Fünf neue Kunststraßencollagen

Heute Mittag hat Irgendlink in Mandal, vorm Gudersen Jazzkaffee, ein richtig schnelles Free Wifi gefunden und diese Gelegenheit zum Akkuladen und Bilderversenden benutzt.

Er hat inzwischen fünf weitere Kunststraßen-Collagen kreiert, die Tafeln 18 bis 22. Dazu hat er, wie gehabt, je sechzehn Kunststraßenbilder, wie er sie unterwegs immer im 10km-Takt fotografiert, zu einer Tafel montiert.

Km 2720 – Km 2870
Km 2880 – Km 3030
Km 3040 – Km 3190
Km 3200 – Km 3350
Km 3360 – Km 3510

Tag 64 – die Strecke

Unterwegs nach Kristiansand ist Irgendlink heute am Camping- und Feriendorf von Åros vorbei gefahren.
Wieso nicht hierbleiben?, fragte er sich und checkte kurz entschlossen ein.

Sein Zeltplatz in Åros Feriesenter

Duschen, Akkus laden … der von Einsamkeit und Stille verwöhnte Irgendlink argwöhnte, ob es womöglich laut, zu laut werden könnte. Noch sei er jedoch ganz allein auf dem Areal für Zelte – hoffend, dass das so bleibt. Hach, die Vor- und Nachteile der Zivilisation …

>>> zwischen Vigeland und Mandal – Åros Feriesenter: zum Kartenausschnitt der heutigen Etappe: bitte hier klicken!

Liveschreiben # 8 – der Sammelbeitrag am Beispiel Männlein

„Ereignisse wiederholen sich. Nie gleich und ewig ähnlich durchziehen Muster diese Welt. Sie zu erkennen, zu katalogisieren und sie in geballter Wucht darzustellen, ist eine große Disziplin.“

Lind Kernig, 30. Mai 2412.

Auf Norwegens Passstraßen finden sich oft seltsame schwarze Bremsspuren, wie ich sie auf einem Foto ein paar Einträge zuvor gezeigt habe. Spuren, die vermutlich von den blockierenden Reifen alter Landwirtschaftsanhänger stammen. Die Auflaufbremse blockiert bei Talfahrten ohne Last. Nur durch bizarre Zickzack-Fahrten und stetes zum Stillstand kommen und ruckartig wieder anfahren, lässt sie sich manchmal lösen. Andernorts findet man auf ebener Strecke die kreisrunden Reviermarkierungen des norwegischen Männleins. Über Männleins in der Schweiz hat SoSo in einem Beitrag vor ein paar Wochen gebloggt.

Die Technik des Sammelbeitrags in der Live-Blog-Literatur eignete sich bestens, um allgemeingültige Muster, die die Welt durchziehen wie Goldadern das Erz, literarisch darzustellen. Allzu oft wiederholen sich die Dinge, stellen sich Analogien heraus, das Liveschreiben ist ein einziges großes Verbinde-die-Punkte-Spiel. Kristallklar spiegelt sich das norwegische Männlein vor ein paar Tagen auf der Oberfläche eines eiskalten Sees. Ein freier Platz, hundert Meter lang, 60 Meter breit, ungeteert. Das Männlein verlässt die Landstraße, parkt vor der Sehenswürdigkeit Helleren, wo ich mein Zelt aufgeschlagen habe. Die Frau des Männleins steigt aus, schießt Fotos, steigt wieder ein. Mit durchdrehenden Reifen startet das Männlein gen Fjord, Fetzen fliegen. Staub und Hölle, Kehrtwende mit Handbremse, nicht stuntreif, aber spektakulär genug, um nach kurzem Stillstand erneut die Fetzen fliegen zu lassen.

Nach fünf Minuten tuckert das Männlein brav mit 70 über die schmale Fjordstraße davon. Später auf einer Passstraße. Von Weitem höre ich das Röhren. Die Auspuffe müssen Oberschenkeldick sein. Fünf Amischlitten in Kolonne donnern heran, besetzt mit einsamen, grauhaarigen Männlein, die nur zum Gruß an mir vorbei auskuppeln, Vollgas geben, wieder einkuppeln und weiter in den Tag brausen. Benzinstaub in der Luft. Vollgasgruß kostet jeden mindestens einen Liter.

