Von Dreischichtbetrieb und langen geraden Radwegen – #mdrzl 2023/2 und 3

Auf weiter Wiese steht ein uralter Baum, dessen weiße Blüte durchwirkt ist von einigen absterbenden Ästen

Die Straßburger Magnolienblüte kommt mir als erstes in den Sinn, wenn ich über Tag zwei und drei meiner Reise durchs Elsass in den Aargau nachdenke. Riesige Bäume mit großen weißen Blütenblättern in feinen Vorgärten und jede Menge Menschen mit allmöglichen Fotoausrüstungen, meist sind es Männer, die vor den Bäumen stehen und die Blüten ins richtige Licht rücken. Schneeweiß bis rosa.
Der zweite Tourtag beginnt mit einer Panne, bzw. einer zwar vernachlässigbaren, aber nervenden Radelklapperei. Ich kann so nicht fahren. Der Schuldige, das hintere Schutzblech ist schnell ausgemacht und so sattele ich wenige zig Meter nah dem Aufbrechen am Rhein-Marne-Kanal wieder ab und versuche, herauszufinden, warum das Ding rattert, biege und schraube daran herum. Viel Luft zum Kenda-Stollenreifen, den ich 2019 im Ahrtal gekauft hatte und der etwas breiter und höher ist als die ursprüngliche Schwalbe Marathon Originalreifendecke, ist nicht. Wenn auch nur eine kleine Unwucht im Antrieb ist, geben die Stollen ein ratterndes Geräusch von sich. Ich biege und schraube und ein Jogger steht plötzlich neben mir. Fragend, pustend, freundlich und hilfsbereit. Nein nein, kein Problem, zumindest kein großes, sag ich. Wir plaudern ein bisschen. Er berichtet von seinem Vorhaben, für den 800 Meterlauf zu trainieren, demnächst in Polen in einer Stadt, deren Namen so ganz und gar nicht polnisch, eher spanisch klingen mag. Es muss sich um ein großes Treffen international handeln. Auch Deutsche seien dabei. Dass ich in der Schule früher mal gut war im Hundertmeterlauf, sage ich, dass die kurze Sprintstrecke nicht seins sei wegen des Startens und des Loskommens, erwidert er und dass er die 200er und eben die 800er Strecke bevorzuge. Da wird die zehntel Sekunde, die man als langsamer Starter verliert besser verteilt.
Relativ unverrichtet sattele ich das Radel wieder auf. Immehin ist das Rattern nun kaum noch zu hören, Biegen am Schutzblech sei Dank. Im Gepäck habe ich nun noch ein paar Radelgeschichten des Leichtathlethen – er mag übrigens meines Alters gewesen sein, vielleicht auch zehn Jahre älter – Geschichten von langen Radtouren, die er früher einmal machte. Von Straßburg zu seiner Schwester nach Luzern in einem Rutsch. Einen Tag hin, einen Tag Ruhe, einen zurück. Kein Gepäck dabei und die längste Distanz, die er jemals mit dem Radel absolviert hatte, er weißt mit dem Kinn Kanal aufwärts weg von Straßburg, da habe er damals gewohnt, waren 500 Kilometer in 36 Stunden. Bis nach Lugano. Über den Gotthard. Boa, denke ich und wissend nicke ich, denn durch meine Transkontinental-„Erfahrungen“ weiß ich ja, dass man innerhalb von zehn Tagen vom Schwarzen Meer an den Atlantik radeln kann. Jeder kann das, nur nicht ich :-)
