Telefon. Später kaufe ich in Evian ein, schufte mich hinauf in die Hügel, folge der Radroute TDL, was in der Open Cycle Map das Kürzel ist für die Tour du Léman. Wird besser mit schlimmen Passagen immer wieder. Ein Zuckerbrot und Peitschenradweg. Trotzdem wunderschön.

Jenseits von Thonon-les-Bains mache ich auf der Karte gute Wildzeltmöglichkeiten aus. Schon bin ich auf Kurs, schon passiere ich einen winzigen Campingplatz in der Art à la Ferme, nur eben à la Neubaugebiet in Weinbergen. Nur etwa acht Stellplätze gibt es und die Besitzerin ist zufällig noch vor der Tür, lässt mich ein, erklärt mir die Restaurants und was man eben so als Tourist alles benötigt, Seezugang usw. und mit einen Schlag wird mir bewusst, wie weit außerhalb ich der Gesellschaft schon bin, wie abnorm meine low-Budget-Reise. Seit sieben Tagen nur wild zeltend unterwegs, mich in Bächen und Teichen waschend, nur von Brot und Käse und Wurst lebend. Ein Europenner wenn man so will.

Trotzdem tut der Platz gut. Mit 10,20 Euro vermutlich im normalen Preisrahmen, ein monetärer Ausweg aus der Drangsale, die die panoptische Gesellschaft mit sich bringt, deren Augen allüberall übel wildzeltend Pack vermutet …

ich schweife ab. Der Gedanke der Panoptik beschäftigt mich, seit ich jüngst einen Vortrag über einen französischen Philosophen gesehen habe, sein Name fällt mir gerade nicht ein, in dem es um die Entwicklung unserer heutigen menschlichen Gesellshaft ging hin zu einer sich selbst optimierenden, sich und die Mitmenschen immerbeäugenden Masse.

Mein Campingplatz lag genau gegenüber Nyon, etwa 40 kilometer bis Genf.

Ich schreibe diese Zeilen verharrend im Eingang einer Kirche in Genthod. Dem Tempel von Genthod. Kam gegen halb neun am Morgen los und radelte bis ins quirlige Genf und folge seither wieder der Rhoneroute. Allerdings aufwärts. In Nyon werde ich die Juraroute einschlagen.

Von Agno durchs Centovalli, durch den Simplon ins Wallis #UmsLand

Picknicktisch mit einer Flasche Milch, einem runden, dunklen Brot in Plastikfolie, halb ausgepackt und dem Stativ einer Actionkamera

Tag zehn und elf der Reise rund um die Schweiz. Mein heutiger Schreibort dürfte hundert oder zweihundert Kilometer vom letzten Schreibort (unweit von Agno im Tessin) entfernt sein. Eine Picknickgarnitur aus Holz direkt an der Rhône. Ich blicke nach Osten, wundere mich, dass die Sonne so steht wie sie steht, müsste sie nicht eher überm Fluss aufgehen, achje und es ist ja Sommer, fast Mittsommer gar, da dreht der Feuerball ja eine dreiviertel Runde, somit blicke ich wohl nach Nordosten.

Auf dem Tisch Frühstücksutensilien, die GoPro, ein Tetrapack Milch, Haselnusscreme und eines jener typischen Walliser Brote. Rund, bemehlt, Dunkel. Wie ein schöner großer Keks und ziemlich schwer. Vom Geschmack her ein bisschen wie Komissbrot, viel edler natürlich, schwer zu schneiden, fürs Beißwerk auch nicht gerade einfach. Das Walliser Brot bleibt ewig frisch, wenn man so will. Als ich gestern durch den Coop-Markt in Leuk spazierte, konnte ich nicht wiederstehern. 4,5 Franken kostete es.

Im Kern der beiden vergangenen Reisetage steht sicher das Thema Warten. Inwieweit Warten eine sinnvolle Tätigkeit ist, was es mit einem macht. Ich hatte gestern früh um kurz nach zehn in Domodossola ein Ticket nach Brig gekauft. Durch den Tunnel. 16 Euro für mich und das Veloticket solle ich im Zug kaufen, sagte die Bahnmitarbeiterin. Hätte ich den Fahrplan besser studiert, den mir Frau SoSo per Kurzmitteilung gesendet hatte, hätte ich mich vielleicht etwas beeilt. Meine Rutsche den Berg hinab wäre sicher viel hektischer gewesen, ich aufgeregt zudem, wie ich es eigentlich vor jeder Terminschleuse bin. Sei es nun ein Fahrplan, Arbeitsbeginn, oder irgendwann irgendwo sein müssen zu einem Zeitpunkt.

