25 500-Euroscheine

Es begab sich, dass ich während meiner journalistischen Recherche am Samstag mehr oder weniger händeschüttelnd durchs Museum schlenderte, mal hie, mal da. Small talkend über das Wetter, die Kunst, die Kultur und dass doch immer viel zu wenig Geld da ist.

Auch die aktuelle Ausstellung des hiesigen Kunstvereins besuchte ich in einem prächtigen Saal mit viel Licht, was mich sehr beeindruckte. Vor dem Saal war ein Tresen, auf dem Kunstkataloge auf Erwerbung warteten, Infomaterial und ein Beitrittsformular für den Kunstverein. Also trat ich bei. Mehr noch, ich erteilte eine Einzugsermächtigung. Wohin nun mit dem Formular? Keine Menschenseele zu sehen. Ein Mann, den ich als den Vorsitzenden identifizierte war verstrickt in Gespräche mit Damen. Dem wollte ich das Blatt geben. Kann es doch nicht einfach so auf den Tisch legen, weil meine Kontonummer drauf steht. Wie ein Geier scharwenzelte ich also um den Vorsitzenden, versuchte ihm zuzulächeln oder im engen Durchgang zum Foyer anzurempeln. „Oh, Pardon,“ würde ich dann sagen. So hab ich mir das ausgemalt, und wir würden ein ernstes Gespräch um Kunst und Verein führen oder das Wetter. Die Damen ließen nicht locker. Wie Hyänen fleischten sie an der Beute. So kam es, dass ich mit besagtem Barfußläufer (zwei Einträge zuvor) ein paar Worte wechselte, am Treppengeländer lehnend. Wir schwadronierten über den milden Herbst als gerechte Entschuldigung für den garstigen August. Ich fotografierte seine Füße auf dem frisch lasierten Holzboden des Museums. Dann regte sich das Rudel Damen und der Vorsitzende stand allein. Er war hocherfreut über die neue Mitgliedschaft. Sehr symphatisch. „Machen sie sich doch schon einmal Gedanken über die Zahl 25,“ sagte er, „das ist das Motto unserer nächsten Ausstellung, an der alle Mitglieder teilnehmen. Wenn sie möchten, auch sie.“

„Man könnte 25 500-Euroscheine aufhängen,“ scherzte ich. Wir lachten.

Später, im Stillen hielt ich mir eine goldene Regel vor Augen: die erste Idee ist oft die beste. Bloß, woher soll ich diese wunderbarste Blüte der ökonomischen Moderne in 25-facher Ausführung herkriegen. Ich weiß noch nicht einmal, welche Farbe das Papier hat.

So eine Art Sonntag

Gegen Mittag kam die Cacherin Lilu mit den Kids. Da war dann halligalli. Sie hatten mächtig Spaß im labyrinthischen Atelier Verstecken zu spielen. Ich vergaß die Kunst, was ziemlich gut ist. Abschalten gelingt mir derzeit nur in Gesellschaft. Nachmittags saßen hüstelnde Opas, fieberne Kids, verschnupfte Muttis, kränkliche weitläufige Verwandte auf der Südterrasse. Die Sonne ließ sich blicken und schickte einen milchigen Schleier über die Wipfel der Pappeln an der Westseite. Ich schlief ein vor Erschöpfung. Sie hätten mich nun ohne Weiteres bemalen können oder mir die Kleider ausziehen oder sonstige Scherze treiben. So müde wie heute war ich seit Langem nicht mehr. Als ich erwachte, waren sämtliche Kuchenstücke gegessen. Krankheit lag in der Luft und so eine Art Herbst. Deshalb dachte ich an den Tod. Wie man Asche verstreut, die einst Mensch war, Asche, die gedacht, geliebt, gehofft hat. Ein friedliches Bild. Die Kids saußten mit den Fahrrädern rund ums Gehöft, stürzten, weinten, wurden getröstet.

Alles in Allem ein ganz normaler Familientag. In hypochondrischer Schwäche glaubte ich vorhin, auch erkranken zu müssen, weil sie doch allesamt hüstelnd und keuchend um mich herum den Sonntag zelebrierten. Viren in der Luft. Dann stürzte ich mich wieder in die Arbeit. Vier der zehn Bliestallabyrinth Bildtafeln werden heute noch fertig.

