Gedankenfetzen und Fundzettel

Gedankenfetzen, gerettet ins mobile, elektronische Notizbuch auf dem Telefon.

  • In einer liegenden Zeitung kann eigentlich nichts stehen (Bauesoterik)
  • Zwergmalschändung vs. Denkmalschändung
  • Generation Mud – Ausdruck des Lebensgefühls einer ganzen Generation (feat. Heiko Moorlander, dessen Biografie Life is Roaaaaar hoffentlich bald geschrieben wird)
  • Wir sind ein gutes Team (QQlka und ich). Wozu der eine zu faul ist, treibt ihn der andere an.

Von der Bibliotheque im eigenen Hirn in die Asphaltbibliotheque

Buchcover Brandstifter Asphaltbibliotheque 2013
Brandstifter Asphaltbibliotheque 2013 (Ventil Verlag)

Das Kunstzwergfestival geht in den dritten Tag. Sehr familiär mit guten KünstlerInnengesprächen – eigentlich ist es ein Netzwerkfestival. Eine Kontaktbörse für KünstlerInnen, Künste, Kunstinteressierte. Da liegt, neben selten Gehörtem und kaum gesehenem wohl das große Potential. Jedes Jahr zum Kunstzwergfestival drücke ich Kollege Brandstifter einen Stapel Fundzettel in die Hand für seine Asphaltbibliotheque, die er seit Mitte der 1990er Jahre betreibt. Eine akribische Sammlung skurriler Fundzettel weltweit. Neben der eigentlichen – tatsächlich wissenschaftlich – bibliothekarischen Arbeit, in der das wohl wertvollste Nonsense- Archiv der Erde entsteht, nutzt Brandstifter die Zettelbotschaften, um etwa Lieder daraus zu machen (siehe zwei Beiträge zuvor), Poster und natürlich Bücher.

Mit den diesjährigen Zetteln zog er sich an eine der Bierbänke im Garten zurück und fing an, mit Kleber herumzuhantieren. Nach kurzer Zeit hatte er ein kleines Büchlein zusammengeklebt, das kopiert wird und geheftet, gefaltet auf Format A5 et voila, fertig ist die Kunst. Rasant. Ich mag solche Vollstreckermentalität. Von der Idee zum fertigen Kunstprodukt sollte nicht allzuviel Zeit verstreichen, sonst werden die Rohstoffe sauer.

Wie es heißen soll, das Büchlein, fragte er.

Was meint die werte Webgemeinde, wie soll ein Produkt heißen, das aus Fundzetteln besteht, die in Deutschland, Frankreich, der Schweiz über ein Jahr lang gesammelt wurden und auf einem einsamen Gehöft vorarchiviert wurden?

 

Fan der Band, die nicht auftritt

Seit Donnerstag im Ausnahmezustand. Die kataraktisch labyrinthische Künstlerbude ist voller Gäste. Das Sofa belegt, irgendwo auf einem Futon lebt nun Freund QQlka und heute Abend noch zwei weitere Gäste, die untergebracht werden wollen. Habe SoSo und mich daher ausquartiert im Zelt weitab des Ateliers am Südrand des einsamen Gehöfts. Auf einem unheimlichen, erdigen aber flachen Platz unter einem Nussbaum, auf dem kein Kräutchen wächst. Ob es am Nussbaum liegt und am Dauerschatten, dass da nichts wächst, oder ob es sich, wie ich scherzhaft plapperte, dabei um einen keltischen Richtplatz handelt? Stille. Ab und zu kracht ein Schuss. Jäger sind in den umliegenden Maisfeldern auf Wildschweinejagd. Morgendämmerung. Nuss fällt aufs Zeltdach und ein Tier reißt eine ganze Serie von Äpfeln von einem der Bäume, was ein eigenartiges Geräusch ist. Nie gehört. Das Geräusch eines einzelnen fallenden Apfels mal zehn. Pferdeäpfel klingen so ähnlich.

