Dieser uralte Ford! Graublau verblasst, zig Jahre alt steht er vor einer Landmaschinengarage in Bønnerup Strand. Der Vorderreifen ist platt, Scheinwerfer gesplittert, wie Falten im Gesicht eines Achtzigjährigen runzelt die Farbe. Rost, wohin man blickt. Die freiliegende Einspritzanlage nur notdürftig unter einem „Vordach“ aus Motorhaube geschützt, leckt. Wie viele Hektar Wiese mit ihm gemäht worden sind? Alte Traktoren haben keinen Kilometerzähler, sondern einen Fahrtstundenanzeiger, der ausschlaggebend ist, wie sehr das Ding genutzt wurde.
Ich mache die üblichen Hipstashots, längst hat mein Hirn eine Bildcollage vor Augen als künstlerisches Endprodukt. Yet another old fillingstation, schießt es mir in den Sinn und dass, wenn ich ein studierter, promovierter, diplomierter, jahrelang vor sich hin hündelnder Welpe an den Zitzen des Kunstmarkts wäre, ich meine Masche gefunden hätte. Das Produkt ist da. Du musst es nur noch verkaufen. Des Kaisers neue Kleider der feinen Künste. Es geht nur darum, den Leuten vorzumachen, dass das, was sie kriegen, auch etwas wert ist. Wertvoller Künstler, wertvolle Kunst.
Im Seckel kratzt ein 100 Kronenschein. Ich krame ihn hervor, streiche ihn glatt. Norwegische Kronen. Im Einkauf ist das Stück Papier vielleicht 2 Øre wert. Nur weil die Menschen es kollektiv mit Wert füllen, bringt es 100 Kronen. Des Kaisers neue Kleider des Bezahlsystems.
Auf der Fähre bei der Stadt mit U, deren Namen ich mir nicht merken kann, schlags nach, sie heißt Udbyhøj, habe ich zum Glück schon dänische Kronen im Seckel. Der Kassier mimt den Clown, scherzt mit allen Fahrgästen. (Er ahnt gar nicht, in welche Gefahr er sich begibt, in diesem Blog den Clown zu spielen :-)). Als ich ihm versehentlich 100 NOK gebe, lehnt er lachend ab. Nene, das ist hier nix wert, schelmt er und blickt zornig nach Norden. Zum Glück hab ich getauscht, sage ich. Davon (Dänische Kronen) wirst Du eine ganze Menge brauchen, jagt er mir Angst ein.
Während ich meine ersten Kilometer in Dänemark abspule, wird mir klar, wie real die Kunstmaschine ist. Jetzt schon – wie sieht das erst in 200 Jahren aus? Ich bin Teil des Konstrukts, das aus Fotoapparat, Smartphone und Fahrrad besteht. Würde eine der Komponenten fehlen, oder wäre ich nicht gesegnet mit der Gabe, meine Welt in Schrift und Fotografie zu skizzieren und dabei all die körperlichen Strapazen auszuhalten, würde die Kunstmaschine nicht funktionieren. Mein Freund QQlka kommt mir in den Sinn, wie er 2008 im technischen Museum in Berlin, vor einer Dampflok stehend, quer über die Köpfe einer schwäbischen Touristengruppe ruft: „Irgend, was ist die Mehrzahl von Dampflok?“, ich ihn schulterzuckend anstarre und er schreit „Darmpflöcke!“
Bin ich nur der Prototyp für eine neue Serie von Kunstgeneratoren? In meinem Phantasmus sause ich durch die unbeschreiblich schöne Gegend. Wälder im Wechsel mit Weideland, Sandstrände, weite, offene Kiefernschonungen, Gutshöfe, Reet gedeckte Häuschen. Unbefahrene Straßen. Perfekte Radwegbeschilderung seit sechzig Kilometern. Ich folge der Route 5. Die Kunstmaschine der Zukunft ist ein Mensch mit medizinisch technischen Veränderungen: direkter Zugriff auf das Auge zur Anfertigung von Fotos, die zusammen mit gedachten Textstücken verwandelt in Druckschrift, drahtlos in eine Serverwolke übertragen und publiziert werden. Eine phantstisch grobe Skizze entwerfe ich. Ein Blinzeln genügt und schon ist das Bild gemacht. So wie es die Kunstmaschine sieht. Der Harvester der feinen Künste. Von der Entwicklung der Dampfmaschine bis zum GPS gesteuerten Mähdrescher war es eine lange Zeit. Gemeinsam haben beide Geräte, dass sie einen Platz für einen Menschen bereit halten, der sie steuert.
Spätabends vorbei an einer riesigen Schweinemastanlage. Hier wohnt niemand. Das Ding stinkt. Es muss die Hölle sein, da drinnen. Geboren, gemästet, geschlachtet. Wie der moderne Konsument. Nur viel schlimmer. Viel ehrlicher? Vor der Halle stehen zwei Hundertzwanzigliter-Mülltonnen. Eine ist übervoll mit Ferkelkadavern, so dass der Deckel nicht mehr zu geht. Ich spare mir den Blick in die andere Tonne. Schrödingers Mülltonne. Oder Schrödingers Wutzekadaver, schießt es mir in den Sinn.
Ein Schnitzel hat für einen Vegetarier überhaupt keinen Wert. Somit ist der Beruf des Schweinemästers aus Sicht des Vegetariers absolute Zeitvergeudung. Genauso verhält es sich mit der Kunst. Sie hat als Produkt für viele Menschen, die sich von anderer geistiger Nahrung ernähren, keinen Wert und somit ist auch der Beruf des Künstlers wertlos.
Warum also willst Du eine Kunstmaschine bauen, lieber Irgendlink, die doch nur fabrikneuen Schrott produziert. Bau doch lieber eine Druckmaschine für norwegische Kronen in Dänemark.
(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)