In einem Supermarkt

Ein wunderbarer Tag zum am Sinn des Lebens zweifeln. Entweder, man wendet sich dem Konsum zu, oder … oooder … sonst gibt es nichts mehr. Dauerregen. Ein Einkaufszentrum in Bremgarten. Ein urban Artwalk, also ein künstlerischer Spaziergang durch das kleine Städtchen in einem halbinselartigen Knie in einer Schlaufe der Reuss will nicht so recht in Schwung kommen. Das iPhone auszupacken, um verregnete Fotos zu machen, ist stets ein Balanceakt. Ich fotografiere ein Hundchen, angebunden neben einem Regenschirm vor dem Einkaufszentrum. Das könnte Sosos neuer Arbeitsort werden. Ein Büro im x-ten Stock. Sie stellt sich gerade vor. Ich warte. Im Erdgeschoss sind alle möglichen Läden. Neben Coop Lebensmitteln und einem Exlibris Bücherladen auch Schuhe, Telefone, Kleider, Kosmetik. Die Regenschirme stehen ganz vorne beim Eingang. Der Schuhladen verkauft die wohl hässlichsten und größten Frauenschuhe, die ich je gesehen habe. Auf einer Bank, gegenüber einem Schmuckstand, schreibe ich diese Zeilen. Komme mir deplatziert vor und desolat. Ich gehöre nicht dazu. Das
macht es um so schwerer, im Sein Sinn zu sehen. In einem Anfall von Paranoia kommt mir zudem der Gedanke, wir existieren alle nur, weil wir konsumieren, weil wir von A nach B wollen, weil wir Telefone verkaufen oder Schmuck. Mit dem Kerl, der eine Präsentationsspinne voller Geldbeutel von A rechts hinter mir nach B jenseits des Schmuckladens fährt, würde ich jetzt gerne tauschen. Wenn man etwas von A nach B bringt, hat man kaum Zeit, über den Sinn nachzudenken. Ein einsamer Kunde im Mobilfunkladen auf 10 Uhr. Er und der Verkäufer stecken die Köpfe zusammen, wie zwei Buben auf einem Schulhof, die sich über Mädchen unterhalten. Mittagspausenstimmung. Die Schmuckverkäuferin, kaum vier Meter vor mir, ringt seit drei Minuten, eine Halskette an eine feine Dame zu verkaufen. Immer wieder reibt sich die Dame das Kinn und schüttelt den Kopf, „ich weiß nicht, ich weiß nicht“. Ein junges Paar schiebt einen übervollen Einkaufswagen, in dessen Unterteil ein Spielzeugauto eingebaut ist, in dem ihr Sohn „Ruääääm-bruuuuummm“ prustend das Steuer hin und her reißt. Ganz perplex ist das Kind, als der Papa plötzlich kehrt macht, und das Auto rückwärts fährt. Mit einem Bimbam kündigen Lautsprecher irgendwas Billiges an, oder dass ein Geldbeutel gefunden wurde, ein Regenschirm, ein Hund und ein Kind. Sehnsüchtig hoffe ich, dass der Spruch fällt, den Petra neulich ein paar Artikel zuvor ins Kommentarfeld getippt hatte: „Der kleine November möchte bitte aus dem Mai abgeholt werden“. (Wer Ah sagt, muss auch Wäh sagen).
Eine halbe Stunde flaniere ich durch die Stadt. Wie deplatziert wirkt die drei Meter hohe Wasserpyramide in einem Brunnen. Ein kahlgeschorener Rocker kauft Zigaretten am Kiosk und scherzt, fünf Minuten später, den selben Weg habend wie ich, mit einem Metzger. Ein Laden für Gießkannen befindet sich direkt gegenüber der Metzgerei. Die haben Mut, tse, Gießkannen. Ich fotografiere eine uralte Wetterstation mit vergoldeten Armaturen in einem reichlich verzierten Minihäuschen bei der Reussbrücke. Das Hygrometer zeigt 100% Luftfeuchte. An der Bushaltestelle überlege ich, den Fahrer des Linienbusses nach Baden mit einem Lächeln zu erinnern, dass es ziemlich dreist ist, bei dem Wetter einen Bus zu steuern, auf dem Baden steht. Ich muss dabei an den Busfahrer auf der Sickinger Höhe denken, das ist zwei Jahre her, der nach Feierabend in seinem Display über der Windschutzscheibe eingeblendet hatte, Nix wie hem (pfälzisch für jetzt aber nichts wie nach Hause). Am Schaufenster des Shoppingcenters klebt das Motiv einer Plakatkampagne, die ein Ferkel zeigt und einen Bauern, mit der Aufschrift, HmHmHm Soundso, ein Biobauer aus Muhen. Ha, Muhen, das ist klasse, das ist zum Wiehern.

Später durchqueren die Soso und ich die Altstadt, die ein bisschen erinnert an ein Mini-Bern oder ein Mini-Baden. Das Hotel Sonne – auch die haben Mut, lächele ich. Das Wehr im Fluss bei der alten, überdachten Holzbrücke ist etwas ganz Besonderes. Eine gut sechizg Meter lange Zunge mitten im Fluss, vertieft, in die sich die Fluten stürzen.

