To job or not to job?

Nichts Besonderes. Bin ein wenig müde, weil es gestern mal wieder spät wurde. Die üblichen Tätigkeiten: Datenbank des Arbeitsamts gefleddert und einen interessant klingenden Job gesichtet. Auf einer Handynummer angerufen, Parameter erklären lassen. Das Damokles Schwert gesliceter Zeit baumelt Tag und Nacht und es gibt fünf Euro pro Stunde. Rechtfertigungsversuche von Seiten der Arbeitgeberin. Als ich neun Euro als Verhandlungsbasis vorschlage, zeigt sie sich nicht kompromissbereit. Kurzangebunden beendete sie das Gespräch, ich könne ja mal vorbei kommen. In meinem Schädel gaukelte ein mathematischer Prozess: fünf mal 10 ist 50 und 400 durch fünf ist 80 – fünfzig Euro pro Tag, 80 Stunden pro Monat.

Vielleicht sollte ich Ja sagen. Der Job ist aus bloggolerischer Sicht ziemlich interessant. Addiere den bloggolerischen Nutzen zum rein materiellen und du erhältst äh öh hmm?
Erstmal ein neues Kapitel für die Straße nach Gibraltar schreiben. Morgens ist gut denken.

Straße nach Gibraltar 002

Ein langer Weg beginnt mit einem gehörigen Kater

anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26) – karte – galerie (km 14,21)

Noch ein Blick zurück. Dann kurbelte ich den kurzen Anstieg bis zum höchsten Punkt über Zweibrücken, das einsame Gehöft immer kleiner werdend, um sodann hinuterzubraußen in die Stadt. Vorbei am Birnbaum, zarte Frühlingsblüten, vorbei an der Fachhochschule, kreuz und quer durchs Kleinstadtgewirre. Es ging hart an. Mein Schädel pulste. Unweigerlich den gestrigen Abend revue passieren lassend. S. hatte lasziv mit ihrem neuen Lover auf dem Tisch getanzt. Was zunächst amüsant wirkte, endete in einer halsbrecherischen Katastrophe. Beim Sturz fasste sie mich am Kragen und riss mich vom Barhocker. Im tiefen Fall ist einem der Nächste gerade gut genug. Sie kam mit ein paar Schrammen davon, der Lover lief blutend ins Klo, ich rappelte mich auf und ging.

Unter diesen Umständen und mit diesen letzten Erinnerungen schien es mir beinahe eine logische Konsquenz, dass ich das alles für eine Weile hinter mir lasse. Es würde sonst immer und immer und immer so weitergehen. Wie hirnlose Hamster wetzen wir im Laufrad.

Das gute Gefühl, endlich unterwegs zu sein, dimmte meine Nervosität. Die, beinahe mantrischen Umdrehungen der Pedale taten ihr übriges. Alle 10 Kilometer stoppte ich, klappte die Fronttasche auf, kramte den Fotoapparat heraus und schoss ein Bild in Richtung Gibraltar. Schließlich war ich nicht nur zum Spaß aufgebrochen, sondern ich wollte diese Reise künstlerisch dokumentieren. In mein Notizbuch hatte ich Spalten gemalt und somit eine Art Tabelle erzeugt, in die ich Kilometer und Bildnummer notierte, sowie Besonderheiten.

Wenn ich nun, Jahre später, das Notizbuch aufschlage, finde ich auf den 88,58 Reisekilometern des ersten Tages so atemberaubende Notizen wie: „es beginnt zu nieseln“ (km 29,7) oder: „La Petite Pierre: Regen lässt nach“ (km 60,99), sowie viele geografische Notizen. An welcher Kreuzung wurde welches Bild aufgenommen? Wo ist eine Brücke über den Bach? Ich glaube, im Laufe der Rekonstruktion dieser Reise, wird mir das noch sehr von Nützen sein.

