Berufliche Weiterbildung

Auf meinem Arbeitsweg komme ich jeden Morgen, bevor ich Kollege T. treffe und wir zusammen weiter radeln, an einem Haus vorbei, das gerade renoviert wird. Zuerst haben sie das Dach gemacht. Halsbrecherische Typen standen in der Schräge und warfen die alten Ziegel zielsicher in einen Container. Es dauerte etwa eine Woche, bis Dämmung und schöne neue blaue Ziegel eingedeckt waren. Stets schaute ich genau hin und am Ende der Eindeckphase, so kann ich mit Stolz versichern, fühlte ich mich in der Lage, ein Hausdach zu decken. Das ist berufliche Weiterbildung, ganz nebenbei auf dem Arbeitsweg. Seit heute belege ich am selben Haus einen Kurs in Außendämmung der Fassaden. Beindruckend, wie verschwitzte Männer die Fassade mit dem Hochdruckreiniger säubern. Ich bin gespannt auf die morgige Lektion. Kollege T. kommt, bevor wir uns treffen an einer Kinderkrippe vorbei. Er wird sicher einmal ein wunderbarer Pädagoge. An unserem Treffpunkt befindet sich eine Arztpraxis. So sind wir beide sicher schon bald in der Lage, Wunden zu verbinden und Rezepte auszustellen, sowie Überweisungen zu Fachärzten auszufüllen.

Aber nun kommt der Clou: ganz in der Nähe der Arztpraxis wird ein neues Schnellrestaurant gebaut für die Burgerbraterkette B. aus Amerika. Wenn wir diesen Kurs absolviert haben, können wir Burgerbraterkettenrestaurants selber bauen.

Ich freue mich darauf.

Arbeit ist Barbarei – oder wie die Tackerqueens Lehrling B.s Wochenende defragmentieren

Das war Montagfrüh in den unendlichen Tiefen des Lagers beim großen Eventagenten, welcher mein Owner ist: Lehrling B., der sich besonders auszeichnet, dass er die dreckigsten, gefährlichsten und schwersten Arbeiten mit Bravour erledigt, kommt von einer 72-Stunden-Schicht zurück; solche Augen, und die Anmut eines Zombies. Kollege T. und ich grüßen flötend um Neun, denn wir sind die Tackerqueens und müssen nicht so oft 72-Stunden-Schichten schieben (die Lohntackerei ist ein Job wie jeder andere auch, aber echte Eventlehrlinge spüren schon von Anfang an die Härte des Geschäfts; all die Nachtschichten und versoffenen Stadtfeste, auf denen sie erst als Letzte, stocknüchtern unter Schwerstarbeit nach Hause dürfen). T. machte irgendeine Bemerkung zum Wochenende: „Na, wie war dein Wochenende?“ Worauf B. antwortete: „Wochenende, was ist das?“ (In der Tat hatte B. in den zwei Monaten, die ich in der Tackerwerkstatt arbeite erst ein Wochenende frei.) Später smalltalkten wir in der Tackerwerkstatt und entlocken dem total übermüdeten B. doch tatsächlich ein Lächeln. Beherzt sagte er: „War doch schön, diese fünf Minuten Wochenende.“ Der Mann hat einfach Humor. Tackerhumor.

Auf dem mantrischen Weg zur Arbeit heute Morgen sinnierten T. und ich über die Wochenenden von Eventmanagern und dass es diese Wochenenden womöglich gar nicht gibt. „Nee, das stimmt nicht“, sagte T., „es gibt sie schon, aber sie sind wie die Festplatte eines Windows-Systems. Man müsste sie defragmentieren. B. hat hier mal fünf Minuten Wochenende, wenn er mit uns in der Tackerwerkstatt scherzt, und da mal ein Bisschen, wenn er auf dem Nachhauseweg aus S.-Ville eine Stunde auf dem Rücksitz im Truck schläft.“

Ach, und der Einsatz in S.-Ville beim großen Autokonzern!

T. und ich waren als Joker verdingt und alles sollte nach Plan laufen, der Abbau, das Verpacken unserer schönen Loungemöbel und all das Getummel, so hatte es sich der Owner vorgestellt, aber bei solch großen Events läuft es nie nach Plan. Im Convoi mit Sattelzügen und Anhängern haben wir das Nachbarland F. verlassen wie einst die Grande Armee Russland. Nun hocken T. und ich auf vierhundert ruinierten Möbeln (alle waren neu), denn die Belegschaft des großen Autokonzerns hat sich während des exzessiven Fests zum Bau des Millionsten S.-Autos benommen wie eine Herde Hunnen. Dies bedeutete den Niedergang des Tackertums: die Tacker stehen seit Montag still und T. und ich versuchen mit schärfsten Putzmitteln das eine oder andere Möbel zu retten. Vermutlich werden wir nächsten Dienstag mit dieser Arbeit fertig. (In dieser Zeit würden wir ungefähr200 Stück neu bauen!)

Ohja, meine Lieben, dieser Beitrag beschreibt den Aufstieg und Fall einer Tackerqueen.

Ich bin nichts weiter, als die billige Putze in einem unbekannten Schmieren-Weblog.

Es macht mich dicker

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Viel Skuriles gibt es zu berichten. Eines ist sicher dieser Fundzettel, den Kollege T. in der Berliner Siedlung auf unserem Arbeitsweg quer durch die Kreisstadt H. gefunden hat. Er lag mitten auf dem Radweg und jemand hatte einen Stock darauf gelegt, damit er nicht wegfliegt. Als wir ihn begutachteten, wehten in einem Fenster mit Blick auf den Radweg die Gardinen. Man hatte uns beobachtet. Trotzdem habe ich das Fundstück eingesteckt.

