Wiese, Straße, Gebäude, Himmel
Begegnungen im Labyrinth
Ein gut Stück an der Autobahn entlang geradelt, jenem spektakulären Abschnitt der A 8, auf dem Tempo 80 herrscht. Der Radweg ist fein geteert. Stoppte an jeder Ecke und knipste ein Bild. Da die Kontraste recht hoch waren, schaltete sich der Blitz automatisch ein. Es muss der Horror sein für die Autofahrer, im Augenwinkel den Blitz zu vernehmen. Ein Mercedes bremste scharf und zog nach rechts. Aus einem Waldweg rollten lässig zwei glatzköpfige Luden in ihrem superteuren Auto, kurbelten die Scheibe herunter und fragten: „Haben sie einen braunen Hund gesehen?“ Ich sagte nein.
Er sei weggelaufen, gastiere bei einem Bauern. Aber nur abends. Ich empfahl: „Kommen sie abends wieder.“ Dann wurde mir klar, dass die Luden abends arbeiten müssen.
Abschnitt Vier und Sechs
Heute im Bliestallabyrinth auf Abschnitt 4 und 6 unterwegs. 4 führt von Bierbach bis nach Einöds Raiffeisenstraße. 6 knüpft, dank schlangenliniger Streckenführung ungefähr 400 Meter südlich an. Dazwischen liegt logischer Weise Abschnitt 5. Die Fotografie gestaltet sich knifflig. Ich fotografiere am liebsten bei Rückenlicht. Dann ist es am einfachsten und man braucht nicht so viel über die Belichtung nachzudenken. Deshalb habe ich das Labyrinth in Abend- und Morgenstrecken zerlegt.
Es handelt sich bei dem Konzeptkunstwerk um einen räumlich gegliederten Film. Wie jeder weiß, kann man beim Filmen ziemlich viele Fehler machen. So muss man im herkömmlichen (zeitlich gegliederten) Film zum Beispiel darauf achten, dass bei einem Schnitt nicht eine Szene mit Regen auf eine Sonnenszene folgt. Und die Schattenwürfe bei Dialogen müssen stimmen. Beim Kunststraßenfilm ist das auch kompliziert. Auf dem Radweg zwischen Bierbach und Ingweiler begegneten mir viele Menschen, so dass sie z. B. von Bild zu Bild größer wurden, weil wir aufeinander zu liefen, oder es überholte mich jemand, und verewigte seinen Rücken in einer Serie von vier Streckenfotos. Das sind natürlich keine Schnittfehler, sondern nur Hinweise daruf, wie beweglich diese Welt doch ist. Es gibt nur bei den Übergängen der Teilabschnitte Fehler, weil – wie gesagt, der Sonnenstand wechselt.
Der Tag war anstrengend. Mittags versucht, beim Einspritzpumpenbauer vorbei zu schauen, doch die Pförtner in der kosmodämonischen Megafabrik sagten, es herrsche Einstellungsstop und das Bewerberbüro sei bis auf Weiteres geschlossen. Ob sie die Bewerbungssachbearbeitungsfachkräfte entlassen haben?
Realitäten
Frühmorgens die Bewerbungsunterlagen für den Einspritzpumpenbauer fertig gemacht. Ein Lebenslauf kann ziemlich flexibel sein.
Dann Kunst schaffen. Auswertungsarbeiten mit den Geopunkten und Abgleich mit Google-Maps. Bei meinen Forschungsarbeiten zum Thema GPS Navigation festgestellt, dass es über 200 verschiedene Kartensysteme auf der Erde gibt. Je nachdem wie man die Erde sieht (sie hat in Wahrheit die Form einer Kartoffel) erhält man unterschiedliche Geopunkte. Ein äußerst flexibles System. So ist zum Beispiel die Meereshöhe nur ein dehnbarer Begriff. Der Amsterdamer Pegel, welche den Normalnullwert für unsere Breiten referenziert ist nicht der einzige Meeresspiegel. Wenn ich das so sagen darf. (Ziemlich interessant ist diese Seite zum Thema Geodäsie).
