La Piscine de Mommenheim Gare und andere Nettigkeiten | #palsui

Id iss hodd, id iss werry werry hodd! Der Beginn eines Dialogs auf der Landstraße nach Karasjok wird mir wohl ewig in den Ohren klingen. Immer dann, wenn es heiß ist, sehr sehr heiß, dudelt das kleine Gespräch, das ich mit einem Sami führte in den Ohren. Seine unendlich weichen Konsonanten wie durch eine Entkalkungsanlage geschickt, gemischt mit den fetten, schweren Vokalen, die wie Kondensmilch ins Ohr sickerten. Dabei war das kleine Gespräch, das sich vorwiegend ums Wetter und das Woher und Wohin drehte eigentlich ein Versehen. Just als der Mann auf seinem Quad die Fahrt verlangsamte, um in einen Tundra-Trail abzubiegen, begegnete er mir, der ich das falsch interpretierte und dachte, er will mich irgendwas fragen. Und er dachte wohl auch, was will der Radler, kann ich ihm helfen?

Fünfunddreißig Grad zeigt das Thermometer vor einer Apotheke in Mommenheim an der Zorn. Kurz vor zwölf. Ich habe gerade ein wichtiges, schwieriges Etappenstück hinter mich gebracht. Bei der Hitze vom Tal der Moder über Agrarland, das kaum Schatten bietet nach Süden ins Tal der Zorn, die den Rhein-Marne-Kanal mit Wasser versorgt. Die Gegend westlich von Haguenau ist hügelig und man muss einige Aufs und Abs bewältigen, zudem auf Landstraßen, denn Radwege gibt es erst wieder am Kanal. In einem Dorf, das ich die Pitfall nenne, verweile ich einen Moment im Schatten eines Bushäuschens. Pitfall deswegen, weil man steil hinab fährt ins Dorf und auch wieder steil aufwärts hinausfahren muss. Sonst gibt es keine vernünftig per Radel zu bewältigenden Wege hinaus. Wer hier entkräftet ankommt, wird das Dorf nie wieder verlassen, postuliere ich mit apokalyptisch verschmitztem Lächeln.

In Mommenheim mache ich es mir auf einer kühlen Steintreppe im Schatten vor der Laderampe der Güterabfertigung am Bahnhof gemütlich. Fast zwölf Uhr. Nichts passiert. Fast fühle ich mich in eine moderne Szene des Filmklassikers Spiel mir das Lied vom Tod versetzt. Kein Revolver. Die Mücken werden schon in der Luft von Schwalben abgefangen. Ich schwitze. Da! Ein Linienbus. Auf der Seite ist das regionale Busnetz zwischen Strasbourg, Haguenau und Saverne abgebildet. Der Fahrer trägt kein Hemd. Brusthaar bleckt. Überhaupt scheint er nur eine Badehose zu tragen. Sonst ist der Bus leer. Niemand will nach Mommenheim Gare. Knapper Gruß, Bon Jour, Bon Jour, dann holt er aus dem Gepäckfach einen Kanister Wasser, wäscht sich, trinkt, kippt Wasser in einen Eimer, putzt den Bus. Ich lechze. Meine Trinkflaschen sind fast leer. Die Mittagsglocke läutet just in dem Moment, als der Busfahrer die Fußmatten an der Blechmülltonnen vor dem Bahnhof ausklopft.

Dann kommen wir ins Gespräch. Idd is hodd, idd is werry werry hodd, aber auf französisch – il fait chaud, il fä trä trä scho.

Schon holt er seinen Kanister und gießt mir Wasser in meine leeren Trinkflaschen, zaubert zudem einen Apfel (aus dem Ätrmel geht ja wohl nicht, so ohne Hemd,) irgendwoher (nein, keine falschen Gedanken, er holt den Apfel im Bus). Nicht genug. Er deutet auf meinen Kopf: waschen? Bien sûr, und so kramt er einen riesigen Eimer aus dem Gepäckfach, heißt mich, mich darüber zu beugen und schüttet mir literweise kühles Nass über Kopf und Schultern. Herrlich.

La Piscine de Mommenheim Gare, taufen wir dieses kleine, improvisierte Eimerschwimmbad und lachen dabei. Andreto heißt der Mann, kommt aus Portugal nahe Lissabon, ist seit sechs Jahren hier. Er erklärt mir seine Tour im Zick-Zack durch die Nordvogesen und wenn ich doch bloß nach Saverne fahren würde, nicht nach Strasbourg, dann gäbs bei ihm daheim eine portugiesische Suppe für mich und eine Dusche und einen Zeltplatz.

Eine Schulklasse schwitzt vorüber. Die Lehrerin in knallgelber Signalweste. Der Postmann sortiert seine Briefe für den nächsten Straßenstrang. Irgendwo kreischt eine Kreissäge und das Wasser im Piscine de Mommenheim Gare wird langsam warm. Sonst nichts.

Auf dem Kanalradweg radele ich die letzten zwanzig Kilometer bis Strasbourg. Mit nassem T-Shirt. Rückenwind. Kühlt ungemein. Faustformel: ein nasses T-Shirt kühlt etwa zehn Kilometer weit. Dann ist es wieder trocken.

