Kein exponentielles Radeldemowachstum

Kariertes Handtuch auf dem Boden vorm Holzofen. Krümel, trockener Dreck, Holzstückchen. Rings um den Ofen Ofenbedarf. Eine Holzheizung bringt unweigerlich Chaos und Schmutz in die Bude. 23 Grad. Sitze im T-Shirt am PC. Morgens zerbrach ich mir den Kopf, wie ich die chaotische Datenstruktur auf dem PC verbessern kann, insbesondere das Bildarchiv, das sich auf den Kern und zwei externe Platten verteilt. Ich finde nichts. Die Unzahl der Bilder macht mir Angst. Habe das Gefühl, alles läuft aus dem Ruder. Nicht nur datentechnisch.

Die ganze Welt läuft aus dem Ruder. Das aus dem Ruder Laufen verwirrt mich. Es ist ebenso befremdlich, wie normal, ein nichts tun könnender Beobachter sein zu müssen. Ich frage mich, wie es den Menschen geht, die noch schutzloser als ich dastehen, diejenigen mit Fernehen und Radio. Ich kann das Geprassel von Draußen weitgehend abwehren, indem ich mich dazu zwinge, keine Nachrichten an mich zu lassen. Aber diejenigen, die täglich Zeitung lesen und Nachrichten schauen? Ich bin das Mastschweinchen, das zeitlebens nur mit Rosmarin und anderen Kräutern gefüttert wird, schießt es mir in den Sinn. Ich schmecke anders. Ich sehe die Welt anders. Ach Quatsch! Es sind nicht die Kräutlein, die du frisst, die deinen Geschmack ausmachen.

Morgens überlege ich an einer Strategie, die Daten auf dem PC zu ordnen und vor allem, die beiden externen Platten loszuwerden. Sie fressen nur unnötig Strom. Sagt Freund B. Ich treffe ihn um 13 Uhr auf dem Herzogplatz, dem Treffpunkt für die Menschen der Stadt, um ins Nachbarstädtchen zu radeln, wo eine Kiddical Mass Demo stattfindet. B. äußert Bedenken, dass ich nicht so glücklich bin, so erlebe er mich. Verirrt wie ein Dateisystem. Vermutlich hat er recht. Wir sind die beiden einzigen, die zur Sternfahrt aufbrechen. Zwölf Kilometer und eine Stunde Zeit bis zur Demo. Düstrer Himmel. Es wird Regen geben. Unterwegs holt uns ein Nachzügler ein, L., so sind wir schon zu Dritt. Ich sage, wenn es so geht wie mit dem Reiskorn auf dem Schachbrett und wir verdoppeln unsere Zahl jeden Kilometer, dann wird es eine große Demo. L. sagt, wir haben uns nur veranderthalbfacht. B. erwähnt eine Quizfrage, wie oft man ein Papier falten könne. So radeln wir ins Herbstgrau der Blieswiesen. L. bleibt zurück, hat einen Kettenschaden, kehrt um. Also doch kein exponentielles Radeldemowachstum.

Die Demo, zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ein Kind, immerhin. Zwischen zwei Blaulicht-Fahrzeugen radeln wir los durch die Stadt. Organisatorin U. mit Anhänger und Lautsprecherboxen, aus denen Radellieder tönen. Unheimlich laut. Ich stopfe Tempotaschentücher in die Ohren. Dann bricht der Regen los. Nicht etwa der übliche, noch fahrbare Landniesel wie man ihn hierzulande kennt, sondern echter, gemeiner Platzregen. Zack. Alle nass. Aber Riesenspaß hat es gemacht.

Die Weiterfahrt zu Journalist F., den ich anschließend im Pflegeheim besuchen wollte, etwa zwanzig Kilometer, spare ich mir. In den Schuhen steht das Wasser, freue mich, dass ich bergauf radeln kann. Das gibt warm. Daheim angekommen nackig ausziehen, abtrocknen, Ofen anzünden, Klamotten aufhängen. Ich bin müde. Das karierte Handtuch kommt wie ein Teppich vor dem Ofen zu liegen. Eine Ecke eingefaltet wie bei einem Papierflieger. Ich frage mich, wie oft man ein Handtuch falten kann.