Für meine Verhältnisse sehr früh unterwegs durchquere ich Straßburg und wie es so ist, ich irre wieder ein bisschen umher, obschon ich mich durch rechtzeitiges Kartenschauen auf dem Handy nicht verirre wie beim letzten Mal. Trotzdem froh, nicht noch nachts durch die Stadt geradelt zu sein. Da macht das Umherirren noch weniger Spaß.
Zur Magnolienblütenfotografenzeit nach Straßburg, stelle ich mir den seltsamen Titel einer Busreise vor. Zielpublikum schräge Künstlerinnen und Künstler, die darüber schreiben wollen oder singen oder eine Performance machen. Männer, die ihre Objektive auf weiße große Blütenblätter richten und im Hintergund schicke Diplomatinnenvillen, etwas unscharf, das erzeugt Tiefe.
Ab Straßburg führt die Radroute am Rhein-Rhone-Kanal durchs Ill-Flachland fast schnurgerade südwärts immer auf den Kanaltreidelwegen. Durchweg Teer, ein zwei Meter breit. Platanen neban. Die Wurzelstrecken, die ich von vor ein zwei Jahren als unangenehm kenne, wurden durch Bauarbeiten nivelliert. Für einige Zeit war der Kanalradweg, der über Illkirch rausführt aus der Europametropole schön eben und sogar mit dem Rennrad gut zu bewältigen. Kaum ein zwei Jahre nach der Sanierung beginnen die Wurzeln schon wieder den Teer zu heben.
Nichts passiert sonst. Gegenwind, nicht zu viel, aber auch nicht wenig. Zwischen 12 und 17 Kilometern pro Stunde schaffe ich, ohne mich zu sehr zu verausgaben. Ein Pflicht-Irgendwas, wie man etwa in Fußballkreisen so schön sagt, ein Pflichtsieg. Doch es geht nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Bei meiner Radtour handelt es sich um ein schlichtes, „transportales“ Vorankommen ohne großes Bahnfahrtamtam oder Autotamtam, also eine Alternative des Vorankommens – was tue ich hier, frage ich mich wieder und wieder. Zweifele an meinem Tun. Warum nehme ich nicht den Zug für die Strecke? Warum reiße ich mich raus aus dem allgemein akzeptierten Lebenstakt? Warum so langsam, statt schnell schnell? Warum „zurück“, statt vor? Warum kann ich nicht wie jeder normale Mensch meines Alters auf dem Sofa sitzen, fernseh schauen, die Welt passieren lassen und mich mit meinem Vergangenen zufrieden geben? Etas Anderes tun als frühen Abenteuern sehnsüchtig hinterher trauern. Wie mein Begegner vom Morgen, der Leichtathlet. Er hatte mit dem Langstreckenradeln abgeschlossen, sagte er, konzentriere sich nun auf die Leichtathletik. Fehlt mir die Akzeptanz? Grübelnd, was mich antreibt, rackere ich gegen den Wind auf einer einfachen und relativ monotonen Radelstrecke, nicht langweilig, doch wenig Abwechslung. Es geht eben geradeaus, flach, südwärts, die einzigen Steigungen sind die Anstiege bei den Kanalschleusen. Hundert Meter lange Rampen, die man im dritten vierten Gang überrennt. Vielleicht ist das mit der Zehntelsekunde, die ich beim Start verliere und die es zu kompensieren gilt durch längere Strecken genau mein Ding. Vom Beginn des Lebens an zu langsam, zu halbherzig gestartet und nun