Reuss bei Bremgarten
Reuss bei Bremgarten

The Dutch Orange Hair Rape

So kurz vor dem Vorstellungsgespräch will sie sich noch die Haare färben lassen. Von mir! Alle meine Warnungen, was, wenn was schief geht, was, wenn es zu lange dauert, schlägt sie in den Wind und rührt die nach Ammoniak stinkende Brühe an, drückt mir Latex-Handschuhe in die Hand und sagt, mach!
Das ist Orange, sage ich, willst du orangene Haare?
Das wird schon schwarz, guck, auf der Packung steht schwarz.
Was, wenn nicht? Willst Du dem potentiellen Arbeitgeber dann erklären, ein bedrohlich wirkender Mann mit niederländischem Akzent habe dich überfallen und mit Nachdruck gesagt huie daag, ich mach dir jetzt orangene Haare, korrekt fiets.
Ich starte den Färbevorgang und wir spinnen gemeinsam an einem Selbsthilfeportal für Menschen, die von Holländern überfallen werden und denen die Haare zwangsorange gefärbt werden. Aufstieg und Fall eines Webportals.
Zwischendurch ein Exkurs in die mutmaßlichen Lerninhalte der Frisörsausbildung: Da haben wir aber einen gaanz schönen Wirbel, Frau Sophia, näsele ich. Das ist zweites Lehrjahr. Da lernt man den Wirbeltrick, der den zu Frisierenden suggerieren soll, man wisse alles über ihr Haar. Im ersten Lehrjahr lernt man, über das Wetter zu reden, und im Dritten ist „Dorftratsch – sexuelle Phantasien unter dem Haarbusch“ dran.

Mein alter Freund K. fällt mir ein. Er ist echter Frisör. Er erzählte mir, wie er stundenlang im Türrahmen das Scheren geübt hatte, flinke Hand, Luftgitarre der Barbiertums, quasi. Liebe Frisöre, bitte seid mir nicht böse über diesen verhonepipelnden Fachartikel. Ich weiß, was für ein harter Beruf das ist. Und ich liebe euren Slogan, was Frisöre können, können nur Frisöre.

Nun trocknet die Farbe, während ich den Artikel schnell in das Blog hacke.

Ich finde, Orange steht ihr.

Drei-Jacken-Irgend

Vom Wintervorrat 2013-2014 sind von der ersten Holztranche schon ein Viertel verbrannt. Durch die Grippe war es einfach unpassend, einen auf Frieren zu machen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich trage selbst Schuld an der Misere. Hätte ich nicht in Perth in dem feinen Kleiderladen in einer Seitengasse der Fußgängerzone, ist jetzt ein Jahr her, die atemberaubend wetterresistenten Klamotten gekauft, ich Weichei der modernen Liveblogreiseliteratur, müsste ich jetzt nicht unter dieser ewigen Regenwolke laufen. Und mit mir halb Europa. Ich habs vermasselt, als ich mit der goldenen Visakarte knapp 50 Pfund bezahlte und mit auf dem Einkaufszettel stand, sieben Jahre wirst Du unter einer Regenwolke leben. Die Verkäuferin vom Typ Besuch der alten Dame, ritzte mir den Arm. Mit einem goldenen Federkiel schrieb ich YES SIR I WILL. Minuten später wurde ich Zeuge einer echt schottischen Hochzeit vor einem Hotel am River Tay. Alle Männer beeindruckender Weise im Kilt. Ich knipste eine kupferoxidgrüne Bronce auf einem Granitsockel und verließ die Stadt auf dem Flussradweg nach Nordwesten.
Ich muss das nicht erzählen. Aber seither lebe ich in Schlechtwetter, Held in langer Unterhose, Dreitagebärtiger Zeterer an den ewigen Klippen der Wetterkatastrophenvermarktungsindustrie. Hohelied der Larmoyanzblogschreibsphäre-Sänger.
Der Kühlschrank auf der Südterrasse surrt, wozu, wozu, wozu. Die Katze bildet Schwimmhäute aus zwischen ihren ergrauenden Krallen. Und Kiemen. Seltsame Vögel schreien in die Nacht. Ich ziehe die Nase hoch, was ein bisschen klingt, wie das Krahen der Saatkrähen, die sich zu tausenden auf den sumpfigen Maisäckern rings um das einsame Gehöft tummeln. Hitchcock hätte nicht im Traum gedacht, dass seine unheimliche Vision einmal weit abseits der Küste eine neue, ganz andere Qualität gewinnt.
Ich schreibe diese Zeilen nur so aus Lust, stehend am Tresen in der Freilandküche des einsamen Gehöfts. Eine Art Fingerübung, ein Text, der nicht die Ambition hat, verstanden zu werden, oder Sinn zu ergeben. Es ist hmm, Lebenslust mit drei Jacken am Leib und langer Unterhose im infernalischsten aller Jahre.
Zur Krönung schenke ich allen Lesenden generös die Fipptehler, die sich auf dem ins Telefon gehackten Text ergeben haben. Ab damit. Euer Dreijacken-Irgend.