Es einfach nur gut sein lassen

Sei lieb zu dir selbst.
Geh‘ schräg über die Straße
Wind umsäuselt dein Haar.

Blechernes Donnern am Fähranleger kündigt die nächste Wagenkolonne an. Kaum fünf langsame Autos.
Das Handtuch, das ein Schwarzes Loch werden könnte, wird bald Kunst – Hommage an Douglas Adams.

Nicht drängen, es dabei belassen, als Antwort auf die Frage nach Elektronikläden in Göteborg „a lot“ zu hören. Als frage man nach Muscheln am Strand.

In der Gemeinschaftsküche von Malö Camping die Welt „passieren“ lassen. Es einfach gut sein lassen schräg zurück zum Zelt über die schmale unbefahrene Inselstraße.

Läuft das Projekt aus dem Ruder? Kann es überhaupt aus dem Ruder laufen, wenn es von Beginn an als ein Experiment gesehen wurde, das eine starke Eigendynamik entwickeln wird. „Es ist nie die Situation selbst“, phantasiere ich, während ich den Kilometer bis zur Fähre kurbele, mit der ich die Insel Malö verlasse, „es ist das, was man sich in Windeseile um die Situation herum strickt.“ Jener Baum kommt mir in den Sinn, schon zwei Wochen her, den jemand „eingestrickt“ oder „-gehäkelt“ hatte. Von der Wurzel bis zu den Ästen in bunte Wolle gehüllt mit Streifenmuster und direkt daneben stand ein Laternenpfahl, ebenso einge-irgendwast in bunte Wolle. Kunst? Spielerei? Lust am Schaffen?

Ich machte an diesem Tag, kurz nachdem ich Baum und Laterne passiert hatte, das erste Mal Bekanntschaft mit dem Vestlandske Hovedvegen, der alten Postroute, die Oslo mit Kristiansand und Stavanger verbindet.
Wie auf einer Perlenschnur reihen sich die Ereignisse dieser Reise. Wie mit offener Blende fotografiert, rückblicke ich und richte den Fokus mal auf diese Stelle, mal auf jene. Mal wird dieses vergangene Ereignis scharf, mal jenes. Und vor mir eine ebenso schwer fokussierbare Gegenwart. Ich will Göteborg erreichen an diesem Montag, Ray treffen, mit ihm nach Varberg weiter radeln. Unterwegs will ich einen Elektronikladen finden und eine neue „Mili“ kaufen, einen Pufferakku. „Schnell wegda wegda wegda, wir haben keine Zeit“, tönt, ich glaube, ein Siebzigerjahre-Hermann-Van-Veen in der Hermann Van Veen-Show für Kinder. Das Lied verdeutlicht am Besten, was aus uns wird, wenn wir uns in den Strom des Erwerbs einspeisen und versuchen, mitzuschwimmen mit all den vielen, erfolgsgetrimmten Fischlein im großen, westlich zivilisierten Schwarm.

Die Fähre fährt nicht. Ausgerechnet an diesem Montag tauschen sie die Seile aus, die zweihundertdeißig Meter weit durch die Fahrrinne gespannt sind, und an der die Fähren geführt werden. Beidseits des Kahns werden die Stahltrosse durch Walzen geführt. Die Stahlseile liegen unter Wasser. Erst um 15 Uhr soll das Ding wieder laufen, sagt ein Schild. Ich beobachte die Arbeiter. Göteborg rückt in weite Ferne. 90 km ab 15 Uhr. Das schaffe ich nie. Es zu versuchen, würde eine unglaubliche Hektik bringen.

Das Schicksal räumt mir den Weg frei, hatte ich neulich erwähnt. Es bestimmt auch meine Geschwindigkeit. Vielleicht weiß das Schicksal mehr über mich, als ich ihm zutraue? Das Schicksal will, dass ich bedächtig wie ein Kahn an imaginären Stahltrossen dahinreise. Kunstmaschine. Die Kunstmaschine ist eine Einheit aus Fahrrad, Mensch, Fotoapparat, Zeichenpapier, Bleistift, Tastatur etc. Will sagen, der Mensch ist eingebunden in seine frei wählbaren Mittel, mit denen er das ausdrückt und wiedergibt, was er erlebt. Wie würde die Kunstmaschine der Zukunft aussehen? Mit genetisch-chirurgischer Unterstützung könnte der künstlerisch tätige Mensch sich in eine Art Kunstcyborg verwandeln lassen. Darüber habe ich schon auf dem Jakobsweg phantasiert: man müsste nur eine Möglichkeit finden per Augenblinzeln die Bilder, die durch die natürliche Linse des Auges projiziert werden, in Daten zu verwandeln und als Bypass am Hirn vorbei per Datennetzwerk auf eine Festplatte zu speichern. Quasi der direkte Weg ohne die mühsame Umgehung über einen Fotoapparat, der in einem Smartphone integriert ist. Genauso müsste es möglich sein, gedachte Worte und Sätze als Text auszugeben und zu senden.

