J.s Gottesbeweis

Gerade habe ich die Wohnungstüre aufgeschlossen, draußen die letzten Sonnenstrahlen, Katze will Futter, da fällt ein Kuvert aus dem Regal, ich öffne es und entdecke uralte Kunst von meinem Freund Stephan aus dem Jahr 1994, Mann ist der gut, und einen Brief und eine Kopie eines Zeitungsartikels über den Berber-Django, welcher seit etwa 1971 durch Deutschland tourt mit dem Fahrrad. Ich weiß nicht, ob er noch lebt. 1992 hatte ich ihn kurz bevor ich nach sechs Wochen Radeltour aus Island nach Hause kam, getroffen und er hatte versucht, mir meinen Minus-18-Grad-Schlafsack abzuschwätzen. Beinahe hat er geweint, als ich nein sagte. Irgendwie unheimlich, dass sich dieses Kuvert aus dem Nichts meines Chaos gelöst hat.

Unheimliche Dinge geschehen auch in meinem Hirn. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass ich durch die Archivierung uralter Bilder automatisch mit Erinnerungen konfrontiert werde, die sehr weit zurück liegen.

Der Gottesbeweis kam schlagartig gestern, aus heiterem Himmel. Ich erinnerte mich an J., den Sohn, meiner Freundin K., wie wir 1995 einen Spaziergang durchs rheinhessische Oppenheim machten.

Etwa sechs Jahre alt war er da – und bewies Gott. Vielmehr, bewies, dass es ihn nicht gibt. Ich glaubte ihm und vergaß.

Gestern fiel es mir wieder ein. Wie ich J. meinen Fotoapparat gab, er hatte solchen Spaß, wir folgten einer weißen Katze. Behende schlängelte sich das Vieh durch Oppenheims Gassen, stets nah den Hauswänden, vorbei an Weinbergen, die von grauen Granitmauern gerahmt wurden, ein wunderbarer ZickZack-Kurs durch die Katharinenkirchenstadt. Irgendwann fragte mich J. nach Gott, ob es ihn gibt, warum es ihn gibt; ich betete vor mich hin, radebrach diesunddas, bis er irgendwann äußerte: “ Es gibt keinen Gott, und weißt du waruhum?“ Ohne Pause fuhr er fort: “ Weil er sich dir nicht offenbart, weil er sich mir nicht offenbart und weil er sich auch allen anderen Menschen nicht offenbart. Es sind immer nur Menschen, die anderen Menschen erzählen, dass es Gott gibt und was er so tut. Nie ist es Gott persönlich. So ist es mit den Christen, mit den Juden, mit den Moslems, mit allen“, wusste der kleine Kerl. Beinahe hatte ich Tränen in den Augen, jedes Wort aus dem Mund des unschuldigen Kinds war eine Offenbarung. „Die Moslems sind Menschen und die Christen und die Juden auch und alle erzählen von ihrem Gott und dass er der einzige ist und dass die anderen nichts taugen, aber sie haben ihre Informationen alle, ich sag es laut – ALLE nur aus zweiter Hand. Wer sagt mir, dass der Priester, der von Gott erzählt und dass es ihn gibt und dass er ein guter Gott ist, Allah, Jehova, Jesus, dass dieser Priester nicht lügt, oder meinetwegen glaubt die Wahrheit zu sagen, aber selbst belogen und überzeugt wurde und zum Sprachrohr geworden ist? Wer also kann ausschließen, dass ich nicht am Ende einer tausendjährigen Lügenkette stehe?“, erklärte mir J. und verfolgte nebenbei mit meinem Fotoapparat die seltsame weiße Katze in den dunklen Gassen Oppenheims.

Planet der Tacker

„Über kurz oder lang musst du den Tackerjob aufgeben“, schockiert mich Konzeptkünstler R. Er ist Unternehmensberater, er muss es eigentlich wissen. Gerade hatte ich ihm die Geschichte von der täglichen Firmenpotenzierung erzählt:  „Verlässt man abends die Tackerwerkstatt und kehrt morgens verschlafen zurück, ist sie doppelt so groß, es arbeiten dort doppelt so viele Leute, so geht das seit Jahresbeginn und ich fürchte, bei der 64ten Firmenverdopplung wird es auf der Welt nur noch Tackerwerkstätten und nur noch Tacker geben. Ist eigentlich wie mit dem berühmten Schachbrett, auf dessen erstes Feld, A1, man arglos ein Reiskorn legt. Die VonFeldZuFelde Verdoppelung führt dazu, dass man beim 64ten Feld, H8, die Erde in einen Planet der Reiskörner verwandelt hat und alle müssen ersticken“.

Genug der Mathematik.