Strasbourg. Europaparlament. Den Schildern Richtung Kehl folgend, vor der nagelneuen, fast fertig gebauten Russisch-Orthodoxen Kirche schlafe ich auf einer Parkbank ein.

Fast schon fünf. Weiter, weiter, weiter. Strasbourg hat zwar ein gutes Radwegnetz, aber die Luft ist dreckig, die Straßen stark befahren. Nach Kehl raus ziemlich hässlich. Gewitter zieht auf und da es schon spät ist, steige ich in Kehl in den Zug, statt wie geplant noch zwanzig Kilometer auf dem Kinzig-Radweg nach Offenburg zu radeln. Gute Wahl. Das Gewitter prasselt gerade los, als wir den Bahnhof verlassen. Anderthalb Stunden bis Freiburg. Das Umsteigen in Offenburg ist kritisch, das Fahrradabteil proppenvoll und alle wollen nach Freiburg. Das gute an einem schwer bepackten Reiserad ist, wenn es erst einmal im Zug ist, hat man seine Ruhe.

Freiburg ist eine Fahrradstadt. Nur einmal habe ich ein ähnlich hohes Radelaufkommen erlebt, nämlich in Oldenburg. Und wie jung die Stadt ist! StudentInnen so weit das Auge reicht. Ein dunkelbrauner Glasbau mit der Aufschrift UB. Unibibliothek? Parks und Musik, proppenvolle Straßencafes. Angelockt von Irish Folk-Klängen mache ich eine Pause in einem Park. Unter der notdürftig zusammengeschusterten Zeltplane fidelt ein Duo. Nur wenige Gäste auf der Wiese davor. Dennoch: die Stimmung ist gut. Ich bin gerührt, muss an meinen Tweet vom Morgen denken: Der Himmel hängt voller Flugzeuge, in denen Geigen-Orchester auf dem Weg zum nächsten Konzert sitzen. Morgens brummten tatsächlich viele Flugzeuge überm Nordelsass … Nuja, vielleicht war ja die Geige der Fidlerin mit im Flieger, schmunzele ich in mich hinein.

In der Abenddämmerung raus aus der Stadt. Vermutlich entlang des Flüsschens Dreisam. In der Open Cycle Map ist ein Radweg verzeichnet mit dem Kürzel GS. Auf Hinweisschildern erkenne ich, dass es sich um den Radweg Grüne Straße handeln muss. Perfekt. Nur noch 38 Kilometer bis zum Titisee. Mäßige Steigung, zunächst auf ehemaliger Bahntrasse, dann auf Wegen am Fluss entlang und jenseits von Kirchzarten neben der Bundesstraße. In Himmelreich frage ich bei einem Landwirt, ob er ein Zeltplätzchen für mich hat. Hat er. In einer frisch abgegrasten Obstwiese unter Apfelbaum. Leider direkt neben der Bundesstraße und zum Glück ist die Bahnlinie derzeit verwaist, denn die führt auf der anderen Seite am Zelt vorbei. Nun bin ich schon drei vier Kilometer weit geradelt. Auf die Sonne wartend. Der Smartphoneakku leert sich. Ich brauche unbedingt die Solarzelle, um den Artikel fertig zu schreiben. Der Grüne Straße Radweg verlässt hier die Bundesstraße und es wird verdammt steil. Wenn ich es recht erkenne, radele ich nun ins Höllental.

Von der Verdrossenheitsallee zur Zinsel du Nord #palsui

Drei Zugtakte ist der Tag alt. Die Sonne schiebt sich langsam über die Pappeln. Das Zelt steht am Rand eines strohgelben Stoppelfelds zwischen der Bahnlinie nach Haguenau und dem Flüsschen Zinsel du Nord, der nördlichen Zinsel. Die Hauptstraße rauscht seit Stunden, seit der Dämmerung, als ich erwachte und mich fragte, wie spät es wohl ist. Warum? Wozu Zeit? Wieder einschlief. Die beiden weltreisenden RadlerInnen, die ich gestern traf, hatten mir erzählt, dass der erste Zug um 6:20 Uhr vorbeidonnern würde. Da bin ich längst wach, hatte ich gescherzt. Es war ein schönes Schwätzchen, das wir führten am Straßenrand bei einem Weiler namens Mietesheim Gare. Drei vier Häuser, Straßenkreuzung, Bahnlinie, sonst nichts. 26 Monate sind die beiden rund um die Welt getourt mit ihren Fahrrädern, auf Schiffen, im Flieger, bis sie im März zurückkehrten. Deshalb also hatten sie mich angesprochen – ich hatte ihnen gleich gesagt, je suis pas perdu, ich hab mich nicht verirrt, aber sie verwickelten mich in ein Gespräch. Weil sie wissen, was Radreisende benötigen: einen guten Zeltplatz ein paar aufmunternde Worte, Lächeln.

Der Wasserturm sei gut. Sonnenaufgang im Zelt, sagten sie, oben bei den Maisfeldern. Schon wollten sie mich begleiten, da fiel unser aller Blick auf den Stoppelacker jenseits der Bahnlinie. Ha. Da haste auch Wasser.