darauf bedacht, dieses Langsam, dieses Halbherzig wieder wett zu machen, wer weiß? Jedenfalls geht es mir nicht gut in den beiden Reisetagen (aber auch nicht ganz schlecht; ich zweifele wohl einfach zweihundert Kilometer weit). Die Monotonie der Strecke befkügelt die Zweifel. Passiert nicht viel. Drei Nutrias nahe Marckolsheim, zutrauliche Tierchen, die ich gerne fotografiert hätte. Doch sie tummelten sich driekt neben einem Schwanennest, das widerum direkt neben dem Radweg lag. Die Schwäne zürnten. Sonst noch was? Ja, ein querliegender umgestürzter Baum. Gemeinsam mit einem anderen Radler zogen wir ihn zur Seite.
Ich übernachtete neben einem Wasserturm, nachdem ich feststelle, dass ich es, ohne mich zu quälen, nicht mehr bis Niffer am Stichkanal nach Mühlhausen schaffe. Das wäre eigentlich ein prima Ort zum Wildzelten, weiß ich aus der Erinnerung. Der Wasserturm im Prinzip auch. Er hat den Vorteil, dass es am Fuß neben der Tür einen Wasserhahn gibt und der ist sogar schon aufgedreht, nicht wie meine Wasserstelle in Vendenheim, wo ich am Morgen vergeblich versucht hatte, die Trinkflaschen aufzufüllen.
Die Nacht wieder sehr löchrig wie schon die erste. Dieses Mal nervt der Autoverkehr. Kurz nachdem ich das Zelt aufgebaut hatte, herrschte plötzlich ein hohes Auf und Ab der Autos, das ich mir nur erklären konnte mit dem hell erleuchteten Industriegelände, das südlich am Horizont schimmerte. Schichtwechsel womöglich einer großen Firma für Irgendwas. Das Gelände sieht von Ferne so aus wie die BASF bei Ludwigshafen. Chemie. Egal. Dahin. Ich rechne: acht Uhr abends plus acht Stunden. Bei Dreischichtbetrieb bedeutet das, dass um vier Uhr nachts die Frühschicht beginnt oder um fünf und ich wieder mit einem Auf und Ab der Werktätigen rechnen kann und tatsächlich war das auch so. Dennoch irgendwas an Ruhe gibt es immer. Nachts nervt Wind, Nieselregen, ich schaue im Handywetterbericht, Mist, starker Gegenwind wird mich erwarten. Das wird ein Spaß, drei Stunden bei zehn km/h bis Basel, erst dann seitlicher bis Rückenwind, rechne ich.
Am Morgen stelle ich fest, dass im Wetterbericht noch Straßburg eingestellt war und es hier, dreißig Kilometer südlich nicht so dramatisch ist. Komme gut voran. Ein Pflichtradeln, denn ich will es noch an diesem Tag in den Aargau schaffen und zwar bis zum frühen Nachmittag. Schufte mich voran, gegen 12 Uhr in Basel und ohne mich zu verirren rüber nach Grenzach und auf deutscher Seite bis Bad Säckingen. In Herten kaufe ich noch etwas ein, trinke Ayran und Milch. Keine Begegnungen an diesem Tag. Das kommt selten vor. Nur das Personal im Supermarkt, wobei mir der Bäcker am ehesten im Sinn bleibt, wie er mein Brot mit bloßen  Händen in der Mitte durchschneidet, um es seiner wohl im Anlernen befindlichen Angestellten zu demonstrieren. Erster Tag heute? Ich reue so sehr, dass ich fragte, ob sie es durchschneiden könne und nun Bäckerhände, frisch vom Handytelefon zum Messer und Brote, igitt, hoffentlich kein Magendarm. Ach welch Reisebübchensorgen.