Eine andere Skurilität begab sich beim Eckhaus in der Z.er Straße, unweit des Rathauses der Kreisstadt. Dort hörten wir halbneunmorgens vom Balkon einen Singsang: „Schmeiß die Oma aus dem Bett“, sehr melodisch zur Melodie von Lass die Sonne in dein Herz. Für einige rote Ampeln, die wir auf dem Horrortrip durch die Kreisstadt überschürten, dachte ich über die Oma nach, stellte sie mir vor: alt, müde, gesegnet mit frivoler Familie, die stets einen derben Scherz auf den Lippen hat. Dann jedoch fixierte ich mich auf das Wörtchen schmeißen. Schmeißen ist ein nicht alltäglich gebräuchlicher Begriff, den der Physiker sicherlich mit vielen komplizierten Formeln beschreiben könnte, und der nichts anderes ausdrückt, als den Schiefen Wurf, also einen Bewegungsvorgang, den ein Körper (unter Vernachlässigung der Luftreibung) vollzieht, wenn er unter einem Winkel relativ zum Horizont abgeworfen wird.

Nu‘ sag‘ ‚mal!

00:00, Dörfchen K. Winterlinde

„Beim Schwanzvergleich habe ich noch immer den Kürzeren gezogen“, dachte ich heute Morgen. Schmunzelnd kritzelte ich das Wort auf Papier. Die Eigenbespaßung mit skurrilen bis unverständlichen Witzen erlebt dieser Tage Hochkonjunktur. Nicht zuletzt der herzlich rauhe Umgang in der Tackerwerkstatt trägt dazu bei. Dabei hätte ich genug ernste Themen auf Lager, über die ich gerne schreiben würde: über Chronos und Kairos zum Beispiel und was ich aus diesen alten griechischen Göttern gemacht habe in den letzten Wochen:

Zufällig ist mein Fahrradtacho an der Winterlinde in K. abgestürzt, zeigte plötzlich nichts mehr an, so dass ich die Batterie herausnahm, für ne Sekunde kann ja nicht schaden, aber als ich das Ding reaktivierte, war alles gelöscht. Die über 8000 km, die Grundeinstellung für den Radumfang, und auch die Uhrzeit. Null Uhr Null an der Winterlinde zu K.. Notdürftig justierte ich den Radumfang, so dass meine Höchstgeschwindigkeit seither bei 5,3, naja, sagen wir mal Kilometern pro Stunde liegt. Das ist ne ganze Menge. Aber von Kilometern pro Stunde kann ich nun nicht mehr reden, sondern es sind zufällig entstandene Einheiten. Genau wie die Zeit. Die Einheiten der neuen Uhr sind zwar immer noch Stunde und Minute, aber bei mir ist nunmal morgens um Viertel nach Acht an der Winterlinde nicht Viertel nach Acht, sondern Null Uhr.

Das fasziniert mich. Anfangs hat es mich geärgert, dass ich keine Kilometerleistung mehr sammeln kann auf dem Fahrradcomputer. Am Tag kommen höchstens drei Kilometer zusammen, statt wie in herkömmlicher Messung etwa 30.

Ich könnte nun einen Umrechnungskoeffizienten einführen, um wieder synchron mit Zeit und Raum zu gehen. Aber die vielen Male, die ich schon den Arbeitsweg geradelt bin seither, haben nicht gereicht, um das zu tun. Ich war einfach zu faul, mir das auszurechnen. Ich habe auch keinen Anlass. Ich habe noch nicht einmal Anlass, das Gerät ständig zu betrachten und zu schauen, ob ich schneller oder langsamer bin als ein paar Tage zuvor.

Trotzdem gibt es einen gewissen Drang zum Vergleich, zum Schwingen im allgemeinen Takt. Dabei ist es noch gar nicht so viele Jahrhunderte her, dass in jedem Dorf eine andere Uhrzeit herrschte. Damals war die Welt noch nicht globalisiert und man war auch nicht darauf angewiesen, im Takt zu schwingen.

Mit meinen morgendlichen und abendlichen Arbeitswegsradeleien ist mir schließlich bewusst geworden, wie sehr wir Menschen nach Maßstäben gehen, wie wichtig es uns ist, zu vergleichen, zu werten, genau zu sein, und im gleichen Atemzug wurde mir klar, wie gefährlich, wie destruktiv das alles ist. Das ist ein Gefühl, das ich momentan noch nicht in Worte fassen kann. Unser Messen ist unser Untergang.

Gestern auf dem Nachhauseweg sah ich einen Mann, der in großen Schritten an einer Baulücke entlang lief. Am Ende blieb er stehen und schrieb etwas auf einen Zettel. „Aha, er misst, wieviele Meter das Grundstück lang ist“, dachte ich leichtfertig, „nee, Quatsch, er denkt, er misst, wieviele Meter das Grundstück lang ist, aber in Wirklichkeit misst er, wieviele Schritte das Grundstück lang ist, und zwar seine eigenen Schritte“.

Nachtrag: die Winterlinde ist Baum Nummer 76. Die Kreisstadt H. hat die schönsten alten Bäume auf dem Stadtgebiet mit Messingschildern versehen und durchnummeriert.

Ein Opfer: 20 Wochen Urlaub

Ich habe soeben 20 Wochen Urlaub für eine neue Kamera geopfert. Nun arbeite ich an den nächsten 20 Wochen Urlaub. Da ich jedoch arbeite und kein Ende abzusehen ist, werde ich wohl keine 20 Wochen Urlaub machen können. Scheiß Zwickmühle.

Lohnsteuerklasseeins, ich liebe dich.