Yet Another Vorstellungsgespräch. Dieses Mal nicht im Bürotrakt einer Shoppingmall, sondern in einem typischen Berner Bauernhaus. Ein Ding, das nur aus Dach zu bestehen scheint, durchweg aus Holz gebaut. Wuchtig liegt es am hochwasserführenden Mühlbach des Flüsschens Emme in einem Gewerbegebiet. Deutlich spürt man, wie die Stadt das Land überwuchert. Ich lasse mich durch die Sträßchen treiben, fühle mich entwurzelt, nicht dazugehörig. Die Schweiz kommt mir vor wie eine Puppenküche. Sauber, aufgeräumt, wohlgefügt, alles wie im Traum, zudem sind die Menschen nett. Der Typ kranker Spinner oder protziger Proll oder hysterischer Aufmerksamkeitssucher oder psychopathischer Was-auch-immer, läuft einem hier nur selten über den Weg. Geld spritzt aus allen Ritzen. Auf der Straße kleben, selbst vor Bahnhöfen kaum Kaugummis. Es liegt kein Müll herum. Auf Autobahnen hält man sich an die Geschwindigkeitsregeln. Kaum einer drängelt oder lichthupt.
So laufe ich fotografierend durch das Idyll. Aber es will nicht stimmen. Plötzlich fühle ich mich alleine. Oder fremd? Ja, fremd ist besser. Vor einer Kirche, einem neumodischen Betonding, trifft mich auf einer Parkbank sitzend die Wucht der Fremde. Die Schleier der Realität flattern im Frühlingswind, mich fröstelt, das Tausend-Meilen-von-Daheim Gefühl beschleicht mich. Wie im Alptraum sind von jetzt auf gleich alle meine Liebsten gegangen und muttersellenalleine hocke ich, Jahrzehnte in die Zukunft katapultiert, noch immer denkend, mich windend, nach dem Großen suchend, das man nicht aussprechen und nicht finden kann, auf einem in Ewigkeit rotierenden Planeten. Wenn ich eine Funtionsschleife in einem Computerprogramm wäre, hätte ich mich längst aufgehängt, würde sinnlos auf meine eingespielten Routinen rückkoppeln. Was bleibt, ist die Hoffnung auf den Befehl „clear“.
Das reinigt die Sinne. Ich versuche ein offenes WLAN zu finden. Vergeblich. Die Neuapostolen haben ein gutes Passwort. Dabei würde es genügen, am Pfarrhaus zu klopfen und zu fragen. Wie früher Obdach und Brot, würde man heute Netz und Strom erhalten, spinne ich. Die leere Welt meiner Phantasie hinter den Schleiern meiner mutmaßlichen Zukunft, ist wieder unsichtbar. Mächtig erschreckt hat mich die Kälte, die bodenständige Manifestation von Sinnlosigkeit, so als sei Sinnlosigkeit das ultimativste aller Fundamente. Pfahlgründung der Seele auf dem morastigen Boden der Sinnsuche.
Ein kühler Ostwind lullt mich ein. Ich fühle mich wieder wie der Reisende, wie der Umrunder der Nordsee, der ich im letzten Jahr war. So unglaublich es klingen mag, während der vier Monate alleine auf dem 7000 Kilometer langen Radweg um die Nordsee, habe ich mich keine Sekunde alleine gefühlt. Obschon man chronisch fremd das Land durchquert, ist man als livereisender Blogger doch stets daheim. My Home is My Blog, steht groß geschrieben über meinem virtuellen Kamin. Das Feuer der Neugier lodert darin.
Von allen Gegenden, die ich durchquerte, sind mir die menschenleeren am Liebsten.
Gemütsschwächelnd fotografiere ich nach Herzenslust und ohne Konzept das kleine Burgdorf. Das Auge kreist dabei im Spannungsbogen zwischen blauem Himmel und den abflauenden Fluten der durchweg kanalisierten Rinnsale und dem von Menschenhand geschaffenen grauen Band, das niemals endet.
Für diese Woche gibt es nur noch drei Dinge zu tun:
Das Jakobswegbuch wird gründlich lektoriert. Die große Zweibrücker Col Art Ausstellung (www.prismakunst.de) wird vorbereitet, und ich möchte mit dem Fahrrad zum Rhein runter radeln, an den Punkt, an dem die Aare mündet.
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