In Wallbach falle ich erschöpft auf eine seltsame, niedrige Sitzbank oder ein seltsames Irgendwas, von der man nicht so recht sagen kann, ob es sich überhaupt um eine Sitzgelegenheit handelt oder um ein Kunstwerk. Daneben ein Trinkwasserbrunnen. Läuft. Ein Mann mit Bub unterwegs per Lastenrad sitzt weiter unten direkt am Rhein. Sie schauen den Schwänen zu. Es beginnt zu nieseln. Noch etwa vierzig fünfzig Kilometer und der über 500 Meter hohe Bözberg dazwischen. Ich bin so müde, schlafe kurz ein, rappele mich wieder auf, radele weiter, schlafe wieder ein auf der nächsten Parkbank, wo ich eigentlich nur meine dicke Jacke ausziehen wollte, diesmal ist der Schlaf besser, fundierter, erholsamer. Fast wie frisch wieder im Sattel, die flachen Stücke sind jedenfalls kein Problem mehr wie zuvor, in dem jedes Rund der Pedale zur Tortur wurde. Es ist jener Moment, in dem ich es mir ganz sicher nicht vorstellen konnte, überhaupt noch einmal irgendeine Radeltour zu machen, geschweige denn zum Nordkap.
Wenn ich zu anfangs dieses Berichts vielleicht erwähnt hatte, dass ich unter Realbedingungen eine Testtour machen möchte mit dieser dreitägigen Tour, so muss ich das revidieren, denn die Realbedingungen sind ganz anders als aus dem Nichts des Winters, in dem ich überhaupt nicht Fahrrad gefahren bin, direkt drei Tage mit über 100 Kilometern zu bewältigen.
Real ist an dieser Tour wirklich kaum etwas. Auch nicht die Limitierungen, dann und dann dort und dort zu sein, denn im Realen würde es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht ankommen. Im Fall war jedoch klar, dass ich auf Teufel komm raus an diesem Donnerstag ankommen wollte.
Tat ich ja auch. Nur die letzten anderthalb Kilometer unterhalb der Gemeinde Linn musste ich das Radel schieben und oben bei der achthunderjährigen Linde angekommen, im Busshäuschen pausierend, wurde mir bewusst, wie ausgepowert ich bin. Ich glaube, es wäre nicht mehr viel gegangen. Die letzten Kilometer kürze ich gar über die Hauptstraße ab, was sonst nicht meine Art ist (tu immer das, was die Radwegschilder dir sagen, treue Radlerseele). Auf dem Radweg, der vielleicht nur einen Kilometer länger ist, hätte es jedenfalls noch ein zwei Steigungen gehabt. So aber. Auf auf, abwärts nach Brugg mit 50 Sachen.
Mein Schutzblechproblem konnte ich im Übrigen auch lösen: Die rechte Packtasche drückte mit ihrem Riegel gegen die Schutzblechbefestigung, was das rhythmische Rattern im Wiegetritt erklärt.
Schreibe diese Zeilen erst nach der Ankunft – denn zeitlich wäre es nicht möglich gewesen (auch von der Ruhe her, die man fürs Schreiben braucht), morgens im Zelt etwas Vernünftiges zu verfassen. Immerhin habe ich sowas Ähnliches wie Vloggen (Video-Bloggen) betrieben und das ist vielleicht auch ein Schritt in die richtige Richtung des „die Tour Publishens“.
Zumindest ist es ein Schritt.