Vermutlich wird das irgendwann wahr. Vermutlich wird sich meine fiktive Figur, Knildnegri alias Lind Kernig, die ich zusammen mit Kommentator und Blogmitstreiter Emil in England und Schottland erdichtet habe, einmal über eine solche Kunstmaschine wundern.

Was ist wirklich, was ist Phantasie an diesem live geschriebenen Reisebuch? Wo hätte ich gedacht, dass ich mich einmal so weit weg entwickele von der reinen Reisebeschreibung, dass ich neue Welten entwerfe, dass ich Verkehrsminister erfinde, dass ich längst gefallene Soldaten des schottischen Highlander Korps wieder ins Leben rufe, dass ich teilweise die Identität eines gewissen Mysil Bergsprekken annehme, der zu Beginn des 20ten Jahrhunderts unter einem Felsen im Jøssefjord gehaust hat?

Der Phantasie und dem Phantasmus sind wahrlich keine Grenzen gesetzt in diesem Schreibexperiment. Seit wievielen Monaten bin ich nun unterwegs? Wie weit bin ich von zu Hause entfernt? Wo ist zu Hause? Könnte ich ewig so weiter machen? Bin ich nach viertausendvierhundert Kilometern nun auf zwei Dritteln der Strecke schon auf dem Rückweg? Wird dieser Kreis sich schließen? Vertändere ich mich? Liegt, wenn ich heim komme noch ein Stein auf dem anderen?
Ich habe das Gefühl, langsam zu resozialisieren.

Nach der Einsamkeit Norwegens, der Shetlands, der Orkneys und Teilen Schottlands, dient die grausame schwedische Radwegrealität, der Lärm, der Gestank, die E6, dazu, dass ich mich wieder an mitteleuropäische Verhältnisse gewöhne. Fernseher blecken aus Kneipen, zeigen Fußball, die Menschen sprechen mich an und melden mir, wie es um Deutschland steht, um Schweden, um die Ukraine und so weiter und die Eurokrise wird immer wieder erwähnt, so dass ich fast Angst kriege, in fremder Währung zu bezahlen, weil der Kurs unkalkulierbar ist.

Spanien sei reif, sagt vorhin ein Schwede. Es greife immer mehr um sich mit den Finanzen. Informationstechnisch werde ich resozialisiert. Wir schwelgen in dem Europacupfinale zwischen Göteborg und Kaiserslautern, lange Zeit her, und der Mann ist ganz glücklich, dass Göteborg gewonnen hat – dazwischen ein bisschen Lebensgeschichte, Urlaube an der Mosel wegen des Weins, die Sache mit dem Hirn, hatte er einen Schlaganfall? Er könne sich die Dinge nicht mehr so gut merken, nur noch Göteborg Kaiserslautern, aber nicht, gegen welches Land die Schweden letzte Nacht im Euro-Spiel verloren haben und sein Hund heißt Leila und er wurde von Tierschützern in Rumänien gerettet und er sei der einzige in der Familie, der einen Europapass hat – so geraten wir vom Hundertsten ins Tausendste.

Ich könnte ewig so weiter schreiben am großen Roman, der auf einem Campingplatz in der Nähe von Stenungsund geschrieben wurde. Morgen kommt der Sommer, sagt der Schwede mit dem Hund namens Leila, das Blau des Himmels nimmt langsam Kontur an.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Tag 76 – Bilder

Reparatur an der Malöfähre …
>>> für einmal sind zwei Bilder nur in mittlerer Auflösung gekommen, wegen der langsamen Internetverbindung = Akku-Sparmassnahme, ein wenig vergrössern geht aber trotzdem via Draufklick.

Gestern vorm Supermarkt in Ellös. Mopsen Retriever – mach Hundebild, Hundebild verkauft sich! ;-)

Schubkarren auf Tollenäs Camping …

Des Rätsels Lösung? Das Seilrätsel vom 75. Tag, hat Szintilla im dortigen Kommentarstrang herrlich gelöst. Hier meine Umsetzung. Guckt das Bild in groß auf pixartix_dAS bilderblog.

