Punktlandung gestern. Das Zelt steht auf Bayerischem Boden. Die Grenze ist ganz nah, sagte Frau SoSo am Telefon, ich habs auf der Karte gesehen. In der Hintergrundkarte auf dem Handy sind die Grenzen nicht eingezeichnet und der erwartete Grenzstein, ich stellte mir ein großes Monument mit gemeißelten Lettern vor ‚Freistaat Bayern‘, blieb aus am Radweg Liebliches Taubertal, oder es war so winzig, dass ich es übersehen habe.
Jaja, da hinten läuft die Grenze, versichert mir der Kläranlagentechniker der Tauberrettersheimer Kläranlage, er gestikuliert eine Zick-Zack-Bewegung. Wir sitzen im Technikraum. Er hat Kaffee gekocht, mich eingeladen, nachdem er mich beim Wildzelten neben der Anlage ‚erwischt‘ hatte. Was heißt erwischt. Er heißt mich herzlich willkommen. Kein Problem. Als Motorradler oft unterwegs weiß er wie das ist, da draußen auf den Touren, suchend, irgendwo übernachten wollend. Wir schwätzen über dies und das, schlürfen Kaffee. Die Anlage surrt. Etwas ganz besonderes, denn die Klärbecken der kaum tausend Seelen-Gemeinde sind alle in dem Gebäude untergebracht, das aussieht wie eine mittelgroße Feldscheune. Einzigartig, mutmaßt er.
Was es in Tauberrettersheim zu sehen gibt, frage ich. Da gerät er ein bisschen ins Stocken. Das Judengässchen? Ist nur ein schmales Gässchen. Tja und die Weinkooperative. Ringsum sind Weinberge. Ich lasse mich überraschen und als ich den knappen Kilometer ins Dörfchen absolviert habe, stehe ich vor einer alten Steinbrücke. Gibts öfter hier im Taubertal. Meist stehen auch Heiligenfiguren auf Sockeln davor oder darauf. Neben dieser steht eine kleine Tafel. Es handelt sich um die einzige erhaltene Steinbrücke erbaut von Balthasar Neumann. Es klingelt, der war doch einst auf dem alten Fünfzig Mark-Schein, oder? Und auch sonst ist Tauberrettersheim schön anzusehen. Sei es nur eine Kochfigur am Straßenrand, wie man sie öfter vor Restaurants sieht. Nur ist neben dieser Kochfigur gar kein Restaurant. Ein Haus mit einem Garten voller Krempel ist auch sehenswert. Ein Privatgelände, in dem viele Regale stehen voller Porzellan und Steingut, massenweise Zeugs und Schildern an der Hauswand und Kitsch. Doch doch, durchaus sehenswert und in der Bäckerei Schmitt versorge ich mich erst einmal mit Backwaren. Die Bäckerin gibt mir eine verbale Führung durch die verschiedenen Angebote, fast wie im Museum. Ein Fest.
Weiter auf dem Radweg Liebliches Taubertal. Ein Traumradweg. Rückenwind, in Terrassenstufen aufwärts via Creglingen Richtung Rothenburg ob der Tauber.
Das Mittelalterstädtchen platzt von Touristen. Amerikaner, Chinesen, Italiener, Reisegruppen von überall. Entsprechend sehen die Schaufenster der Läden aus. Tand und Kitsch und Postkarten gut abgemischt mit Kleinkram und Trachten. Kuckucksuhren wie etwa am Titisee findet man keine. Aber Konditoreien mit Tennisball großen Pralinen, die im Schaufenster zu Pyramiden aufgeschichtet sind.
Einem Reiseradeler mit sehr knappem Gepäck begegne ich wieder nach dem sehr steilen Anstieg in die Stadt. Er sah aus wie ein Transcontinental-Fahrer und ich hatte geglaubt, den sehe ich nie wieder, so schnell wie er mit seinem Rennrad an mir vorbei gezischt war. Bei der Stadtmauer wechseln wir ein paar Worte, dann ergießen wir uns ins Touristenmeer. Die Stadtmauer ist wohl rund um begehbar, etwa zwei Kilometer Wehrgänge. Ein wuchtiges Bauwerk, das seinen guten Zustand wohl nur vielen Spenden verdankt, mutmaße ich, als ich oben in den Mauern eingelassene Tafeln finde mit vielen Namen von Menschen weltweit. Alle paar Meter solch eine Tafel.
Ab Rothenburg ist Schluss mit Lieblichkeit. Das Taubertal weitet sich zu einer Art hügeliger Hochebene. Auf dem Radweg Romantische Straße, der teils auf der alten Bahnlinie nach Dombühl verläuft, gehts Richtung Schillingsfürst. Steil berghoch das letzte Stück per Landstraße. Gar nicht romantisch, die romantische Straße und ich beschließe den Radweg Romantische Straße, der mich theoretisch bis ins Allgäu führen wird, mit Vorsicht zu genießen. Vielleicht läuft er in einigen Teilen auf der Romantischen Straße für Autofahrer?