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Die Fluchtgeschwindigkeit des Radreisenden #mdrzl

Reiserad fast im Dunkel vor einem rötlich orangenen Streifen Abendrot.

Das Handy ist aufgewärmt. Ich auch. Ich hatte es bei Sonnenaufgang aus der Seitentasche des Zelts genommen und in den Schlafsack gelegt. Was gäbe ich jetzt um einen Kaffee. Sooo müde. Der Körper will nicht auf Touren kommen. Aber nein, der Herr musste ja das „Besteck“ daheim lassen, sprich den Trangiakocher und die zwar schäbige, aber gutmütige Brühe, die ein löslicher Kaffee im Zelt abgibt.
Das Zelt steht in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte für ein Zugunglück vor vielen Jahren nahe Straßburg, genauer gesagt bei Vendenheim neben einer Art Gleisdreieck. Durchwirkt von Straßen und Gleisen. Abends donnern noch einige Züge vorbei. Nachts zum Glük nicht. Unheimlich sind die nicht beleuchteten Güterzüge, die man zwar hört, aber kaum sieht. Zwischen zwei spitz aufeinander zu laufenden Schienensträngen ist ein kleiner Park, Gedenktafel, schön angelegt mit Wegen und ein paar Skulpturen und unaufdringlichen Monumenten. Ich weiß nicht, wieviele Menschen bei dem Unglück umkamen. Mein Zelt steht natürlich außerhalb des Parks auf einer Wiese. Nur etwa hundert Meter westlich führt der Rhein-Marne-Kanal mit seinem grandiosen Kanalradweg.
Mit dem Rad zu Liebsten, Hashtag mdrzl heißt mein Auftakt-Radelprojekt 2023. Von der Pfalz, wo ich wohne bis in den Aargau, wo die Liebste wohnt, sind es etwa 350 Radelkilometer. Eine Kurzstrecke, sage ich immer gerne kühn.
Aber ich habe Respekt davor. Die Strecke ist nicht nuuur flach und sie führt nicht nuuur auf feinen Etepetete-Radwegen. Drei bis vier Tage muss ich dafür rechnen, 18 bis 20 Mannsattelstunden. Im letzten Jahr hatte ich die Route einemal in zwei Tagen geschafft. Nun rechne ich mit vier, so kurz nach dem Winter, das Radeln nicht mehr gewöhnt. Die Kurztouren zu Journalist F. und nach Mainz per Fahrrad und Zug letzte Woche stecken mir noch in den Knochen. Bin ich denn überhaupt noch fit genug, überhaupt noch in der Lage, ein solches Großprojekt wie AnsKap anzugehen? Der Zweifel radelt immer mit und der Körper zwickt. Ich finde, der Hashtag Geriarctix, ein Wortspiel aus „geriartrisch“ und „arktisch“ (englische Schreibweise), hat durchaus etwas.
Gegen kurz nach zwölf komme ich am gestrigen Tag endlich los. Noch fertig gepackt am Morgen und einen Artikel für die ADFC-Seite geschrieben. Ich traue mir nicht zu, unterwegs auf der Handyoberfläche mit dem Typo3-System Artikel zu bearbeiten, will es gar nicht erst ausprobieren, obschon, sollte ich, muss ich ja irgendwann doch das Büro ganz ins Zelt verlegen.
Pünktlich beim Losradeln begann es zu regnen. nur leichter Niesel, ein guter Radfahrregen, also eigentlich nicht schlimm, aber der graue Schwerlasthimmel drückt das Gemüt.
Runter in die Stadt. Frau W. getroffen, kurz geschwätzt. Sie lud mich ein in die Druckerei, ein bisschen plaudern, vielleicht etwas drucken, aber nein nein, sonst komme ich ja nie weg. Am Anfang ist die Gravitation der Heimat noch immens. Man könnte es analog zur Fluchtgeschwindigkeit lesen, die von Nöten ist, einen Planeten zu verlassen oder ein Sonnensystem oder ein ganzes Unversum. Je näher du noch am Kern, an deiner Heimat bist, desto schwerer fällt es.
