Ein Urviech und der Illkanal

Südlich der wuchtigen Vauban-Barriere am Flüsschen Ill beginnt ein Kanal, an dem man zig Kilometer geradeaus nach Süden radeln kann. In Strasbourg zweimal verirrt. Ich lese zu viel Fred Vargas Krimis. Anders lässt sich nicht erklären, dass ich nach Schiltigheim radeln wollte, dort wo einst ihre Romanfigur, der Zerquetscher sein Unwesen trieb. Nun am Kanal vor einem Bioladen in Illkirch. Ein Passant empfahl mir Auchan zum Einkaufen, winkte dann ab, das Rad würde mir vor dem Monsterladen vielleicht geklaut und lotste mich zu einem Lidl direkt neben einem Mac Donalds … ehe man verhungert. Plötzlich schält sich wie aus dem Nichts dieser Bioladen direkt am Kanal. Bester Käse der Welt, Vollkornbaguette, Frischmilch. Die Sonne kommt raus.
Bilder: Urviech für Szintilla und Erste Schleuse am Illkanal südlich der von Baumeister Vauban entworfenen Flussbarriere
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Le Col de la Macht

Europapalarment Strasbourg. Über den Kanalradweg rein in die Stadt. Die Menschen kriechen aus den Betten. Stau auf der Autobahn bei Brumath. Die TGV Bahnbaustelle vom letzten Jahr ist noch immer nicht beendet. Also führt der Radweg entlang der Nationalstraße, wo gegen Sieben schon reichlich Pendler in die Stadt driften. Auch Radler in feiner Anzugshose und Hemd. Parlamentarier? Die Front National kommt mir unweigerlich in den Sinn und das Wahlergebnis der letzten Europawahl will so gar nicht zu den freundlichen Menschen passen, die mir Fremdem begegnen. Man spricht mich auf Englisch an, smalltalkt. Zwei Frauen im Kopftuch. Friede. Obendrein dünkt mich, dass in Frankreich viel weniger Nationalflaggen hängen, als bei mir daheim. Keine Spiegelbikinis, keine Autoschiebefenstereinklemmnationalflaggen. Kein WM Schnickschnack. Aus manchen Fenstern hängt hier im Elsass sogar die Deutschlandfahne. Ein Graffiti von vor vierzehn Jahren kommt mir in den Sinn. Die Parole Vive Le Pen hatte jemand kurzerhand in Vive Le Penis umgewandelt. Schmunzelnd im Morgenmenschenstrom. Feuerwehrauto Tatü. Krankenwagen Tata, schicke, herzlose Mehrfamilienhäuser im Eropaparlamentsstil mit viel Glas und Rundungen. Für die Besserverdiener. Bunt angemalte, angsteinflößende Monsterwohnblocks. Ab Reichstätt verstädterte Zone. Reichstätt und sein Autohausstrich. Wenn man über die Autobahn in die Stadt rauscht, von Haguenau aus, liegen linker Hand kilometerweit glänzende, verglaste Autohäuser aller Marken. Verkaufgeschulte Luden inside.
Nun vorm Parlament stellt sich mir die Frage, muss man so einen Glaspalast für Teuergeld da hin stellen? Können die nicht in ganz normalen Gebäuden arbeiten, die im Bau und im Unterhalt ein vernünftiges Maß aufweisen? Hmm. Ich bin nicht hier, um die Welt zu verstehen.
Bilder: Irgendling vorm Col de la Macht, das erste dreidimensionale MudArt Kunstwerk von Heiko Moorlander, Totenkopfgraffiti unter einer Kanalbrücke.
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Zinsel und Zinseszinsel

