Hidden Art – Item Nr. 1, Vorankündigung

Schon spät. Die Glotze läuft. Es schneit. Nachmittags war ich draußen auf den Feldern, um mich nach einem Versteck für mein erstes „Hidden Art Item“ umzusehen. Ein lehmiger Stein neben einer riesigen Pappel schien mir geeignet, um darunter eine wasserdichte Box zu verstecken, die ein, in Folie verpacktes, gerahmtes Foto enthält. Bisschen Silikagel könnte auch nicht schaden, um die Kunst vor jeglicher Feuchtigkeit zu schützen. Ich fotografierte den Stein und einen Teil der Pappel. Dann versuchte ich, die Koordinaten zu nehmen. Aber der Empfang war so miserabel, dass ich zunächst ein paar hundert Meter Richtung Nordosten laufen musste, das Empfangsgerät zwischen gefrorene Gerstenschößlinge legen, warten bis es mindestens fünf Satelliten geortet hatte. Auf der Landstraße am Horizont pulste der Feierabendverkehr. Von Nordwesten gräute der Himmel. Schnee lag in der Luft. Ich allein auf weiter Flur. Kunstflausen im Kopf. Was will ich mit der Hidden Art erreichen? Bin ich womöglich der Erfinder der Hidden Art? Ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass ich mir in den Kopf gesetzt habe, ein Kunstwerk zu verstecken, die Koordinaten hier im Blog bekannt zu geben und abzuwarten was passiert. (Höhöhö: in Anbetracht, dass ich womöglich post mortum berühmt werde, ist es nur ratsam, dieses allererste Hidden Art item zu ergattern!)

Zurück zur Pappel. Ein alter ehrwürdiger Baum, unter dem ich im Sommer 1971 fasziniert vor einem Flächenbrand stand. Ein halber Hektar Gras in Flammen. 1971 war es üblich, vertrocknete Felder einfach anzuzünden. Alle Bauern taten das. So auch mein Vater. Mit dieser Erinnerung im Kopf speicherte ich den Punkt. Das Kunstwerk ist noch nicht fertig. Es wird ein gerahmtes Bild, handsigniert, unikat hinter Glas im Format 7 mal 9 cm. Ich denke, das reicht fürs Erste.

Der Künstler ist stets bestrebt, sein Hobby zum Beruf zu machen

Qualmt einem schon wieder der Schädel. Ich baldowere neue Kunst aus. Eine Kombination aus Geocaching, Google-Maps und Fotografie, gemischt mit GPS-Drawing. Dieses Sache wird mich das ganze Jahr beschäftigen (und im Oktober in der Galerie B. gezeigt werden). Konstatiere: der Künstler ist stets bestrebt, sein Hobby zum Beruf zu machen.
Ist noch ziemlich kühl in der Künstlerbude. Das Feuer will nicht so recht. Ich bin sowieso recht tief gesunken. Der Kaffee ist alle. Aber in der Thermoskanne war noch ein Rest von Vorgestern, welcher gerade noch so als lauwarm durchgehen würde. Sollte ich diese letzte Grenze überschreiten?

Ich kippte die Plörre in die Kanne und stellte sie auf den Ofen. Wartete. Trank.

Fahle Sonne. Das Thermometer zeigt 8 Grad Minus. Ich muss Kaffee kaufen. Sowie ein Auto mieten, mit dem ich am Wochenende meinen Cousin in Amsterdam abholen kann.

Der Weg könnte eventuell das Ziel sein.

Guten Morgen. Schon spät.

Gestern, spätabends habe ich so etwas Ähnliches wie den 2400 Meter hohen Pyrenäenpass der Computerei erreicht: ein selbst zusammen gebasteltes Betriebssystem zum Laufen gebracht und mich obendrein mit dem Netz verbunden. Der Browser, den ich dazu verwendete heißt Lynx, ein reiner Textbrowser, welcher seltsamer Weise auch gut benutzbar ist, um Gestaltungsfehler in High-Tech-Design-Webseiten aufzudecken: Wenn Du mit Lynx nicht schnell und einfach den Inhalt der Seite lesen kannst, dann taugt die Seite entweder nichts oder sie hat keinen Inhalt. Beides macht keinen Sinn.

Man möchte vielleicht glauben, dass das Erklimmen von hohen Bergen mit vollbepacktem Fahrrad eine elende Schufterei ist, was ja auch stimmt. Nur eben. Es geht ja nicht um die Schufterei, sondern um das Zurücklegen des Weges im Einklang mit der Natur und sich selbst. Die schönste Alpenstraße, die ich per Fahrrad erkundete war der San Bernardino-Pass, von Süden kommend. Eine ruhige, pittoreske Strecke. Eine der großen Schweizer Fernradstrecken führt über den San Bernardino bis ins Tal des Hinterrheins. Somit ist die Strecke in zweierlei Hinsicht von hoher philosophischer Bedeutung: Erstens: Der Weg, du und die Natur in konspirativer Auseinandersetzung. Zweitens: Das Ziel ist eine Quelle, besser gesagt, eine der beiden Quellen des größten westeuropäischen Flusses.