Später am PC gerate ich beim Aufräumen an meine Zweibrücken-Andorra-Texte aus dem Jahr 2020. Die Tour, die niemals stattfand, suche unveröffentlichte Texte. Ich erinnere mich, dass ich das Buch nie zu Ende geschrieben habe, grabe in den über hundert Entwürfen und Privatbeiträgen dieses Blogs, korrigiere einen, veröffentliche ihn, korrigiere noch einen, veröffentliche ihn, stelle andere korrigiert privat usw. Arbeit, mein Junge, Arbeit. Es ist nur noch Arbeit, die du tun musst. Fleiß und Dranbleiben und nicht Verzweifeln. Wird schon, Junge, versuche ich mich zu beschwichtigen, aber da ist mir längst klar, dass ich schon so viele Baustellen unvollendet zurückgelassen habe, dass die Lebenszeit gar nicht mehr reicht, um alles bis aufs Feinste auszuarbeiten.

Trotzdem. Es ist wie Radfahren. Jede Krubelumdrehung zählt. Dranbleiben.

Heute korrigierte bisher unveröffentlichte Artikel:

Von Verirrungen, Ideen und ’nicht meinen‘ Gegenständen

https://irgendlink.de/2022/09/25/erinnerungen-an-ein-silvester-in-den-1970ern/ (privat)

https://irgendlink.de/2022/09/25/ideenkonglomerat/ (privat)

 

Geradezu kerouacesk.
Erst leben, dann aufschreiben.
Wir müssen uns wohl damit zufrieden geben, dass immer nur ein Bruchteil dessen für die Nachwelt gerettet werden kann, was mit viel Disziplin hätte erreicht werden können.
Aber so halte ich das auch. Und das ist gut so.

Ein Kommentar unter https://aussteiger-blog.de/2007/04/07/kurz-nur-kurz/#comment-3377

Artikel vom 3. März 2021

Zwei ganz normale Tage – oder auch mehr

Wir verlassen das Haus, die Frau SoSo und ich. Wir sind Glückliche, die das Haus verlassen können, ohne sich Sorgen zu machen, an der nächsten Ecke überfallen zu werden oder erst Kilometer weit über eine Müllhalde zu laufen, um den dreckigen Fluss zu durchwaten und irgendwo in den Randgebieten einer Großstadt ein bisschen Grün und Frieden zu finden. Wir sind Glückliche, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, friedfertige Nachbarn und keine Angst haben müssen, dass eine Rakete im Wohngebiet einschlägt. Ein ganz normaler Sonntag in einem Dorf in der Schweiz. Wir nehmen die Fahrräder. Wie glücklich wir sind, Fahrräder zu besitzen.

Wenn ich einen Bericht schreiben müsste, der jenseits dieser Welt bestehen soll in einer fernen Zukunft, eine Spur hinterlassend für jenstige Archäologinnen und Archäologen, ich müsste scheitern. Ich könnte keinen Gesamtabdruck der Welt, in der wir leben, liefern, weil ich gar nicht weiß wie woanders auf dem Planeten eigentlich gelebt wird. Obschon ich viele Arten zu leben kennen gelernt habe.

Ich berichte nur aus meiner kleinen Blase der Welt, aus meiner direkten Umgebung. Mehr wäre Spekulation, verunschärfte das Bild. Berichte im Rahmen dessen, was für mich normal ist und schön und gut, aber hinter allem, was mir bekannt ist und wovon ich etwas weiß, lauert so viel Unbekanntes und Ungewohntes, manches kennt man ja vom Hörensagen, aber was mich erschreckt: Es gibt ein nahezu unerschöpflichen Raum für noch nicht Entdecktes.

Ich hatte kürzlich während der Umradelung Bayerns einmal sinniert, wieso Menschen, die an Wiedergeburt glauben und von sich selbst sagen, sie haben schon einmal gelebt auf diesem Planeten – als Mensch, als Tier, womöglich als Pflanze – stets als solche Wesen gelebt haben, die uns allgemein geläufig sind. Als Schlange, Affe, Pferd, Römerin, Thrakischer Prinz oder Mammutbaum. Wiedergeborene waren stets ein Wesen, das schon entdeckt und beschrieben wurde. Nie hört man, dass jemand schon einmal gelebt hat als das bisher nicht entdeckte Wesen in der Tiefsee ohne Augen und Ohren, das in ewiger Dunkelheit unter dem hohen Druck, der im Marianengraben herrscht, existiert. Ein Wesen ohne Namen. Was der Buddhist nicht kennt, das reinkarniert er auch nicht. Vielleicht irre ich.