Heute ist der Hauptabend des Kunstzwergfestivals. Irgendwie lief es mit der Presse mächtig schief: Aufmacher des halbseitigen Vorberichts ist eine relativ bekannte Zweibrücker Band, die aber gar nicht auftritt. Riesenbild der Band als Titel. Ich glaube, es gab Riesengezeter. Die Kulturredakteuerin hatte mir eigens aus Kanada eine Dringlichkeitsmail geschickt, ich solle das in Ordnung bringen. Das seltsame an der Situation ist, dass es eine Situation ohne Schuldigen ist. Journalist F., der den Artikel schon vor Wochen verfasst und in die Redaktion gesendet hatte, schöpfte sein Wissen aus der Kunstzwergseite, auf der wiederum, weil man sich mit der Band nicht einigen konnte, das Programm kurzfristig abgeändert wurde. Leider erst nachdem Journalist F. sein Wissen geschöpft hatte. Wer hätte geahnt, dass dieser Zeitungsartikel eine tickende Zeitbombe ist. Frühmorgens überlege ich, ob die Welt mit ihren schlimmen Konflikten, Krieg, Leid und Elend dieser Tage auch nur in eine verquere Situation ohne Schuldigen geraten ist. Ob es eine ganz natürliche Sache ist. Dass Missstimmungen wie aus dem Nichts entstehen. Eine Checksumme von verketteten Umständen, deren Zusammenhänge nicht in menschlichen Geschicken liegen. Gegen Elf erwacht. Hinterm Zelt stehen quadratmeterweit Pilze. Die waren doch gestern noch nicht da? Egal. Es wird ein schöner Tag, hoffe ich und die Fans der Band, die nicht auftritt, haben hoffentlich den Dementibericht in der Zeitung noch gelesen.

Von Kunde zu Kunde und von Künstler zu Künstler

Die ersten Gäste bzw.  der „Staff“ zum Kunstzwergfestival sind eingetrudelt. Gestern nachmittags tuckere ich mit Trecker und Anhänger zum nahegelegenen Getränkehändler, 25 Kilometer pro Stunde schnell, eine ewige Autoschlange hinter mir herziehend. Ab und zu kann überholt werden. Kurz vor der Müllkippe, die sich mit Asbestbeseitigung ein paar Euro dazu verdient, stehen zwei Laster am Straßenrand, die mich zuvor überholt hatten. Die Fahrer zurren die eigentlich luftdichte Abdeckung fest, damit sie bei der Annahme der zwanzig Tonnenlast nicht abgewiesen werden. Muss ja alles seine Ordnung … abends kommt das Organisationsteam mit einem Auto voller Technik, Lautsprecher, Computer usw. Freund QQlka ist auch mit dabei, was mich jubeln macht. Und Ober-Kunstzwerg-Vampir Brandstifter spielt auf dem PC sein neuestes Stück „Von Kunde zu Kunde“, das er gemeinsam mit Edita Karkoschka vertont hat. Den ganzen Abend dudelt das Lied und wir versuchen, die Hintergründe herauszufinden, was den junggebliebenen „Er“, Jahrgang 51 wohl veranlasst haben mag, in einem Edekamarkt in Chemnitz eine Kontaktanzeige aufzuhängen am Schwarzen Brett. Von Kunde zu Kunde. Dass er sich damit in der Asphaltbibliotheque verewigt, hätte er wohl nicht gedacht.

Hier ein Link zu einer Podcastseite, auf der man das Stück hören kann – leider wird zuvor Werbung eingeblendet.

http://www.podcast.de/episode/245331912/Begehungen+2014+-+Von+Kunde+zu+Kunde/

Übervollmonat

Manchmal kommt es mir so vor, als wäre die Kunst nur die Fortsetzung der Landwirtschaft mit anderen Mitteln. September ist ein Fluch. Erntemonat. Eine Ausstellung hetzt die andere. Seit halb sechs wach. Kaffee. Kälte kriecht ins Kreuz. Ich bin zu faul, den Ofen in der Künstlerbude anzuschüren. Sonne komm‘ endlich!