Die Bewohner von Bergen haben es, im Gegensatz zu den Bewohnern der Täler mit dem Starten ziemlich leicht: der Weg fliegt ihnen entgegen, auch wenn sie verkatert sind. Ruckzuck überquerte ich die französische Grenze auf einer knapp 5 Meter breiten, geteerten Straße, bewegte mich, so lange es ging, im Tal des Schwalbachs, welcher in Lothringen entspringt und in dem Klosterstädchen Hornbach in den gleichnamigen Hornbach mündet. Eine gutmütige Gegend, die dem Langstreckenradler nicht allzu viel abverlangt. In einem Dorf namens Enchenberg kam der erste steile Anstieg. Kleinster Gang. Mein Schweiß roch übel. Eine Folge der durchzechten Nacht. Aber das ist gut. Ich werde es hinter mir lassen. „Daran kannst auch du, winziger, unbedeutender Hügel, der du dich mir in den Weg stellst nichts ändern.“ Im Gegensatz zu anderen Reisen, bei denen ich mitunter schon am ersten Tag aufgegeben hatte, hatte ich bei dieser ein gutes Gefühl. Es gab nichts, was mich zurückblicken ließ. Ich durchquerte La Petite Pierre, ein Touristendörfchen, das seinem Nemen getreu hoch oben auf einem kleinen Felsen liegt. Pittoresk. Viele Restaurants. Sonntagstrubel. Kleine Kirche. Fahrende Händler, die, gerade als ich eintraf, ihre Souvenirs zusammen packten. Hinüber nach Phalsbourg und von dort war es nur noch ein Katzensprung bis zum Canal de La Marne au Rhin, dem Rhein Marne Kanal. Er ist touristisch voll erschlossen. Ein prima Radweg führt auf dem alten Treidelpfad Richtung Westen. Man kann diesem Kanal von Straßbourg bis Saverne folgen, eine wirklich empfehlenswerte Fahrradstrecke.

Ein Campingplatz kam in Sicht, gerade rechtzeitig, denn es dämmerte. Vom Radweg führte ein Pfad hinüber. Vor der Rezeption brannte Licht. Ich war erschöpft, hungrig und nass, also meldete ich mich für diese Nacht an.

