Klarheit

Unterwegs auf staubigen Waldwegen kann ich den blockierenden Ausstellungsaifsichtstermin und die komplizierte Schlüsselübergabe, die erst Morgen ist, klären. Geliebte SoSo übernimmt die Sache. Dankeee.
Früh um halb Neun begrüßt mich halb Schopp vor dem Lebensmittelladen. Da mein Vermieter zu faul war, wegen nur einem lausigen Gast Frühstück zu richten, sitze ich vor dem Laden wie ein Bettler und schlurfe Kaffee. Neben mir kriecht eine Schnecke an einem Verkehrsschild. So bin ich lahm. Mein Fuß tut weh. Gestern bin ich zu schnell gelaufen, nur um dann doch erst kurz nach 18 Uhr im Naturfreundehaus einzutreffen, nichts mehr zu essen zu kriegen und aich kein Bett. Eon Glücksfall, im Nachhinein gesehen. Das Krossis in Schopp hat eine hervorragende Küche.
Den lieben langen Weg nehme ich meine Umwelt sensibel auf. Es hat tstsächlich etwas von Schwitzen, von Haut oder Membran. Sei es nur, dass ich abgeschnitten vom Medienhauptstrom nur noch schlagzeilenhaft über das Weltgeschejen informiert bin. Kaputte AKWs und Libysche Ölkriege simd out. Dafür rocken Schmierinfektionen, tödlicher Durchfall und verseuchte Gurken.

Das RausAusLeon des kleinen Mannes

Tag 3 erst. Es kommt mir vor, als sei ich schon Wochen unterwegs. Von Elmstein folgt der Jakobsweg dem kleinen Bach, der eigentlich Speyerbach heißt, aber ich nenne ihn einfach nur die Elm. Seit Speyer folge ich dem Bach und seit Speyer laufe ich im Wald. Laaangweilig! Aber auch schön. Dennoch komme ich mir ein bisschen sinnlich unterfordert vor, genau wie im Winter in der vernebelten Meseta. Ob man stundenlang durch Wald läuft und kaum jemandem begegnet, oder durch vernebeltes Flachland, gibt sich nicht viel. Verzweifelt krallen sich die Augen an jeder Farbe fest, die anders ist, als grün oder braun. Ein Trupp orange gekleideter Straßenbauer unweit von Speyerbrunn versetzt mich in wahres Entzücken. Ich fotografiere alle bunten Wegmarkierungen, die man hier an die Bäume gepinselt hat. Langsam steige ich das T empor Richtung Johanniskreuz. Einer der höchsten Punkte meiner Wanderung. Immer wieder kommen blitzartige Erinnerungen an den Camino vor ein paar Monaten. So unterschiedlich meine jetzige Wanderung ist, so sehr gibt es auch Analogien oder Kongruenzen. Bass erstaunt bin ich, dass im Land der Hundenarretei es ähnlich gequälte Kreaturen gibt, wie die, von denen ich bei der Caminoreise berichtet habe. Etwa jener arme schwarzhaarige Zottelhund, der in einem Zwinger bei einem Waldhaus unweit des Naturfreundehauses Neustadt sein Kümmerdasein fristet. 3 m langer Stahlzwinger, genau lang genug, dass das Tier, wenn es Wanderer sieht, Anlauf nehmen kann, mit voller Kraft gegen das Gitter donnert, Zähne fletscht, heult, sich aufrappelt, erneut anläuft und Beganntschaft mit dem gegenüberliegenden Gitter macht. Aus purem Mitleid, nicht aus Angst oder Respekt, beeile ich mich, an der Kreatur vorbei zu kommen. Fast noch schlimmer hat es einen Terrier in Speyerbrunn getroffen, den sein Herrchen (sowas machen nur Männer) aus kleingeistigem Grundstücksprotektionismus auf dem Wanderweg, der direkt hinter seinem Haus vorbei führt, angepflockt hat. Von Weitem verbellt mich das Tier. Der Besitzer hat die Leine genau so lang gelassen, dass das Tier unter aller Kraftanstrengung bis zu einer 30 cm großen Lücke vor einer Hecke fletscht. Wanderer müssen sich dort durchschlängeln, um nicht gebissen zu werden. Und Hundchen würgt sich vollgepumpt mit Adrenalin und Hass bis zur Bewusstlosigkeit. Das Gewichse kleiner Männer mit noch kleinerem Geist lugt verstohlen hinter dem Vorhang eines kleinen, verteidigungsunwürdigen Häuschens.
Bis Johanniskreuz habe ich genug Zeit, über diesen Schlag Mensch nachzudenken, den Gartenzaunprotektionisten, den Erbsenzählerund ihren kleinen Bruder, den Nachbarschaftsstreit-vom-Zaun-Brecher.
Der ewige Wald fängt an, mir auf die Nerven zu gehen. Zur Erbauung installiere ich ein bisschen Raus-aus-Leon in meinem Kopf, Trash, zerfallende Häuser, Graffities, umgestürzte Mülltonnen, Jugendbanden, brennende Autos … Tatata, Herr Irgendlink, geht da wieder die Phantasie mit dir durch?
Im Haus der Nachhaltigkeit in Johanniskreuz halte ich mich eine Weile auf, schaue eine Ausstellung, trinke Kaffee, belausche den Förster am Empfangstresen, wie er am Telefo zwei Bücher bestellt. Mehr Intimitäten. Ich weiß seinen Namen, seine Adresse, E-Mail, Kontonummer und dass er das dritte Buch aus der Reihe schon hat.
Gegenüber im Gasthof auf der Terrasse schwätzt mich ein älterer Herr an, woher ich komme und wohin ich gehe und dass ich aber ziemlich lange gebraucht habe von Elmstein hier hoch. „Ich hatte noch zu tun“, sage ich lapidar und folge dem Wanderweg mit dem roten Kreuz, wie er mir empfiehlt. Später finde ich eine total demolierte Jakobsweg-Schautafel. Die Dinger sind aus Edelstahl, fest verschweißt und einbetoniert. Das Raus-aus-Leon des kleinen Mannes sozusagen. Ich verstehe nicht, wer so etwas tut. Wer in unseren Breiten Hinweisschilder zerstört ist so drauf, dass er einem australischen Aboriginee die Stimmbänder durchtrennen würde, damit dieser seinen Weg nicht mehr ersingen kann, kommt es mir in den Sinn. Ob der Vergleich so funktioniert? Es hat etwas selbstzerstörerisches. Einige hunder Meter lasse ich das Bild der völlig zertrümmerten Telefonzelle in Elmstein Revue passieren. Dan hab ich genug Morbidität getankt, um mich wieder dem friedlichen Grün des Waldes zu widmen. Braucht der Mensch solche Kontraste. Kann man an zu viel Schönheit und Idylle zu Grunde gehen? Ein räudiger Fuchs überquert den Forstweg.
Als ich endlich die Karlsschlucht erreiche, wird mir klar, dass Schön und Friedlich immer noch schöner und noch friedlicher werden lann und genauso kann Hässlich und Bedrohlich grundsätzlich noch hässlicher und bedrohlicher werden. In beiden Fällen hat der Mensch seine Finger im Spiel.
Im voll besetzten Naturfreundehaus Finstertal vermittelt mir der Hospitalero eine Pension im Dörfchen Schopp, was mir zusätzliche 4 km in die Beine bringt. Hier hat es wenigstens Netz. Nicht auszudenken, wenn ich jetzt im Finstertal ohne Internetverbindung säße :-)