Ein Kunstereignis jagt das nächste und über allem gaukelt das Offene Atelier in zwei Wochen. Muss noch Bilder bestellen, Tinte, Papier und obendrein habe ich mir noch das Mittelrhein-Projekt zur Chefsache erklärt, sprich, ich blogge mir innerlich die Finger wund :-). Die Freunde vom Mainzer Kunstverein Walpodenstraße trudeln heute Nachmittag ein und dann wird es für drei Tage ziemlich stressig hier auf dem einsamen Gehöft. Das Atelier ist Austragungsort der elften Kunstzwergfestivals. So spaßig die Sache wird, so schwierig ist es auch für mich. Das Organisationsteam beansprucht die Künstlerbude. Ich habe dann keine Privatsphäre mehr, weil ja die Künstlerbude ein katarktisch fraktales Konstrukt ist, das man am ehesten als Einraumstudio bezeichnen könnte. Sessions bis drei Uhr nachts. Die Suffnasen werden nonstop am Tresen lungern und labern labern labern. Nicht dass ich nicht auch Freude daran hätte, ab und zu, aber doch nicht drei Tage am Stück! Gestern diagnostiziere ich eine Art Autismus, der sich darin äußert, dass ich ruckzuck das Interesse verliere an Gesprächen. Sei es noch so interessant. Irgendwann erreichen Situationen einen Wendepunkt, ab dem es weh tut, zu kommunizieren, bzw. das Gegenüber kommunizieren zu lassen. Unermüdliche Wordbucket-Challenge. Ich selbst verfalle in eine schweigende Starre, die das Gegenüber nur noch mehr zum Reden, reden, reden anstachelt. Meine Schwester besucht uns nachmittags und berichtet über eine Bande von Taubstummneppern auf einem Supermarktparkplatz, die nur so taten, als könnten sie nicht reden und sammelten Unterschriften, baten um Spenden. Wenn es die Situation erlaubt, durchwühlen sie die Taschen ihrer Opfer nach Geld. Die Schwester redet und redet und wiederholt sich. Wendekreis des Schmerzes: ich lasse sie zusammen mit meiner Mutter stehen und als ich ein paar Minuten später zurückkehre ins Haupthaus, redet sie immer noch.

Die Schwester trifft keine Schuld, klar. Ich vermute, das Problem liegt darin, dass wir im weltweiten aufblähungs- und immer-mehr-Wahn verlernen, was Stille ist, was Stillstand und Rückschritte sind. Hand in Hand geht der große Bruder Wachstum mit seinen Geschwistern aus allen Bereichen des Lebens. Die Menschen verlernen, Leerräume zu lassen. Und je mehr man selbst Leerräume lässt, zum Beispiel im Zwiegepräch, desto mehr werden sie von anderen vereinnahmt.

Halb neun jetzt. Keine Sonne. Klamm sind die Finger. Ich überlege, ob ich diesen Artikel ebenso wie den vorigen in die Privatschleife des Blogs schicken soll … ach, seis drum, es muss auch mal wieder Alltagstexte geben, gewürzt mit der Bitternis eines guten Schusses Larmoyanz, sonst verliert man ja jegliche Leutseligkeit … schaut mal vorbei beim Kunstzwerg.

Und jetzt raus, schuften.

Protokolle am Fluss – Next Exit Mittelrhein

“Ich möchte ein Buch über den Rhein schreiben. Protokolle am Fluss soll es heißen. Ich will über Schiffe berichten, Fahrradfahrer und Menschen, die mit ihren Hunden gassie gehen. Ich will den Fluss von der Quelle bis zur Mündung bereisen und ihm in jeder Minute so nah sein wie nur möglich, damit ich nichts verpasse”

In einem Artikel aus dem Jahr 2009.

Langsam ist die Irgendlink’sche Roadmap länger, als das zu erwartende Restleben. Mit voller Wucht rüttelt mich die Mittelrhein-Idee und weckt ein uraltes Projekt, das seit – ich musste nachdenken – 1996 in meinem Hirn gaukelt: Die Protokolle am Fluss. Ein Buch über den Rhein. Ha! Als ob es nicht schon genug davon gäbe. Die alten Romantiker haben die Wiese doch längst abgefressen. Schon vor zweihundert Jahren! Aber Gras wächst bekanntlich nach.

Burgenblogger am Mittelrhein werden – Fluch oder Segen?

