Liebe Grüße an alle Lesenden.
Sagt Irgend.
Artist in Motion
Liebe Grüße an alle Lesenden.
Sagt Irgend.
Was gäbe ich darum, wenn diese Woche vier Tage länger wäre.
Dennoch: Sonntag war gut. Für einen kurzen Moment auf der Mole in Biel, welche hundert Meter weit den Hafen umsäumt und in den See ragt. Abends ein paar Minuten Ruhe und ein letztes Blinzeln in die Sonne bevor sie hinter dem Jura-Horizont verschwand, ein schnelles Bad, der Zugang zum Wasser, ermöglicht durch eine verborgene Leiter, welche nur Insidern bekannt ist. Derweil schipperten allmögliche Yachten in den Hafen. Besonders beeindruckend jenes große Schiff, auf dem ein stämmiger älterer Mann das Ruder hielt und eine magere junge Schönheit auf dem Bug räkelte. Das zeichnete in mir das Bild vom Esel, dessen Reiter an einer Angel eine Karotte baumeln lässt, um ihn zum Laufen zu bewegen. Die Geräusche! Das Tuten des Fährschiffs hallt im Tal. Die Eisenbahnen donnern am Nordufer im schnellen Takt. Menschen flanieren händchenhaltend auf der Mole, Miniradios in der Hosentasche. Und ein Angler wirft den Haken raus – auch dies ein wunderbares Geräusch im gigantischen Lebensmix.
Nun gut: ich hatte meinen ruhigen Moment für diesen Monat. Es war der 10. August zwischen 18 und 19 Uhr.
Ab jetzt gilt Dowerpower bis 13. September.
Ich habe diese drei Leben bitter nötig.
Am Wochenende gehts mal wieder in die Schweiz. Das kommt plötzlich, nicht überraschend und ein wenig ungelegen, weil ich mal wieder drei Leben gleichzeitig führen muss. Drei Leben gleichzeitig führen heißt logischer Weise drei Mal acht Stunden Arbeit am Tag – das ist hirnrissig, aber mit ein bisschen Zeitmanagement klappt das schon.
Freund Marc hat sein Buch fertig und erwartet mich in Biel-Bienne für den letzten Schliff. 40 Jahre Col – die vergessene Kunstrichtung zeigt ein Künstlerleben, das dem meinen vielleicht gar nicht mal so unähnlich ist. Als Marc in meinem Alter war, hatte er die Kunst hintangestellt und bis vor fünf Jahren anderweitig gearbeitet, jedoch immer sehr nahe an seiner Kunst. Ich glaube, ich bin derzeit in einer ziemlich ähnlichen Position, nur dass mein Leben kälter, garstiger, menschentleerter ist, als das von Marc. Nicht dass ich darum traurig wäre. Tatsache ist, dass jetzt statt einer großen Liebe ausnahmsweise einmal die Kunst auf dem Opferstock liegt und ich bin bereit, das Beil zu benutzen (warum sollte es der Kunst besser gehen, als der Liebe?). Dennoch ergreifen mich Zweifel, ob es Sinn macht, die Kunst zu opfern – erhalte ich deswegen die Liebe zurück?
Niemals.
Der König vom Nil (Roman, Vandenberg Phillip) lehrt auf beklemmende Weise, was mit Männern geschieht, die besessen sind: sie erreichen ihr Ziel. Der Preis ist so hoch, dass ein Normalsterblicher ihn niemals zahlen würde.
Der Weg Besessener ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer … ne quatsch, das ist Pulp Fiction … ihr Weg ist zu beiden Seiten gesäumt mit Tränen ihrer Liebenden und der Verbissenheit des Ehrgeiz. Oder so ähnlich.
Die Tackgeweihten grüßen dich.
So haben Kollege T. und ich uns den heutigen Tag versüßt. Jeder stellte ein Dutzend Rohlinge auf den Tisch und das Leder zum Beziehen der Möbel. Dann ballerten wir los. Ein äußerst spannender Wettkampf unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als Kollege T. sich versehentlich den Finger tackerte, glaubte ich mich schon als Sieger, aber er arbeitete blutend weiter und erst, als ich einen Fehler machte, pflasterte er die Wunde. Taktisch äußerst klug. Nebenbei war immer noch Zeit zum Scherzen und ein skuriles Bild zu malen: wir seien Helden wie einst die Gladiatoren, unsere Loungewerkstatt eine Arena, man schlösse Wetten ab und am Ende würde man den Verlierer begutachten mit dem Daumen nach Oben oder Unten. Schweißgebadet sagte T. „Wenn ich verliere, hole ich meine Papiere ab“. Spätestens da war die Tackerei kein Spaß mehr und wir bollerten, als ginge es ums Leben. Ich sah mich kurzfristig auf einem rasenden Streitwagen, die Hände zum Sieg gereckt, doch Kollege T. gab seinem Tacker die Knute und überholte mich. Stets lagen wir Kopf an Kopf und immer wenn ein Möbel fertig war, rannten wir vier Meter bis zur Ablage und sofort zurück, um bloß keine Zeit zu verlieren. „Man könnte ein Geschäft daraus machen“, sagte ich, „stell‘ dir vor, unser Owner macht ein Wettbüro auf und alle in der Gegend setzen Geld in der Hoffnung auf ein kleines bisschen Glück“. Ich schuftete wie wild. T. entzauberte das Bild: „Wir sind keine Gladiatoren, neinein, es kommt mir eher vor wie illegaler Hahnenkampf oder wie Hundekampf“. Düstre Arena in verruchtem Hinterhof, Opium geschwängerte Luft, zahnlose Kerle, die wie wild schreien und uns anfeuern.
Nach gut einer Stunde waren wir fertig. Faszinierender Weise habe ich mit weniger als einer Sekunde (!) Vorsprung gewonnen. Ein verblüffendes Ergebnis. Ich fürchte, es geht nicht schneller und niemand auf der Welt kann uns das Wasser reichen, wenn Tackern irgendwann olympische Disziplin wird.
Der Owner sollte besser nicht erfahren, dass wir weltklasse sind, sonst wird die Arbeit äußerst ungemütlich.
Wie ihr seht ist es schon wieder so spät. Ich packe es einfach nicht früher. Gestern war es drei. Ich finde mich mit drei Stunden Schlaf ab. Man könnte sagen, ich übe schon mal für die 72-Stunden Schicht, die in der Firma meines Owners üblich zu sein scheint.
Neulich redeten wir über den Arbeitsvertrag. „Die Künstlersozialkasse“, hündelte ich, „begehrt zu wissen, werter Owner, wie lange ich denn für wieviel Geld bei eurer Lordschaft arbeite?“
„Hinfort!“, rief er, „Für Immer, für Nichts!“