Ein guter Reisetag gestern. Heiß, trocken, kein Unwetter, fast nur Radwege und kleine Landstraßen.

Schwester und Mutter machten sich Sorgen wegen der gemeldeten Unwetter und ich machte mir Gedanken zum Thema Prognosen, die gegebenenfalls eintreffen versus unwissend drauf los und die Dinge treffen mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit zu oder auch nicht. Das Wissen darum, was sein könnte, ist ein verflixter Ratgeber.

Zweibrücken Verdrossenheitsallee. So deprimierend, der eigentlich schöne Gehweg unter Kastanien direkt am Schwarzbach. Aber dort leben die Verdrossenen, so nenne ich sie. Menschen, die aus welchem Grund auch immer durchs Raster der Gesellschaft gerieselt sind und nun auf den Bänken sitzen oder an den Geländern zum Bach lehnend lungern, rauchen, trinken, schwatzen. Nicht unbedingt unglücklich, aber der Ort strahlt mit Wucht die Perspektivlosigkeit aus, die sich in ihnen ballt. Auch „mein“ Berber sitzt auf einer Bank, weißhaarig, mit sich selbst redend, der, dem ich immer, wenn ich ihn sehe, ein paar Münzen zustecke. Diesmal nicht. Ich bin in Gedanken längst im nächsten Supermarkt, wo ich noch zwei Reiseutensilien kaufen will: Brennspiritus zum Kochen und Kondensmilch.

Die Strecke: raus aus Zweibrücken auf dem Bahnradweg nach Hornbach, auf der Rheinlandpfalzradroute und dem Europäischen Mühlenradweg gehts über Rolbing und Dorst zum Anschluss des Radwegs Pirmasens-Bitche. Nach Bitche verlieren sich dann die Radwege, aber immerhin, die ersten 50 Kilometer fast nur Radrouten, das ist fett. Durch kühle Täler via Moutherhouse, Bärental, Zinswiller bis zum zufälligen Treffpunkt mit meinen o. g. Weltreisenden.

Menschen: Mein brabbelnder Berber, natürlich, wie zum Abschied. Ein mürrischer Radler, mit dem es beinahe einen Frontalzusammenstoß gegeben hätte, drei Gendarmen, die mich in Ruhe lassen, ein Typ, der vor offenem Kofferraum mit Schnulzenmusik an einer Reckstange Klimmzüge macht, drei Jungs, die mit dem Auto umdrehen, um mich um eine Zigarette zu bitten, ein Kerl in Zinswiller, der Kieselsteine an einen Fensterladen im ersten Stock donnert, vom Rückprall beinahe getroffen wird und immerfort ruft, François, mach auf; ein Tennisfan, der nicht weiß, wer Wimbledon gewonnen hat und statt Fußball-WM-Titel zu feiern an der Quelle in Moutherhouse Wasser zapft, er wird in die Schweiz radeln und nach Österreich, sagt er und außerdem liebe er deutsches Brot; zwei Bäckerinnen in zwei verschiedenen Bäckereien, die kein Éclair mehr haben. Ein Zwei-Sterne-Restaurant mitten im Wald, zu dem die Menschen aus Luxemburg, der Schweiz und von sonstwo ganz weit weg anreisen.

Und natürlich meine Weltreisenden, die meinen Tag abrundeten, mich sozusagen von ganz hoch oben, gesegnet mit den Weihen der großen weiten Welt, zu Bett brachten und die schon bald wieder aufbrechen, um in die Türkei zu radeln.

Für den Moment eines ewigen Hundeschwanzspitzenwedelns | #kursnord

Kennst Du das Land zwischen Sand und Sand? Es heißt Skagen, vielleicht.Kennst Du das Land zwischen Watt und Sand? Es heißt Rømø, sicher …

…okay, okay, das mit dem Dichten lässte lieber bleiben, Herr Irgendlink. Dafür gibts Spezialisten. Meisterinnen der schönen Wortform, die in der Lage sind, Wortketten in akustisch und rhythmisch gefälliger Weise zu arrangieren. Dir, Herr Irgendlink, ist es eher gegeben, skurrile Zusammenhänge oder Gegenpole zu arrangieren und dadurch ein eigenwilliges Texterlebnis in Blogform zu hacken. Worte, die sich wie eine frisch ausgehobene Schlangengrube züngelnd giftelnd dennoch wunderschön zu einem Text fügen etwa der oft schnurgeraden Straße Nummer 11 entgegenzustellen, die sich vom Norden Dänemarks bei Hanstholm und Hirtshals etwa dreihundert Kilometer nach Süden in die Stadt Tønder, nahe der deutschen Grenze zieht. Immer ein paar Kilometer vom Meer entfernt. Durchaus langweilig. Sie kann dem Erlebnis der Strecke auf dem Radweg direkt an der Küste an Schönheit in keinerlei Weise das Wasser reichen. Zwischen Thisted und Ribe läuft sie aber faszinierend schnurgerade etliche Kilometer weit und folgt den sanften Wellen des natürlich gewachsenen Bodens. Ob unter dem Gras und den jungfrischen Getreidefeldern Sand oder Fels ist? Ich weiß es nicht.