Winde mich durch Zweibrücken auf den Bahntrassenradweg am Hornbach und bin schon bald in Frankreich. Über Volmunster und Schorbach nach Bitche, wo ich im Intermarche einkaufe. Scheint es nur so, oder ist es hier billiger? Zwei Käse, eine Wurst, Baguette und ein Trinkjoghurt für unter 15 Euro. Dem entgegen setze ich zwei widerliche Sandwiches und zwei labbrige Käsebretzeln im Mainzer Hauptbahnhof jüngst.
Nun nieselt es ein bisschen stärker. Ich erklimme das Plateau Grunholtz, welches zum Glück nicht so steil und schwierig ist wie ich es in Erinnerung habe. Überhaupt fällt mir das Radeln unerwartet leicht. Bei der Quelle von Mouterhouse habe ich schon etwa 50 Kilometer in den Beinen. Der kräftige Brunnen ist bis in aller Ferne berühmt und man sagt, die Menschen kommen sogar aus Straßburg hierher, um Wasser zu zapfen. Zwei Männer mit Autos voller Plastikflaschen parken neben der Quelle direkt am Straßenrand. Das sind gut zweihundert Kilo, sagt ein älterer Mann, der zweite der beiden, der, der warten muss, bis er endlich füllen kann, weißt mit dem Kinn zum Auto. Offene Kofferraumklappe, Räder hängen tief in den Radkästen. Da darf keiner mehr sonst zusteigen. Wir schwätzen ein bisschen, gut gelaunt und geduldig. Der Mann kommt aus Sarreguemines, gut 30 Kilometer entfernt. Er spricht lothringisch. Wir verstehen uns. Ich kann irgendwann zwischen den Flaschen mein Trinkwsser auffüllen. Auf auf weiter abwärts der Zinsel via Bärenthal und Zinswiller. In Bärenthal schmerzt die Wunde mitten im Dorf, die ein einst schillerndes, gut besuchtes Restaurant hinterlassen hat. Von dem märchenhaft von Efeu und Pflanzen umrankten bunt bemalten Gebäude, in dem ich leider nie eingekehrt bin, ist nur noch eine Art Bauruine geblieben. Ein schäbiger, hand gemalter Schriftzug Hotel blättert ab.
Das fördert nicht mein Reisegemüt. Bremst mich, lähmt mich, macht mir Angst. Aber es ist besser als am Morgen, als ich mich mit aller Kraft diesen lähmenden Kräften entgegen stellen musste, um überhaupt loszuradeln. Im Kopf natürlich die Gedanken an die große Reise. Das schaffste nie. Du bist zu alt. Du kannst das nicht. Das ergibt keinen Sinn. Ich brauche mehr Fluchtgeschwindigkeit.
Und die kommt, als ich mich hinter Zinswiller „verirre“, zu weit westlich in die sogenannten Fünfhüpfberge radele, irgendwann im Feierabendverkehr durch Pfaffenhoffen. Mist. Oder auch nicht. Ich nehme den Radweg durchs Moderthal bis Haguenau. Schön flach. Er führt durch dichten Wald mit hohen Bäumen und Warntafeln, dass es ein Technologisches Risikogebiet ist und man nicht anhalten soll. Atomwaffenlager? Irgendwas mit Militär. Radele schnell durch mit zugekniffenen Augen, denn das was ich atme ist nur etwa zur Hälfte Luft. Der Rest sind winzige Mücken. Denke an Skandinavien, das werd ich niemals schaffen.
Es dunkelt. In der Dämmerung raus aus Haguenau. Radweg entlang der Straße. Später ab Kriegsheim nur noch „Schutzstreifen“. Beruhigt trotzdem ein wenig, die fette, gestrichelte Linie, die mich vom Autoverkehr „schützt“. Nach Brumath und somit zum Rhein-Marne-Kanal sind es nur 11 Kilometer. Wo hätte ich gedacht, dass ich so weit komme und so unerschöpft. Später Einkauf gegen halb acht in einem Carrefour Express. Bier und Schokolade und ein unheimlich freundliches Bonne Soiree vom Verkäufer. So muss Reisen sein.
Fast bin ich versucht, einfach weiter zu radeln. Die Kraft hätte ich. Bis Straßburg auf dem Kanalradweg noch 20 Kilometer und vielleicht noch einmal 15 raus aus der Stadt.
Die Vernunft siegt.
Das Zelt baut sich ganz gut auf im Dunkeln. Ich schlafe löchrig. Nachts umschwirrt von wohl Förstern, die im Wald rumpeln. Einmal fährt ein Auto am Zelt vorbei, blendet auf, fährt weiter. Gutso.