Langsam erkenne ich ein Muster. Das Männleinmuster in dieser Welt. Psychologisch gesehen mag es sich um das große Aufmerksamkeitsdefizit handeln, das uns armen Kerlen das Leben so schwer macht, und weshalb wir, weltweit, mit Gesten darauf aufmerksam machen müssen, wer wir sind, wo der Hammer hängt, wie groß er ist, und bitteschön, starrt uns alle an. In Deutschland machen wir es mit lauter Musik und wenn wir ganz besonders aufmerksamkeitsbedürftig sind, zerdeppern wir Flaschen am Bahnhof oder wir röhren rotzend roh auf, dass es nur so klatscht, wenn unsere Speichelprobe auf der Gosse landet.

Erstaunt, dass das Muster Männlein so vielfältig ist, unterziehe ich das norwegische Männlein wegen seiner brutalen stoischen Eleganz einer genaueren Analyse. Ihm sei dieser Blogartikel gewidmet.

Pfingstsonntag, Flekkefjord. Bis 14 Uhr ist die Stadt ruhig. Ich sitze in einem Festpavillon, in dem Tische übereinander gestapelt stehen und lade an einem roten Kabel, das von der Decke hängt, mein iPhone. Nach zwei wird das verschlafene Nest, in dem nur die Tankstellen und eine Pizzeria geöffnet sind, von einem wahren Korso Männlein heimgesucht. In ihren Amischlitten schippern sie mit dreißig die einzige Straße rauf und runter, Scheiben runter gekurbelt, laute Wummermusik, röhrender, männleinpenisdicker Auspuff, aus dem Benzin tropft. Wer es sich leisten kann, hat sogar zwei. In tösender Konkurrenz stehen sie mit ihren motorradelnden Mitbalzern. Ich komme in den Genuss der Musik dieser Welt. Cool ist der – mit dem Was-auch-immer-Dodge oder so, auf dessen Motorhaube eine riesige Hutz, eine Öffnung für die Luftzufuhr, thront. Ich verliebe mich in einen Typen mit einem uralten Peugeot, der durchgerostet, laut krächzend verzweifelt versucht, mitzuhalten im Rudel. Mein Hang zu Omega-Tieren. Seufz.

Norwegen ist eine wahre Fundgrube für diese Erscheinung. Ich bin froh, dass ich erleben darf, wie ein kraushaariger Typ, irgendwo Kilometer entfernt, auf einem vierzig mal vierzig Meter großen, leeren Parkplatz seine Hinterreifen runter radiert, nacktoberkörprig, drei höchst beeindruckte Mädchen auf dem Rücksitz.

Meine Lieben. Der Sammelbeitrag in der Liveliteratur ist eine Methode, geballtes Erlebtes, das sich auf die Distanz von mehreren hundertKilometern einer Livereise verteilt, zusammen zu fassen und daraus, mehr recht als schlecht, einen Gesamtartikel zu basteln. Die Suche nach Mustern in dieser Welt ist wichtig. Sie gibt Halt. Sie gibt Struktur. Ich habe Angst vor einem Bericht über das deutsche Männlein, wie es mit seinem fünfzehnjährigen, versoffenen Gehirn in verpissten Bahnhofshaltestellen wertvolles Pfandglas zerdeppert. Aber da muss ich wohl durch. Demnächst.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia, die sich fragt, wohin wohl der Liveschreiben # 2-Beitrag versickert ist. Ob er noch auf Irgendlinks NotizApp schlummert?)

Liveschreiben # 7 – Baden im Fettnapf der Literatur

Ich hasste Deutschunterricht. Aufsätze und Diktate schreiben. Vorlesen. Lesen selbst im Stillen, in mich hinein, war okay. Diktate schreiben hatte einen sportlichen Reiz. Im Nachhinein betrachtet: ich hasste die Kommunikation. Die verbale Schnittstelle zwischen den Menschen. Ich erinnere mich, wie schwer es mir gefallen ist, Aufsätze zu schreiben. Eine geheime Hürde in mir verhinderte das Nach-außendringen freier Worte, weshalb ich mich stets auf Banales bezog. Wie vermutlich die meisten Kinder in meinem Alter. Dort wo unsere Hemmungen sind, sind oft die größten Stärken verborgen. Schlummernde Kräfte, die nicht entfesselt werden können, weil wir uns nicht trauen. Weil die anderen hinschauen. Weil die anderen etwas komisches denken oder gar sagen könnten über einen. Deshalb stoppen wir an diesen Grenzen, gehen nicht weiter. Angst!