Versehentlich zwei verschiedene Kartensysteme fürs Bliestallabyrinth benutzt. Nun muss ich die Punkte umrechnen. Mit den Lebensläufen ist es so ähnlich. Mein Künstler-Lebenslauf sieht ganz anders aus, als mein Einspritzpumpenbauer-Lebenslauf.
Hier erstes Kartenmaterial des Bliestallabyrinths noch ohne Links und Bilder und vermutlich nur mit wenigen Browsern zu sehen. Bitte sagt mir, ob, und mit welchem Browser man die Karte nebst roten Markern angezeigt bekommt – bzw. nicht angezeigt bekommt (Javascript erforderlich).
Wörschweiler Notizen
Gestern wieder Kunst „geschafft“. Das Bliestallabyrinth sieht aus wie ein Schmetterling. Die Galerie liegt am Kopfende. Das einsame Gehöft liegt am rechten Flügel. Am Linken Flügel befindet sich der dunkle Kirkeler Wald, steil und voller Felsen. Dort spritzt das Wasser aus dem Berg. Es gibt Höhlen und Bunker und Felsen und die Klosterruine Wörschweiler thront auf einer Kuppe über dem Bliestal. Vor einigen Jahren fürhte meine Hausstrecke mit dem Mountainbike über das Kloster durch den Wald bis zu den Sieben Fichten und zurück. Beim Radeln kommen mir oft gute Ideen. So entwickelte ich eine Geschichte, die „Wörschweiler Notizen“ heißen sollte. Sie handelte von einem Knecht im Mittelalter, der tagein tagaus, ein und die selbe Arbeit verrichten musste. Sein Tagesablauf war so streng gegliedert, dass selbst die geringste Abweichung davon das Verderben bedeutet hätte. In philosophisch konzentrischen Kreisen wollte ich den Weg, den ich bereiste, als Muster nehmen für die Vollendung modernen Lebens und daraus die Grundformel ableiten: „Lerne das Leben, schaffe dir deine eigene Realität, in der du dich auskennst und in der du dich wohl und geborgen fühlst und sodann laufe im Kreis … laufe einfach im Kreis.“
Die Hausstrecke ist eine Runde, die der moderne Mensch alltäglich absolviert, um seinen Körper fit zu halten. Manche joggen, andere fahren Rad oder nordicwalken. Das Geheimis der Hausstrecke ist, dass man ihre Länge ganz genau kennt. Man weiß wann wo welche Steigung auftritt und hinter welcher Kurve sich der Straßenbelag ändert. Tagein tagaus. Die Hausstrecke gibt einem Ruhe und Kraft und weil man genau weiß, was kommt, muss man auch keine Angst haben. Die Hausstrecke ist ein Muster, das sich durchs Leben zieht. Dieses Muster lässt sich auf fast alle Situationen anwenden. Die Arbeit und die Liebe zum Beispiel. Man ist stets bestrebt, Abläufe zu erforschen, und sie dann zu wiederholen.
Erstmals wurde mir dieses Prinzip bewusst, nachdem ich einen Urlaub im Süden verbracht hatte und es mich im nächsten Jahr genau an den selben Ort zog – warum? – weil es im Vorjahr so spannend war und weil ich, ein Jahr später, im fremden Süden angelangt, eine unheimliche Harmonie zu dem Ort empfand. Das Muster der Hausstrecke trifft auch auf die weitaus längere und seltener frequentierte Urlaubsstrecke.
Zurück ins Labyrinth. Ein gut Stück weit habe ich es in den Kirkeler Wald verlegt, nicht zu Letzt in der Hoffnung, dass ich mit den Fotos, die ich darin aufnehme in die hochauflösende Satelitenzone gelange (und somit das Projekt auch bei Mapquest oder Google-Maps verankern kann).
Und die Hausstrecke? Eines Tages im Herbst hatten Holzfäller im gesamten Wald dafür gesorgt, dass die Wege nur noch unter Qualen befahrbar waren.
Der Knecht? Es gibt eine historische Figur, die die Vorlage lieferte. Der Knecht wurde eines Tages geheißen, Schlangen, die im Klostermauern Wärme tankten zu verscheuchen. Dabei verursachte er einen Großbrand, der das Kloster und die umliegenden Hütten bis auf die Fundamente zertörte.