Ist nicht jedes Gesetz eine Grenze? Nicht jeder Richtwert eine mehr oder weniger willkürlich von Menschen gesetzte Grenze. Die Bewertung, was sich diesseits und jenseits der Grenze befindet, hängt ab von Zeit und Raum und einer guten Portion wie wir Menschen in unserer Zeit ticken.Der Wachturm des Limes ist nur achthundert Meter abseits meiner Radelroute im Ort Mönchsrot. Braunes Sehenswürdigkeiten-Schild. Da musste doch hin, Irgendlink, hast doch noch nie einen Limes-Wachturm gesehen. Die Spannung steigt von Meter zu Meter, bis ich endlich am Waldrand ein steinernes, etwa vier Meter hohes Ruinending zu sehen bekomme, sorgfältig restauriert. Man sieht das Turmfundament. Hinauf führt eine hölzerne Treppe und ein paar Meter Mauer deuten ungefähr den Verlauf der Grenze an, Mann, Mann, Mann, das ist schon bald zweitausend Jahre her, was ist geblieben? Der Klotz und ein paar Infotafeln.
Was wird wohl von Bayerns Grenze in zweitausend Jahren zu sehen sein? Wird man auf den Servern dieser Welt meine Reise als Text- und Bildwerk finden und sich sagen, aha, da war mal ein Freistaat?
Bloß nicht überheblich werden, Herr Irgendlink.
Von der Bayerischen Grenze nehme ich so gut wie nichts wahr. Es gibt nicht die erwarteten Grenzsteinmonumente (was hab ich mir bloß gedacht, dass es anders ist als in anderen Bundesländern, wohl liegt es an dem vorurteilhaften Bild, das man sich immer und überall von allem und jedem macht), es gibt nicht das Meer blau-weiß-rautiger Fahnen und es gibt nicht das in FC-Bayern-Fabern bemalte Haus als Ausdruck der tiefen Gläubigkeit des Bayerischen Fußballmännleins. Zumindest gibt es nicht übermäßig viele deutlich als Bayernfanbehausungen erkennbare Domizile und nicht übermäßig viele Blau-Weiß-Flaggen in den Vorgärten.
Aber ich bin ja noch nicht rund ums Land. Und die Franken hier in der Region gelten ohnehin ein bisschen als Abtrünnige. Das weiß ich von meinem Freund Leb, dem Franken.
Es ist ziemlich trist, bei Nieselregen ins Nördlinger Ries hineinzuradeln. Zudem die Jahreszeit mit den vielen abgeernteten Feldern geradezu auf Tristesse gebürstet ist, weshalb ich im Kopf auf den Hexenfelsen, hinter Nördlingen auf einem Hügel, zuradele, Tritt um Tritt darauf hin fiebere. Wie ich mich neben den etwa zwölf mal zwölf Meter großen Klotz setzen werde und pausieren, stele ich mir vor, während traurig gerupfte Maisfeldruinen an mir vorbei ziehen und der Nieselregen mich zernagt. In Nördlingen selbst gäbe es auch sehr viel zu sehen, aber mir hat es nunmal dieser eigentlich unscheinbare, buckelige Klotz angetan. Da es ohnehin regnet und ich unlaunig bin, radele ich schnurstracks durch die Stadt, ganz vergessen, einzukaufen und da ich nicht mehr zurück will, nehme ich das Risiko in kauf, auf den etwa vierzig Kilometern bis nach Dillingen an der Donau gar nichts mehr einkaufen zu können. Ein paar Reste sind ohnehin noch in der Packtasche.
Rechnung ohne den Regen gemacht. In Christgarten erwischt mich ein ziemlich starker Guss, der nie nie nie zu enden scheint. Obendrein im massiven Funkloch. Hier könnte ich liegen bleiben und verrotten und keiner würds merken. Volle Regenmontur. Kleine Straße aufwärts. Kolonne Luxuskarossen kommt mir entgegen, wovon einer den Motor aufjaulen lässt, als er an mir vorbei fährt und ich die ganze Gruppe verdamme, sie kilometerweit über einen Kamm schere, sie als Luxuskarossendeppen betituliere, bis mir im Rund mantrischen Kurbelns klar wird, wie schnell man ein Vorurteil züchtet. Mann, das war nur ein Idiot in einer homogenen, gleichwirkenden Masse und jetzt züchtest Du hier ein Bild, das, wenn Du es so publizierst, ruck-zuck ein gigantisches Vorurteil freisetzt, das unsichtbar wie schleichendes Gift in die Köpfe derjenigen sickert, die leichten Gemütes genug sind, dies zu glauben. Und selbst an den Widerstandsfähigsten mit den vernünftigsten Köpfen wird es nicht vorbei gehen.