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Die elliptische Zirkulation unserer feinen Künstlertraumsonnen in Vibration versetzen

Hellblau blassrotes Schriftmotiv, trikolorisch geteilt von zwei schrägen Linien. Schrift "Unter den Heilpflanzen ist das Fahrrad eine der wirksamsten".

Die letzte fette Wolke des Winters schiebt sich langsam von vorne nach hinten. Szenerie ist das kosmodämonische Pflegeheim, in dem Freund Journalist F. seit nunmehr zwei Jahren wohnt (besser gesagt: ist). Die Luft ist recht kühl. Frau Soso und ich hantieren mit Handys, wechseln Sim-Karten, was F. selbst zu schwer fällt, als dass er eben mal die Karte vom einen ins andere Handy wechseln könnte. Beides alte Gurken, die sich im Zweikampf der Macken tagein tagaus miteinander messen. Mal hat das alte iPhone die Nase vorn und die Karte muss da raus und ins Android hinein, mal ist es umgekehrt. Nun ist es wohl definitiv, dass das iPhone den Kampf der Macken gewinnt, denn am Android ist die Ladebuchse dermaßen verwirkt, dass es nur noch mit wackelnden Kontakten und viel Glück aufzuladen geht. Eine Übertragung von Daten via USB-Stick funktioniert jedenfalls nicht mehr.

Immer öfter denke ich in den letzten paar Wintern, ob dies wohl der letzte Winter ist, den ich erlebe. Umso hoffnungsfroher macht mich die fette dunkelgraue Wolke über der Pflegeheimszene letztes Wochenende, wie sie sich unendlich langsam gen Horizont verzieht und am Rand ein goldener Sonnenschimmer aufleuchtet, Mal zu Mal größer wird, bezeugt von uns wackeren vor dem Pflegeheim Sitzenden, die es kaum erwarten können, dass die ersten Strahlen endlich über den Rand der Wolke schwappen. Sofort fühlen sich die durch die feuchte, kaum bewegte Luftmasse gekühlten eiskalten Knochen besser an. Ich weiß gar nicht, wie Journalist F. das aushält im Rollstuhl mit teils bloßen Körperteilen, sei es der Hals oder die Knöchel des Fußes, ich jedenfalls bin heilfroh, dass ich die Wollknieschoner und den Nierenschützer angezogen habe, zwei paar Socken. Den  kuscheligen Schal, den mir Freundin Lakritze einst strickte hab ich vergessen, aber nun kommt ja die Sonne.

Ob dies der letzte Winter ist denke ich – wie erwähnt – in den letzten Jahren immer öfter. Die Künstlerbude mit ihrer nur Holzofenheizung und der offen liegenden, Frost gefährdeten Wasserleitung bietet den charmanten Minimalkomfort wie seit bald zwei Jahrzehnten, kaum etwas hat sich verändert seit jeher. Nur ich. Ich werde empfindlicher, spüre den Frost schmerzhafter als auch schon. In den Zehen beginnt der Tod (fasst der Tod Fuß), kriecht sich über die Jahre heran an den Kern des Körpers, beinaufwärts in den Bauch, die Brust, zum Hals, zum Hirn und dann nimmt er dich mit in die Hölle oder in den Himmel oder nirgendwohin und du hörst in einem kalten Monat in naher Zukunft einfach auf, zu existieren. Punkt aus. Der Kalte Tod ist wie die fette Wolke über dem Pflegeheim unheimlich langsam und wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, ihm, dem kalten Tod oder ihr, der fetten Wolke dabei zuzuschauen wie sich etwas bewegt in der Hoffnung auf eine Erwartung für irgendwas, Wärme oder Erlösung, dann kann man sich dadurch das Leben zu Hölle machen. Das Gegenwärtigsein.

Warum schreibe ich das? Weil ich es mir zum Ziel gesetzt habe, öfter zu bloggen in diesem Jahr. Eine meiner feinen, brotlosen Kernarbeiten wieder aufzunehmen. Ich meine, mein Ziel Anfang Jahr wäre gewesen, einmal pro Woche einen Blogartikel auf irgendlink.de zu schreiben, einmal pro Monat in den Knotenpunkten und in allen anderen Blogs, die ich führe oder an denen ich beteiligt bin, mich wenigstens zu bemühen. Allen voran das Erdversteck.