In Schillingsfürst laufe ich der Touristeninformantin in offene Arme. Sie hat neben Kartenmaterial auch allerlei Anekdoten im Gepäck: dass zum Beispiel manche Menschen aus den USA sie fragen, wo sie denn den Eintritt für den Landschaftspark Frankenhöhe entrichten können, wohl weil sie es von ihren Nationalparks zu Hause so gewöhnt sind. Da die Frankenhöhe aber überall ist und man sie frei mit dem Auto oder Rad befahren kann, erübrigt sich ein Eintritt.
Vor der Touristeninformation unter dem Vordach befindet sich auch eine Tauschbibliothek. Übervolle Regale, sowie eine E-Bike-Ladestation.
Auf zur Wörnitzquelle. Ein als Brunnen gefasstes Denkmal aus Stein mit zwei sich kreuzenden Fischen. In der Nähe der Quelle palavern zwei alte Leutchen auf elektrischen Rollstühlen in der Abendsonne und wir kommen ins Gespräch ums Woher und Wohin mit Anknüpfungen in die jeweils eigenen Leben. Sie empfehlen mir die Strecke über die Landstraße nach Feuchtwangen. Ist kürzer.
Ausflug ins Leben des einbeinigen Mannes. Von der verpfuschten Meniskus-Operation, wegen der er nun das Gericht konsultiert hat, reisen wir nach Nürnberg und wieder nach Schillingsfürst und machen einen Abstecher nach Südafrika, wo er eine Existenz aufgebaut hatte und, nunja, er zeigt auf den Stumpf, wegen der Gesundheit zurückgekehrt war, um sich operieren zu lassen, dann Sepsis, Bein ab, Prozess, Altersheim. Ich bin erschüttert. Die milde Abendsonne scheint uns zu streicheln, ohne zu ahnen, was an Elend sich alles ereignet hat in unseren Leben und dem Leben eigentlich aller, oder sich noch ereignen wird, denke ich. Lebe im Jetzt. So koste ich ein wenig Wasser aus der Wörnitzquelle, obwohl ein Schild daneben hängt, ‚Kein Trinkwasser‘ und dann ab ins Tal. Der Radweg verläuft fast nur auf Landstraßen und Feldwegen. Die Straßen sind jedoch kaum befahren. Durchaus Radwegqualität. Von steil abwärts kann jedoch keine Rede sein. Die Wörnitz ist hier oben ein fast stehendes Gewässer. Ein etwa ein Meter breites Etwas, gesäumt von Schilf, das sich in weiten Schlaufen durch flache Wiesen windet. Kaum zu glauben, dass das hier im Schwarzen Meer mündet, dass es eine durchgängige Falllinie gibt, auf der das Wasser die mehrere tausend Kilometer bis hinter den Balkan zurücklegt.
Feierabendlicher Getränkemarkt in Wörnitz-Stadt. Ich suche Rat beim Getränkehändler, da ich ein Bier der Region kaufen möchte. Er führt mich durch die Reihen an Biervielfalt und sagt, Reindler, Tucher, Landwehr usw. Und dann machen wir einen Ausflug durch die Brauereienszene Tauber abwärts und Wörnitz abwärts mit einem Abstecher ins Tucherland, jenem Konzern, der ganz viele kleine alte Biermarken aufgekauft hat. Er scheint Tucher nicht zu mögen, dieser feine Frankenrebell. Das Ende der Geschichte ist, dass ich mit drei Bieren das Haus verlasse. Geht ja abwärts, bringt Schwung. Wirste schon los.
Durch das flachhügelige Hochland weiter Richtung Dinkelsbühl, vorbei an Feuchtwangen. Bis ein paar Fischteiche locken. Vielleicht kann ich darin baden? Erst einmal ein Bier trinken und mit den letzten Sonnenstrahlen per Solarzelle Handy laden … und zack ist die Sonne weg und das Bier auch und schlagartig wirds kalt und mit Baden wäre ohnehin schwierig geworden, weil der Teich von Schilf umrankt.
Wildzelten hier? Sehr einsehbar von der Straße aus. Dennoch, ich mache das jetzt. Es ist ohnehin unsinnig nicht wild zu zelten. An diesem Abend wird mit klar, dass es nicht darum geht, dass das Wildzelten verboten ist und dass es dafür eine Geldbuße geben kann, sondern es geht mir um mein Gefühl. Die Sorge erwischt zu werden. Die Sorge, wenn sich Schritte dem Zelt nähern, wenn ein Auto anfährt, eine Tür schlägt. In zig Jahren Wildzelten bin ich vielleicht zwei Mal angeeckt, wurde aber hundertfach freundlich begrüßt. Das ist es, was ich mir klar machen muss. Dass das Gesetz, so unsinnig es ist, zwar da ist und in einem geringen Prozentsatz der Fälle auch tatsächlich sinnvoll ist, dass es aber eine abschreckende Wirkung hat auf uns Menschen, die uns Sorge in die Knochen und Hirnwindungen jagt, so dass wir schön konform, wider unsere eigene Vernunft, den vorgeschriebenen Weg gehen, weil sich das weniger kompliziert anfühlt. Konfrontation, denke ich heute Morgen, da hilft nur die Konfrontation: absichtlich wild zelten an Stellen, an denen man exponiert ist, sich nicht verstecken, die Gelbuße bewusst riskieren. Und das ist der Preis, den man eventuell zahlen muss, um sein gutes Gefühl zurück zu erlangen.