Wir, das Haus verlassend, sonntags vielleicht.

Vorbei am Dorfbrunnen, auf dessen Kopf eine Bärenskulptur thront, den man kürzlich neu angemalt und renoviert hat, durch die zackigen kleinen Straßen, vorbei an den uralten aneinander gebackenen Bauernhäuschen, die einst vereinzelt in der Wiese standen, bis diese verkauft, bebaut und erschlossen wurde. Gespickt mit Einfamilienhäuschen. Durch die Randgebiete eines typischen Schweizer Dörfchens. Die Bebauung der Dörfer endet mittlerweile an der Bebauung des nächsten Dorfs. Industrie und Handel dazwischen ab und an. Die Schweiz ist eine Ansammlung von Randgebieten, durchdrungen von Ortskernen.

Durch eine Kastanienallee ins Nachbardorf.

Die Welti-Furrer-Chilbi (eine Chilbi ist ein Jahrmarkt). Acht bis zehn fahrbare Baukrane. Hochgebockte Maschinen, deren Räder in der Luft hängen mit ausgefahrenen Teleskopen zwischen den Dörfern Hausen und Windisch. Das fulminante Finale der Kastanienallee. Auf einem normaler Weise leeren, ungeteerten Platz herrscht an diesem Tag reges Treiben. Ich frag, Frau SoSo, bleiben wir ein Weilchen stehen, ich möcht schauen. So stehen wir ein Weilchen, die Fahrräder zwischen den Schenkeln und schauen das Treiben auf dem Gelände an. Viele Menschen, allesamt mit Helm und Warnweste ausgestattet. Die Krane bewegen sich, ziehen die Ketten, kragen die Arme, schieben die Masten aus den Teleskopen und an den Ketten hängen an massiven Eisenhaken kleine rote Tonnen, die etwas kleiner sind als größere rote Tonnen, die im Abstand von einigen Metern am Boden unter den Kranen stehen. In den Führerhäusern der Krane sitzen kleine Kinder, über die sich Bauarbeiter beugen und ihnen gestikulierend die verschiedenen Hebel der Maschinen erklären. Die Kinder müssen die kleinen Tonnen aus den größeren Tonnen ziehen, den Kran um einige Meter nach links oder rechts schwenken und sie in die andere große Tonnen versenken. Wie wir so starren, also vielmehr ich, wird mir bewusst, dass genau so etwas mein kleiner, privater Alltagszirkus ist: scheinbare Banalitäten am Wegesrand, die man normalerweise nicht zur Kenntnis nimmt. Oh, juhei, Kinder heben Tonnen aus Tonnen und versenken sie in anderen Tonnen. Ob ich da hin möchte und selbst eine Tonne aus der Tonne heben möchte und in eine andere Tonne tun, fragt Frau SoSo. Nein, möchte ich nicht. Zuschauen ist viel bequemer. Man hat es nicht mit Menschen zu tun, sondern mit Maschinen, in denen Menschen sitzen und agieren. Das ist es. Ja, doch Krane voller Kinder, die Tonnen aus Tonnen in Tonnen heben, das ist genau mein spektakuläres Unterhaltungsding. Besser noch als Mährobotern beim Grasmähen zuzusehen.

Und wir fahren weiter durchs nächste Dorf, Ziel eine große Weide, auf der einige Dutzend Wutzen frei laufen. Entdeckt haben wir sie vor einigen Jahren schon (also ihre längst geschlachteten Ahnen). Glückliches Schlachtvieh. Fleisch in spe, aber eben, die Weide ist etwa einen Hektar groß und es befinden sich kleine, Schweinegroß hohe Häuschen darauf, sowie ein Wasserfass und ein Schlammloch, in dem die Viecher sich suhlen. Das ist eine weitere Art beliebter Unterhaltung am Wegrand. Außer Wutzen, Mährobotern, Welti-Furrer-Chilbi-Kinderkranen oder Nichts, brauche ich eigentlich keine Unterhaltung auf Sonntagsausflügen. Ich bin ein schlichtes Gemüt, das jenseits des Kommerzunterhaltungsmainstreams die kleinen unbezahlten Dinge sucht und sich damit zufrieden gibt.