Von Skagen bis zur Insel Rømø haben wir Jütland in zweitägiger Fahrt durchquert. Das Reiseende auf naht rapid und es liegen nun noch gut zehn Stunden Fahrt vor uns bis nach Zweibrücken, um die wir uns nicht unbedingt reißen. Deutschland auf Autobahnen zu durchqueren ist ein Gemetzel. Aber so verdammt schnell.

Jenseits von Skagen, Dänemarks nördlichster Stadt endet die Straße irgendwann an einem Parkplatz mit Kiosk, WC und einer eigenartigen Busstation, an der Traktoren mit Personenanhängern in regelmäßigem Takt verkehren. Für zwanzig Kronen kann man die letzten paar Kilometer durch die Dünen in mäßigem Tempo bis zu der kleinen Sandzunge zurücklegen, auf der sich hin und wieder Robben tummeln, aber noch viel mehr Touristen. Beindruckend, wie die Wellen der Nordsee gegen die Wellen der Ostsee schlagen, vermutlich der Tide gedankt, so dass sich eine deutliche Grenze abzeichnet.

Eine Million Menschen jährlich besuchen diese, eine von Dänemarks populärsten Tourismusattraktionen. Ohne uns also nur noch 999.998, scherze ich mit Frau SoSo. Wir haben die Schuhe ausgezogen und laufen barfuß vorbei am Grab des Dichters und Malers Holger Drachmann. Das einsamste Grab Dänemarks zwischen alten Bunkern aus den Weltkriegen, die des sandigen Fundaments beraubt in Schieflage geraten sind.

Zwei drei Kilometer sind es bis zur Landzunge. Immer eine gute handvoll Touristen im Blick, die wie wir es sich nicht nehmen lassen, die letzten Meter zu Fuß zu gehen. Vor der Küste dümpeln gut zwanzig Containerschiffe, eine fantastische Skyline und wenn man weiter blickt in die Ferne, kann man weitere Schiffe erkennen, die sich grau in grau zwischen Meer und Horizont verlieren.

Eine Million Menschen jährlich und wir sind zwei davon. Täglich also etwa 3000, rechnet mein inneres Mathegenie und belässt es bei der Unschärfe. Nur wenige laufen barfuß, was mich wundert. Ein Hundchen schiebt sich ins Bild, die Nase dicht am Boden, unvorhersehbare Schlangenlinien laufend (da isses wieder, das verknüpfte Antipodenbild mit der geraden Straße 11, mach was draus, Herr Irgendlink. Oder auch nicht). Das Hundchen wedelt unentwegt mit dem Schwanz. Wir sitzen mit Blick auf einen Bunker und die Containerflotte. Ostseewellen klatschen in einem schmalen Betonschacht. Das Hundi, wir, die anderen Menschen, die es teils recht eilig haben, zur Landmarke zu wandern. Das Hundi nicht. Es trottet gemütlich dahin, Glück aus allen Poren verströmend. Gibt es etwas oder jemand glücklicheren an diesem Strand als dieses Hundi, frage ich mich. Bin ich genauso glücklich oder gar glücklicher? Frau SoSo? Die da – mit meinem imaginären Zeigefinger fächere ich über den langen Strand und zeige auf die anderen Touristen wie auf einer unsichtbaren Theaterbühne – die da vielleicht? Lässt sich Glück steigern? Gibt es ein maximales, minimales, mittelmäßiges Glück? Das Problem von uns Menschen ist, dass sich Glücksempfinden sowohl im Kopf, als auch im Körper abspielt, vermutlich wie bei jeder anderen Tierart auch, aber wir haben im Kopf stets verschiedene Gedankenschichten mitlaufen. Alltagssorgen, Wünsche, Ängste. Ein hartes über die Jahrzehnte erlerntes, zu lieben gelerntes Zeitkorsett, das unser Zusammenleben ermöglicht, tut sein Übriges. Das Hundchen zu beobachten beim einfach nur glücklich sein und nichts, nichts, aber auch garnichts zu denken ist Glück. Für den Moment eines ewigen Hundeschanzspitzenwedelns bin ich absolut glücklich. Coglücklich mit einem fremden Hund, der sich nun tollkühn anschickt, bis zum tief hängenden Bauch in die Wellen zu planschen.

Zurück zum Hirn, das mitten in meinem Kopf all das denkt, während es vom prallvollen Glücksteller einen Happen nimmt. Es denkt auch, was wohl in all den anderen vorgeht, die gerade hier angekommen sind und am Strand gen Norden flanieren. Manche haben es eilig, als wollten sie etwas abhaken. Getrieben von Alltagssorgen? Gebeutelt von Zeitnot? Hungrigen Bauchs auf die Belohnungswurst schielend im Kiosk beim Parkplatz? Das Leckeis, der Tand, all die Souveniers? An die Lieben daheim denkend, sich verpflichtet fühlend, ihnen eine Postkarte zu schicken – sicher gibt es einen speziellen Stempel in der Boutique, den man auf die frisch gekauften Karten drücken kann. So wie am Gotthard. Oder sind sie für einen Moment vollkommen leer und friedlich, so wie ich. Ein Moment nur in der beschränkten Lebensspanne, die wir haben, kann tatsächlich die Ewigkeit ersetzen, wenn es uns gelingt, nichts. Ja. Nichts. Sonst nichts.