Während ich so am Computersystem schufte, breite ich Bücher und Kritzelzettel aus, schalte vom einen aufs andere Betriebssystem, telefoniere mit Fachleuten, trinke Kaffee. Man könnte sagen, die Informationen häufen sich unter mir wie der Abraum kilometerlanger Gletscher. Nach und nach entsteht so ein Thron, auf dessen Spitze ein kenntnisreicher Mensch sitzt. Stets schuftend, schwitzend, lernenden, niemals aufhörend.

Eine interessante Eigenschaft von Bergen ist die Möglichkeit, seine Sichtweise zu verändern, indem man sie erklimmt. man erweitert buchstäblich seinen Horizont. Deshalb sind Berge in meiner bescheidenen Halbphilosophie so wichtig

Flashback > Mai 2000

Puuh, jetzt qualmt mir der Schädel wegen anstrengender Arbeiten mit Computerdingen, von denen ich (noch) keine Ahnung habe.

Hat je ein Eichhörnchen sich mühsamer ernähren müssen?

Allgemeines Fazit: Was klappt macht Spaß. Was nicht klappt, bringt einen zur Weißglut.

Nebenbemerkung: die Sonne scheint. Es ist eiskalt. Bäume zittern im Wind. Kurzfristig mit den Gedanken abgeschweift ins Jahr 2000, als ich mit dem Fahrrad die Pyrenäen überquerte. Frühmorgens in Ax les Thermes gestartet und mich bis zur 2400 Meter hohen Porte d’Envalira hinauf gekurbelt, was anfänglich, bis zu einer Stadt namens L’Hospitalet noch sehr viel Spaß machte. Ab elf Uhr setzte heftiger Verkehr ein. Konsumwillige französische Tagesausflügler stürmten das Steuerparadies Andorra. Die letzten neunhundertHöhenmeter bei recht dichtem Verkehr waren nicht unbedingt die Hölle, aber es ist doch numal so, dass man als kurbelnder Radler ganz gerne seine Ruhe hat.

Wie auch immer. Die Computerschufterei weckt die Erinnerung an den Pass, weil sie sich so ähnlich anfühlt. Fängt harmlos an und legt gegen Ende hin ordentlich zu. Zu guter Letzt trägt man hoch oben auf der Passhöhe die Früchte seiner Arbeit in Form einer Riesenabwärtssauße nach Hause. Ähm. Das heißt: ich raste mit siebzig Sachen nach La Vella, Andorras Hauptstadt, hinunter. Und die Computerschufterei? Noch keine Passhöhe in Sicht.

Und was ist mit den Unterhosen, die zwischen den Pobacken verschwinden?

Bizarrer eiskalter Morgen. Kokolores musste früh raus, weshalb wir einen schnellen Kaffee nahmen, den Hund und eine halbe Wohnungseinrichtung im Auto verstauten und uns beide in dicke Winterklamotten packten, denn die sibirische Kälte hat heute Nacht die Pfalz erreicht. Ein eiskalter Wind drückte von Osten. Sterne funkelten.

Zwischen Tür und Angel fragte Kokolores: „Sag mal, rutscht dir die Mütze auch immer ins Gesicht?“ Ich sagte: „Ja …“, rieb mir grübelnd das Kinn, doch Kokolores hatte schon eine Erklärung parat: „Vielleicht wäre sie lieber ein Schal?“ Solche Kommentare erheitern meinen Tag. Auf der Suche nach der Jacke spann ich an einer Allgemeinen Formel zur Unglückseligkeit der westlich zivilisierten Winterkleidung. In meiner Theorie waren die Kleidungsstücke beseelt. Mehr noch, sie waren schizophren, neurotisch und psychisch gestört. In einer dunklen Ecke tastete ich nach der Jacke, fand ein Stück Stoff, das sich anfühlte wie eine Hose, zog es hervor. Es war die Jacke. Kokolores schmunzelte: „Die wäre wohl lieber eine Hose, so wie sie die Kappe hängen lässt und um die Taille betont eng fällt?“ – „Da ist etwas wahres dran.“ Ich strippte das widerspenstige Kleidungsstück über den Pullover, der sich anfühlte wie ein Mantel. Der Schal leistete erheblichen Widerstand, als ich den Reißverschluss zuzog. „Ich glaube, die Sache lässt sich nur bauesoterisch erklären“ sagte ich, „die Welt ist verrückt, der Mensch ist verrückt und da ist es kein Wunder, wenn auch seine Kleidungsstücke ein bisschen komisch sind.“ Kokolores verabschiedete sich mit den Worten: „Und was ist mit den Unterhosen? Jaja, die Unterhosen, die immer zwischen die Pobacken rutschen …?“