Bildvorlage: Irgendlink (Klick zum Bild)
Collage: Sofasophia

Tag 77 – Bilder

Dusche auf Tollenäs Camping …
„Spare Wasser, dusche mit einem Freund“ – sparsame Menschen, diese SchwedInnen, muss ich also echt sagen! :-)

Klasse, Mili lädt wieder! War wohl nur ein Wackelkontakt oder nass geworden. Mit ein bisschen Power kann ich es zum Restart des Fons nutzen. In Göteborg habe ich aber doch noch ein zweites Mili-Ding gekauft.

Als Akkusparmassnahme hat Irgendlink diese Bilder heute nur in mittlerer Auflösung geschickt. Sie lassen sich dennoch durch Anklicken ein wenig vergrößern.

Tag 77 – die Strecke

Ich darf in einem Wohncontainer auf Nathalies Ponyhof schlafen! Jetz erstmal einziehen und kochen, schreibt Irgendlink um neun Uhr.

Boah, schon in Kungsbacka? Ganz schön weit ist er heute geradelt, inklusive Göteborg-Besichtigung! Das sei er dem Sommerwetter doch schuldig, meinte er am Nachmittag. Ob das Leben doch ein Ponyhof ist?

>>> Camping Tollenäs, Stenungsund – Gneisti, Natalies Ponyhof, Kungsbacka: zum Kartenausschnitt der heutigen Strecke: bitte hier klicken!

Das Leben ist ein Ponyhof

Genug geweint! Stenungsund ist eine Chemiestadt. Mein schwedischer Campingnachbar erzählt, dass es gar nicht übel ist, auf Tollenäs, weil der Wind meist aus Südwest kommt, und man kriegt von dem Molloch, eine Firma, die mit dem Namen Nobel endet, überhaupt nichts mit. Ich muss an Mainz Mombach denken, den Geruch von verbranntem Kaffee, den die nahe Fabrik bei bestimmten Windverhältnissen in die 1990er Jahre-WGs wehte und meist wohnten wir unterm Dach in kleinen, überhitzten Kammern, schliefen bei offenem Fenster.

Es gibt Radwege in Schweden! Schon seit Stenungsund führt eine breite, fein geteerte Extratrasse an der E6 entlang. Und Schilder gibt es auch. Bei Jörlanda kommt man auf kaum befahrene Landstraßen. Plötzlich sind zig RadlerInnen auf dem Weg, so dass ich an einer Kreuzung, an der in Warnwesten gekleidete Frauen, eine Herde radelnder Kinder über die Straße leitet, anhalte und frage, ob etwas besonderes sei. Schulaus, sagt die Frau. Hum? Aber die anderen, die „Großen“? Keine Ahnung.

Kurze Zeit später überholt mich Helmar. Im nebeneinander Radeln erzählt er mir von der Global Biking Initiative (www.gbi-ev.org), die alljährlich unterwegs ist quer durch Europa und Geld sammelt für einen guten Zweck. Über hundert Radlerinnen und Radler nehmen daran teil. Jeder hat es sich zur Aufgabe gemacht, unterwegs 500 € zu sammeln. Das sind die Voraussetzungen, um an der organisierten Tour teilnehmen zu dürfen. Wie das Geld zusammen kommt, ist einem selbst überlassen.

Die diesjährige Tour führt von Oslo nach Düsseldorf. Helmar beschleunigt mein Vorankommen und vermutlich verlangsame ich seins. Er fährt ohne Gepäck. Die Strecke ist flach. So merke ich kaum, wie wir voran treiben, immer wieder andere aus dem GBI-Team treffen. Ich könne ja in Göteborg am Hafen vorbei schauen, sie haben auch ein Presseauto im Tross, das am Hafen wartet. Schon leuchtet die rote Studiolampe im Innern von Hobbymedienstar Irgendlink. Wir reden Radlergeschichten. Es läuft fast immer nach ähnlichen Prinzipien ab, so ein Radreisendengespräch: über die Wohers und Wohins hangelt ein jeder sich zur eigenen Radlerhistorie durch, und so bilden wir auf wenigen Kilometern skizzenhaft zwei halbe Menschenreiseleben ab, um irgendwann wieder Tschüss zu sagen. Bei uns Kunststraßenbauern ist es meist das nächste 10 km-Foto, das den zarten Strom der Begegnung unterbricht, und den nächsten, in diesem Fall Helmar, in die „Freiheit“ entlässt. Helmar macht noch ein Foto von mir, dann klinkt er sich seinen KollegInnen ein. Multiple Hallos sausen in Rennradgeschwindigkeit an mir vorbei.