Der nördlichste Punkt mit der züngelnden Sanddüne zwischen den Wellen. Einer der beiden Traktoren mit riesigem Anhänger steht gerade bereit zur Abfahrt und so steigen Frau SoSo und ich ein und kaufen uns den Rückweg durchs ewig rauschende Gras auf den Hügeln. Die Taschen voller Steine und Muscheln. Frau SoSo hat zudem eine geleerte schwedische Bierdose mit Sand und Muscheln gefüllt als Geschenk für einen, der es zu schätzen weiß.

Geschäftige Hektik am Parkplatz. Autos kommen und fahren. Menschen raus, Menschen rein. Man müsste das dirigieren. Welch ein Konzert, als eine Schulklasse an zwei Mülleimern mit schweren Blechdeckeln vorbeigeht und jedes Kind brav eine der Klappen hebt, das Eispapierchen oder Kaugummi hineingibt, sie wieder fallen lässt. Ich erlebe das Konzert in Stereo zwischen den Bottichen und hinten rumpelt die hölzerne Toilettentür, umschmeichelt vom Rauschen des Winds.

Schnurstracks nach Rømø, Übernachtung auf einem Zeltplatz bei Løkken (ich berichtete gestern in einem aus der Art geschlagenen Artikel, man möge mir verzeihen) und Zack, fast am südlichsten Punkt des Landes.

Rømø ist eine Perle. Der Strand im Westen ist viele hundert Meter breit. Mit dem Auto kann man über den platt gefahrenen Sand so weit ans Ufer fahren, wie man sich traut. Badesachen raus, Schirmchen, und rein ins gar nicht kalte, unendlich salzige Wasser. Toter Mann für einen ewigen Moment zwischen Hundeschwanzwedeln und dem malmenden Hin-und-Her der Gezeiten an der westlichen Wasserfront. Auf der Ostseite der Insel bietet sich ein ganz anderes Bild: Wattenmeer, das an saftige Viehweiden stößt. Harsche, etwa einen dreiviertel Meter hohe Bruchkante. Das Meer ist zurückgewichen, als wir in der Abenddämmerung von unserem Campinplatz im Süden der Insel (ich glaube, er heißt irgendwas mit Kommandant, es gibt Hütten und auch ein Hotel und er ist nicht billig), als wir auf der Bruchkante sitzen und übers schimmernde Watt blicken. Der Mond sollte bald aufgehen. Es ist 23:23 Uhr – per Internet berechnen wir den Rückweg. Zehn Stunden nochwas bis Zweibrücken für 939 Kilometer. Das sollte zu schaffen sein in zwei gemütlichen Reisetagen.

Welcome To Future Resort |#kursnord

30. Mai 2418.Gespenstisch! Absolut gespenstisch! In der Abenddämmerung rauschen wir auf der westlichen Küstenstraße südwärts, umschiffen nur mit viel Glück die ein oder andere Radarkontrolle, die, wenn sie auslöst, unweigerlich Bremsvorrichtungen auslöst, die Reifen zerstört, den Kraftwagen lahmlegt und die Türen mittels schnell härtendem Schaum versiegelt. Es gibt dann kein Entrinnen mehr bis die Polizei eintrifft und einen befreit. Und dann wirds nicht nur teuer, sondern auch unangenehm, vielleicht sogar lebensgefährlich. Man sagt, der Neutralisator, mit denen der Hartschaum aufgelöst wird, in das das Fahrzeug samt Passagieren und Gepäck eingschlossen sind, wirkt ätzend.

Noch vor vierhundert Jahren sei die Gegend eine beliebte Feriengegend für Menschen gewesen. Mit Fahrzeugen, die mit Elektro- oder gar Verbrennungsmotoren angetrieben wurden, tourten sie auf der Küstenstraße, ließen sich hie und da nieder in eigens für sie gebauten, zur Miete stehenden Hütten. Manche hatten ihr Haus dabei auf dem Fahrzeug, andere schleppten eine Art Kiste mit Fenster hinter dem Fahzeug, wieder andere kamen zu Fuß und hatten ein Zelt aus Kunststoff. Genau wie wir.

Wir steuern eine der geschützten Rastanlagen an, in denen die Luft gereinigt wird und somit für uns Humanoide noch genießbar ist. Die Welt gehört seit der Katastrophe eigentlich den Robotern. Sie müssen nicht atmen. Ihre Haut ist gegen das saure Klima geschützt. Sie können sogar ohne jegliche Kleidung und Schutzvorrichtung in das nahe Meer steigen, ohne gleich bei lebendigem Leib (haha) gekocht zu werden. Das Wasser hat diesen Sommer eine Rekordtemperatur von 78 Grad erreicht. Manchmal stellen wir uns vor, wie es sich wohl angefühlt haben mag, als die See, die hier in der Agglomeration Lokken-Blokhus auf breiter Front an den mit Feinplastik durchsetzen Sandstrand braust, wie es wohl gewesen sein muss, als hier Menschen ins Wasser stiegen, um bei wohligen sechzehn Grad ein bisschen zu schwimmen und später in der salzigen, aber gesunden Luft auf dem weichen Sand zu liegen.