Wäre die Zugfahrt nicht, wurde mir plötzlich klar, wäre die Reise weiterhin in einem unförmigen, aber wohligen Zeitstrom ohne jegliches Zeitempfinden verlaufen. Das war mir sonntags bewusst, diese Zeitlosigkeit. Sie stellte sich dadurch ein, dass ich nicht einkaufen musste, weil ich es auch nicht konnte. Ein Gefühl des ‚alles ist genug, du brauchst nichts‘ stellte sich ein. Ich hatte zwar ein Ziel oder besser eine Richtung, nämlich durch Locarno ins Centovalli und rüber nach Italien, aber kein Zeitkorsett. Zunächst folgte ich der Schweizer Radroute 3 Richtung Bellinzona. Auf dem Pass jenseits von Rivera war ich kurz versucht, einen als gestrichelte Linie und mit Via Romana eingezeichnete Abkürzung steil den Berg hinab zu nehmen, um auf den Locarno-Radweg zu kommen. Die drei macht an dieser Stelle nämlich einen unmäßigen Schlenker, warum, sollte ich sogleich feststellen. Doch zunächst plauderte ich mit einem Briten auf dem Weg nach Como, nein, er könne mir auch nicht sagen, ob die Via Romana gut zu radeln ist. Drei Rennradler fuhren gerade hinunter und ich weiß nicht, was mich geritten hat, Vernunft? Das kann nicht sein, dass die Abkürzung taugt, sieh dir mal die Höhenlinien an. Der Brite sagte, die Route drei fahre sich sehr gut, sogar den Berg hinauf, wie sie gekommen waren, und ich muss ja nur hinunter und was sind schon fünf Kilometer mehr, wenn man sie in Gewissheit tut, im Vergleich zur Ungewissheit der Abkürzung. Die drei Rennradler waren mittlerweile verschwunden und ich radelte mit fünfzig, sechzig Sachen hinab auf der frisch geteerten Landstraße. Wieder so ein Pass, bei dem ich mir beim Abrollen nicht vorstellen konnte, ihn je hinauf geradelt zu sein.

Ein, zwei Stunden später baumelte ich in der Hängematte in Tenero, als die drei Rennradler an mir vorbei radelten. Ich weiß nicht, ob sie die Räder die Via Romana hinunter tragen mussten oder auf halber Strecke verzweifelt umgekehrt waren.

Bewusst nutze ich meine Hängemattenbaumelpausen, um auch die Akkus per Solarzelle zu laden. Da diese einen Wackelkontakt hat, kann ich sie nicht zuverlässig auf dem Gepäckträger betreiben. Das gibt aber meiner Ruhe auch eine gewisse Legitimation. Gegen Abend Einstieg ins Centovalli. Ab Ponte Brolla etwa zweigt der gut gemachte Radweg ins Valle de Maggia ab und ich muss wieder auf die Landstraße. Zum Glück nicht zu stark befahren und zum Glück auch mit halbwegs unriskanten Überholmanövern. Wegen der vielen Kurven kann man ohnehin nicht schnell fahren.

Bei einem Stausee überlegte ich, zu zelten, sah gut aus, entschied mich dann doch dagegen, da mir die Vorstellung nicht behagte am frühen Morgen gleich schon wieder Steigungen zu erklimmen. Ich meine, der Stausee war bei etwa vierhundert Metern und der Pass bei Santa Maria ist etwa 750 meter hoch. So genau erinnere ich mich nicht mehr. Das letzte Mal, dass ich durchs Centovalli radelte war 2001.

Beklommen war mir dennoch ein bisschen, denn in der Erinnerung ist die Strecke zwischen Domodossola und Locarno eng, kurvenreich, steil und es gibt noch nicht einmal Stellen, an denen man anhalten könnte, um mal eben zu Pinkeln oder ein Foto zu machen. Denkste. Ab dem Ort Re (Link zu Wiki) öffnet sich eine Art Hochtal und ich finde massenhaft Wiltdzeltplätze, so dass es fast schon schwierig wird, sich für einen zu entscheiden. Die Wahl fällt auf eine verlassene Kuhweide. Die Zäune sind schon abgebaut, direkt an einem Nebenfluss, der eine Art Wasserfall bildet, der sich über eine betonierte Kante stürzt. Wenn es mir gelänge, die drei Meter hinunter zu klettern, könnte ich sogar duschen. So aber bleibt nur ein Bad und ein im Fluss gekühltes Bier.

