Von der Weser zur Elbe – Tag elf

Ein Sonntag. Ich hatte umsichtiger Weise eingekauft, vorgesorgt für den geplanten Abreisetag auf dem Woldhof. Der Pausentag hat gut getan, war jedoch, das weiß ich nun, da ich dies schreibe, nicht genug. Die Erkältung und das Dauerradfahren, täglich im Schnitt 100 Kilometer haben mich massiv erschöpft. Merkwürdiger Weise merke ich das nicht, wenn ich im Sattel sitze und kurbele. Dann könnte ich immer so weiter machen. Es ist faszinierend. Ich spüre auch nicht, dass ich erkältet bin. Mein Steißbein tut nicht weh. Vor ein paar Tagen noch dachte ich, es sei endlich ausgeheilt, der Druckschmerz, den ich seit bald zwei Jahren habe beim Sitzen, war weg. Bzw. ich sitze ja nicht wie sonst auf Sofas oder Stühlen. Also war nicht der Schmerz weg, sondern die Position, in der man ihn spürt. Da mal drüber nachdenken. Okkulte Irgendwas-Vorgänge im eigenen Körper.

Etwa acht Kilometer bis Oldenburg. Ich versuche Freund Schlager anzurufen, der mal hier gewohnt hatte und den wir, Kollege T. und ich mit dem LKW abholten, ihn und seine Habseligkeiten zurückzogen ins Saarland. Ich glaube, ich bin durch seine Straße geradelt oder eine Parallelstraße. Genau weiß ich es nicht mehr. Vor den Häusern standen überall kleine Gratis zum Mitnehmen- Kisten. Bücher, Tassen, Krempel. In einer unglaublichen Menge. Ein Phänomen, das ich sonst nur aus der Schweiz kenne, aber nicht in dieser Dichte. Beim Woldhof hatte ich B. eine schwarze Tasse dagelassen, die ich auf einem Regal bei einem Reiterhof, Bossel oder so ähnlich, dort wo ich das Gewitter ausgesessen hatte, südlich von Bremen, ja, genau dort, die ich also dort gefunden hatte zusammen mit einer weiteren Tasse und einem Hasenfigürchen mit Krokodilklemme daran. Weiß auch nicht, was mich geritten hat. Nicht nur, dass ich viel zu viel Zeug mitschleppe, ich lade mir unterwegs auch noch Dinge obendrauf. Wenn ich wieder daheim bin, werde ich mal eine ultimative Minimalpackliste machen für eine ultimativ minimal gepackte Tour.

Die Hängematte könnte ich auch daheim lassen. Obschon ich sie schon benutzt habe und nuja, da stellt sich die Frage, was ist wichtig. Was braucht man wirklich und worüber freut sich das Gemüt. Die Kaffeemaschine, die mir die Liebste schenkte etwa. Ich nutze sie täglich mehrfach, aber es ginge auch ohne. Auch nur einzelne Teile des Maschinchens, die nicht unbedingt nötig sind, um Kaffee zu kochen, könnte ich tatsächlich weglassen.

Aber man möchte ja auch ein bisschen Komfort. Die Kladde habe ich nicht benutzt. Dafür diese Tastatur, auf der ich dies tippe. Ein einziges Handy wäre auch okay, wenn alles darauf laufen würde (die Tastatur lässt sich nicht mit dem Shift koppeln).

In Oldeburg versucht, einen Bummel durch die Stadt zu machen, aber weil eine Veranstaltung war, überall Leute und Polizei, bin ich umgedreht und dem Hunte-Radweg gefolgt. Und wie üblich, ihn verloren, umher geirrt, das Navi wieder eingeschaltet. ich weiß nicht, was nicht stimmt mit der Gegend. Nein, mit dem Radwegekonzept. Das ist es. Die Gegend kann nichts dafür. Mehr oder weniger rankend rund um den Hunteradweg komme ich zur Weserfähre. Fahre an den Autos vorbei bis vorne. Es gibt keine festen Abfahrtszeiten. Motorradfahrer kommen auch nach vorne. Einer sagt, dass anderthalb Stunden Wartezeit sei für die Schlange und, gell, als Motorrad darf man doch vor, fragt er andere. Sag das den Autoleuten, die hinten zwei Fähren abwarten müssen, denke ich. Wir Radler? Nuja, im Grunde ist mein vollgepacktes Radel ähnlich voluminös wie ein Motorrad. Die Fähre kommt, nimmt fast alle mit. Ich bin übrigens wieder im Bundesland Bremen. Vielleicht habe ich deswegen wieder das Stadtgefühl? Gefällt mir nicht, navigiere mich nordostwärts und erst nach zehn Kilometern wird die Gegend schön und zwar so richtig schön. Wälder, uralte Bäume, seltsame Wurzeln und Verwucherungen. Felder, Hügel. Das Navi schickt mich auch auf Wald- und Kieswege und obschon das sicher nicht die schnellste Methode ist, voranzukommen, bin ich zufrieden. Freund Fliegerhorst ruft irgendwann an. In dem Dorf, in dem ich mit ihm telefoniere, steht ein Bücherschrank in einer Telefonzelle, also gehe ich in die ehemalige Telefonzelle zum Telefonieren. Wann ich komme und dass alles vorbereitet ist will er wissen. Ich nehme aus der Bibliothek noch drei Taschenbücher mit. Alexander Puschkin der Postmeister, einen Krimi und ein Buch, das eine Neonlichszene einer Tankstelle in den USA als Titelbild hat. Als Geschenk für Fliegerhorst.