Bloggen braucht Disziplin, was umso schwerer ist, wenn man dafür nicht materiell entlohnt wird, jaja, Geld, gute alte Droge des materiellen Austauschs hat schon eine magische, beschleunigende Wirkung. Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun würden oder Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie zwar gerne tun würden, sich aber nicht trauen oder zu träge dafür sind, oder sonst welche Gründe. Wie auch immer, würde ich bezahlt fürs Bloggen, nur mal angenommen, würde das dann etwas nützen? Vermutlich ja. Vermutlich wäre es aber auch vergleichbar mit den Gravitationsphänomenen, die man bei simplen Massenbegegnungen im Weltraum beobachten kann und mit denen es etwa möglich ist, die eigentlich unsichtbaren Exoplaneten, die es zu Hauf gibt da draußen, nachzuweisen. Geld als dunkle nicht sichtbare Masse, die die elliptische Zirkulation unserer feinen Künstlertraumsonnen in Vibration bringt. Ein komischer Vergleich. Mir war danach. Ich schaue zu viele Exoplanetenfilme.

Klammen Fingers gelingt uns die Operation an Journalist F.s beiden Handys und als wir fertig sind, zünden wir uns eine Zigarette an. Die Sonne ist da. Nebenan vor dem automatisch sich auf und zu schiebenden Eingang sitzt der Kettenraucher auf seinem Rollator und raucht Kette. Der Kettenraucher heißt so, weil er ständig hier draußen vor der Pforte sitzt. Derweil eine Frau am Rollator gehend durch die Schiebetür kommt, uns alle freundlich grüßt, eine Schleife von etwa fünf Metern dreht und eine halbe Minute später beim Wiederbetreten des Pflegeheims noch einmal freundlich grüßt, so als sähe sie uns zum ersten Mal.

Die Alltage im unendlich grauen, potentiell letzten Januar waren geprägt von Projektvorbereitungen. Ich skizzierte neben der Nordkap-Tour drei weitere Herzensprojekte, die ich möglicherweise in diesem Jahr durchführen könnte. Nicht alle, nur eins von den vieren. Also entweder oder Hessen, Baden-Württemberg oder die Schweiz. Mal schauen. Klar erkennbar, ist das Hessenprojekt am besten skizziert und das wohl wahrscheinlichste. Es hängt von zwei Gesundheitschecks Ende Monat ab wie sich das Jahr entwickelt. Über allem Jahresplan gaukelt immer noch die Raumforderung in der Niere, die ja auch eine einschneidende Lebensveränderung bedeuten könnte, wenn es sich dabei um einen bösartigen Tumor handelt. Die letzten Wochen konnte ich mich zum Glück durch Ignorieren und Verdrängen vor Hysterie bewahren. Was insbesondere in ruhigen Momenten, dann, wenn sich das Hirn mit aller Macht auf mögliches Leid und Sorge stürzt, viel Kraft kostete. Nur noch zwei Wochen bis zum MRT. Dann darf ich wieder echte Pläne machen, oder eben nicht.

Hier ein paar Karten.

Jenseits des Freestyles der Liveblogprojekte arbeitete ich an meinem Seedshirt-Shop. Ein Projekt, das ich zu Beginn des Winters intensivierte. Falls die geneigten Leserinnen und Leser dieses Blogs also Hemden oder Pullover oder Tassen kaufen möchten, schaut doch gerne mal vorbei. Es ist ein noch nicht so aufgeräumter Allesladen der feinen Künste. Aber das macht den Charme eines in Entstehung befindlichen Universums ja aus.

Hier ein paar Motiv-Schmankerl.

Last but not least die Zahlschranke des Artikels, wie immer ganz am Ende – aber es wäre fein, wenn Du mich auf meinem Steady HQ Profil unterstützen würdest. Alternativ verrate ich Dir meine Kontonummer.