Straße nach Gibraltar 001

Sonntag, 16. April 2000 – Vom Packen

karte – galerie
Jener Tag, an dem ich nach Gibraltar aufbrach wird mir ewig im Gedächtnis bleiben. Ich habe an diesem Tag den größten Fehler gemacht, den ein Reisender nur machen kann. Ich war unkonzentriert, faul und schludrig. Ich erinnere mich, wie mein Herz pochte, schon gleich nach dem Aufwachen, ganz aufgeregt, ich mich sofort aus dem Bett erhob, die Rolläden hoch zog und in eine fahle Sonne blickte. Die Nacht war kurz, aber ich hatte gut geschlafen. Am Vorabend hatte meine Freundin S. ihren 30ten Geburtstag gefeiert. Man tanzte ausgelassen und trank. Jetzt schmerzte mein Kopf. Das Bett war zerwühlt, aber ich war allein. Ich nahm einen Kaffee, zog mich an, schaute aus dem Fenster. Im Osten lag Dunst auf den Äckern. Zart bohrten sich Getreide-Schößlinge durchs Braun. „Es könnte ein guter Tag werden“, murmelte ich. Der Boden meines Schlafzimmers war über und über mit Reiseutensilien belagert. In der Woche zuvor hatte ich es für eine gute Idee erachtet, sämtliche Gegenstände, die man als Fahrradreisender braucht, mitten ins Zimmer auf den Boden zu werfen. Dort hätte man, so meine Theorie, einen prima Überblick und könnte zu jeder Zeit genau kontrollieren, was noch fehlt. Das Zelt lag neben einer Plane in friedlicher Einheit mit solch winzigen Wichtigkeiten wie Taschenmesser und Reisepass. Ich stopfte die Fahrradpacktaschen: drei Unterhosen, drei Paar Socken, Kocher, Schlafsack, ein zwei T-Shirts und noch so Einiges. Zunächst war ich bestrebt, eine gewisse Pack-Ordnung einzuhalten und die Dinge, die ich öfter benötigen würde, nach Oben zu packen und die Dinge, die nur für den Notfall im Gepäck waren oder aus purer Sentimentalität, sollten ganz nach Unten. Knut Hamsuns „Hunger“ steckte ich, zusammen mit Erich Fromms „Haben oder Sein“ in eine Plastiktüte, überlegte, ob sie wichtig oder unwichtig seien. Auf Reisen ist nichts schlimmer als Einsamkeit. Die Einsamkeit verursacht Heimweh. Heimweh ist ein vager Zustand der Sentimentailtät, in dem man nicht mehr ganz Herr seiner Sinne ist. Gegen Heimweh hilft am Besten das Abschweifen in eine fremde Welt, fern jeglicher Äußerlichkeiten. Bücher, so schien es mir, sind hierfür eine gute Methode. Ich stopfte die Lektüre in die linke Packtasche, ganz nach Unten. Darauf Pullover, Regenhose und Sandalen. Dann kam der Schlafsack und ganz Oben quetschte ich den Spiritus-Kocher und sonstige Kochutensilien. Der Packsack beulte sich aus und mir kamen Bedenken. Ich nahm einen Schluck Kaffee, rieb mir das Kinn, murmelte, „nee, nee, so geht das nicht.“ Alles wieder raus. Dann stopfte ich erneut. Mein Kopfweh wurde stärker. Ich nahm eine Schmerztablette, tanzte wie wild durch den Raum, und kam zu dem Schluss: „Eine richtige Packordnung kommt erst unterwegs. Noch befindest du dich in der theoretischen Phase. Was tust du? Denkst dir deine kleine Welt zurecht, dies und jenes habe so und so zu sein, und wenn der Fall A eintritt, musst du mit den Gegenständen B und C gewappnet sein, damit du nicht in die Situation D gerätst, denn D, das wäre doch das Schlimmste, was dir passieren kann.“ Derart verkatert und unruhig radebrach ich, sprach mit mir selbst und stopfte schließlich sämtliche Gegenstände wahllos in die Packtaschen. Meine Unruhe verstärkte sich, als ich ein fast leeres Schlafzimmer vor mir hatte. Es gab nur noch die Fahrradpacktaschen, knapp 150 Liter komprimiertes Tramperdasein. Mein Wohn-, Schlaf-, und Esszimmer für die nächsten paar Wochen. Ich pflückte die große Spanienkarte von der Wand, in welcher ich mit Reißnägeln schon seit Wochen meine Tour absteckte. Sorgfältig faltete ich sie und schob sie zu den Frankreichkarten in eine Plastiktüte. Die Michelin Nummer 58, welche Lothringen und sogar noch das Stückchen Deutschland bis über Zweibrücken hinaus abbildete, legte ich in die Fronttasche. Stets gut erreichbar. Dazu das noch niegelnagelneue, leere Reisetagebuch und einen Stift. Jack Kerouacs „Unterwegs“, kam, gleich einer Bibel, zusammen mit dem Fotoapparat und zehn Schwarz-Weiß, sowie 6 DIA-Filmen ebenso in die Fronttasche. Die Fronttasche ist der Marktplatz des Radreisenden. In Ihr trifft sich die Welt. Die Gegenstände, die sich in ihr befinden, sind die aller-aller-aller-Unentbehrlichsten, die es in der mobilen Lebensumgebung des Reisenden gibt.

Endlich fiel die Tür hinter mir zu. Im Treppenhaus begegnete ich meinen Eltern. Sie waren mindestens genau so aufgeregt wie ich. Ihr Blick zeigte Sorge, angereichert mit jenem würzigen Schuss Aufregung, den wohl jeder von uns spürt, wenn ein Anderer eine große Reise tut. Man fiebert mit wie bei einem Bauvirhaben in der unmittelbaren Nachbarschaft. Ich glaube, insgeheim wechselten meine Eltern in diesem Moment ein Stückweit den Blickwinkel. Die nächsten Tage und Wochen würde ich für sie zum Protagonisten einer fernen Geschichte mutieren, ein zwar naher, aber mit jedem Tag ferner werdender Mitmensch. Und im Gegenzug würde die Welt auf meinen Karten für mich mit jedem Kilometer, den ich in Richtung Gibraltar zurücklege realer und realer werden.