Paar Kilometer später taucht unerwartet ein Stützpunkt auf: Pavillonzelt mit Verpflegung, Pressebus, Warnwesten, Rotes Kreuz, knapp fünfzig RadlerInnen schwätzen, lachen, gehen zum Pinkeln hinter die Bäume, eine kleine, feine internationale Familie. Beklommen stoppe ich und laufe Ulrich in die Arme. Er führt mich ein, gibt tiefgreifende Infos über das Projekt. Schon zum fünften Mal findet die Tour statt. TeilnehmerInnen von überall, Neuseeland sogar, Ägypten, Südafrika, um nur ein paar „Exoten“ zu nennen.

Die Sache ist gesponsert von verschiedenen Firmen, unter anderem dem Telekommunikationsanbieter mit dem halben Ying-Yang-Logo. Ulrich erzählt mir ein bisschen über die „Einzelschicksale“, so dass ich fasziniert zuhöre und mir wieder einmal klar wird, mit wie wenig Infos man Menschen skizzieren kann, so rein erzählerisch, oder liveliterarisch, sogar winzige Hinweise genügen heutzutage, um eine Person, deren Namen man vielleicht gar nicht kennt, im Internet ausfindig zu machen, die Spur weiter zu verfolgen, ein größeres Bild zu erlangen. Die rumänische Radlerin etwa spricht fließend alle romanischen Sprachen, Englisch und Deutsch. Fast alle im Team verstehen Deutsch. Wie schwierig es ist, internationale Gepflogenheiten zu berücksichtigen, etwa bei der Unterbringung muslimischer oder katholischer Frauen, die auf keinen Fall mit Männern zusammen in einem Zimmer schlafen dürfen.

Ulrich macht mir Lust auf Menschen. Lust, dazu zu gehören. Auch wenn die Radeltour mit etwa hundert Kilometer pro Tag leichten Wettkampf-Charakter hat, könnte ich mir vorstellen, da mal mitzufahren. Für jede Teilnahme gibt es einen Stern am Trikot. Ulrich hat schon fünf. Ein Effekt des gemeinsamen Radelns, stelle ich fest, ist, dass die Gruppe Tiefen auffängt und Höhen verstärkt. Im Sog der gemeinsamen Straße fällt weder der Verkehrslärm auf, noch spüre ich meine müden Oberschenkel.

Wie im Rausch treibe ich, nun wieder alleine, Richtung Göteborg. Bei einem 10er-Foto kommt mir ein Mann mit unendlich quietschender Kette entgegen, grüßt auf schwedisch, saust vorbei, „You need Oil“, rufe ich ihm nassforsch hinterher, und er kehrt um, bereit zu einem Schwätzchen. Sogar auf Deutsch. Auch hier ein Fetzen Menschenleben, schnell erzählt. Nach und nach beiße ich mich an einem Flickenteppich von Menschenleben fest, winzige Informationen, oft nur ein Blick, die Art, wie jemand Hallo sagt, genügen schon, für einen Pinselstrich in meinem Skizzenbuch der menschlichen Gesellschaft des frühen 21sten Jahrhunderts. Hach. Wenn ich auf tollkühn göttliche Weise die Punkte nur eines einzigen Tages miteinander verbinden würde, könnte ich eine Chronik der Menschheit schreiben, geifere ich in Kungälv, vorbei an einem Schloss, während mich vier Iren überholen, einen Hügel hinauf keuchen, dort warten an einer Bushaltestelle auf einen fünften und einen sechsten Iren und ich frage sie, woher kommt Ihr, near Dublin – aha – sie essen Bananen und der freundliche Ägypter flitzt vorbei, allesamt auf den Hafen Göteborg zudriftend, wo um 16 Uhr die Fähre nach Kiel fährt.

Mittlerweile blinkt Mili, mein Zwischenakku wieder und signalisiert, dass er während der Fahrt sich auflädt. Was mich zu dem einzig logischen Schluss bringt, das Ding hatte zu viel Wasser. Habe ich die Kilometer wenigstens nicht umsonst geradelt, schmunzele ich in mich hinein. Brave Mili, lädt wieder solange sich das Vorderrad mit dem Dynamo dreht.