Der Sand ist immer noch weich. Aber er ist auch heiß. Ohne Schutzanzug können wir ihn nicht betreten. Nur die Retroparks mit ihren Kraftfeldern erlauben es uns Menschen, so zu leben wie vor 400 Jahren.Dennoch herrlich, das fast kochende Wasser. Durch den hohen atmosphärischen Druck siedet es erst bei 140 Grad, statt wie damals um die Jahrtausendwende schon bei 100. Dort wo die Wellen ausrollen, hat sich eine Salzkruste gebildet. Der Himmel ist, seit man vor einigen Jahren die künstliche Sonne in die Umlaufbahn gebracht hat, wieder etwas strahlender. Die Blau-Simulation, (dass es so aussieht, wie vor vierhundert Jahren vielleicht), erreichen wir durch die unermüdliche Kraft unserer Chemtrail-Bots. Ich möchte nicht wissen, wie giftig die Substanz ist, die sie dem Stickstoffsäuregemisch beifügen, damit die Atmosphäre diesen feinen blauen Retrolook erhält.

Ein später Checkin. Es ist schon fast achtzig Uhr. Die Rezeption des Resorts ist schon geschlossen. Das Kraftfeld kann man nur mit Karte oder einem Code deaktivieren, um hineinzufahren und das Zelt aufzubauen. Bisher liefen unsere bei Retro-Adventures gebuchten Ferien bestens. Im ehemaligen Schweden, das einst von einem Meer namens Kategatt vom dänischen Subkontinent getrennt war, hat es uns am besten gefallen, war die Luft am blausten. Bis zur Hohen Küste haben wir es geschafft. Ein wunderbares Gebirge, dessen höchste Gipfel weit über tausend Meter hoch hinaufragen. Bis in die Ozonschicht. Einmal Ozonschicht und zurück hatten wir uns vor den Ferien geschworen. So weit wollten wir kommen. Einmal nur ohne technische Hilfsmittel wie die Menschen damals vor 400 Jahren atmen, die alberne Silikonmaske von den Backen reißen, tief Luft holen, Jauchzen. Ozon ist zwar nicht gerade die beste Form von Sauerstoff. Es brennt in der Lunge höllisch wie hochprozentiger norwegischer Schnaps. (Okay, ich gebe zu, unser Abstecher ins Alkoholparadies Norwegia, dem einzigen Land, in dem man Alkohol legal und frei käuflich erhält – zudem spottbillig – hätte nicht sein müssen. Aua. Wassen Kater. Die Ausnüchterung dauerte Wochen. Erst als der Test an der Grenze unter den Grenzwert gesunken war, durften wir das Land verlassen. Wie sagt man so schön: Norwegia, the most beautyful drug prison on earth. Haha).

Ich schweife ab. Nach Schwedens Hoher Küste und ‚Alkwegen‘ nun also ausrollen zurück in den Alltag, zurück auf den dänischen Subkontinent. Die Tour neigt sich langsam dem Ende. Unsere Credits sind fast aufgebraucht. Durch die Personenschleuse gelangen wir -es ist üblich, dass man vorm Einchecken durch eine Personenschleuse eintreten darf, um die Luft zu testen – auf den Platz und schauen uns um. Vorsaisonale Leere. Ein typischer Spaßplatz mit Grillarreal, Kinderspielplatz, Spielhölle, Angelautomaten, an denen allbuntes Zeug lockt, mit mechanischem Steampunk-Roboterarm kann man gegen ein paar Credits angeln. Sogar eine alte, von Ionenakkus getriebene elektrische Bimmelbahn hat man – wie aus dem Museum gestohlen – wieder flott gemacht. Man kann sich vorstellen, wie das Riesengelände im Sommer pulsiert, wenn Musikbands auf den Bühnen für Unterhaltung sorgen und die Kinder auf Hoverborads durch die Gegend flitzen.

Der gigantische Schwerkraftneutralisator! Phantastisch. Nie habe ich einen größeren Schwerkarftneutralisator erlebt. Hier bleiben wir, sage ich zu Frau SoSo. Den will ich ausprobieren. Doch sie warnt: denk dran, letztes Mal auf sonem Ding hast du dir tierisch den Knöchel verstaucht und als deine Altersmanipulation aufgeflogen ist, was haben dich die Sicherheitsrobots in die Mangel genommen. Ist doch nur für Kinder bis 35 Jahren.

Oha. Ich erinnere mich. Aber dennoch, einmal noch auf dem Schwerkraftneutralisator hüpfen, als wäre man wieder dreißig. Hach, dass ist mir das Risiko wert. Und es sind ohnehin kaum Leute hier.

Wir suchen uns einen Platz. Nummer C3C3C3. Haltet mich für sentimental trist, aber ich liebe nunmal Grautöne, weshalb ich bei Hexadezimalnummerierung stets schwach werde und nur anhand der Platznummer auswähle, egal, wo sich der Platz befindet.