Wenn ich von ‚Nichts‘ als Unterhaltungsform rede, meine ich schlichtes Verharren und nach oben in den Weltraum starren. Wie es uns, nachdem wir uns an den Kranen voller Kinder und den Wutzen satt gesehen hatten, einige Kilometer später unten an der Aare passierte. Wir hatten die Hängematten in einer kleinen Aue aufgehängt und baumelten vor uns hin. Hängematten sind unheimlich bequeme Sitz-, Liege- und Abhängmöglichkeiten. Faszinierend wie die Sonne durchs Laub schimmerte und das Grün in verschiedene Töne aufspaltete, durchdrungen von ab und zuen Blautönen und ein bisschen Braun oder Grau der Äste, sonst nichts … ach, doch, das Schimmern allen Grüns wurde noch getoppt von den Lichtreflexen auf dem spielenden Fluss. Sonne von oben und von unten aufs Blattwerk und alles in zitternder Bewegung. Das Laub zitterte wegen leisen Winds, der Fluss wegen Strudeln und Wellen, herrlich, wie er die sturen, geraden, unbarmherzig voran dringenden Sonnenstrahlen in Unruhe versetzt, sie mal hier, mal da aufs Laub wirft oder durch einige der wenigen Lücken zurück in den Weltraum. Wie wohl ein Impressionist, eine Impressionistin dieses Blattwerk malen würde, fragt Frau SoSo. Die sind alle tot, will ich sagen, verkneife es mir, Punkt für Punkt sage ich.

Wenn ich das Gesicht Richtung Himmel habe, gelingt es mir mittlerweile ganz gut, mich als auf einem Ball per Schwerkraft fest pappendes Lebewesen vorzustellen, das im Begriff ist, in die Tiefen des Alls zu stürzen, wenn die Schwerkraft plötzlich nicht mehr ist, beziehungsweise, wenn sie sich umkehrt.

Das Grüne-Dach-Bild ist grandios. So könnten Ewigkeiten vergehen, ohne auch nur eine Spur Langeweile zu empfinden, denke ich. Im Spiel von Sonnenstrahlen und dem, auf das sie treffen ist immer Bewegung, Chaos, Unruhe, Unberechenbarkeit und es öffnen sich der Phantasie Pforten, die einem im sturen Dahintreiben – sagen wir einmal geradeaus schauend beim Gehen, Autofahren oder Radfahren – entgehen. Weil man parallel in einer dünnen, belebten Schicht auf diesem Planeten eben auch nur diese schmale Schicht wahrnimmt, aber nicht die Sphäre, die diese umschließt.

Sturz ins Weltall an einem ganz normalen Sonntag also. Neben unserem Wäldchen befindet sich ein Kurgebiet, in dem man eine Freilichtbühne aufgebaut hat. Plötzlich Musik. Klavier, Saxophon, Schlagzeug, Soundcheck für etwas, was später geschehen soll vermutlich. Es ist Nachmittag. Erstaunlich wenige Menschen auf den Rad- und Wanderwegen unterwegs. Wir trudeln weiter durchs nächste Dorf. Auf der Hauptstraße eine Kolonne Oldtimer. Röhrende, stinkende Amischlitten. Allmögliche Modelle. Cabriolets mit offenem Verdeck und gigantischen, durchgehenden Sitzbänken im Fahrerbereich, auf denen man getrost zu dritt oder zu viert nebeneinander sitzen könnte. Die Straße wird abgeriegelt, damit die Kolonne in einem Rutsch durchs Dorf kommt und sich kein Fremdfahrzeug dazwischen mogelt. In kaum einer der Karossen sitzen mehr Personen als nur der Fahrer. Ja. Fahrer. Keine einzige Frau. Eine Schlange antiker, schön glänzender Spritfresser voller sogenannter alter weiser Männer. Verflixt, ich kann es ja verstehen, dass man einen Narren fressen kann an einem schönen Kleinod. Dennoch ist dieses Bild des Amischlittenkorsos voller einsamer, meist grauhaariger Männer verstörend im Antlitz der Hitze des Tages. Mein Hirn kalkuliert, wie viele Liter pro Stunde durch die Vergaser jagen und wie viel der kleine Ausflug einsamer, im Verbrenner-Interesse geeinter Männer gesetzten Alters kostet. Der Himmel ist gelb.