Schon spät. Habe bis eben an einem Artikel gearbeitet über das Museumsfest heute in der Stadt. Harter Job. Die Redakteurin hat mir zwar ans Herz gelegt: „Tu einfach so locker flockig wie im Blog.“, aber das geht nicht. Die Zeitung ist anders. Sie ist seriös. Das Mundwerk darf nicht lose und spontan sein. Die Schreibe muss verstehbar sein. Man kann nicht einfach nur so aus Laune seine Texte verschlüsseln, um zu spielen. Auch Ironie und Witz müssen im Zaum gehalten werden. Das Scharfe Schwert des Blogs sollte in viel Kleinarbeit gestumpft werden, damit man niemandem auf die Füße tritt. Viele Hände gedrückt am heutigen Tag und mich mit den Menschen im Museum unterhalten. Am schönsten war Barfußläufer F. Das muss man sich mal vorstellen, schlappt mit langem wehendem Haar ins Museum, wo all die ehrbaren Leute gerade damit beschäftigt sind, zu vernissieren und der Kultur zu lobhudeln. Das fand ich gut. Ich liebte ihn, wie er am Treppengeländer lehnte und mir plausibel machte, ich selbst sei auf Spurensuche, weil der Stammsitz der Familie doch nur 100 Meter von dem Ort entfernt ist, an dem wir gerade standen. In der Tat ist das Nachbarhaus des Museums das Geburtshaus meines Vaters.
Eine geschichtsträchtige Stadt ist das. Nach sechs Jahren, die ich hier lebe, fange ich an, mich wohl zu fühlen. Das läuft ziemlich konträr zu den Stimmen im Museum. Wenn man die Gesprächsfetzen analysiert, die man zwischen Tür und Angel belauscht, kommt man zu dem Schluss, die Stadt ist total mies. Selbst an den Hauptstadtflügen kritteln sie herum. Hey, ist doch klasse, denke ich mir dann, die Hauptstadt ist endlich eingemeindet und wir können abends auf eine Weiße mit Schuss unter den Linden fliegen. Ist nicht mehr so anstrengend wie früher nach Saarbrücken und dauert auch kaum länger.

Eichhörnchensklaverei

QQlka wohnt seit dem Atelierefest Mitte September in seinem Zelt unten auf der Südterrasse. Er hat eine echte Matratze in seinem Domizil und fühlt sich pudelwohl. Tagein tagaus sitzt er unter dem Vordach und malt an seinen Traktorkatastrophen. Ich mag es, ihm zuzusehen, wie er Strich um Strich setzt und ganz langsam das Unsichtbare sichtbar macht.

Das Eichhörnchen balanciert im Nussbaum und beobachtet ihn. Ab und zu pflückt es eine Walnuss, schließlich muss man an den langen harten Winter denken, wenn man ein Eichhörnchen ist. Die Nüsse knallen auf den Boden. QQlka verlässt die Staffelei und hebt die Nüsse auf. Schließlich müssen auch wir an den Winter denken. Das Eichhörnchen findet das gar nicht gut und kommentiert den Nussraub mit fiesem Fauchen.

’s Pund ä Schdund

Ich muss etwas weiter ausholen. Ungefähr bis zu jenem Tag im Frühjahr, als eine meiner drei Lieblingstanten, G. aus der Pirmasenser Geldlinie, auf dem einsamen Gehöft auftauchte, um Johannisbeeren zu ernten. Damit wollte sie Marmelade kochen. Gebückt stand sie über den Sträuchern. Mein Vater beobachtete sie bei der Arbeit. Als sie fertig war, präsentierte sie stolz den Eimer. „Wir wiegen sie,“ sagte mein Vater. G. antwortete: „Ist nicht nötig, pro Pund ä Schtund (hochdeutsch: pro Pfund eine Stunde).“ Das sei eine Faustregel. Sie schaute auf die Uhr: „Zwei Pfund.“

Seit dem hat mein Vater diese gute Regel geradezu perpetuiert und wendet sie auf alle möglichen Situationen des Lebens an. Neulich hielt er ein Stück Butter in den Händen und skandierte wahllos, nicht ohne Schmunzeln, „’s Pund ä Schtund.“ Auch beim Holzhacken, weiß er geschickt diese Regel anzuwenden, und als neulich im Fernsehen ein Bericht über Fort Knox gezeigt wurde – all das Gold – sagte er: „’s Pund ä Schtund.“

Nun begab es sich, dass wir heute Nachmittag in der Galerie Beck diskutierten, wie denn die Bildtafeln des Bliestallabyrinths zu hängen seien und der Galerist von Nägeln schwärmte, die man in die Wand treiben könnte, ich ihn darauf aufmerksam machte, dass es keine Aquarelle sind, die man da aufhängt, sondern gediegene Hartholzträger und die werden schon einiges wiegen. „Wieviel?“ fragte er. „10 Kilo,“ sagte ich, „es könnten aber auch 20 sein.“

„Wir nehmen Schrauben,“ sagte er.

Wieder zu Hause, wollte ich es genau wissen, stellte ein Bild auf die Personenwaage. Sie zeigte elf Kilo. Die multiplizierte ich mit der Anzahl der Bilder, kam auf 110 Kilo und addierte noch eine Toleranz. Das ganze Mal zwei istgleich  240 Pfund. Dies trifft auch in ungefähr die Arbeitsstunden, die im Bliestallabyrinth stecken.

Meine dritte Lieblingstante ist eine weise Frau, eine sehr weise.