Unterwegs immer wieder Wasser erfragen von Leuten am Straßenrand: Haben sie einen Wasserhahn in der Nähe und ja, natürlich. Eine Frau füllt mir sogar Eiswürfel in die Flasche. Herrlich. Spät abends noch bei einem Friedhof gefüllt und schließlich hinter einem Wald namens Falle auf einer Wiese gezeltet. Nicht ganz sicher, ob es ein Naturschutzgebiet ist. Vom Gefühl her und nach dem wilden Aussehen könnte die ganze Gegend ein Naturschutzgebiet sein.

Nun Tag zwölf schon. Das Zelt stand so am Waldrand, dass die aufgehende Sonne nicht gleich drauf knallte. Ich bin hin und hergerissen, ob das gut war. Einerseits kam ich dadurch erst spät los, andererseits taten die zwei Stunden Schlaf bis fast acht Uhr auch ganz gut. Neun Uhr im Sattel. Den Schlenker über Cuxhaven lasse ich aus. ich komme dann zwar immer noch nicht ans Meer, aber zu Fliegerhorst wären es über Cuxhaven bald 150 Kilometer. Auf dem direkten Weg sind es nur etwa 90 und man weiß ja, zu welch Irrwegen das Navi und die beschissene Radwegelage hier in der Gegend in der Lage sind. Je nach Verirrungslage kann ich womöglich etliche Kilometer mehr radeln müssen. Der Morgen fängt schon mit dem ersten Verirrungs-Problem an: Das Navi leitet auf einen Sandweg. Da kann ich nicht fahren. Da kann niemand fahren und schieben ist auch nicht, also muss ich ummodeln. Auf einer Brücke eines Kanals treffe ich zwei Radlerinnen. Aus Rheinland-Pfalz vom Nürburgring. Sie seien gestern der Hitze entflohen, erzählen von ihren frühen Touren von Insbruck nach Venedig etwa und an der Müritz, und noch einigen Schmankerln und wir sind uns einig, dass Radeln ein Heilsbringer ist. So gehts in den Tag. Irgendwann große Freude, dass ein Schild den Ort Hemmoor, der auf meiner Route liegt, weit ausschildert. 30 Kilometer. Navi aus. Schildern folgen. Für sieben Kilometer gehts gut. Dann ist Hemmoor von den Hinweisschildern verschwunden und ich müsste mich wieder von Dorf zu Dorf hangeln. Tue ich auch in Kombination mit Navi. Ein kurzes Stück auch entlang der Bundesstraße. Bis Wischhafen an der Elbe sinds nur 30 km über die Bundesstraße. Ich könnte ja … aber Lärm und Gestank. Brauche Pause. Tausche Leergut in einem Edeka in Lamstedt, kaufe einen Trinkkefir. Zahle an der Selbstzahlerkasse, weil an der richtigen Kasse zu viel los ist. Bloß: Die Selbstzahlkasse erfordert Kassenpersonal, wenn man einen Leergutbon scannt. Also doch warten auf Kassenpersonal. Zu guterletzt verschussele ich den Bon, den ich scannen mus, um durch die Schleuse ausgelassen zu werden und muss dann doch durch die andere Kasse. Ey. Mistdinger. Ich kenne die Selbstzahlerdinger ja schon, aber sie sind nie einheitlich und mal so, mal so, Alterskontrolle hier, Leergut da und finaler Zahlungsbelegbon vor Schranke dort.

Missmutig raus. Musik im Kopfhörer entlang der B und nun bei einem schönen Bänkchen schon seit über einer Stunde. Geschlafen. Hühner gackern wo. Wind nur leicht, kühlt. Solarzelle lädt das Shiftphone. Hab das Puschkin-Buch drauf gelegt, dass die Sonne es nicht verbrutzelt.

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