Die Gedanken und Gefühle im Moment des Abschieds sind schwer zu beschreiben. Bei der Begegnung im Treppenhaus war ich bemüht, meine Alkoholfahne zu verbergen, mich als starker, cooler Starter einer Reise zu zeigen. Mein Vater nahm Packtaschen. Vermutlich spürte er wie meine Hände zitterten.. Mein Mutter trug die Fronttasche mit der Bibel und den wichtigen Dingen. Vor dem Haus drückte ich ihnen den Fotoapparat in die Hand für ein letztes Foto. Oder vielmehr für ein Erstes.

Zwischen Kunst und Brot ist stets noch Platz für ein Schreib.

Außer die Datenbank der Arbeitsagentur nach Angeboten zu fleddern und Kunst, habe ich derzeit nichts zu tun. Keine Homepagebasteleien in Sicht. Die Seite des Mainzer Kunstvereins ist fertig. Fehlt nur noch die Kunst. Aber die stellen andere in die Online-Galerie.
Heute Morgen von Sonne geweckt, dicht gefolgt von einem heftigen Regenschauer. Da die Wasserleitung noch immer abgeschaltet ist, lief ich in den Garten und fing mit einem Topf Wasser aus der undichten Regenrinne. Dachte dabei: am Projekt Europenner arbeitest du vor allem in der realen Welt. Du bist dieser Europenner, ein gesättigter Mensch in einem reichen Land, der den Verzicht übt. Du bist das Weniger-ist-mehr der feinen Künste, die Uhr am Puls der Zeit, das Quentchen Glück zwischen zwei gelebten Momenten. Und noch so Einiges dachte ich, während der Topf in meinen Händen kreiste, weil exorbitanter Wind das Rinnsal willkürlich ablenkte.
Acht Uhr Arbeitsbeginn. Kaffee schnurgelt in der Maschine. Holzofen angefeuert. Ich muss ein paar Informationen liefern für den Galeristen B. Dort wird es im September eine Labyrinth-Ausstellung geben. Das anstrengendste an der Kunst ist, sie zu begründen. Warum sollte ich in der Gegend zwischen Homburg und Zweibrücken ein überdimensionales fotografisches Labyrinth bauen – eine selbstgebastelte Landkarte mit vielen reizenden Kniffen und Tricks? Ist das Spielerei? Or is it Art? Der Künstler reibt sich wohlgefällig den Bauch. Es macht ihm nunmal Spaß. Und er ist in der Lage, es auszuführen. Mehr noch: er ist der einzige, der es tun kann. Oder ganz allgemein gesprochen: Wer sollte die eigenen Interessen vertreten, wenn nicht man selbst?

Meine Interessen sind leider unwirtschaftlich. Es sprechen alle wirtschaftliche Gesetze gegen das Projekt, sprechen gegen die Kunst. Ich bin ein Ungläubiger im Lager der Fundamentalisten. Ich bin vermutlich nicht in der Lage, das Spiel zu spielen. Welches Spiel? Das Etepetete-Getue des modernen Kunstbetriebs. Mit einer feinen Begründung und einem guten Lebenslauf klappts auch mit den Kunstfachleuten. Das bewies schon Großkünstler H., als er sich Anfang der Neunziger als Franzose, mit einer mächtigen Vita bei angeblichen Südfranzösischen Kunstkoryphäen studiert zu haben, ausgab. Alle fielen darauf rein und lobhudelten seiner. Nur einmal kam er ins Schwitzen, als ihn eine Studentin in reinstem Französisch um ein Autogramm bat und er mit stark fränkischem Akzent radebrechen musste.
Zurück zum einsamen Gehöft. Die Zeiten zwischen Arbeitssuche und Kunst überbrücke ich damit, ein neues Projekt zu starten: Die Straße nach Gibraltar. Eine erste freie, dennoch autobiografische, Geschichte. Erzählt wird eine Radtour quer durch Frankreich bis nach Spanien, 4 Wochen allein, wobei wieder ein Stück Kunst mit ins Spiel kommt: Die Reise ist in zahlreichen Bildern dokumentiert. Alle 10 km ein Foto der bereisten Straße in Richtung Reiseziel. Die ersten beiden Tage gibts schon in der Galerie. Die Texte werden ab Montag, 8 Uhr automatisch von der WordPress-Software freigeschaltet.
Werd jetzt mal an den Landkarten arbeiten.