Erst um 1990 schrieb ich erste Zeilen auf Papier. Getreu dem Motto: Alles ist erlaubt, korrespondierte ich mit meinem Freund Ernest P., der in Hongkong und Japan Abenteuer erlebte – wir schrieben gemeinsam unser erstes Buch mit dem Titel „Eine berühmte Korrespondenz, die niemals geführt wurde.“

Ab 2000 Onlineschreiben, paar Jahre später Bloggen. Liebling, so sieht meine „Karriere“ aus.

Von Anfang an war das Schreiben für mich ein Experiment. Ein stetiger Versuch, die Grenzen auszuweiten, Neues zu erforschen, mich selbst auszuprobieren. Besser werden kommt dabei praktisch von alleine. Ich glaube auch, dass mein Dogma: „Kümmere dich nicht um Literatur“ seit Anbeginn mitspielt. Kümmere dich nicht darum, was die anderen tun, eifere nicht denjenigen nach, die man zu Recht oder Unrecht für die Großen hält, kümmere dich nicht um Satzbau, Tippfehler, Zeichensetzung und den ganzen Rest, denn es hindert deine Gedanken nur am freien Fluss. Jeder Blick aufs Papier oder auf den Monitor, kostet dich einen wichtigen Gedanken, den du vielleicht gerade, mitten im Fluss deines Tippens oder Kritzelns zu Papier bringen möchtest. Das moderne Liveschreiben, so wie ich es praktiziere, und wofür ich eine zweiundzwanzigjährige Liveliteraturausbildung gemacht habe, Operation am offenen Herzen des Diktats, wäre nicht möglich, wenn ich gleichzeitig auch noch Recherchieren, Fipptehlerverbessern, ausarbeiten und feilen wollte. Die Worte müssen rutschen, fallen, liegen bleiben, Ortsangaben falsch geschrieben? Tse, Shit happens.

Ein Blick in die Karte, nachdem du fertig geschrieben hast, genügt, diese verflixte Soundso-Bru, die Sundsobrücke, die über einen winzigen Bach führt, wo sich der Soundsosee in einen Soundsoanderssee ergießt, herauszufinden. Du hast dein Zelt aufgeschlagen an dieser Brücke, Tag 64 der Reise, nicht wahr, frühmorgens, Vöglein zwitschern, kramst auf dem Diktiergerät deines iPhones die Notizen heraus, deine To-dos. Ein Beitrag listet sämtliche Liveschreib-Empfehlungen, die du noch schreiben wolltest. Bei Nummer 7, 8 und 9 bist du jetzt, allesamt winzige Fetzen von Ideen, die ausgearbeitet werden wollen. Von alleine tun sie das nicht. Du musst schreiben, um geschriebenes zu erhalten. Korrigieren, um korrigiertes zu erhalten, Richtig stellen, um richtig gestelltes zu erhalten, enttippfehlern, um entfippptehlertes zu erhalten und so weiter. Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Aber zunächst musst du skizzieren. Und dabei darfst du dich nicht auf das fein ausgearbeitete Bild konzentrieren. Lasse es ungebremst aus deinem Inneren heraus. Mache Fehler. Sei dir bewusst, dass etwas nicht stimmt. Gehe darüber hinweg. Lass es liegen. Wichtig ist die Macht, die du entfesselst, wenn du wie ein Gletscher ins Meer der Ereignisse rutschst.

Wenn ich mich von Anfang an in meiner Schreibe um die Feinheiten gekümmert hätte, und darum, wer wann was vor mir schon gemacht hat, Reviermarkierung und so weiter, dann wäre ich noch kein Wort weit gekommen.

Vielleicht der Mut, den eigenen Weg zu gehen, egal, ob andere ihn schon vorher gegangen sind? Es wird trotzdem immer ein individueller Weg sein. Wenn du nicht bereit bist, ein Bad im Fettnapf der Literatur zu nehmen, wirst du den Weg nicht gehen könne. So gibt dir die Blöße. Jetzt.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)