Von Zweibrücken bis ins lothringische Bitche sind es etwa dreißig Kilometer. Mit dem Radel eine sehr schöne Strecke, aber man sollte die Höhenstraße meiden, die über den Zweibrücker Flugplatz nach Frankreich führt. Entweder man quält sich in Schweyen über den Berg nach Breidenbach und radelt dort die alte Hauptstraße, oder man folgt dem Schwalbach nach Hottviller und Sierstal. Entscheidungen wieder. Am Motocrossplatz Schweyen ist mir noch nicht klar, dass ich die Schwalbachroute nehmen werde, mich über Sierstal Lambach an Bitche vorbei mogele, hinauf aufs Plateau Grunholz … lebensrettendes Eclaire (das ist wurstförmiges bappigsüßes Gebäck mit extrem viel Sahne) in einer Boulangerie in Lemberg. Die Bäckerin klärt mich auf, dass in Frankreich, mindestens jedoch in Lothringen, gar kein Feiertag ist an diesem Donnerstag. Man kann tun und kaufen was man will. Am Abzweig nach Mouterhouse, stürze ich mich, einem Impuls gehorchend runter ins Tal, ostwärts durch sattgrünen Wald und ebenso ungeplant folge ich der Zinsel du Nord ab Mouterhouse ostwärts, statt mich direkt nach Süden zu wenden. Sehr weise. „Zinsel und Zinseszinsel“, scherze ich. Das Zinseltal ist ein absoluter Leckerbissen. Die Straße hat ab Bärental Radwegcharakter. Etwa drei Meter breit, kurvenreich, kaum befahren und wer da fährt, fährt langsam. Überhaupt fahren die Menschen in dieser Gegend rücksichtsvoller, als ich es von daheim gewöhnt bin. Tour de France Respekt? Gelassenheit? Seltsame zottelige Urviecher grasen am Bach, Highlandrinder, ich weiß nicht, wie man die kastanienbraunen Zottel mit den halbmeterlangen Hörnern nennt. Bis Zinswiller folge ich dem Bach, erreiche das Elsass – ein meterhoher Grenzstein am Straßenrand. Rüber nach Uhrwiller, Pfaffenhofen. Fast neunzig Kilometer stehen auf dem Tacho, als ich bei Schwindratzheim den Radweg am Rhein-Marne-Kanal erreiche. Neben einer Käranlage übernachte ich auf einer frisch gemähten Wiese, ohne das Zelt aufzubauen. Nicht besonders gut geschlafen, weil kurz vorm Einschlafen ein Palaver auf der anderen Kanalseite war. Nerviges Hupen, Stimmen, meterhohe Menschenschatten gestikulierend hinter der Bäumen. Der Stoff, aus dem der Horror ist. Nun seit halb sechs auf dem Kanalradweg nach Strasbourg. Ich hoffe, die Baustelle, die den Weg letztes Jahr blockierte und einen auf die Umleitungsstrecke über Brumath und die Nationalstraße zwang, ist beendet.
Bilder: Panorama am Ortsrand von Uhrwiller, Nachtlager, Graffiti beim Sportplatz Schwindratzheim, Kanalradweg km Neunzig der Reise.
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Freiheit

Eine der faszinierendsten Darstellungen von Freiheit findet sich in einer Folge der Simpsons. Die gelbe amerikanische Zeichentrickfamilie. Opa Abe Simpson ist in einem Altersheim untergebracht. Aus irgendeinem Grund verschwindet das Pflegepersonal, das die alten Leute stets ruhig stellt und ihnen Vorschriften macht. Nun humpeln die Alten auf Stöcken und Rollatoren vor die Schiebetür des Heims und rufen im Chor, Hurra, wir sind frei. Sie bleiben abrupt stehen und starten in eine sonnige, friedliche Welt jenseits der Mauern. Stille. Stillstand. Nichts. Bis jemand kleinlaut fragt, Und was sollen wir jetzt tun?
Um sechs Uhr wach mit dieser Szene im Kopf, fabuliert mein Hirn über den Begriff Freiheit. Stellt die Idee, Freiheit ist, viele Wahlmöglichkeiten zu haben, der provokanten Idee gegenüber, Freiheit ist keine Wahlmöglichkeiten zu haben und garniert das Ganze mit ser Idee, Freiheit ist, alle Möglichkeiten zu haben, aber keine davon zu wählen. Der Traum ist abstrakt. Um acht stehe ich auf, sattele das Radel, stoße vier Bar Luft in die Reifen, gieße noch einmal den Garten, füttere die Katze, instruiere den Major Domus – ich nenne ihn Higgins, er wird im Atelier nach dem Rechten schauen – Higgins, sage ich, Du bist frei, Du kannst tun und lassen was Du willst.
Nun schon zehn Kilometer im Sattel, Hornbach, kurz vor der französischen Grenze. Ein erster Blogeintrag noch im deutschen Netz.
Bild: ein verlassenes Grundstück mitten in Zweibrücken. I like it.

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