Zurück zur Luftschleuse. Zurück zum Late-Check-In-Automaten. Wir tippen uns durchs holografische Display, machen alle Angaben: 2 Humanoide, einer unter 35 (das fällt überhaupt nicht auf, solange nicht beide IDs verlangt werden und ich sehe mit meinen 460 Jahren tatsächlich noch viel jünger aus). Ein Vehikel, ein Zelt. Das 3D-Modell des Platzes wird eingeblendet. Frau SoSo zoomt, um hineinzugehen und sich auf den gewünschten Platz zu stellen, so verlangt es die Roboterstimme. Bitte wählen sie ihren Platz, indem sie sich an Ort und Stelle begeben und mit beiden Füßen fünf Dekunden (scheiß dekadische Zeit, aber so ist nunmal die Norm) stehen bleiben. Das Ding will nicht. Immer wieder hüpft Frau SoSo auf und ab, bis die mechanische Stimme befiehlt Stopp, Fehler. Die Stimme klingt wie einer jener Daleks aus der Kultserie Doktor Who, deren 4000ste Folge ich kürzlich gesehen habe: Eliminieren, eliminieren! Und in meiner Phantasie richtet sich ein Dalek-Laser auf Frau SoSo, der sie in kürze vaporisiert.

Nichts geschieht. Das Scheißding ist einfach in einer Programmschleife hängen geblieben. Was nun. Schon wollen wir ins Vehikel steigen und weiterfahren. Die Retro-Kette hat sich den ganzen paarhundert Kilometer langen Küstenstreifen unter den Nagel gerissen und es gibt alle paar Kilometer ein Resort.

Da kommt behäbig ein Checkinbot um die Ecke. Faszinierend echt, sein Dreitagebart, und fragt in bestem Deutsch, ob er uns helfen könne.

Nach der Registrierung senkt sich das Kraftfeld und wir dürfen auf den Platz fahren. Herrlich, wie sie die Luft hingekriegt haben. So muss es wohl vor vierhundert Jahren gerochen und geschmeckt haben. Unweit des Schwerkraftneutralisators bauen wir unser Domizil auf. Die Zeltheringe flutschen ohne Widerstand in den Polymersandboden. Und nun, da ich dies schreibe, lockt das Brummen des Destabilisators, doch endlich hinüber zu gehen und mich ein paar Runden im Schwerkraftneutralisator zu verlustieren.

Darf ich diese letzte Grenze überschreiten?

Le Konsument c’est moi | #kursnord

Schweden von Süden nach Norden zu durchqueren kommt einem viel länger vor, als von Norden nach Süden. Für Sie getestet. Wenn es auch eine selbst gebastelte Mogelpackung ist, ich liebe den Vergleich mit der TARDIS, der Raumzeitmaschine des englischen Science-Fiction-Klassikers Doctor Who. Die TARDIS sieht von außen aus wie eine alte englische Notruftelefonzelle in den sechziger Jahren. Wenn man sie betritt, findet man einen beliebig großen Maschinenraum vor mit in die Systeme integriertem künstlichem Gehirn, das alles weiß und alles steuert und die Benutzer der TARDIS durch Raum und Zeit an jeden beliebigen Ort des Universums bringen kann.Obwohl die englische Kultserie Doctor Who schon seit den sechziger Jahren fast ununterbrochen in Abenteuer durch Raum und Zeit entführt, habe ich sie erst vor einem halben Jahr entdeckt. Und bin süchtig danach. Man sagt, Doctor Who habe in England in etwa den Kultcharakter und den Rang des deutschen Tatorts, auch wenn es sich um zwei gänzlich verschiedene Genres handelt.

Der Weg hinauf zur Hohen Küste ab Malmö kam mir viel länger vor, zeitlich wie räumlich, als die Strecke zurück via Örebro und Göteborg. Wieviele Kilometer? Vielleicht 800 bis 1000. Ich müsste ausmessen, aber es spielt auch keine Rolle. Von Örebro schafften wir die knapp 400 Kilometer bis Göteborg vorgestern in gemütlichen vier Stunden reine Fahrt. Dahingondelnd mit 70 bis 100 Kilometern pro Stunde. Kleiner Abstecher zu einem herrlichen Strandbad am Vänernsee nahe Lidköping. Flachland. Friesisch irgendwie. Weiden, getupft mit einsamen Gehöften. Hin und wieder nackter Fels abseits der Straße mitten in einem frisch keimenden Weizenfeld. Ärgernis für den Landwirt, willkommene Abwechslung für den tourenden Passanten im ansonsten großen, grünen, gelben, blauen, saftigen Homogen.

