Vor mir liegt das Smartphone auf dem Tisch, Notizbuch-App geöffnet, winziger, weißer Bildschirm. Oben rechts symbolisiert ein Zacken, dass die Bluetooth-Tastatur gekoppelt ist und ich müsste eigentlich nur noch darauf losschreiben, aber es will und will nicht. Es. In mir. Es, das große „Widerstand“. Ein Unwesen, das sich in den unterschiedlichsten Situationen zu Wort meldet.
Das Smartphone ist fast leer. Mit dem schmutzigen, alten Ladekabel hängt es an einer Akkuzelle, die hinter der Kaffeetasse auf dem Tisch liegt. Der Kühlschrank brummt. Wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich den Runn sehen. Unseren Haussee. In einer Minute könnte ich unten am „Badplads“ sein und ein Morgenbad nehmen.
Wasser.
Kein anderes „Element“ lässt einen besser seine Aggregatszustände erfahren, als Wasser. Bei Null Grad Celsius gefriert es. Bei hundert Grad verdampft es. Vielleicht liegt es daran, dass wir Menschen überwiegend aus Wasser bestehen, dass wir es beim Wechsel von einem Zustand in den anderen so anschaulich beobachten, ja, erfahren, können? Vielleicht ist es, weil wir ES sind?
Minutenlang stehe ich bis zu den Knien im Wasser, starre hinaus auf den See und stelle mir vor, wie ich langsam in die Knie gehe, die Wasseroberfläche sich an meinem Körper hochschiebt bis zum Hals, ich mich abstoße und endlich hineingleite. Drüben am Ufer schimmern Boote und zwischen den Bäumen lugen Holzhäuser. Es ist wie aus dem Alltag in das Reiseleben hinüber gleiten, denke ich noch. Das Reiseleben erscheint einem ja zu Hause, „im laufenden Betrieb“ des eigenen Lebens auch wie eine kühle, unheimliche Wassermasse, in die man hineinsteigt.
Ich weiß, dass es nur ein kurzer Moment ist, an dem ich ein bisschen frösteln werde. Der See ist nicht besonders kalt, vielleicht 18 Grad, kaum kühler also, als die Luft. Und dennoch, diese Minuten des da Stehens und den See Beobachtens …
SoSo beobachtet mich und zweifelt an meinem Verstand, warum kehrst Du nicht um, warum springst Du nicht einfach rein, warum quälst Du Dich so zwischen hier und dort?
Ich blogge gerade, rufe ich ihr zu. Ich blogge über den Übergang.
Den Übergang?
Ja, den Übergang zwischen Alltag und Reise und wie gut er sich vergleichen lässt mit dem Übergang vom Land ins Wasser.
Es ist nicht das kalte Wasser, das mir Schwierigkeiten macht, in den See zu steigen und es ist auch nicht das Unterwegssein, das das Losradeln so schwer macht, es ist die Vorstellung, dass der See kalt ist und dass unter der Oberfläche, wenn man einmal schwimmt, Unbekanntes liegt, das jederzeit am schutzlosen Körper züngeln könnte. Unterwegs, wie hier in der konkreten Situation. Diese Seerose, da vorne, da verstecken sich doch sicher Tiere drinne, die nur darauf warten, den Schwimmer, wenn er denn mal endlich eintaucht, zu beäugeln. Hirngespinste. Genau wie beim Reisen.
Es war verdammt schwer, dieses Mal, die Reise zu beginnen. Ich erinnere mich, wie aufgeregt ich war vor nunmehr gut sechs Wochen. Der Kopf arbeitete noch diverse Alltagsunabdingbarkeiten ab und schusterte an einem Luftschloss der Sorgen, da stand das Radel schon fertig gepackt im Atelier und das Ziel der Reise war längst grob skizziert. Herzrasen. Schlechter Schlaf. Überall lagen Zettel mit nie abarbeitbaren Listen von Zutuns.
Wenn man keinen abrupten Alltagsschuldenschnitt macht, kommt man nie weg von zu Hause. Schließlich hängen an uns Menschen inmitten des Lebens jede Menge Unabdingbarkeiten, Familienkonstrukte, materielle und psychische Bedingungsketten, die einen davon abhalten, den Sprung in die große Reise zu machen.
Zum Glück kenne ich das Gefühl und weiß, dass es schon ab dem ersten Reisetag so sein kann, als wäre man wochenlang unterwegs. Genau wie mit dem Runnsjön, den ich bis zum Knie betreten habe. Ich weiß, dass ich mich zwei Sekunden, nachdem ich voll eingetaucht bin, so fühlen werde, als wäre ich nie außerhalb des Wassers gewesen. Das Wasser schwappt zentimeterweit an den Beinen auf und ab. Eigentlich spürt man gar keinen Unterschied zwischen da unten im See und hier oben, außerhalb, wo dieses verflixte Hirn allmögliche Szenarien skizziert, die das vollständige Eintauchen vereiteln.
Dieser Blogeintrag richtet sich an alljene, die davon träumen, einmal einfach aufzubrechen und eine Reise ins Nichts, jenseits von Pauschalvorbuchungen zu machen, explizit Outdoor und ohne festes Tagesziel unterwegs sein möchten, egal, ob per Radel, zu Fuß, oder sonstwie. Vielleicht sogar länger als ein zwei Wochen.
Es ist wirklich nicht leicht, sich frei zu machen und drauflos zu reisen. Das versichere ich Euch und denkt ja nicht, der Herr Irgendlink macht das einfach so, dem fällt das leicht, der ist ein loser Typ, der hat daheim nichts zurückzulassen. Verdammt viel musste ich opfern auf Zeit. Auch ich habe ein Privatleben, habe liebe Menschen daheim, die meine Hilfe und Gegenwart zu schätzen wissen. Aber es ist auch so, dass eine Welt nicht zusammenbricht, wenn man sie mal für ein paar Wochen oder Monate hinter sich lässt.
Auch der Strand hinter mir wird sich nicht einfach in Nichts auflösen, wenn ich jetzt in den See steige und eine Runde schwimme. Ich mach‘ das jetzt. Tief Luft holen, Nase zuhalten, Kopf runter. Rein.
Ich mach‘ das jetzt, drauflos tippen, diesen Blogbeitrag, der zwischen See und Land längst geschrieben ist, auf dieses nackte, winzige, weiße Smartphone-Notizbuch schreiben.