(Zur Verlinkung in Lind Kernig – Zukunftsroman der Feinen Künste)

Das Hohelied des Null-LeserInnen-Blogs

Last Exit Weblog. Ich denke, ich fürchte, ich hoffe, ich bin auf der richtigen Spur. Zurück zu den Wurzeln im Anbeginn des weltweiten Netzes. Als der Mensch, im Fall ich, noch frei war und sich nicht bis in den letzten Winkel seines Denkens in den sozialen Medien verirrte. Dieses irre Fraktal aus Ansichten, Meinungen, Bekundungen, dieses Machwerk sich selbst ausschmückender und somit unauthentischer Lebensläufe. Das ist doch alles nicht echt!

Nach der Reise rund um Bayern: Facebook auf, um zu reagieren auf die automatisch durchgereichten Blogeinträge. Unterwegs wollte und konnte ich Facebook nicht öffnen. Warum ich dennoch dort poste und Mitglied bin? Es sind die Menschen. Manche Menschen kenne ich nur auf Facebook. Deshalb bin ich da. Auch da. Manche Menschen sind nur auf Whatsapp erreichbar und so weiter und so fort und deshalb sind wir eben auch bei und so weiter und so fort.

Ich hatte vor vielen Jahren einmal gesagt, ein Mensch, ein Blog. Das war eine Zeit, in der man sich im Netz immer mehr verzetteln konnte, sich bei diesem und jenem Blog-Portal anmelden konnte, um zu publizieren, um der Gemeinde Inhalte beizusteuern und einen gemeinsamen Mehrwert zu schaffen. Myblog hier, TwentySix da, Antville jenerorts, Thumbler, WordPress … man konnte sich zig kostenlose Blogs anlegen. Doch wozu? Um des virtuellen Sternchens Willen? Blogger der Herzen und Likes? Letztenendes gewinnt die Plattform, die dir das Meiste zurückbringt. Kommentare, Herzchen, Daumenhochs und Sternchen. Glasperlen der Moderne allerorten und was dabei untergeht: Darum geht es doch gar nicht.

Ich propagierte das Null-Leserinnen-Blog. Die Königsdisziplin. Bloggen um des Bloggens willen. Egal, ob es überhaupt jemand liest. Die Frage, warum man in diesem Fall denn nicht in sein kleines, papierenes Tagebuch schreibt und gut ist, stand lange Zeit berechtigt, bis mir bewusst wurde, dass es sich um Erde handelt und um Saat. Der Kipppunkt zwischen ich publiziere, theoretisch ist es jedem Menschen der Erde möglich, den Inhalt aufzunehmen, weiter zu spinnen an einem Gedanken und dem ich schreibe es in eine geheime Kladde, die niemand sonst lesen darf, ist auch der Kipppunkt, bei dem es um bedingungsloses Wachstum geht. Im ersten Fall bringst du eine Saat aus, die ganz ohne Zwang entweder wachsen darf oder vergehen, wie das in der Natur eben so ist, bei der zweiten hegst du auf deinem privaten Balkon die Samen. Mag sein, dass deine Zimmerpflanze der Webpublikation eine Weile gedeiht. Aber die wird sich garantiert nicht vermehren. Die erstere hingegen hat wenigstens die Chance darauf.

‚Ein Mensch ein Blog‘ ging natürlich prächtig schief, seit ich diverse Projekte ausgekoppelt und in selbst gehostete Blogs gepostet hatte. Das ist etwas anderes, als jedem Trend hinterher zu laufen für ein paar Klicks mehr. Mittlerweile sind es etwas zehn verschiedene Blogprojekte, die ich größten Teils abgeschlossen habe. Zum Beispiel gibt es das Paminablog und das Erdversteck als verschiedene Saatgutlinien … und noch so ein paar Projekte. Das Hauptblog, der am besten und intensivsten bewirtschaftete Acker, ist und bleibt dieses hier, in dem du gerade liest. Hier laufen alle Spuren zusammen. Es ist die Saatgutbank meiner feinen Künste und der Bloggeratur sozusagen.