Bis dann irgendwann der Götafluss auftaucht, der sich etliche Kilometer jenseits von Göteborg über die Jahrtausende ein Bett gefressen hat – bis durch die Stadt bis ins Meer – durch den Fels der Endmoränen. Gen Göteborg wirds wieder bergig. Felsig. Schärenküste. Viele Inseln oder Inselchen oder winzige Felsen, auf denen Vögel nisten oder der Mensch Leuchtfeuer installiert hat zur sicher nicht einfachen Navigation im Kategatt. Wir haben uns eine Fähre von Göteborg nach Fredrikshaven in Dänemark ausgespäht. 16 Uhr. Gestern. Quartierten uns auf dem Camping im Sadtteil Askim südlich Göteborgs ein. Unweit von Fiskebäck. Bei Fiskebäck klingelt es irgendwie in meiner Erinnerung. War der Stadtteil nicht in den Schlagzeilen wegen irgendwas? Unruhen womöglich? Aber vielleicht war es auch nur eine Erwähnung in den vielen Schwedenkrimis, die ich las oder als Serie im TV schaute.

Der Wachmann in Askim wirkt jedenfalls ebenso beruhigend wie abschreckend in seiner Uniform. Spätabends lässt er auf Telefonanruf die Gäste ein, die die Rezeptionsöffnungszeiten verpasst haben, drückt ihnen Chipkarte und Lageplan in die Hand, erklärt die Regeln: nicht auf die Zeltplatzwiese fahren mit dem Auto, es stattdessen am Rand parken: So, seht ihr, zeigt er mit dem Finger auf die gemalten Autos im Plan, die in einer Reihe direkt neben dem Fahrweg geparkt sind. Ein Paar aus Kempten, das im Auto schläft und wir sind die einzigen Gäste auf der Zeltwiese.

Das nahe Meer hat Tide. Die Luft schmeckt nach Salz. Deutlich spürbar ist die Nordsee, die laut offizieller Route der North Sea Cycle Route (NSCR) erst auf der Linie Varberg (Schweden) – Grenå (Dänemark) endet. Wir befinden uns also im Zwischenland (ähm -meer) der beiden Meere, dem Skagerrak und dem Kategatt. Nach einem kleinen Spaziergang zwischen Hafen und einer hoch auf Felsen gelegenen Kirche in Göteborg fahren wir im Platzregen auf die Jutlandica, eine batteriebetriebene Fähre der Stenalinie. Dreieinhalb Stunden Fahrt bis Fredrikshaven. Dann nordwärts. Es sind nur etwa 40 Kilometer bis zu Dänemarks nördlichstem Punkt bei Skagen. Eigentlich fahren wir auf einer riesigen Wanderdüne, die über die Jahrhunderte, vom Westwind getrieben, immer weiter ostwärts wandert. Unweit unseres heutigen Lagerplatzes befindet sich ein Relikt der Dünenwanderung, ein versandeter Kirchturm, der schon seit bald einem Jahrhundert aufgegeben wurde und unheimlich einsam, weiß getüncht zwischen Kiefern und Halmen und Ginster dasteht und darauf wartet, ganz begraben zu werden. Das Kirchenschiff, liest Frau SoSo von einer Infotafel ab, habe man abgebaut und woanders wieder aufgestellt.

Stena. Der Name der Fährlinie taucht immer wieder auf. Und zwar nicht nur im Zusammenhang mit der Fähre. Auf einem Prospekt lese ich, dass das Legoland in Billund offenbar auch zum Konzern gehört. Ein Hotel in Fredrikshaven glaube ich auch. Konzernkrake. Ich weiß nicht, ob ich es gut heißen soll oder schlecht, oder einfach nur schulterzuckend beobachten soll und akzeptieren, dass es so ist. Die Verkonzernung der Welt als Zukunftsidee, in der die Staaten wie wir sie derzeit noch als Machtzentren kennen abgelöst werden durch Wirtschaftsbetriebe, denen die Menschen gehören, die für sie arbeiten und die Menschen, die ihre Produkte und Dienstleistungen konsumieren.

Dem Proletariat das Konsumariat entgegensetzen und die Kräfte der kleinen Leute stärken durch schlichten Zusammenschluss in … äh in was eigentlich? Das Proletariat erhielt seine Gewerkschaften, aber das Konsumariat, was könnte denn dem helfen, einen kräftemäßigen Gegenpol zu bilden gegen die Ausbeutung durch den Konzern? Ich glaube, das sind Gedanken, die ich mir auf der Fähre gemacht habe und für die ich keine Lösung fand. Wie auch. Konsumenten sind die am leichtesten spaltbare gesellschaftliche Masse überhaupt. Man kann sie prima entzweien und gegeneinander ausspielen, so dass sie sich in egoistische Kleinkriege verwickeln und dem allmächtigen Inhaber der Konumsmittel überhaupt nichts anhaben können. Perfekt.

Irgendwann beruhige ich mich damit, dass ich mich ja in einer vielleicht jahrhunderte währenden gesellschaftlichen Umbauphase befinde und dass ich als Einzelner ohnehin, denkend oder auch nicht, weder etwas bewirken kann, noch etwas falsch, noch etwas richtig machen kann. Doch auch das ist ein bisschen blauäugig, sich selbst Absolution erteilend, denn das Undenkbare ist es, wonach zu suchen ist. Die Idee und die Vision der gemeinsamen friedlichen Zukunft, die uns bisher noch nicht eingefallen ist … ich schweife ab und es führt zu weit.

Ich bin in Ferien. Ich will die Zeit genießen. Ich kaufe mich frei, so gut das möglich ist. Ich bin Konsument.