Ich erzähle weiter: „Wie ich so morgens in die verdoppelte Firma komme mit den verdoppelten Mitarbeitern, hat es sich ein Nähmaschinenverkäufer bequem gemacht auf meinem Arbeitsplatz. Ungerührt nehme ich den Tacker und beginne mein Tackwerk. Aber den Mann, um den sich die gesamte Firma geschart hat, interessiert das gar nicht. Ungeniert redet er einfach weiter: „Dieses Modell hat den Vorteil, dass sie selbst im besoffenen Zustand noch nähen können, die Nähte werden trotzdem gerade“, erhebt er die Stimme. Nicht dass die Kollegen und Kolleginnen an seinen Lippen hängen würden, sie gähnen, sie bewundern mich, dass ich so ignorant tackere. Erst jetzt stelle ich fest, dass der Nähmaschinenvertreter sich mit Handschellen an der Heizung festgekettet hat.“Er ist seit Stunden hier, er macht keine Anstalten, jemals zu gehen, er hat den Schlüssel verschluckt!“, gibt mir Kollege T. einen Wink und raunt mir ins Ohr, „Herr, erlöse uns von den Nähern, denn sie nähen nicht, sie schneidern nicht und Gott ernährt sie doch.“ Was genau er damit sagen will, begreife ich nicht. Der Nähmaschinenvertreter wirft uns einen bösen Blick zu, wie etwa ein Lehrer, dessen Unterricht man gestört hat.“

„Du spinnst“, sagt Unternehmensberater und Konzeptkünstler R., „das ist typisch. Weil du deine Kunst nicht verwirklichen kannst, oder besser gesagt, dich nicht traust, zu faul bist, wasweißich, und weil du drauf und dran bist, dein Schicksal als Werktätiger anzunehmen, erfindest du solche Storys, malst dir eine wunder-wander-Blümchenwelt. Was ist mit den schönen Dingen, mit deinem Inneren, mit dem Wahren, mit dem, was nie ein Mensch zu sehen bekommt? Wenn nicht du-du-du, du allein es nach außen bringst, es sichtbar machst, wer soll es dann tun? Weißt du überhaupt was du da machst?“, schimpft Konzeptkünstler R. Ich zucke die Schultern, versuche unschuldig zu wirken. „Du vernichtest gerade  dein gesamtes Potential. Du bist ein Verbrecher, ein Mörder im bizarren Guerilliakrieg zwischen Werktätigkeit und Kunst, du bist im Begriff, dich für die falsche Seite zu entscheiden, ein Heulen mit dem Bösen ist dir wohl lieber, als ein stilles Gebet mit den Guten, ha! Was ist bloß aus dir geworden?“

Last Exit Q

Morgens denke ich darüber nach, ich sollte endlich mal einen finalen Artikel schreiben, mit dem ich das Blog beende. Irgendwas Markantes, ein Meilenstein, ein leuchtender Stern am Bloggerhimmel, eine Supernova. Ich stehe unter der Dusche und wasche mir die Achselhöhle mit einem Lavasand, den es nur auf den Kapverden gibt. Geschmack Lavendel. Jawoll, Mann, Mann, Mann, hast seit letzten November oder noch länger nix mehr Relevantes geschrieben, nur eine Serie von Notfallartikeln, wie sie einem Kreuzfahrtschiffkapitän gut anstünden, der nach nächtlicher Havarie ein Schott ums andere schließt, um sein‘ Kutter zu retten. Aber hee, Mann, das hier iss ja kein Kreuzfahrtschiff und du bis‘ kein Kapitän. Wie also sollte der letzte Blogeintrag lauten? Ich stelle das Thermostat der Dusche kurzfristig auf 15 Grad, um meinem Hirn den nötigen Schock zu versetzen, die letzten Worte zu finden, reibe mit einem Naturschwamm die Schulterblätter und kümmere mich anschließend um die Ellenbogen. Die Ellenbogen und die Schulterblätter werden beim Duschen nämlich allzu gerne vernachlässigt, weshalb so viele Menschen Schulterblatt- und Ellenbogenprobleme haben.

Mit einem Q, schreie ich, jawoll, mit einem Q soll der letzte Blogbeitrag enden. Es gibt keinen besseren Buchstaben, als das Q, um ein Blog zu beenden.

Ha.

Nun – spätabends, nochimmer riecht mein Bizeps nach Lavendel und die Schulterblätter ducken sich dankbar unter dem achten Halswirbel – wird mir klar, dass das verdammt schwer wird, ein Blog zu beenden, wenn der letzte Artikel mit einem Q enden soll. Verflixt aber auch.

(Dann schreib‘ ich hier mal son wunderbarn Stuss, der mir grad nach langem harten Arbeitstag durchs Hirn geht)