Mainz, nachts, und wieder zurück

Zurück aus Mainz. Spätabendliche Autobahn. Unheimlich fetzte Nebel mit hoher Geschwindigkeit, während ich die letzten zehn Kilometer über die Sickinger Höhe fuhr. Szenen wie aus einem Horrorfilm. Für Sekundenbruchteile war mir, als stünde eine Frau auf der Straße unweit eines Dorfs namens Käshofen. Ich bremste, bemerkte die Illusion, beschleunigte wieder. Gerade genug Zeit, um im Stillstand zwischen Vollbremsung und Beschleunigung zu erkennen, wie schnell die Wolkenfetzen von Westen heran nahten.

Das Temperaturgefälle zwischen der Landeshauptstadt und diesem hintersten Zipfel von Rheinland-Pfalz ist frappierend: Mainz null, Kaiserslautern sechs, Zweibrücken vier Grad. Luftlinie sind das nur 100 km. Sie haben die WM-Werbeschilder an der Autobahn aufgebaut: Die Welt zu Gast bei Freunden. Obendrein weisen braune Tafeln den Kaiserslauterer japanischen Garten aus, ein Überbleibsel der Landes(oder Bundes-?)gartenschau. Ramstein: der Militär-Airport zischt gespenstisch im Dunkel. Megawattflutlichter machen die Nacht zum Tag. Verwirrt höre ich Rockland-Radio.

Zurück zur Sickinger Höhe, wo ich für den Bruchteil der Sekunde zum Stillstand gekommen bin, weil diese geisterhafte Frau im Nebel auftauchte, verschwand, mein Herz rasen machte. Das Leben passierte revue. Es hatte in Mainz begonnen und würde in Zweibrücken enden. Dazwischen ein kleines Glück namens Kaiserslautern. So ist das mit Straßen und Zeitlinien. Sie streben dem Ende entgegen. Sie kennen keinen Halt. Sie sind unerbittlich, schnell, und lassen über weite Strecken keine Entscheidung zu. Straßen haben den Vorteil, dass sie ab und zu eine andere Straße kreuzen. Dann kann man abbiegen. Das Ruder nochmal rumreißen. Den Kurs korrigieren. Das Leben zeigt sich unerbittlicher. Im Gegensatz zur Straße kennt es nur eine Richtung. Ich erinnerte mich meines ersten nächtlichen Aufenthalts in Mainz. Ist gut 15 Jahre her. Ich hatte mich verirrt. Mit dem Fahrrad durchquerte ich einen Torbogen am Fichteplatz, kam vor einer roten Ampel zum Stehen, fragte mich wo ich bin, erspähte ein Mädchen, fragte sie, welche Richtung ich einschlagen müsse, um in den Stadtteil Weisenau zu gelangen. Sie sagte, sie sei fremd und als die Ampel grün wurde, überquerte sie die Straße und verschwand im Park. Ratlos ließ ich einige Ampelphasen passieren. Ein Krankenwagen plärrte mit Martinshorn heran. Kein Mensch weit und breit, den man hätte fragen können. Also fällte ich meine erste Entscheidung in der Landeshauptstadt: Geradeaus. Das führte über die Goldgrube zur Göttelmannstraße, welche mir bekannt vor kam, weil sie an einem langen dunklen Park vorbei führte. Es war Frühling. In einer Seitenstraße lagen Kirschblüten über und über und überall. Die Welt war wunderbar in jener Nacht. Dessen erinnerte ich mich vorhin während der düstren abgeklärten Fahrt zwischen Mainz und Zweibrücken. Die Uhr hätte dürfen nie weiterlaufen, sagte ich mir. Es wäre gut, noch immer bei jener Ampel am Fichteplatz zu stehen, Phase um Phase, jung, unkundig, neugierig und verirrt.