Montag, Transfertag, gestern. Ich bummele, drehe meine Runden in den Bergdörfern. Bis Santa Maria waren denn doch noch etwa 100 Meter zu klettern. Das Dorf liegt auf über 800 Meter. Dann stürzt sich die Straße hinab ins Tal und in weniger als einer halben Stunde stehe ich in Domodossola am Bahnhof, kaufe des Ticket, habe drei Stunden Wartezeit bis der Bimmelzug nach Brig fährt. Ich bummele durch die Stadt, sitze in der Fußgängerzone, esse eine Banane. Auf der Bank neben mir sitzt ein junger Mann, liest ein Buch. Ich grüße ihn Buongiorno, er grüßt zurück, liest und liest. Meine Solarzelle liegt auf dem Gepäckträger und pumpt das Handy voll. Ich nichtse so vor mich hin, denke übers Warten nach. Über Zeitpunkte und wie sie die Herrschaft über mein Leben, über unser aller Leben ausüben. Abstrakte Marker in einer streng getakteten Welt. Ab und zu stehe ich auf, gehe zum Radel, richte die Solarzelle aus. Ein Presslufthammer wummert. Nicht zu laut. Die Turmuhr schlägt zwölf. Noch eindreiviertel Stunden, dann gehts durch den Simplontunnel. Der junge Mann steht auf, sagt Arrivederci und geht. Ich packe zusammen und radele ein bisschen durch die Stadt. Fotografiere, lande in einem Park. Halb eins. Zwei Kleintransporter fahren über die Wiese bis zum Schatten unter Bäumen. Drei Männer steigen aus, machen es sich auf den Bänken neben einem Spielplatz bequem, quatschen Arbeitermittagspausendinge, essen ihr Lunchpaket. Ich richte hin und wieder die Solarzelle aus, müde bin ich, wenn ich einschlafe, verpasse ich vielleicht den Zug, stelle den Wecker auf 13:30. Eine Viertel Stunde sollte reichen bis zum Bahnhof zu radeln, denke über Zeit nach, verflixt, der nächste Zug, falls ich diesen verpasse, fährt um 15:48 und dann noch einer, ein paar Stunden später, und mein Ticket gilt bis 22. Juni. Ich könnte also wartend in Domodossola verbringen, die Hängematte zwischen den beiden Bäumen neben dem Bolzplatz da hinten aufbauen und ein Buch schreiben. Vom Warten in Dodo, wie ich Domodossola kumpelhaft nenne.

13:48 sitze ich im Zug. Die Schaffnerin wundert sich, dass mir die Schalterbeamtin kein Veloticket verkaufen wollte, druckt mir eins für 8,20 Franken aus. Somit habe ich diese Zugfahrt sowohl in Euro, als auch in Franken bezahlt.

Schwüle Hitze trifft mich mit Wucht, als ich den Bahnhof Brig verlasse, mich auf den Radweg verirre, der auf der rechten Rhôneseite in Naters verläuft. Aber ab da ganz gut beschildert. Zunächst mit Gegenwind –nein, Sturm sogar – bergab, bis ein Gewitter die Luft etwas klärt, dass der Sturm aufhört, sich in Rückenwind – gar Sturm – wandelt. Das Gewitter sitze ich unter dem Betondach eies Sportlerheims aus, wie auch zwei Rennradler, die sich im besten Walliserdütsch unterhalten und ich mich als ‚Tschugger‘-Fan (‚Tschugger‘ ist eine Krimiserie, die im Wallis spielt) zu erkenne gebe.

Campingplatztipps. Radlergeschichten. Dass der Simplonpass derzeit nicht fahrbar sei per Radel wegen einer Baustelle ganz oben bei den Galerien. Zu gefährlich. Ein Spießrutenlauf.
Alles richtig gemacht, Herr Irgendlink.

So folge ich nun der Rhôneroute Nummer 1 meist auf geteerten Dammwegen. Die Schweiz hat nicht nur ein nationales Radwegenetz, sondern auch ein Skatenetz. Und das ist auf der 1 oft deckungsgleich mit dem Radweg, was bedeutet, dass fast alles geteert ist. Doch auch die Pisten mit feinem festgefahrenem Split fahren sich ganz gut.

So wundere ich mich abends, dass ich schon fast in Martigny bin. Hätte mit zwei, drei Tagen Fahrt gerechnet bis zum Genfersee, doch nun sind es noch etwa 20 km bis Martigny und vielleicht 50 bis zum See.

Rohtext, enttippfehlert von der Homebase