Der Hauptstadtflughafen der feinen Künste

Wie in jedem bevorstehenden Winter konzentriere ich mich auf das Winterfestmachen der Künstlerbude. Inklusive Dachreparaturen und Ausbauarbeiten. Es gibt einige unverputzte Wände im Badezimmer und die Ritzen im Gästezimmer, das ich Kammer des Schreckens getauft habe, müssen mit Montageschaum gefüllt werden. Und mit Acryl. Die Künstlerbude ist eine holzbeheizte, zugige alte Scheune, die fast ausschließlich aus Baustoffresten besteht, die mir von meinen Bauherren und -damenfreunden überlassen wurden. Das Glas der Atelierfront ist aus den Fenstern der hiesigen Fachhochschule, die vor fünfzehn Jahren renoviert wurde. Die Klos sind vom Sperrmüll. Die Pflastersteine im Atelier waren einmal der Carport eines befreundeten Heizungsbauers. Dachlatten und Balken landen immer mal wieder auf dem einsamen Gehöft nach dem Motto, man könnte sie ja nochmal gebrauchen. Außerdem kostet die Entsorgung von Bauabfällen richtig viel Geld, habe ich mir sagen lassen. Win-Win-Situationen am prekären Rand der Gesellschaft.

Seit fast fünfzehn Jahren baue ich nun schon an der Bude und dem angeschlossenen Atelier auf meine minimalistisch improvisierende Art. Freunde, die mich besuchen, sagen, es sei recht wohnlich, es passe zu mir. Ich sei die Schnecke im Haus der feinen Künste … Aber diese Freunde kennen nur den Sommer, sie faseln von Paradies. Wie schnell das Paradies in Hölle umschlagen kann, zeigt dir der Winter.

Trotz besten Wetters habe ich den gestrigen Samstag in der Kammer des Schreckens verbracht, um sie in einen wohnlicheren Raum zu verwandeln. Ganz besonders freue ich mich auf zwei neue schneeweiße Wände, an denen ich bald ein paar frisch getauschte und erworbene Kunstwerke aufhängen kann … das erinnert mich an meinen Freund und Künstlerkollegen Schalenberg, der – zwar ausgestattet mit einem besseren finanziellen Backend, aber doch auch mit hoher Eigenleistung – an seinem privaten Museum in Merxheim schuftet, und dem ich manchmal beim Bauen helfe. Immer, wenn eine neue Wand in dem uralten Bauernhaus schneeweiß das Licht der Welt erblickt, hängt er ein Bild auf, stellt, egal, wie die anderen Wände in dem Raum aussehen, einen Stuhl auf, setzt sich, stützt das Kinn in die Hand und betrachtet das Kunstwerk.

Ich frage mich, wieviele Künstlerinnen und Künstler wohl auch so wie wir, jahre-, ja, jahrzehntelang in ihren Hauptstadtflughäfen der feinen Künste hocken, in ewigen Baustellen, den großen Plan im Kopf, das Wissen, wie es einmal aussehen wird, wenn … und manchmal denke ich, was wäre, wenn wir mal ordentlich Geld in die Hand nehmen könnten, wie würden sich unsere Kunstbaustellen entwickeln? Nur ein Bruchteil der im brandenburgischen Sand versickerten Millionen, könnte großartiges bewirken.

13 Antworten auf „Der Hauptstadtflughafen der feinen Künste“

  1. Ein typisches Siedlerleben im Wilden Kunsten! (Ich bin dafür, daß neben Norden, Osten, Süden und Westen auch die Hinnelsrichtung Kunsten eingeführt wird.) Bei vielen Pionieren sah und sieht es bestimmt ähnlich aus.

    BER, S21, Elbphilharmonie, 5 ehemalige Bundespräsidenten, die zu marodisierende Truppe unter Zensursulas Knute … Verschwendung hie, Verzockung da, Überversorgung dort … Kunst hat kaum Lobby, leider.

      1. Es waren meine im Bett liegend noch nicht ganz offenen Augen in heimtückischer Zusammenarbeit mit den von der Nacht noch leicht gichtsteifen Fingern.

        Und irgendwie war modernisieren nach dem Traum noch das Verfallen, marodisieren dagegen Veredeln …

  2. Wir! Antwort auf deine Frage am Ende des Beitrags.
    Wir tun’s auch, all das Baumaterialsammeln, Acrylisieren, Sperrmüllsammeln, Winterfestmachen, Musenstudio bauen … Monate schon. Kleinlanddörflich nun. Inzwischen leicht winterpanisch, aber nur leicht.
    Und ehrlich: Es bringt Frische ins Leben, inspiriert …
    Lieber Gruß nach langem mal wieder
    Ele

    Alter Ego der Kindermärchentante, du erinnerst dich?
    Grüß mir lieb auch die Sofasophistin ;)

    1. Hui. Das ist ja mal ein spannender Kommentar aus dem Äon der Bloggosphäre. Ich bin froh, nicht so alleine zu sein mit diesen Bauseltsamkeiten. Gutes Winterfestmachen wünsche ich. Ist vielleicht wie sich auf See auf einen Sturm vorbereiten? Liebgrüß

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