Schopp

Von Elmstein nach Schopp. Das bisher interessanteste Wegstück ist die knapp 1 km lange Karlsschlucht in der Nähe von Tripstadt.

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Intimitäten zwischen Tür und Angel

Intimitäten im großen Frühstücksraum des Naturfreundeshauses: ein Mann, der geschnarcht hat in der Nacht, ein anderer, der zwei Mal „raus musste“, ein Gewerkschaftsfuntionär mit langem grauem Haar, der über den Friedhof Pere La Chaise erzählt, aber auch gewerkschaftliche Ränkeschmiede. Die Frau in der Küche stöhnt, ich beantrage die Rente. Aber doch nicht freitags, denke ich nassforsch. Eine 15ergruppe, lärmend, stoisch, Blitzlichtgewitter am Frühstücksbuffet. Keine Ahnung, was sie mitten in den Wald treibt. Ich verziehe mich auf die Terrasse ins WIFI. Das Naturfreundehaus liegt in einer „Dell“, einer Mulde – so hat es mir eine Nordic Walkerin gestern erklärt. Ohne ihre Hilfe hätte ich es vielleicht nicht gefunden. Gestern habe ich gelernt, dass man im Pfälzer Wald eine Wanderkarte gut gebrauchen kann. Ohne die Kompassfunktion des iPhones würde ich noch immer zwischen Kalmit und Totenkopf irren.
Gerade dringen noch mehr Intimitäten durch die offene Tür des Gasthauses. Die Raucherinnen und Raucher gesellen sich um mich, reden vom Aufhören und vom Wetter umd zünden sich eine an. Meine Umwelt ist wie Haut. Wie Schweiß sickert Geheimes und Banales aus den Poren. Ohne es zu wollen lernst du alles über die Menschen, woher sie kommen, hörst du am Dialekt, ob sie arbeitslos sind oder erschöpft siehst du an ihrem sorgenvollen Blick, aus Satzfetzen puzzlest du dir ein Bild zurecht. Nebenan reden zwei Jungs über die „simpsons“, Comicsprache bei Selbstgedrehten.