So kurbele ich, ein allgemeines menschliches Prinzip erforschend, dem des über einen Kamm scherens, bergauf Richtung Bayerische Grenze. In Aufhausen, mutmaße ich selbstscherzend, gibt es bestimmt einen Dorfladen, der AUF ist. Oder kommt der Name Aufhausen eher daher, dass es auf dem Berg liegt? Flockig weiche Gedanken nach all dem politisch-gesellschaftlichen Verzweifelnszeug. Nichts ist auf in Aufhausen. Obwohl: das Herz der Frau mit Hund ist auf, als sie mich fragt, ob sie helfen könne. Laden sag ich. Da lang, Radweg links, zehn Minuten Amerdingen, sagt sie, Blick auf die Uhr, was für ein Tag heute? Freitag. Freitag ist gut hat auf von 16 bis 18 Uhr.
Derart gerettet schwelge ich durch die Regale des winzigen Dorfladens in Amerdingen, ein kleiner Umweg von der geplanten Route und schaffe mich über einen Feldweg durch dichten Wald wieder zurück Richtung Katzenstein.
Bombastische Burg. Sehr sehenswert. Aber ich habe Bayern verlassen, erfahre ich später, als ich mich in Dischingen im Goldenen Rössle einmiete. Nur 25 Euro kostet die Übernachtung mit Frühstück. Das Hotel ist aber auch recht spartanisch eingerichtet. Einbaudusche auf dem Zimmer, WC auf dem Flur. Aber so herzlich. Abendessen gibts auch. Und ich lulle ein mit der Melodie Hey hey hey, hier kommt das Goldene Rössle, frei nach, schießmichtot, wie hieß er noch gleich, dem, der später das Album Bayreuth gemacht hat.
Auch Tristessen können hübsch beschrieben werden.
Besonders angetan haben es mir die flockig weichen Gedanken nach dem Verzweifelnszeug!
Gruß
Sonja
Dankesehr liebe Sonja.
irgendlink:
„wie hieß er noch gleich, dem, der später das Album Bayreuth gemacht hat?“
Der Nachname reimt sich auf „Tritt“ und fängt mit dem gleichen Buchstaben an, wie eines der wichtigsten Kultur- und Konsumgüter, das die, die den Limes gebaut haben, den Barbaren gebracht haben….;-)
Juhuuu, Du radelst wieder – da hab ich wieder abwechslungsreiche Blog-Lektüre und Augenschmaus!
Um Berlin wäre es trockener gewesen für radelnde Blogkünstler, aber bis hierher sind die Limes-Erbauer nicht gekommen und das, was damals „zivilisiert“ war, war weit weit entfernt. Ob das noch nachwirkt? Und wie barbarisch ist das, was damals „zivilisiert“ war, mit heutigen Maßstäben gemessen? Ja ,was wohl Lind Kernig mal dazu sagen wird…
Gutes Weiterradeln Dir und liebe Grüße an Dich und die Homebase :)
Dankesehr liebe Hauptstadtethnologin. Der Name wurde mir von Frau SoSo verpetzt. Aber er wäre mir auch noch eingefallen.
Was die Zivilisation betrifft, glaube ich nicht, dass wir große Fortschritte gemacht haben. Hie und da eine technische Errungenschaft. Aber wie wir miteinander und mit ‚Feinden‘ und der Natur umgehen, blieb gleich.
Und wie ist jetzt der Name des Dichters?
Joachim Witt. Einst Neue Deutsche Welle (Der Goldene Reiter), später hymnisch mystische Pop-Gothic-Musik. Mag ihn sehr.