Irgendwie meine ich Harmonien zu erkennen zu der Ausschreibung des Jobs als Burgenblogger auf Burg Sooneck im Mittelrheintal. Kongruenzen, teilweise Deckungsgleichheiten. Das Hirn mag die Sinne trüben und Geld oder die Aussicht darauf tut sein übriges. Und so schustert man sich seine Welt zurecht, ist es nicht so: Junger Mann zum Mitreisen gesucht! Versprochen wird die here, freie Welt der Gaukler, generös flitzt du in deinem Boxauto der Illusion durch streng abgestecktes Terrain. Der Mittelrhein ist nicht der Rhein, sondern nur ein Teil davon. Ein sechzig siebzig Kilometer langer, unwegsamer Abschnitt voller Gefahren. Das womöglich länglichste UNESCO Welterbe der Welt. Einst eine der bizarrsten und urwüchsigsten Landschaften Deutschlands, nun zu einem hochentwickelten Trampelpfad geworden, durch den die Leute zwar auf Teufel komm raus durchwollen, aber nicht verweilen. Es muss laut sein dort. Die Züge brettern im Minutentakt – Tag und Nacht – habe ich in einem Fernsehbericht vor einigen Jahren gesehen. So dass man noch  nichtmal einfach auf der Straße stehend ein Schwätzchen halten kann, ohne zig Sekunden lang abzuwarten, bis man dem Gegenüber den nächsten Satz erwidert. Schienen sind unbarmherzig und das Geräusch schleifenden Metalls auf asbestversetzten Bremsklötzen ist erbarmungslos. Kürzlich gab es eine Kostprobe, wie sich das in „echt“ anfühlen mag. Bei unserer Wanderung hinauf zum Gotthard folgten wir ab dem Vierwaldstättersee einer immer wilder werdenden Reuss in ein immer enger werdendes Tal, das sich gen Göschenen so sehr verengt, dass der Wanderweg durch das Idyll mittels komplizierter Brücken, Tunnels, Stege und Treppen zwischen Autobahn, Schiene und Landstraße jongliert. Der Lärm ist allgegenwärtig und wird nur dadurch gemildert, dass der Fluss von Natur aus das meiste übertönt. Der Mittelrhein ist im Vergleich dazu lammfromm. Er übertönt nichts. Und er wartet mit zwei Bahnlinien auf und mit zwei Bundesstraßen und es tuckert dort Europas Schwerlast auf riesigen Schiffen.

Beim Flugplatz Oppenheim saß ich oft am Rheinufer, lehnend an einer Pappel oder Weide – weiß nicht mehr, welche Art Baum das war – und starrte hinüber ins hessische Ried und beobachtete die Schiffe. Fast zwanzig Jahre her. Die Kunststraße zum Nordkap war gerade fertig geworden und meine allererste Ausstellung debütierte in der Mainzer Galerie Walpodenstraße. Ich hatte keinen Computer. Das Internet hatte eben erst sprechen gelernt. Handys waren schwere Knochen mit vielen Knöpfen. Von einem flächendeckenden Mobilfunknetz keine Spur. Fotoapparate enthielten Kleinbildfilme. Wenn man in die Fremde wollte, nutzte man Karten zur Orientierung. Ein Gerät fast ohne Knopf, auf dessen Minimonitor man Texte tippen, mit dem man telefonieren, sich orientieren und fotografieren kann, war Science Fiction. In A5-großen Kladden notierte ich die Bildstandorte meiner Kunststraßen: „Hundert Meter hinterm Ortsschild, Feldweg rechts“ oder „Ortsanfang Dorf soundso“. Die ersten Kunstreisen, die durch Fotos in zehn-Kilometer Abständen dokumentiert wurden, waren nicht viel mehr, als Planwagenpioniertaten der feinen Künste. Ich glaube, das Leben war ruhiger damals. Sicher bin ich mir nicht. Als Mensch ist man im Strudel der Zeit ähnlichen Problemen unterworfen, wie der legendäre Frosch, der in einem langsam erhitzten Glas Wasser zu Tode kocht, ohne es zu bemerken.

Mit dem Rücken an einem Baum Schiffe beobachten und der Welt beim Nichts-passieren zuzuschauen, hatte einen gewissen Reiz.

Rheinschiff Witha 1996 - DIA Sandwichtechnik
Rheinschiff Witha 1996 – DIA Sandwichtechnik – ob sie auch heute noch durchs Mittelrheintal tuckert?