Kurzum, Facebook wieder zu. Es bereitet so ganz und gar keine Freude. Es verwirrt mich. Ich kann mich noch nicht einmal über die Statistiken freuen; ich weiß was von Glasperlen und ich kann sie von Diamanten unterscheiden. Facebook und Twitter werden dir nie Diamanten geben. Diamanten sind so selten wie gut gehegte, von Inhaberinnen geführte Blogs. Da kommste nicht einfach so ran. Die liegen nicht wie Sand am Meer. Noch nicht einmal wie Bernstein, die bestellste nicht containerweise in einer billigen Blogherstellerfabrik und vertickst sie zu Massen über den Telekanal.

Metablogging. Bloggen über das Bloggen. Halte dich zurück, Herr Irgendlink. Klar willst du deine Geschichte erzählen, aber du musst doch nicht erzählen, wie du die Geschichte erzählst wie du die Geschichte erzählst wie du … und allegorisieren auf die Allegorie der Allegorie … musste auch nicht.

Es ist jedoch ganz klar, dass im Vorfeld des zu entstehenden Großen und Reinen, einem Buch zum Beispiel, erst einmal jede Menge Material gesammelt und nebeneinander gestellt wird. Dann die Verbindungen suchen. Unsichtbares sichtbar machen, Gutes verstärken, nicht erwünschtes löschen. Womit wir wieder beim Garten sind. Dein Saatgut ausbringen, es düngen, gießen, hegen, die unerwünschten Pflänzlein ausrupfen, hacken, Schnecken fern halten, die Blattläuse, vergiss die Blattläuse nicht und ja, der Ansatz von literarischer Brennnesseljauche schadet nie.

Jede Menge Daten habe ich gesammelt auf der Reise /Bayern. Drei Kategorien: GPS-Tracks, Fotos, Texte. Alles in Rohform im Blog sichtbar. Fast alles. Manche Beiträge sind privat gestellt, weil sie noch nicht korrektur gelesen sind. Aber letztlich ist der Garten ‚UmsLand/Bayern angesät. Frühlingsstimmung. Viel Arbeit. Dass ich ein Buch daraus mache, sagte ich im gestrigen Blogartikel. Ja. Ich mache ein Buch daraus. Wie es aussehen wird? Das weiß ich, wenn ich sehe, wie sich die Saat entwickelt. Wahrscheinlich ein reines Textbuch, eine Art Reisebericht in Romanform mit einem kleinen Bildteil in der Printversion. Verlag? Vielleicht. Ich habe keine Lust, mir die Hacken wund zu laufen. Hier kommt der Null-Follower-Hassardeur in mir zum Vorschein. Der Sache an sich, Sache an sich, Sache an sich-Plärrer, der, der für die Nachwelt arbeitet, oder nein, noch nicht einmal, der, der sät um des Säens willen und sich am Wachsen (und auch am möglichen Vergehen) erfreut. Der auf eine späte Ernte hofft, aber nicht darauf angewiesen ist.

Wenn ich an einer Sache arbeite, entsteht manchmal eine Art Flow, in dem ich an der Sache auf immer weiter arbeiten kann, ohne, dass ich dabei erschöpfe oder Fragen stelle oder etwas wie Sinn darin suche. So kann ich stundenlang zum Beispiel glücklich Geschirr spülen, eine schmutzige Ecke auf dem einsamen Gehöft aufräumen, einen dreihundertfünfzig Kilometer langen Radweg durch Wälder radeln (Grünes Band, tagelang, nicht nur stundenlang), diesen Blogartikel schreiben, ohne mir Sorgen zu machen, ob ihn je jemand liest. Sobald er fertig ist und im Netz steht, ist er eine Saat. Wenn sie jemand liest und auch nur etwas mitnimmt, vermehrt sich die Saat. Gutso. Wenn nicht, bleibt die Saat einfach liegen. Im Gegensatz zu natürlichen Saaten, bleiben die künstlichen, digitalen so lange erhalten wie die Server laufen, wie die Blogadressen bezahlt werden, wie die Hosterinnen und Hoster (im Fall ich selbst) dies ‚er-tragen‘ können. Und so lange wie es Wesen gibt, die die Inhalte dekodieren können (im Fall welche, die die Sprache der Texte verstehen).