Neben stark frequentierten Straßen, der E6 und anderen, durch nicht sehr reizvolle Landschaft nach Göteborg. Gewerbegebiet, Supermarkmonster, ein Elektromarkt, ein schwedisches Möbelhaus, die Frühschicht auf dem Heimweg radelt vor mir her, eine rothaarige Frau, noch in der Arbeitskleidung. Der Apfel, in dem wir leben, arbeiten, leiden und lieben drückt uns unweigerlich seinen Geschmack auf, seine Firmenkluft, Brandmarke der Dazugehörigkeit.

Im Elektromonstermarkt, der so groß ist, dass man den Campingplatz in Tollenäs darin unterbringen könnte, frage ich nach Kontaktspray für die Elektroden meines Pufferakkus, für die gesamte Fahrradelektronik. Aber sie haben keinen hausinternen Reparaturservice, verschicken die abgegebenen Geräte schwedenweit, somit keine Werkstatt und auch keinen Monteur/Monteurin, der oder die mir mit ein paar Tropfen die Leitfähigkeit verbessern könnte. Ich kaufe einen weiteren Zwischenakku und überlege, dass ich den längst gärenden Artikel zum Thema Mangel und Überfluss und deren pulsierend Wechselwirkung endlich mal schreiben sollte – seit ich Pfingsten total ausgehungert in Norwegens Fjorden keuchte, habe ich ungewöhnlich viel Lebensmittel dabei, sorge immer dafür, dass es mir auch ja an nichts mangelt und das Akkuproblem hat nun dazu geführt, dass ich einen zweiten besitze, den ich nicht unbedingt brauche, der mir aber die Angst, den Schmerz, die Tränen und das Gejammer nimmt, das ich erleide nur dadurch, dass es die letzten beiden Tage so eine Art Schmalhans-Küchenmeister-energetischen Privatkollaps gegeben hat.

Verstehs, wer will, aber ich vermute, so ticken wir Menschen: Mangel ruft Überfluss hervor und der Überfluss führt zu einer degenerativen Wegwerfmentalität, die uns letztlich wieder in die Krise und somit zurück zum Mangel führt.

Göteborg taufe ich um in SoSoborg. Die Stadt hat sich lange genug mit dem, naja, weit hergeholt, Namen eines deutschen Dichters geschmückt, soll sie nun den Namen einer Schweizer Schriftstellerin tragen. Ha. Die Stadt ist schön. Ich mache kurzes Programm, Fahrrad schiebend. Sonne lacht, bastele insgeheim an einer Bildcollage zu Ehren von SoSo.

Mein Plan, von hier direkt nach Fredrikshafen in Dänemark überzusetzen verflüchtigt sich dank besserer Radwege und dank der Sonne. Der prophezeihte Sommer. SoSoborg verlasse ich dem Meer folgend auf gut beschilderten Radwegen, frage mich bei Fußgängern und Radlern nach den nächsten Ortschaften durch: Särö und von dort über den alten Bahntrassenradweg nach Kungsbacka. Alles prima anhand der Schilder zu finden. Schon meißele ich rein gedanklich an einem Monument aus purem Granit für den schwedischen Verkehrsmninister Björn K.

Gegen Abend wird es schwer, einen Wildzeltplatz zu finden. Dicht besiedelte Gegend. Wiesen noch nicht gemäht, alle Plätze, die mir gefallen, gut einsehbar, privat besessen. Bei einer Kirche wäre der Friedhof schön, aber so pietätslos will ich nicht sein, weiter, weiter weiter, bis zu jenem Reiterhof, den SoSo schon gebookmarkt hat (alleine auf Basis meiner Koordinaten, die ich ihr gemailt hatte und des Vornamens der Besitzerin, hat sie die Website ausfindig gemacht). Ha.

Ich frage eine Frau, die vor der Pferdekoppel ihrer Tochter beim Reiten zuschaut, ob ich das Zelt auf der Wiese hinterm Hof aufschlagen kann – die Frau entpuppt sich als Deutsche, Hamburgerin, seit Jahren hier lebend und sie vermittelt an Nathalie, welche mir anbietet, in dem Container zu wohnen, in dem die Gäste während Reitturnieren und anderen Veranstaltungen auf dem Hof wohnen. Islandpferde haben sie. Ponys, denke ich. Soll nochmal jemand sagen, mein Leben sei kein Ponyhof.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)